Ulli Kulke / 19.10.2012 / 19:14 / 0 / Seite ausdrucken

Stromsozialismus

Die Forderung musste irgendwann kommen in diesen bewegten Tagen: kostenloser Strom! Gerade läuft die Diskussion darüber heiß, dass die häusliche Energie Nummer eins im Lande unbezahlbar wird, weil die garantierten Vergütungen für die Solar-, Wind- und Biogasbranche im Rahmen der Energiewende ins Unermessliche steigen. Da kommen die „NaturFreunde Deutschlands e.V.“ und beantragen nicht nur ein „an der Haushaltsgröße orientiertes kostenloses Grundkontingent an Strom“, sondern gleich auch ein „Verbot von Stromsperren bei Privathaushalten“, was ja letztlich darauf hinausliefe, dass sowieso nur noch derjenige seine Stromrechnung bezahlen muss, dem es gerade passt. Geschehen kann dem Stromzahlungsboykotteur nichts, für den Ableser der Versorgungsunternehmen würde es dann heißen: „Wir müssen leider draußen bleiben“, wie er auf entsprechenden Abziehbilder an den Haustüren lesen dürfte. Warum dann eigentlich überhaupt noch Stromzähler, ein freiwilliges Umlagesystem täte es ja auch.

Die Energiewende bekommt einen unschönen Begleiter: Die „Energiearmut“, die dazu führt, dass immer mehr Haushalten, die den Strom nicht mehr bezahlen können, derselbe abgedreht wird. Was nun auch die Naturfreunde bemerken, die sich in ihrem Selbstverständnis den Luxus erlauben, nicht mehr den Naturschutz ganz obenan in ihrem Zielkatalog zu führen, sondern den Klimaschutz. Und offenbar auch die Menschenrechte, zu denen die Energieversorgung gehören soll.

Da sind sie in guter Gesellschaft mit vielen anderen, die alle noch bis ins letzte Jahr hinein die Parole verbreiteten, die Energiewende sei zum Nulltarif zu haben. Eine blauäugige bis unverfrorene Behauptung, die einen guten Teil dazu beigetragen hat, dass der Atomausstieg in der Gesellschaft überhaupt mehrheitlich akzeptiert wurde. Inzwischen plädiert eine Mehrheit schon wieder dafür, die Kernkraft vielleicht doch noch ein wenig länger laufen zu lassen, um die Strompreise nicht in den Himmel schießen zu lassen, was natürlich insgesamt nicht ins Konzept passt.

Um die Mehrheit zurückzugewinnen, will man nun also allen einen kostenlosen Sockel an Strom zur Verfügung stellen, den Armen am besten gleich alles, und obendrein die Beunruhigung aus dem Ganzen nehmen, indem Stromsperren verboten werden. Wir kennen das schon aus der Diskussion darüber, dass energetische Sanierungen in Mietshäusern generelle Pflicht werden, der Hausbesitzer aber für alles aufzukommen habe, damit das Mieterland Deutschland nicht die Lust an „der großen Transformation“ verliert.

Die Gewinne aus der Energiewende bleiben privatisiert, für die Branche der Erneuerbaren. Das Risiko soll aber vergesellschaftet werden, die Stromrechnung zahlt der Steuerzahler, und da ist ja mit Vermögens-, Reichen-, Grund- und anderen Steuersätzen nach oben noch einiges drin. Hat noch jemand Einwände gegen die Energiewende? Kein Zufall, dass schon an zweiter Stelle auf der Kampagnenliste der nominellen Umweltschützer steht: „UMfairTEILEN: NaturFreunde fordern eine stärkere Besteuerung großer Vermögen“. Passt doch. An erster Stelle übrigens: Kampf gegen Euratom.

Das Ganze passt natürlich vor allem deshalb, weil es den Naturfreunden – die international gesehen mit einer halben Million Mitglieder zu den kopfstärksten NGOs gehören – zu keiner Zeit nur um die Natur ging. Die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangene Organisation hatte stets linkssozialdemokratische und sozialistische Bezüge. Und illustre Mitglieder: Willy Brandt, Otto Grotewohl, Franz Müntefering, Bruno Kreisky und viele andere. Chef der Naturfreunde Deutschlands ist heute der SPD-Politiker Michael Müller, einst Staatssekretär von Umweltminister Gabriel.

Die Einheitsfront lebt. In ihrer Pressemitteilung beziehen sich die Naturfreunde jetzt gleich mehrfach auf einen entsprechenden Antrag der Partei der Linken, die „eine gute Grundlage für weitere Diskussionen über die Bekämpfung von Energiearmut“ vorgelegt hätten. „Die Naturfreunde würden es begrüßen, wenn sich auch die anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag dieser Debatte konstruktiv stellen.“

Die Naturfreunde, gegründet 1895 von einem sozialistischen Lehrer in Wien, haben es nie ganz verwunden, dass sie in der DDR nicht zugelassen waren. Sie konnten also – jedenfalls als Verband – nicht mitwirken am Aufbau des Sozialismus, wie gerne hätten sie es getan. Das wollen sie nun offenbar nachholen. Ohne Sozialismus wird die Energiewende nach der bisher eingeschlagenen Richtung auch wohl kaum klappen, und da wiederum sind die Naturfreunde auch gar nicht mal so weit entfernt von den anderen Protagonisten des großen Umbaus.

Verbot von Stromsperren, kostenloser Strom für die untere Hälfte der Einkommensbezieher, wie soll all dies sonst bewältigt werden. Absehbar, dass auch die Stromkonzerne durch staatlichen Zwang oder gleich Enteignung bei Laune gehalten werden müssen, wenn deren Grundlastkraftwerke durch die Bevorzugung der Erneuerbaren Energien ausgebremst werden, aber gleichzeitig untersagt werden soll, die doch so verpönten Gas- und Kohlekraftwerke abzuschalten, um einen Blackout zu vermeiden. Und übrigens: Wie will man eigentlich die Abwanderung der energieintensiven Produktionsunternehmen verhindern, wenn die Steuererleichterungen für sie fallen?

Ein weites Feld tut sich auf. Auch der Aufbau des Sozialismus erhält seine zweite Chance.

Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT

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