Von Hans-Christian Kuppert.
Zunehmende Überlastungen aus unserem Stromnetz zeigen unseren Nachbarn, dass sie für die Aufrechterhaltung des deutschen Irrweges in Anspruch genommen werden – und die Nachbarn wissen das auch, denn extreme Strompreise erweisen sich als ansteckende Krankheit.
Unser Bundeskanzler Scholz bezeichnete einmal in einem Interview die Kernenergie in Deutschland als „totes Pferd“. Damit hat er durchaus recht, denn jahrzehntelange Seelenmassage der Verteufelung sitzt bei uns tief. Die dabei beabsichtigte erhöhte Sicherheit vor nuklearen Gefahren für unsere europäische Bevölkerung im weiteren Sinne hat weltweit gesehen aber nur marginalen Einfluss. Das dabei ziemlich unbeteiligte Weltklima hat mit zunehmender CO2-Emission aber dramatische Auswirkungen nicht nur auf die Menschheit, sondern auf alle Biosphären der Erde insgesamt. Die klimatischen Folgen treten dabei auf allen Ebenen immer drängender in den Vordergrund. Denen gilt daher auch die vorherrschende Sorge der Welt!
Dennoch leisten wir uns für unseren Nuklearverzicht zum Beispiel gegenüber Frankreich eine Mehrbelastung der Atmosphäre von immer noch ca. 140 Millionen Tonnen CO2 jährlich (bei ca. 370 g CO2/kWh gegenüber 65 g CO2/kWh) allein aus der deutschen Stromerzeugung von aktuell ca. 450 TWh/a. Mit der Bewertung dieser zusätzlichen Emissionen gemäß aktuellem CO2-Preis von 45 €/t CO2 ab 2024 beträgt der theoretische Schaden etwa 6 Milliarden Euro im Jahr. Dabei ist für uns nur von Vorteil, dass sich der Schaden des CO2 über die Atmosphäre auf die ganze Welt verteilt, sich mit allen anderen Quellen vermischt und uns damit nicht mehr ursächlich zuzuordnen ist. Doch diese Stelle ist aktuell ins Rutschen geraten.
Klar, sind wir auf dem – rechtlich einzig zulässigen und damit „richtigen“ – Weg in die Zukunft. Nach obiger Rechnung werden wir aber erst bei einer Abdeckung der heutigen Stromerzeugung mit Erneuerbaren von mehr als 93 Prozent mit Frankreich in der dann aktuellen Belastung gleichziehen können. Wird aber dann ein stabiles Netz mit einer Wirtschaft für alle möglich sein? Schon jetzt ist es zunehmend schwierig, für ausgewiesene Flächen bei PV oder Windanlagen Betreiber zu finden, die sich zutrauen, ein Investment, selbst mit den bestehenden erheblichen Fördermaßnahmen, auch zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen. Abgesehen von den oft übersehenen Aufwendungen für öffentliche Ausschreibungen, Grundstücke, Planungen, Genehmigungen etc. sind erneuerbare Energien nicht schon deshalb „billig“, weil Sonne und Wind keine Rechnung schicken.
Kapitalkosten „in den Wind geschrieben“
Dieser Slogan von Franz Alt sollte ja vor allem von den hohen Kosten der technischen Anlagen für Sonne und Wind ablenken. Wenn die klimamäßig möglichen Auslastungen der Anlagenkapazitäten bei Photovoltaic nur bei etwa 11 Prozent und bei Wind (Land und Meer) nur bei ca. 22 Prozent liegen, bleiben ca. 80 bis 90 Prozent des Investments und damit der Kapitalkosten auf Dauer nicht nutzbar, sozusagen „in den Wind geschrieben“. Mit dem Nebenargument der „schlechten Planbarkeit“ sowie der Abregelung von regenerativem Überschussstrom – ein ca. 3,5-Prozent-Randproblem – wird für die Öffentlichkeit gerne dieser Hauptmangel der Erneuerbaren verschleiert. Das geht volkswirtschaftlich ins Geld und stellt eine gewaltige Verschwendung von Ressourcen dar.
Während fossile oder nukleare Kraftwerke eine technische Lebensdauer von 40 bis 60 Jahren erreichen können, ist bei der Windkraft, dem dominierenden Anteil der Erneuerbaren, oft nach dem Ende der Förderung auch bald das Ende des wirtschaftlichen Einsatzes nahe. Durch die EEG-Förderung über 20 Jahre zu Lasten von Verbrauchern und Steuerzahlern werden die Anlagenbetreiber zum großen Teil von den Kapitalkosten entlastet, das heißt der anteilige Anlagenwert wird im Zuge der Förderung praktisch „vergesellschaftet“.
Ein Weiterbetrieb wäre dann eigentlich „nahezu“ kostenlos und führte zu der oft auch von Robert Habeck vorgetragenen Idee von immer günstigerer Stromerzeugung aus den erneuerbaren Anlagen. Leider kommen solche Visionen in der Praxis nur selten zum Tragen, auch unabhängig von der technischen Lebensdauer, denn neuere Anlagen arbeiten wegen heutiger Leistungsgrößen meist schon wirtschaftlicher als abgeschriebene kleinere Anlagen trotz deren geschrumpfter Kapitalkosten. (Wirtschaftlich gesehen ist small vielleicht beautiful aber mit Sicherheit expensive!)
Hier kommt nun der Begriff „Repowering“ im Sinne von mehr Leistung am gleichen Standort ins Spiel, auch um den Ausbauzielen näher zu kommen. Das heißt in der Praxis: Abriss und Neubau bei teilweiser Nutzung von Standort und Genehmigungen. Eine Folge davon ist logischerweise eine Entwertung des eben erworbenen „Volksvermögens“. Aber auch die modernsten Windräder haben nur eine technische Lebensdauer von etwa. 20 Jahren und müssen dann wieder ersetzt werden mit neuer Förderung und einer Auslastung von wieder nur klimabedingten 10 Prozent (PV) bzw. 20 Prozent (Wind).
Die EEG-Förderung ist daher weder eine Anschubfinanzierung zur Entwicklung von Technologie noch eine Investition in die Zukunft, sondern eine Dauersubvention für mangelnde Wirtschaftlichkeit, wie schon immer zu befürchten war. In diesem Jahr 2024 wird der Förderbedarf allein für den Weiterbetrieb der Erneuerbaren 20 Milliarden Euro überschreiten. Gerade bei unseren Hoffnungsträgern, den Grenzleistungsanlagen Offshore, die mit 15 MW großtechnisch immer noch fast lächerlich klein sind, ist außerdem aktuell zu beobachten, dass die Bau- und Betriebskosten aus dem Ruder laufen und daher ganze Windkraftfelder auf Eis liegen.
Die Suche nach den angeblich Schuldigen
Die in der Öffentlichkeit gehandelten Ausbauziele (bis 2030 viermal so viel Erneuerbare wie heute) mögen rein rechnerisch richtig und für das übergeordnete "Klimaziel" notwendig sein; dennoch muten die Zahlen angesichts der begrenzten Möglichkeiten der Realisierung ohne die notwendigen Anreize und Vorkehrungen an Industriekapazitäten und Infrastrukturen zur Herstellung (egal wo die auf der Erde stehen sollen) zunehmend wie Milchmädchenrechnungen an und erinnern an die berüchtigte ideologische Planwirtschaft mancher Länder in den 1950er Jahren. Dabei arbeiten doch bereits heute alle Beteiligten schon gutwillig im Dschungel der Genehmigungs-Planungs-Herstellungs- und Personalnöte am Anschlag.
Des Weiteren müssen wir – auch wenn die Propagandisten der grünen Zukunft Derartiges nicht auf dem Schirm hatten oder haben wollten, Zusatzkosten in ungeahnten Größen ins Auge zu fassen, denn die neue Welt der Erneuerbaren bedarf zu ihrem Funktionieren als Standbeine der Energieerzeugung notwendigerweise neuartiger und spezifischer Leistungen wie Nord-Süd-Ost-West-Links der Netze, permanentes Netzmanagement, erhebliche Vorhaltung von konventionellen Kraftwerksreserven und Speicherung in ausländischen Stauseen oder auch in teuren Großbatterien.
Allein schon zur Speicherung von Strom für bedarfsgerechte Zeiten kommt auch die Idee einer Wasserstoffwirtschaft ins Spiel. Politik und Technik stürzen sich dabei auf die technologische Entwicklung zur H2-Erzeugung und Verteilung (Elektrolyseure, Rohrleitungsnetze bis hin zu H2-fähigen Motoren und Wärmepumpen). Die erforderlichen riesigen Energiemengen aus erneuerbaren Quellen für den Betrieb als Heiz- und Prozesswärme in Haushalt und Industrie, die sich dann der H2-Technologie bedienen und daraus eine H2-Wirtschaft gestalten sollen, sind aber auch mittelfristig nicht ansatzweise in Sicht (d.h. wieder nur mit unwirtschaftlichen 10–20 Prozent Auslastung der investierten Kapazitäten s.o.) Welche Volkswirtschaft kann sich solche ineffizienten Investitionen auf Dauer leisten? Sind Chile, Namibia oder der Golf realistische Optionen für uns oder doch nur ideologische Tagträume? „Desertec“ und „Neokolonialismus“ lassen grüßen.
Anbetung eines Goldenen Kalbes
Die internationale Energiepolitik wird aus deutscher Sicht euphemistisch als europäische Zusammenarbeit betitelt. Zunehmende Überlastungen aus unserem Stromnetz bei den Netzen in Ost, West, Nord und Süd zeigen aber unseren Nachbarn den tieferen Grund der „Zusammenarbeit“ als bittere Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung unseres Sondermodells, und die Nachbarn wissen das auch. So erkärt die schwedische Energieministerin Ebba Busch aktuell: „Die Achterbahnfahrt der Strompreise ist unerträglich". Und sie weist als Grund in Richtung Deutschland: „Das ist eine Folge der Abschaltung der Kernkraftwerke. Wenn der Wind nicht weht, bekommen wir mit diesem gescheiterten Stromsystem hohe Strompreise, wie die deutschen Strompreise von etwa 10 SEK pro kWh zeigen.“ Bild zitiert die Schwedin so: „Ich bin wütend auf die Deutschen“.
Sie alle betrachten die Erneuerbaren energiepolitisch als Spielbeine, sägen aber nicht vorzeitig die Standbeine ab. Nachdem sich anscheinend herumgesprochen hat, dass das Stromnetz selbst nicht speichert und auch Dunkelflauten keine böswillige Einbildung sind, wird nun in Deutschland, wiederum ohne ausreichende Infrastruktur, eine Gaskraftwerksstrategie zur Netzstabilisierung in die Debatte geworfen, quasi als weiterer flotter Schuss aus der Hüfte mit bis zu 25 GW aus 50 Anlagen (d.h. je 500 MW).
So große kapitalintensive GuD-(Gas-und-Dampf )Kraftwerke dann hauptsächlich als Reserve zur Netzstützung mit geringer Auslastung ( ungefähr 1000 Starts aber nur 100 Betriebsstunden im Jahr) betreiben zu wollen, wäre eine weitere Ressourcenverschwendung und Kostenbelastung der Verbraucher über den Strompreis – beziehungsweise des Staates durch abermalige Förderung des Investment. Nebenbei bemerkt sind Gasturbinen allein zwar im Minutenbereich am Start für die Netzstützung, aber der Wasser-Dampf-Kreislauf dahinter, der erst den erstrebenswerten Gesamtwirkungsgrad ermöglicht, benötigt Vorlauf im Stundenbereich.
Das relativiert die Sinnhaftigkeit des gesamten Vorhabens mit GuD weiter. Oder ist dieser „Spuk“ inzwischen wegen Zeitfenster-Überschreitung ohnehin schon wieder vorbei? Nachdem diese Zwangslage ausschließlich durch staatliche Vorgaben herbeigeführt worden ist, kann privatwirtschaftliche Initiative nur begrenzt erwartet werden oder gar wirken. Der kategorische, definitive Verzicht auf Kernenergie gerät zunehmend zur „Anbetung eines Goldenen Kalbes“, dem alle reale Planung einschließlich der unvermeidlichen Folgetechniken notgedrungen und damit alternativlos und kritiklos unterworfen wird, wie in einer Fischreuse.
Früher sagte man: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert!“ Im Umkehrschluss führen alternativlose Idealziele zwangsläufig in die Sackgasse der Realität. Erschwert wird diese Entwicklung noch dadurch, dass die unzähligen „Kölner Heinzelmännchen“, die für jede Art von wirtschaftlichem Wohlstand unverzichtbar bleiben, wegen intellektueller Vernachlässigung und Missachtung zunehmend die Gefolgschaft aufkündigen, sprich „Deindustrialisierung“.
Hoffen auf das europäische Ausland
In einer Wirtschaft mit ausreichend Kernenergie könnte CO2-freier Strom immer bedarfsgerecht über vorhandene Netzstrukturen für beliebige Energieanwendungen in Strom und Wärme jeder Art erzeugt werden, saubere Chemie- und Grundstoffindustrie inklusive und für Wärmepumpen und E-Autos sowieso. Wenn Kernenergie in einer CO2-freien Zukunft dann nicht nur den Strom-, sondern auch noch den Wärmemarkt bedienen sollte, werden natürlich wesentlich mehr KKW erforderlich, aber mit deren 100 Prozent Auslastung eher machbar als mit Sonne und Wind – egal aus welchen Importen.
Wenn wir nicht wieder oder immer noch eine „Atomangst“ schüren würden, könnte dieser ganze vorige Absatz der Folgekosten ersatzlos entfallen. Bei uns sorgen die beschriebenen Maßnahmen aber dafür, dass die volkswirtschaftlichen Folgen der Erneuerbaren nicht sinken, im Gegenteil. Der "Wirtschaftsaufschwung", den Bundeskanzler Scholz auf seinem Weg immer wieder plakatiert, entpuppt sich zunehmend als Fata Morgana. Trittins Vergleich mit der „Kugel Eis“ als Transformationskosten war von Anfang an nur eine dreiste Propagandalüge.
Der jahrzehntealte Saldo unserer CO2-Mehrbelastung wird an uns ohnehin bis zum St. Nimmerleinstag uneinholbar haften bleiben. Hier scheint sich der alte Lateinerspruch wieder zu bewahrheiten: „ars longa, vita brevis“ – „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.“ Während wir hierzulande auf das ultimative Heil vor nuklearen Gefahren durch die Erneuerbaren hoffen, haben wir eine große Wahrscheinlichkeit, in der alten Kohle steckenzubleiben. Aber das wäre für unsere staatlichen „Klimaschützer“ bis heute immer noch das geringere Übel.
Wenn sich nun auch unsere anderen Nachbarn neben Frankreich wieder der Kernenergie zuwenden, werden sie uns dann hoffentlich in europäischer Solidarität – wenn auch teuer – daran teilhaben lassen zum Vorteil für unsere Netzstabilität und die Klimabilanz.
Hans-Christian Kuppert, Studium Maschinenbau zum Dipl.-Ing. Von 1970 bis 2002 war er bei KWU / Siemens in diversen Sparten des Projektmanagement von fossilen und Kernkraftwerken für Projekte in Österreich, Iran, Brasilien, etc. in führenden Funktionen tätig, von Genehmigungsverfahren über Systemtechnik und Wirtschaftlichkeitsberechnungen bis Terminplanung und Vertragswesen.