Roger Letsch / 04.04.2019 / 06:12 / Foto: Pixabay / 88 / Seite ausdrucken

Stromnetz minus Grundlast ist gleich smart

Am 1. April war Twittertag der offenen Frage beim Bundesumweltministerium (BMU), welches sich eigentlich BUM abkürzen müsste und auch sollte. Vögelchen vom Dienst war Staatssekretär Jochen Flasbarth, einer der bekanntesten Herolde der deutschen Energiewende. Gleich die erste Frage an #FragFlasbarth lautete: „Welche Energieform soll nach der Abschaltung der Kohle- und Kernkraftwerke die Grundlast sichern bzw. diese Kraftwerke ersetzen?“ Antwort des BMU: 

Grundlast wird es im klassischen Sinne nicht mehr geben. Wir werden ein System von Erneuerbaren, Speichern, intelligenten Netzen und Lastmanagement haben.“ 

Keine Grundlast mehr! Im klassischen Sinne. Dieser „klassische Sinn“ meint übrigens die Angewohnheit der Verbraucher, zufällig zu einer beliebigen Tageszeit eine gewisse Tendenz zur Stromnachfrage zu entwickeln, wobei morgens gegen acht und abends um dieselbe Zeit statistisch die meisten Kaffees gekocht und Schnitzel gebraten werden, weshalb man um diese Zeit Nachfragespitzen findet. Gibt es dies in Zukunft nicht mehr, wurde offenbar der Verbraucher abgeschafft. Oder der Strom. Oder beide. Die diesbezügliche Vermutung, zukünftig würden sich wohl die Netzausfälle häufen, wischt Flasbarth beiseite: 

„Nein, dazu gibt es viele Untersuchungen. Wir werden auch künftig unsere außergewöhnlich gute und verlässliche Versorgungssicherheit bewahren.“

Versorgungssicherheit also ohne Grundlastfähigkeit der Netze. Man kann also doch die Eier und das Omelett gleichzeitig haben! Da scheint mir aber mit der Mathematik etwas nicht zu stimmen. Das muss auch Flasbarth aufgefallen sein, denn er erinnert an zahlenstarke Exporterfolge: 

„Im Augenblick exportieren wir massenhaft Strom ins Ausland. Ich denke eine ausgeglichene Bilanz wäre vernünftig in einem gut funktionierenden Energie-Binnenmarkt.“

Ja ja, unsere sogenannten Exporte. Dummerweise exportieren wir immer nur dann, wenn auch unsere Nachbarn selber Sonne und Wind satt haben, weshalb wir auch kaum Geld für unsere „Exporte“ bekommen, sondern oft Geld hinterherwerfen müssen (siehe auch die wöchentliche Achgut.com Kolumne "Woher kommt der Strom?")

Es handelt sich also weniger um Exporte als vielmehr um Entsorgungskosten – oder hat schon mal jemand davon gehört, dass die örtlichen Wasserwerke für die Abwässer zahlen, welche die Bürger täglich „exportieren“? Interessant auch, dass unsere bestehenden Netze zwar ausreichen, Überproduktion ins Ausland zu drücken, während sie für die Verteilung des Stroms im Inland unbedingt und dringend ausgebaut und intelligenter werden müssen. Doch bleiben wir bei der Grundlast, die wir angeblich in Zukunft nicht mehr brauchen. Wie soll das gehen ohne Simsalabim? #FragFlasbarth:

 „Weil wir moderner und smarter werden, als Sie das im Moment noch für möglich halten.“

Aua. Stromnetz minus Grundlast ist gleich smart. Dampfnudeldumm hätte man früher gesagt, aber das ist lange her. Aus unseren Steckdosen fließt in Zukunft ein ganz anderer Saft. Smart und modern und nicht dann, wenn man ihn braucht! Nebenbei: Der „Smart” wird demnächst in China gebaut.

Die wundervolle Welt virtuellen Stroms

Woran man Bots erkennt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, Cheerleader der Energiewende erkennen, ist hingegen leicht. User… nennen wir ihn „B“, springt jedenfalls dem Staatssekretär zur Seite und twittert zur Grundlastfähigkeit der Erneuerbaren: „Ja, es gibt einen Plan“.

Seltsam, wo man doch laut Flasbarth keinen braucht. Verlinkt hat „B“ dann diesen Newsletter (von 2015) des BMWI, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, in dem es um „Virtuelle Kraftwerke“ geht. Kurz gesagt also darum, verschiedene Kraftwerke, also Sonne, Wind, Biogas und Wasser gemeinsam zu steuern und idealerweise auch noch einen Speicher (Pumpspeicherkraftwerk) vorzuhalten. Als Pseudonym für dieses virtuelle Gebilde wird häufig auch der Begriff „Kombikraftwerk“ verwendet. Folgt man nun dem Link von „B“, taucht man ein in die wundervolle Welt virtuellen Stroms. Vor allem aber in die Welt des Lobbyismus und echter Steuerknete.

Die Webseite kombikraftwerk.de wird lobend erwähnt im 2015er Newsletter, kein Wunder, wird sie und das Projekt doch vom selben Ministerium gefördert. Im Impressum von „kombikraftwerk.de” findet sich als Verantwortlicher die „Agentur für Erneuerbare Energie“, welche als eingetragener Verein von „Verbänden der Branche für Erneuerbare Energie“, dem Bundesministerium für Umwelt sowie dem Bundesministerium für Landwirtschaft finanziert wird.

Besonders gefallen hat mir die Domain, mit welcher der Verein ebenfalls hausieren geht: unendlich-viel-energie.de. Dort wird der presserelevante Teil der Öffentlichkeitsarbeit gebündelt. In dieser Verkleidung fließt auch noch unterstützender (Geld)Segen aus dem Wirtschaftsministerium und einem Dutzend weiterer Verbände aus der Szene der Erneuerbaren. Ob die Energie schon in der Unendlichkeit angelangt ist, kann ich natürlich nicht wissen. Zu erklecklichem Geldsegen durch Lobby-Verbände und Steuermittel, die generös aus den Ministerien herübergereicht werden, hat es aber mit Sicherheit schon mal gelangt.

Die Projektpartner: Leichen und Untote

Auf der Webseite „kombikraftwerk.de“ erfahren wir auch, dass für das Forschungsprojekt gar kein echtes, sondern nur ein „virtuelles Pumpspeicherkraftwerk“ eingebunden wurde – doch in der echten Welt helfen nur echte Kraftwerke, weshalb die „Skalierbarkeit“ des Experiments „Kombikraftwerk“ wohl auch nur in der virtuellen Realität denkbar ist. Denn das Projekt soll den „10.000sten Teil des deutschen Strombedarfs“ abdecken. Wir müssen also nur noch ein paar tausend Pumpspeicherkraftwerke bauen, dann sind wir aus dem energetischen Schneider.

Da es derzeit schon 36 sehr unterschiedliche Anlagen dieser Art in Deutschland gibt, müssen wir schon mal 36 weniger neue bauen! Wie viele denn derzeit tatsächlich im Bau sind, wollen Sie wissen? Null! In Planung? Auch Null! Könnte man denn welche bauen? Kaum mehr als eine Handvoll. Es gibt auch kaum geeignete Standorte, denn man braucht einen oberen und einen unteren Wasserspeicher erheblichen Ausmaßes und dann noch ausreichend Gefälle. Es wird deshalb wohl eher bei 36/10.000stel Energiesicherheit und Grundlastfähigkeit bleiben.

Doch vergessen wir das mal für einen Moment, auch wenn der Gedanke, ein paar Speicherseen von der Größe des Bodensees durch Bayern oder Berlin zu ziehen, durchaus seinen Reiz hat. Wir halten uns an die Realität des Geldes, nicht an Pumpspeicher, die ohnehin niemals gebaut werden und nur in der virtuellen Realität existieren. Wir schauen auf die Projektpartner von „Kombikraftwerk“ und finden dort die „Agentur Erneuerbare Energien“ wieder – man fördert sich also selbst. Auch die Pleitefirma „Solarworld“ ist als Projektpartner dabei, auch wenn es die schon lange nicht mehr gibt. Solarworld-Gründer Frank Asbeck hat sich längst mit richtiger Kohle aus den Taschen seiner Aktionäre über den Regenbogen vom Sonnenacker gemacht.

Ebenfalls in der Liste: die Firma Business Institute Solar Strategy“, welche bereits 2009 von SunEdison übernommen wurde. SunEdison wiederum beantragte 2016 Gläubigerschutz, nur um sich dann schnell gänzlich aufzulösen. Oder SMA Solar Technology AG“, die laut Information auf der Homepage (dort hat man noch eine) „2018 hohe Verluste verzeichnete“ aber 2019 laufe alles wieder nach Plan. Lauter Leichen, Untote, oder staatlich finanzierte Projektpartner. Zumindest der Teil, der von der Sonne lebt, für den Rest kann man nur Mutmaßungen anstellen.

E-Autos kosten eigentlich überhaupt keine Energie

Was bringt es nun, in vier Jahre alten Newslettern aus Bundesministerien herumzustochern? Es zeigt, entlang welcher Linien und wie weitverzweigt im Energiewendegeschäft staatliche Gelder fließen, überall sitzen die Jubelperser, Schönredner, Schönrechner und Absahner. Das wird in den aktuellen Newslettern nicht besser, wo den Bürgern verschüttete Milch als nahrhaft verkauft werden soll. Längst abgeschlossene Projekte wie das „Kombikraftwerk“ werden immer noch verlinkt und zitiert. Es laufe doch so toll mit der Energiewende, man müsse doch nur genauer hinsehen. Das empfahl ja auch Cheerleader „B“. Wer es befolgt, dem wird angst und bange.

Etwa dann, wenn man im Abschlussbericht zum Projekt „Kombikraftwerk“ von 2014 liest, der sich für die technische Machbarkeit von „100% Erneuerbare“ ausgesprochen hatte. Dort heißt es: „Bezüglich des Stromverbrauchs wurde angenommen, dass im Vergleich zu heute die Effizienz zwar steigt, die resultierende Stromverbrauchsreduktion aber durch neue Verbraucher wie E-KfZ, Klimatisierung und Power-to-Heat aufgehoben wird.“

Der erhöhte Energiebedarf für Elektromobilität, bei denen wir ja auch 100 Prozent hinbekommen sollen, soll also ausgeglichen werden durch Effizienzgewinne? Und ein bisschen Strom ist dann sogar noch übrig, um damit Wärme zu erzeugen? Strom zu 100 Prozent aus Erneuerbaren und die Substitution von Diesel und Benzin ist da schon mit drin? Was müssen das wohl für gigantische Effizienzgewinne sein, die etwa ein Drittel des Gesamtenergiebedarfs einfach so ersetzen können! Brauchen wir nicht allein schon wegen der Elektromobilität fast doppelt so viel Strom, wenn das Ziel „100 Prozent“ erreicht werden soll? Laut Bericht nicht: „Insgesamt ergibt sich für das 100%-EE-Szenario ein Jahresstromverbrauch von rund 600 TWh – eine ähnliche Größenordnung wie heutzutage [Stand 2014].“

Mit anderen Worten: Elektromobilität kostet eigentlich überhaupt keine Energie, ist also quasi umsonst. Für jede eingedrehte Energiesparlampe kann ein Tesla zusätzlich aufladen. Ich hätte gern ein paar Krümel von dem Stoff, den die Verfasser dieses Abschlussberichtes durchs Nasenloch gezogen haben müssen. Denn weiter heißt es: „Neben einem geringen Ausbau von Pumpspeichern setzt dieses Szenario vorrangig auf die Power-to-Gas-Technologie.“

Immer erst im Impressum nachsehen, wer gezahlt hat

Nun wissen wir zumindest, wie Annalena Baerbock auf die Idee kommt, das Netz sei der Speicher. Die hatte nämlich auch das Power-to-Gas-Verfahren im Kopf, mithilfe dessen sie das Erdgasnetz fluten will. Eigentlich muss es aber Power-to-H2-to-Methan-to-Heat-to-Power-Verfahren heißen und weist dermaßen unterirdische Wirkungsgrade auf, dass man gerade mal 20 Prozent der Energie zurückbekommt, die man hineingesteckt hat. Komplett ungeeignet also!

Die Physik setzt hier Hürden, die sich nicht einmal durch einen brüllenden Anton Hofreiter vertreiben lassen. Auch auf den „nur geringen Ausbau der Pumpspeicher“ bin ich schon gespannt. Vielleicht können wir ja einen im Hambacher Forst errichten, spätestens dann, wenn die Baumschützer den letzten Bäumen dort wegen Eigenbedarf gekündigt haben. Aber vielleicht reichen ja auch virtuelle Pumpspeicher und virtuelle Kraftwerke, um virtuellen Kunden Strom zu liefern – und zwar grundlastfähig, deshalb schließt man die Kraftwerke ja zusammen. Virtuell, versteht sich.

Kombikraftwerke mit virtuellen Pumpspeichern funktionieren nur in der Theorie und unter der Maßgabe, dass es da immer noch ein echtes Netz mit echten Kraftwerken gibt, die den Statistik-Experimenten das Überleben ermöglichen. Auch die Verbraucher waren in diesem Experiment nicht physikalisch „off the big grid“. Für den Endausbau nach Atom, Kohle und Gas eignen sich Kombikraftwerke ohne echte Pumpspeicher also nicht. Auch sind deren Erfinder von einem viel zu geringen Energiebedarf ausgegangen und hatten seltsam naive Vorstellungen davon, wie viele Pumpspeicher sie tatsächlich benötigen würden oder wo man die wohl bauen soll.

Staatssekretär Jochen Flasbarth redet also Unsinn, wenn er die Notwendigkeit der Grundlastfähigkeit eines Netzes abstreitet. Als Lohn für diese Anstrengungen [Energiewende] winkt eine moderne, saubere und stabile Stromversorgung“ schreiben nämlich schon 2014 die Kombikraftwerkserfinder als Schlusssatz in ihren Bericht – und „stabil“ heißt nun mal grundlastfähig, Herr Flasbarth.

Die Kombikraftwerke mit virtuellen Pumpspeichern schaffen das aber nicht. Ihnen wird aber sicher etwas noch Smarteres einfallen. Für die Verbraucher und Empfänger guter Nachrichten aus Ministerien und Ideenschmieden heißt dies: immer erst im Impressum nachsehen, wer für die Heureka-Durchsagen bezahlt hat. Am Ende bleibt dem Staat wohl nur der Orwellsche Weg, die fehlende Grundlastfähigkeit auf der Nachfrageseite auszugleichen, also regulierend, zuteilend, verbietend und bestrafend einzugreifen, wie hier in einer Dystopie beschrieben. Was für eine schöne neue Welt, in der uns leider nicht das unschuldige CO2-neutrale Energieparadies winkt, sondern Energiemangel und Energiearmut blühen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Creative Commons CC0 Pixabay

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Leserpost

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Rainer Hanisch / 04.04.2019

Naja, die Frage der “stabilen Energieversorgung” scheint ein heikles Thema zu sein. In den Nürnberger Nachrichten heute z. B.: “Wie sich Nürnberg auf einen Stromausfall vorbereitet”. Interessanterweise scheint Bürgermeister Vogel die Sache ernster zu nehmen, als die allerorten massenhaft auftretenden Energiewende-Utopisten: “Auslöser für ein spezielles Konzept (zur Notstromversorgung) war eine Tagung in Berlin. Dort sagte ein Wissenschaftler zu mir: “Der Stromausfall wird kommen. Es ist nur die Frage, wann: in einem Jahr, in fünf Jahren oder in 30 Jahren.” ” Die heute üblichen “Computersimulationen” und “Modelle” sind mit äußerster Skepsis zu bewerten; habe diesbezüglich eigene negative Erfahrungen mit Elektroniksimulationsprogrammen machen müssen. Das beste Programm kann doch nicht die gesamte Komplexität erfassen und derjenige, der diese Programme mit Daten “versorgt”, meist auch nicht. Irgendetwas verhält sich anders, als gedacht, irgend ein Einfluss bleibt unberücksichtigt. Siehe Klimamodelle. Dort beruht alles auf dem bösen Kohlendioxid,  weitere Kriterien (vor allem “außerirdische”) finden keine Berücksichtigung. Was die Klimaretter nicht beeindruckt bzw. was denen gar nicht in den Sinn kommt. Aber naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten sind heute nicht gefragt, religiöse Ideologien sind “in”. Beim Bildungsniveau unserer Politiker auch kein Wunder. Und die Schulschwänzer streben den gleichen Level an: “Klima statt Mathe”. Sehr bedenklich bei einer Kanzlerin, die angeblich Physik studiert haben soll…. Oder war’s doch eher “Rotlicht”

Steffen Schwarz / 04.04.2019

Es gibt für jeden Heini und für jede Z-Promi Scheidung Sendezeit im Staatsrundfunk. WANN hat endlich mal einer Mumm und haut die ganzen—leider nicht virtullen—Klimafuzzies mit Argumenten einfachster Physik in die hoffentlich noch heiße Pfanne und läßt sich auch nicht beim Nachbohren bei den Fragen durch z.B. Sprechblasen wie . ” Also zunächst einmal..” abschütteln.

A.Heinz / 04.04.2019

Irgendwie fühle ich mich an Einstein erinnert: das mit den Unendlichkeiten ... Andererseits erinnern mich die Aussagen diese “Experten”, den wir alle auch noch bezahlen müssen an den Kalauer: “Där däutschen demokratschen Räbubligg is es g’lungen aus Kuhscheisse Butta härzustelln ... an Gschmack un Fahbe wird noch g’arbeitet”.

Wilhelm Lohmar / 04.04.2019

Wie will der Herr Flasbarth die Versorgung der Infrastruktur in Deutschland 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr mit elektrischem Strom abdecken ohne Grundlast im klassischen Sinne?

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