„Industrie spart acht Milliarden Euro an Stromkosten“, schreibt Stefan Schultz auf SPON, und dem Leser wird schnell klar, gegen wen die Fackel der Empörung geschwungen wird. Schon der Titel lässt vermuten, die Industrie sitze auf einem Batzen gesparten Geldes, das sie im Grunde den „einfachen Verbrauchern“ weggenommen habe. Der Hinweis, dass der Kohleausstieg dieses „Ungleichgewicht“ noch verstärken werde, lässt die Fackel gleich noch höher steigen. Die Gerechtigkeit ist in Gefahr! Die Politik muss handeln!
Die Privilegien, mit denen die Energiekosten der Unternehmen gedrückt werden, bezeichnet Oliver Krischer von den Grünen als „Subventionsdschungel“, und damit auch dem letzten Leser klar werde, wem er angeblich seine hohe Stromrechnung verdankt, werden Namen genannt: ThyssenKrupp, ExxonMobil, Knauf, HeidelbergCement und die Deutsche Bahn – also Panzerstahl, Diesel, Baustoffe und Beton für Miethaie sowie Zugverspätung. Da hört das Verständnis des Spiegel-Lesers aber auf!
„Entlastung“, „begünstigt“, „sparen“ … mit solchen Worten wird klar gemacht, dass der Industrie hier etwas zugeschanzt werde, das ihr eigentlich nicht zustehe. Mit Blick auf die zu erwartenden Kosten des Kohleausstiegs macht Krischer Stimmung: „Dass die Industrie schon wieder nach neuen milliardenschweren Subventionen schreit, ist ein Schlag ins Gesicht der Stromkunden“, sagt er. Sehen wir mal darüber hinweg, dass es sich bei den zu erwartenden Kosten für den Kohleausstieg nicht um „Subventionen“, sondern um Entschädigungen handeln wird und schauen uns an, um was genau es sich bei dem kritisierten „verschachtelten System der Privilegien“ eigentlich handelt.
Beim Blick auf Ihre und meine Stromrechnung findet sich neben vielen anderen Posten auch der Preis, den wir für jede Kilowattstunde an EEG (Erneuerbare Energien Gesetz)-Umlage zahlen. 6,4 Cent sind das im Jahr 2019, ein nicht gerade unerheblicher Posten. Die Umsetzung des EEG, das in seinem Geburtsjahr 2000 noch als kleines Nischenprojekt für eine Handvoll Windmüller und Sonnenkönige gedacht war, stellte sich schnell als potenzielle Gefahr für den Industriestandort Deutschland heraus, gerade für energieintensive Branchen.
Um die Abwanderung der Industrie etwas zu verlangsamen, novellierte man mehrfach die Ausnahmeregelungen für die Anwendung des EEG auf Großverbraucher aus dem produzierenden Sektor. Eine Firma also, die aus einem produzierenden Gewerbe kommt, mehr als 1 GWh pro Jahr verbraucht und deren Betriebskosten sich mindestens zu 16 Prozent auf Strom belaufen, kann sich von der Umlage befreien lassen. Die Stromkosten in Deutschland sind für die Industrie übrigens dennoch weltweit spitze – trotz EEG-„Einsparung“. Und weil die Stromkosten immer weiter steigen, kommen auch immer mehr Firmen über die Betriebskostengrenze und erfüllen somit eine Bedingung der Befreiung von der EEG-Umlage.
Auch die Kapitalismuskritiker an Bord
Die deutschen Verbraucher bezahlen über die verschiedenen Umlagen auf ihrer Stromrechnung diverse planwirtschaftliche Experimente, ganz vorneweg die bestandserhaltenden Subventionsmilliarden für zwei dysfunktionale Energieerzeugungssysteme, von denen eines liefert wie der Wetterbericht (Sonne, Wind) und das andere auf Stand-by wartet, bis es gebraucht wird. Die Schuld daran der Industrie in die Schuhe zu schieben, wie dies der Spiegel und die Grünen tun, ist ein Ablenkungsmanöver. Politikversagen ist hier die richtige Vokabel.
Geschaffen wurde das „verschachtelte System der Privilegien“, das vor allem ein verschachteltes System aus Subventionen und eine gigantische Umwälzpumpe von unten nach oben ist, von der Politik – inklusive der Befreiung energieintensiver Branchen von der Umlage. Die implizite Forderung, aus Gründen der Solidarität darauf zu verzichten, um dem Medienpranger zu entgehen, kommt der Aufforderung gleich, die Koffer zu packen. Doch man kann nicht erst einen gesetzlichen Rahmen für die Befreiung von Lasten schaffen und dann diejenigen anklagen, die von den Regeln Gebrauch machen.
Richtig eklig wird es, wenn der Spiegel versucht, den ausgeplünderten Stromkunden mal wieder das richtige Feindbild einzuimpfen. Denn unter den „Profiteuren“ der Befreiung seien Schlachtereien (der Veganer hebt die Fackel), Hersteller von Plastik (das Auge des Umweltaktivisten glimmt auf), Leder (ein Peta-Aktivist öffnet den Mund zum Schrei) und Rechenzentren von Banken! Spätestens jetzt hat man auch die Kapitalismuskritiker an Bord. Zu dumm nur, dass sich kein einziges Rechenzentrum irgendeiner Bank auf der öffentlich einsehbaren Liste der EEG-befreiten Unternehmen findet oder je fand. Eigentlich logisch, denn weder Banken noch Rechenzentren gehören zum produzierenden Gewerbe. Ein wenig enttäuscht bin ich aber vom Spiegel, denn auf der Liste der EEG-Schnorrer tauchen sonst in schöner Regelmäßigkeit und seit Jahren auch immer wieder Golfplätze auf, die jedoch genauso wenig zu den Begünstigten zählen wie Rechenzentren.
Doch woher kommt dieser Unsinn? Ich meine nicht, warum man ihn verbreitet, denn das ist klar: Hier soll eine „Gerechtigkeitslücke“ aufgeblasen werden zwischen „denen da oben“, die prassen und „uns hier unten“, die die Stromrechnung der Party begleichen. Banken und Golfplätze machen sich im Klassenkampf deutlich besser als Werkskantinen und Fußballstadien (die natürlich auch nicht auf der Liste stehen). Bling bling schlägt proll proll – Hauptsache, die Stimmung ist angemessen erzürnt. Aus einer kleinen Anfrage der FDP-Fraktion des NRW-Landtages ging allerdings schon vor Jahren der Urheber dieser Lüge hervor. Es war kein anderer als Jürgen Trittin, der schon mit seinem Hit „EEG für eine Kugel Eis pro Monat“ einen Welterfolg landete. Auch die „Bankrechenzentren und Golfplätze” gehören zu seinen „Greatest Hits”. Die Aufdeckung der Lüge datiert übrigens bereits auf das Jahr 2012, doch die „DOC“ des Spiegels hängt nach dem Relotius-Wirkungstreffer wohl noch so in den Seilen, dass sie die EEG subventionierten Rechenzentren noch immer nicht aus den Redaktionscomputern bekommt. Das Narrativ „Bankenlümmel leben auf Kosten der Arbeiter“ ist einfach zu verlockend und sitzt zu fest verschraubt in der Spiegel-DNA, als dass dort die Fake-News-Alarmglocken gehört würden.
Doppelt finanzierte Alternativen
So kurios das klingt, aber kurzfristig wird die zu erwartende weitere Abwanderung und Produktionsverlagerung der deutschen Industrie der „Energiewende“ nützen. Es fallen große Stromverbraucher weg, was die Nachfrage dämpft. Dummerweise wird man die Freude, die „EEG-Schmarotzer“ endlich los zu sein, kaum genießen können – die Steuereinnahmen schmelzen nämlich noch schneller weg als der Strombedarf. 2022 geht das letzte AKW vom Netz, aus der Kohle steigen wir bis 2038 aus. Das war‘s dann mit der Grundlastfähigkeit, die möchten wir uns dann in Polen (Kohle) und Frankreich (Atom) dazu kaufen. Gas von Putin wird uns nicht retten, zumal die Gegner auch dieser Energieform längst aus den Startlöchern sind und den Dekarbonisierungswahnsinn damit konsequent auf die Spitze treiben. Auch Erdgas ist schließlich fossile Energie und damit, wie im Evangelium Greta geschrieben steht, von Übel.
Ach, übrigens, suchen Sie in der Liste der EEG-befreiten Unternehmen von 2017 doch mal spaßeshalber nach dem Begriff „Solar“. Für den gibt es im Unterschied zu „Bank“ oder „Rechenzentrum“ reichlich Treffer. Wer Sonne im Herzen und Wind im Bauch hat, kassiert in Zeiten der Energiewende doppelt: gefüttert mit Subventionen beim Errichten von PV- und Windanlagen und befreit von der Last, diese über Umlagen finanzieren zu müssen. Doch die Regeln des Marktes sind unerbittlich mit Blasen, die durch Subventionen und neunmalkluge Politiker erzeugt wurden. In einer aktuelleren EEG-Liste wird der ehemalige Branchenprimus „Solarworld“ nämlich fehlen, denn der hat als einer der letzten großen EEG-Profiteure den Weg in die Insolvenz genommen. Frei nach Kunze: tausendmal subventioniert, tausendmal ist nichts passiert.
Der Artikel erschien zuerst auf Roger Letschs Blog unbesorgt.de.