Gastautor / 07.09.2022 / 14:00 / Foto: Imago / 37 / Seite ausdrucken

Strategische Desinformation oder: Der neue Absolutismus

Von Konrad Adam.

Wenn sich deutsche Politiker überhaupt noch irgendwem und irgendwas verpflichtet fühlen, dann ihrer Partei und deren Mitgliedern . Das Volk, von dem das Grundgesetz noch spricht, ist eine unbekannte Größe. Exegese einer Bemerkung von Annalena Baerbock.

Um die Ukraine ihrer bedingungslosen Unterstützung zu versichern, bedient sich die deutsche Außenministerin einer eigenwilligen Sprache. Sie werde Waffen liefern, „egal, was meine deutschen Wähler davon halten“, hat Annalena Baerbock vor großem Publikum in Prag verkündet. Ihre saloppe Wortwahl löste, wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt, Wellen der Empörung aus, die sich dann aber schnell wieder verlaufen haben. Zu schnell, wie ich meine, denn erinnerungswürdig sind nicht nur die Auslassungen von Frau Baerbock, sondern auch das, was die öffentlich-rechtliche Medienindustrie daraus gemacht hat. Dies vor allem.

Hervorgetan hat sich dabei ein sogenannter Faktenfuchs der ARD. Als Fuchs versteht er sich aufs Anschleichen und beginnt seinen Überfall in Frageform: „Debatte um Baerbock-Äußerung – Eine pro-russisches Kampagne?“ Danach in kleinen Schritten weiter: zunächst mit einer ersten Analyse, die schnell zum Verdacht gerinnt, der sich in ein Faktum verwandelt, nachdem sich ein Mitglied des Hauses Baerbock, Beauftragter für strategische Kommunikation, wie er sich nennt, der Sache angenommen hatte. Jetzt ist der Faktenfuchs schon fast am Ziel. Um seine Idiosynkrasien als Fakten auszugeben, muss er nur nachbeten, was ein Beamter ihm vorgebetet hat, und so zitiert er denn: „Sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts, Desinformation von der Stange.“

So weit, so gut. Zufrieden ist der Faktenfuchs damit jedoch noch nicht. Als Antiautoritärer beugt er sich der Regierung gern, noch lieber allerdings den Experten, vorausgesetzt, sie liefern ihm das, was er sich wünscht. Und das tun sie. Sie liefern die Erkenntnis, dass es Hinweise gibt, die „tatsächlich“ darauf hindeuten, „dass eine prorussische Desinformationskampagne die Debatte um Baerbock forciert haben könnte“ – der Konjunktiv klingt schwach, nach bloßer Möglichkeit, die allerdings zur Tatsache geboostert wird, indem man sie so nennt. Sie existiert dann genauso real wie der real existierende Sozialismus, der ja auch beides war, Fiktion und Tatsache zugleich. Von nun an braucht der Faktenfuchs den Konjunktiv nicht mehr. Er spricht im Indikativ und prangert die Medienkanäle an, „die mit dem Kreml verbunden sind“.

Das Possessivpronomen, das besitzanzeigende Wörtchen mein. 

Ohne Konjunktiv, ohne Fragezeichen und ohne Vorbehalte geht es dann weiter. Auf die Minute genau zeichnet der Faktenfuchs die „Chronik einer gesteuerten Kampagne“ nach. Danach fühlt er sich stark genug zum Angriff auf die Gegner, zu denen neben Putin, der AfD, allerlei Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern auch Springers „Welt“ gehört. Sie hatte den erwähnten Passus aus Baerbocks Rede zunächst ohne das Possessivpronomen gebracht, nur von deutschen, nicht auch von meinen Wählern geschrieben. Und sich damit einer Verzerrung, einer Manipulation, einer Verfälschung schuldig gemacht, über die sich der Faktenfuchs nicht oft und laut genug erregen kann.

Damit sind wir beim Kern der Sache. Ob Frau Baerbock von Wählern oder von deutschen Wählern gesprochen hat, ist belanglos, weil jeder, wahrscheinlich auch der Faktenfuchs weiß, dass ein Mitglied der Bundesregierung von anderen als deutschen Wählern nicht gewählt werden kann. Viel aufschlussreicher ist das Possessivpronomen, das besitzanzeigende Wörtchen mein. Denn das lässt darauf schließen, dass sich die Ministerin nur ihren Wähler, den grünen also, verantwortlich fühlt; auch denen gegenüber aber nur so lange, wie sie ihren Werten nicht in die Quere kommen. Tun sie das, dann sind Frau Baerbock auch ihre eigenen, die grünen Wähler egal.

Mit diesem Amtsverständnis steht sie beileibe nicht allein, die meisten, wahrscheinlich alle Kabinettsmitgliedern dürften genauso denken wie sie.

Was ein Amt bedeutet, dass es von seinem Inhaber mehr verlangt als Parteipolitik, ist deutschen Parteipolitikern nicht mehr geläufig. Wenn überhaupt noch irgendwem und irgendwas, fühlen sie sich ihrer Partei und deren Mitgliedern verpflichtet. Das Volk, von dem das Grundgesetz noch spricht, ist eine unbekannte Größe, seitdem Frau Merkel es durch alle diejenigen ersetzt hat, „die nun mal da sind“. An seine Stelle treten nun die Werte – eine verkappte Form der Selbstermächtigung. Frau Baerbock hat die Katze aus dem Sack gelassen, als sie zu erkennen gab, dass ihr beim Ritt auf ihrem Steckenpferd, der wertebasierten Außenpolitik, die Wähler letztlich egal sind. Auch deshalb lohnt es sich, ihr zuzuhören.

Foto: Imago

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Elias Schwarz / 07.09.2022

Interessant ist auch, ob Baerbock überhaupt merkt (ganz geschweige kontrolliert) was sie sagt und ob sie mit genug Graustoff ausgestattet ist, um Sinn der Worter zu verstehen. Schließlich kann man einfach die Rechte der Völker (was immer das ist) erwähnen und das Grundgesetz Artikel 1.

Herbert Müller / 07.09.2022

Mich wundert hier überhaupt nichts mehr. Es geht nur noch darum,  jegliche Kritik zu unterbinden. Wenn sie schon nicht rechts sind, dann sind sie eben prorussisch. Dem Kitiker muss eine reingewürgt werden, egal wie hinterhältig und verlogen das auch ist. Das kann nicht gut ausgehen.

Markus Viktor / 07.09.2022

Und bedenkt man, dass die Grünenwähler überproportional Minderheiten angehören, Feministinnen, Queere, eingebürgerte Migranten, dann ist eine noch nicht mal grünpolitischkorrekt gegenderte Aussage wie „egal was meine WÄHLER davon halten“ voll minderheitenfeindlich, minderheitenausgrenzend, frauenfeindlich, homophob, transphob, neudeutschenfeindlich.

Dr Stefan Lehnhoff / 07.09.2022

Frau B fühlt sich weder grünen noch sonstigen Wählern gegenüber verantwortlich sondern lediglich dem WEF, die sie ausgewählt, indoktriniert und installiert hat.

Markus Viktor / 07.09.2022

Dass Baerbock die deutschen Wähler, die sie nicht wählen, egal sind, war ohnehin klar. Dass ihr aber auch die eigenen Wähler egal sind, das war bisher nicht so deutlich. Wieso regt der Faktenfuchs-Troll sich über ersteres auf, wo doch letzteres das stärkere Skandalon darstellt, weil Brüskierung oder sogar Verhöhnung der eigenen Wählerschaft? Will er davon ablenken? Damit Baerbock nicht wie seinerzeit Joschka Fischer von einem Grünen einen Farbbeutel an den Kopf bekommt? Oder von einem russischen Troll? Und war der Wolf, der Leyens Pony gerissen hat, ein russischer Wolf oder Wolfstroll und sind nicht alle Wölfe in Deutschland russische Trolle?

Michael Guhlmann / 07.09.2022

@ Gudrun Meyer Ich glaube nicht, daß die von Ihnen Erwähnten Ihr Exil in einer Gated Community als sehr gemütlich empfinden würden, denn ich erinnere mich noch zu deutlich eines Entführungsfalles in den 1980er oder 1990er Jahren. Die Familie war auf die Bedingungen des (oder der) Entführer eingegangen: Zahlung des geforderten Lösegeldes: ja. Polizei: nein. In ganzseitigen Anzeigen in den wichtigsten deutschen und europäischen Zeitungen erinnerte sie an die Abmachungen und mahnte, sie einzuhalten. Für den Fall, daß ihrem Angehörigen auch nur ein Haar gekrümmt würde, habe man ausreichend finanzielle und andere Mittel, des oder der Täter auf jedem Punkt der Erde habhaft zu werden.  Glauben Sie mir, sehr verehrte Frau Meyer:  Ich hätte - als Übeltäter - diese Familie nicht gerne im Nacken gehabt, egal wie traumhaft die Sonnenuntergänge im Exil gewesen wären und wie hoch die Mauern um die Fluchtburg.

Michael Wirth / 07.09.2022

Wenn man zu jeder Zeit auf den Wählerwillen hört, kommt so etwas raus wie seinerzeit der überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie. Frau Baerbocks Formulierung mag nicht besonders geschickt gewesen sein, aber in der Sache gebe ich ihr recht.

Gus Schiller / 07.09.2022

Der Kanzlerdarsteller “Glatzenschlumpf” hat klargestellt, dass Deutschland die Verpflichtung hat alles für die Ukraine zu tun, so lange es nötig ist. Woraus leitet er eine solche Verpflichtung ab? Welche engen Beziehungen/Verträge gibt es, die uns an die Ukraine binden?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com