Von Leoni Eckart
Ich beobachte seit geraumer Zeit ein Phänomen in der Berichtserstattung zu Gewalttaten, das ich mir nicht ganz erklären kann.
Wenn ich richtig informiert bin (was bestimmt nicht zwingend der Fall ist!), dann sollte laut Pressekodex die Herkunft eines möglichen Straftäters nicht genannt werden, es sei denn, das Herkunftsland ist wichtig, um das Delikt verstehen zu können.
Ich verstehe nur leider gar nicht, was das in der Realität bedeutet. Wann hat die Herkunft denn einen Bezug zur Tat und wann nicht? Wenn jemand vom Staat Absurdistan in geheimer Mission geschickt wird, um etwa in Deutschland einen Politiker zu ermorden, bestimmt. Wenn ein Jugendlicher aus Nachbars Garten Äpfel klaut, ganz sicher nicht. Aber was ist mit allem dazwischen?
Bloß kein Generalverdacht gegen "Absurdis"!
Aus meiner Sicht wäre die Herkunft eines Täters eigentlich immer dann uninteressant, wenn es sich um - nennen wir sie mal private - Verbrechen und andere Verstöße gegen das Gesetz handelt. Private Rechtsverletzungen, vom harmlosen Mundraub einer Weintraube über einen eskalierenden Nachbarschaftsstreit mit hinterrücks ermordeten Gartenzwergen bis hin zu Beziehungstaten mit Todesfolge gibt es schließlich überall auf der Welt. In allen diesen Fällen müsste also, laut Pressekodex, die Herkunft des Täters nicht genannt werden.
In der Praxis beobachte ich hingegen ein anderes Verhalten von Behörden und Medien. Die Herkunft des Täters wird immer dann verschwiegen (*), wenn die meisten aus diesem Herkunftsland dunkle Haare und/oder Augen haben und mehrheitlich weder Christen noch Juden oder Pastafaris sind. Allenfalls wird der Täter als „Absurdi A.“ genannt, was zumindest einen theoretischen Rückschluss auf eine eventuelle "absurdistanische" Staatsbürgerschaft erlaubt. Und so bald diese Katze dann aus dem Sack ist, schallt einem von allen Seiten der Ruf entgegen, dass man jetzt gefälligst nicht alle "Absurdistaner" unter Generalverdacht stellen darf.
Lustigerweise wird das alles ganz anders gehandhabt, wenn der potentielle Täter nicht aus Absurdistan stammt und weder dunkle Haare noch Augen hat und auch kein Moslem ist. Wie in einem Fall, der vor einiger Zeit durch die Medien ging. Eine Frau wurde tot im Keller ihres Hauses gefunden, gemeldet hatte dies ihr Ehemann. Es stand relativ schnell fest, dass er diese Tatsache nicht nur gemeldet, sondern die Frau im Streit erwürgt hat. In jedem, wirklich ausnahmslos jedem Bericht zu dieser Tragödie (siehe z. B. Frau tot in Keller entdeckt oder Acht Jahre Haft für US-Amerikaner) wurden die Leser darüber aufgeklärt, dass der Täter kein Deutscher, sondern Amerikaner ist. Und niemand mahnte, Amerikaner bloß nicht unter Generalverdacht zu stellen.
Pauschal als Rassisten eingeschätzt
Was unterscheidet nun den hypothetischen „Absurdi A.“ derart von dem realen „Robert B.“, dass die Herkunft des ersten keinen Bezug zur Tat hat und deswegen verschwiegen werden sollte, während die Herkunft des anderen ganz offensichtlich der zentrale Angelpunkt war, der unbedingt jedes Mal genannt werden musste, sogar in den allerersten Kurzmeldungen?
Die Antwort ist aus meiner Sicht (aber vielleicht liege ich ja falsch?) ganz einfach: Grundsätzlich gar nichts. Es sind beides Ehemänner, die aus einer Situation heraus die Beherrschung verloren und ihre Frauen getötet haben. Dies ist in jedem Einzelfall entsetzlich, aber es passiert immer wieder und überall auf der Welt.
Was sich allerdings grundlegend unterscheidet, ist die willkürliche Einschätzung der Medien bezüglich der Intelligenz und Gesinnung ihrer Leser, Hörer und Zuschauer. Die selben Journalisten, die zu Recht annehmen, dass die Leute klug genug sind, aus der Einzeltat von „Robert B.“ keinen Generalverdacht gegen alle Amerikaner abzuleiten, gehen gleichzeitig vom Gegenteil aus, wenn der Täter aus einem islamisch geprägten Land oder aus Afrika stammt. Für einige Leser, Hörer und Zuschauer mag diese Einschätzung zutreffen, aber ganz sicher nicht für alle und vermutlich nicht einmal für die meisten. Außerdem: Wer einzelne Beziehungstaten oder andere Verbrechen und Vergehen zum Anlaß nimmt, einen Generalverdacht gegen ein ganzes Volk zu hegen, läßt sich wohl kaum mit Ermahnungen davon abhalten. Er oder sie dürfte sich aufgrund des anfänglichen Verschweigens der Täter-Herkunft eher bestärkt fühlen.
Solange der Pressekodex also derart unterschiedlich ausgelegt wird, ist er in meinen Augen kein Zeichen von Neutralität, sondern zeugt von dem pauschalen Verdacht, alle Medienkonsumenten seien dumme Rassisten und Ausländerfeinde. Ein Umstand, von dem ich mich erheblich beleidigt fühle. Ganz besonders deshalb, weil dumme Rassisten dumme Rassisten bleiben, ob sie nun wissen, dass der „26 jährige Mann“ eigentlich „Absurdi A. aus Absurdistan“ ist oder nicht. Weder das Weglassen dieser Information, was ja doch nie längere Zeit funktioniert, noch ihre Erwähnung werden dumpfe Rassisten und Ausländerfeinde zur Vernunft kommen lassen. Solche Leute sind im Regelfall unbelehrbar.
Beleidigende "Erziehungsmedien"
Ich will bestimmt nicht soweit gehen, mich den „Lügenpresse“-Rufen anzuschließen, da ich solche Pauschalisierungen grundsätzlich ablehne. Wohl aber bietet sich immer wieder der Begriff „Erziehungsmedien“ an. Und es stößt mir doch sehr sauer auf, wenn ich von Nanny-Journalisten, die mich nicht kennen, unter den Generalverdacht gestellt werde, eine dumme Rassistin zu sein. Ob nun „Absurdi A.“ aus "Absurdistan" oder „Robert B.“ aus Amerika: Die Opfer sind genauso tot, die Familien tun mir genauso leid und ich verurteile kein ganzes Volk wegen der Tat eines Einzelnen. Weder "Absurdistaner" noch Amerikaner.
Mit dem Pressekodex fokussiert man sich also auf eine kleine Gruppe Menschen, bei denen Hopfen und Malz ohnehin verloren ist, und beleidigt alle anderen, weil man ihnen, zumindest versteckt, unterstellt, dass sie genauso hirnverbrannt sind. Also entweder wird bei Beziehungstaten die Herkunft des Täters grundsätzlich genannt oder grundsätzlich verschwiegen. Oder ich bin wirklich zu dumm, zu begreifen, was der Pressekodex eigentlich soll.
(*) Zumindest eine Zeit lang, irgendwo taucht dann doch früher oder später die Information auf, dass der „26 jährige Mann“, der im Streit seine Frau erstochen hat, aus "Absurdistan" stammt.
Leoni Eckart ist Außenhandelskauffrau und Hobbybäckerin aus Wedel bei Hamburg