Rainer Grell / 28.04.2018 / 11:00 / Foto: Mateussf / 5 / Seite ausdrucken

Strafanzeige – was ist das eigentlich?

Manche meinen, die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei, außerdem Zoll- und Finanzverwaltung) könnten nur tätig werden, wenn das Opfer einer Straftat Anzeige erstattet. Das ist richtig und falsch. Grund genug also, die „Strafanzeige“ einmal näher unter die Lupe zu nehmen.

Zunächst ist eine Strafanzeige genau das, was der Name sagt: Die Anzeige einer Straftat bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft. Wissen diese nichts von der Straftat, können sie natürlich auch nicht tätig werden. Die Meldung kann nicht nur der Geschädigte (das Opfer, der Verletzte) machen, sondern jeder, der von der Straftat Kenntnis hat. Übrigens auch anonym oder (unter bestimmten Voraussetzungen) gegen Zusicherung der Vertraulichkeit (an die die Gerichte allerdings nicht gebunden sind). Die Strafverfolgungsbehörden können aber auch auf jede andere denkbare Weise Kenntnis von einer Straftat erlangen (zum Beispiel aus der Zeitung, durch eigene Beobachtung).

Die Anzeige einer Straftat kann bei der Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und einem Amtsgericht mündlich oder schriftlich gemacht werden (§ 153 Absatz 1 Satz 1 Strafprozessordnung, StPO). Möglich ist auch (außer in Notfällen, für diese steht die 110 zur Verfügung), eine Anzeige über das Internet abzusetzen, wie zum Beispiel über die Internetwache der Polizei Baden-Württemberg.

Die Strafverfolgungsbehörden unterliegen dem so genannten Legalitätsprinzip: „Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen“ (§ 160 Absatz 1 StPO). Das Gleiche gilt für die Polizei (§ 163 Absatz 1 StPO). 

Keine Pflicht zur Anzeige bereits begangener Straftaten 

Für den Bürger besteht keine allgemeine Anzeigepflicht. Er kann die Kenntnis von einer Straftat also für sich behalten. Allerdings gibt es den Straftatbestand „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ (§ 138 Strafgesetzbuch, StGB), der im Einzelnen benannte besonders schwere Taten betrifft, unter anderem Mord, Totschlag, Raub. Eine Pflicht zur Anzeige bereits begangener Straftaten besteht nicht, auch nicht bei Mord und Totschlag.

Die Behinderung polizeilicher Ermittlungen, die in Krimis immer wieder zur Sprache kommt, setzt voraus, dass die Amtshandlungen der Polizei vorsätzlich gestört werden (§ 164 StGB); das bloße Verschweigen von Wissen reicht nicht aus. Auch der Straftatbestand der Strafvereitelung (§ 258 StGB) setzt ein aktives Tun voraus; ein Unterlassen führt nur zur Strafbarkeit, wenn eine so genannte Garantenpflicht besteht, wie sie beispielsweise bei Polizeibeamten gegeben ist, für die allerdings der Spezialtatbestand der Strafvereitelung im Amt gilt (§ 258 a StGB). 

In der juristischen Praxis hat sich eingebürgert, auch die Feststellung von Straftaten durch die Polizei als „Strafanzeige“ zu bezeichnen, so genannte Amtsanzeige. Wenn dann noch plötzlich von „Strafantrag“ die Rede ist oder der Anzeigeerstatter seine Anzeige zurückzieht, kann die Verwirrung schnell komplett werden. Denn: „Es gibt für alles einen Begriff, der kurz, beliebt und falsch ist“.

Strafanzeige kann, wie gesagt, jedermann stellen, nicht nur der Geschädigte. Sie kann nicht zurückgezogen werden, da die Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Legalitätsprinzips gezwungen sind, den Sachverhalt aufzuklären. Und aufgrund der Strafanzeige wissen sie nun mal Bescheid. Dies gilt allerdings nur bei so genannten Offizialdelikten, die die Mehrzahl aller Straftatbestände bilden. Gleichwohl ist, besonders in Fällen „häuslicher Gewalt“, immer wieder zu hören, die betroffene Frau habe „ihre Anzeige zurückgenommen“.

Rechtlich handelt es sich jedoch in diesen Fällen nicht um eine Strafanzeige, sondern um einen Strafantrag, den nur der/die Verletzte stellen kann (§ 77 Absatz 1 StGB) und der bei (einfacher) Körperverletzung (§ 223 StGB) Voraussetzung für die Strafverfolgung ist, „es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“ (§ 230 Absatz 1 Satz 1 StGB). Während eine Strafanzeige an keine Frist gebunden ist, muss ein Strafantrag innerhalb von drei Monaten gestellt werden, nachdem der/die Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt hat (§ 77 b Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 StGB).

Was sind Strafantrags-Delikte?

Zu diesen so genannten Antragsdelikten zählen ferner Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Beleidigung (§ 185, § 194 Absatz 1 Satz 1 StGB) sowie üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 186 StGB) als besondere Formen der Beleidigung (§ 194 Absatz 1 Satz 1 StGB), die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches (§§ 201-204, § 205 Absatz 1 StGB), Haus- und Familiendiebstahl (§ 247 StGB), unbefugter Gebrauch eines Kraftfahrzeuges (§ 248 b StGB), Entziehung elektrischer Energie (§ 248 c StGB), Begünstigung (§ 257 StGB entsprechend der Vortat: Absatz 4), das Vereiteln der Zwangsvollstreckung § 288 StGB, die Pfandkehr (§ 289 StGB), Jagdwilderei (§ 292 Absatz 1, § 294 StGB), Fischwilderei (§§ 293, 294 StGB), der Vollrausch (§ 323 a StGB, entsprechend der Rauschtat: Absatz 3), die Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 355 StGB). Im Gegensatz zur Strafzeige kann der Strafantrag (bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens, § 77 d Absatz 1 Satz 1 und 2 StGB) zurückgenommen werden. Dabei ist allerdings die Kostenfolge zu beachten (§ 470 StPO) „Ein zurückgenommener Antrag kann nicht nochmals gestellt werden“ (§ 77 d Absatz 1 Satz 3 StGB). 

Der Strafantrag kann ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei und den Amtsgerichten gestellt werden, im Gegensatz zur Strafanzeige aber nur von dem/der Geschädigten/Verletzten.

Um die Sache noch weiter zu komplizieren gibt es die so genannten Privatklagedelikte (die sich nur teilweise mit den Antragsdelikten decken). Das sind solche, bei denen die Staatsanwaltschaft nur dann Anklage erhebt, „wenn dies im öffentlichen Interesse liegt“ (§§ 376, 374 StPO). Es handelt sich dabei um Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Beleidigung (§§ 185 bis 189 StGB), die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Absatz 1 und 2 StGB), die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB), Körperverletzung (§§ 223 und 229 StGB), Nötigung (§ 240 Absatz 1 bis 3 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Bestechlichkeit oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB), eine Straftat nach § 323a StGB, wenn die im Rausch begangene Tat ein in den Nummern 1 bis 6 genanntes Vergehen ist, Außerdem zählt noch eine Reihe von Straftaten in so genannten strafrechtlichen Nebengesetzen zu den Privatklagedelikten. 

Es gibt also Straftaten, 

  • die die Staatsanwaltschaft ohne Strafantrag verfolgen muss und
  • solche, die sie nur bei Vorliegen eines Strafantrags verfolgen darf
  • sowie Antragsdelikte, die sie bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses verfolgen darf,   
  • und schließlich solche, bei denen sie die Geschädigten/Verletzten auf den Privatklageweg verweisen darf. 

Von allen Straftaten kann sie durch (private oder amtliche) Strafanzeige oder auf jede sonstige Weise Kenntnis erlangt haben. 

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Hans Meier / 28.04.2018

Im politischen Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, daß jeder gegen jeden wegen irgendwas “Strafanzeige erstatten” kann. Das ist sogar gratis. Man sollte dabei nur nicht unwahre Tatsachen behaupten (§ 164 StGB). In den Medien heißt es dann gerne, dieser oder jener grüne Bundestagsabgeordnete hätte gegen XY Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet, oder die “Staatanwaltschaft ermittele” - und fertig ist die öffentliche Vorverurteilung. Ob die betreffende Äußerung tatsächlich den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, interessiert niemanden mehr. Eine Strafanzeige kann strafrechtlich totaler Käse sein, die Statsanwaltschaft ist ja nunmal gezwungen, sie entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Die Erstattung einer Strafanzeige ist für sich genommen nicht einmal berichtenswert. Interessant wird es erst, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Alles andere ist heiße Luft. Deshalb könnte es sich anbieten, eine solche Strafanzeige stets mit einer “Gegenanzeige” wegen Falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) zu kontern.

Kay r. Ströhmer / 28.04.2018

Hinsichtlich des öffentlichen Interesses bei Privatklagedelikten sei noch kurz ergänzend auf die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) samt Anlagen, dort § 86, hingewiesen.

Stefan Bley / 28.04.2018

Schön wäre noch eine kurze Einordnung der Untätigkeit der Staatsanwaltschaften mit Blick auf die durch die Politik tolerierten massenhaften illegalen Grenzübertritte von Wirtschaftsflüchtlingen nach Deutschland. Unkenntnis kann hier ja schwerlich vorliegen.

Marcel Seiler / 28.04.2018

Danke! – Es ist bezeichnend, dass sich der Umgang im politischen Leben so entwickelt hat, dass man ohne Kenntnis dieser Dinge gar nicht mehr auskommt. Das schulden wir der linken Mitte Deutschlands, die sich der “Macht mit aller Macht”, nicht der Lösung von Problemen verschrieben hat. – Leider hat diese linke Mitte auch in Teilen von Strafverfolgung und Justiz loyale Anhänger, und auch Willige sind durch die Einwanderungskriminalität überlastet, so dass man auch bei einer offensichtlichen Straftat nicht mehr unbedingt Recht bekommt.

Anton Geiger / 28.04.2018

Prima! Kurz, knapp und gut verständlich erklärt. Prof. Dr. Schwurbel-Fischer-BGH hätte dazu in der ZEIT sechs Spalten gebraucht, hinterher hätte einem der Kopf geraucht und man wäre “so klug als wie zuvor” gewesen.

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