Cora Stephan / 28.09.2023 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 11 / Seite ausdrucken

Stimme der Provinz: Was ist fortschrittlich?

Immer wieder wird gefragt, warum es in der Provinz „konservativer“ zugehe. Gegenfrage: Was ist eigentlich modern, und was ist gut daran? Ich bin mit dem Wieselwort „progressiv“ aufgewachsen und zucke heute zusammen, wenn ich das höre.

Kürzlich wieder einmal die bohrende Frage gelesen, ob und warum es in der Provinz „konservativer“ zugehe, womit das „ob“ bereits geklärt wäre. Weil auffem Dorf nur Dummdödel hocken, würde womöglich der aufgeklärte Städter mutmaßen. Und die Bauern, sämtlich Boden- und Brunnenvergifter. Gegenfrage: Was ist eigentlich modern, und was ist gut daran? Ich bin mit dem Wieselwort „progressiv“ aufgewachsen und zucke heute zusammen, wenn ich das höre. Was soll das sein, progressiv? Fortschrittlich? Und wer bestimmt, was dem Fortschritt dient? Ach was: Gibt es den überhaupt?

Kürzlich schrieb jemand angesichts meiner Verteidigung von Glyphosat, die Bauern seien bloß zu faul, Unkräuter – ach was: wertvolle Wildkräuter! – mit der Hand auszurupfen, sollten diese der Kartoffel oder dem Kohl im Wege stehen. Wegen nachhaltig und biodivers. Überhaupt die „Chemie“ – die jedenfalls dann böse ist, wenn Monsanto mit dem Produkt unter einer Decke steckt. Und der genmanipulierte Reis ist tabu, auch wenn er das Leben vieler Menschen verbessern könnte. Genfrei und chemiefrei sei der Traum jeder fortschrittlichen Veganerin. Eben noch war es ein Fortschritt, wenn schwere Arbeit weniger wird. Jetzt ist sie nachhaltig. Kurz: Progressiv ist Zeitgeist, modern ist, was die Mode sagt.

Aber das lenkt ab von der Frage, ob es Fortschritt überhaupt gibt und ob nicht vieles im Menschenleben ist und bleibt, wie es immer schon war. Und ob konservativ und fortschrittlich eigentlich im Widerspruch zueinander stehen? Der irische Philosoph Edmund Burke vertrat die Auffassung, wählen solle nur, wer Besitz hat, an dessen Erhalt für künftige Generationen ihm liegt. Er hielt es für besser, Erfahrung und Wissen, alles, was in den überlieferten Institutionen und Gebräuchen gespeichert ist, zu nutzen und weiterzuentwickeln, statt potenziell verheerende radikale Neuerungen umzusetzen: „Menschen, die ihre Vorfahren nicht achten, werden auch nicht an ihre Nachwelt denken.“ Einer demokratischen Mehrheit, die nur in der Gegenwart lebt und die man mit Brot und Spielen kaufen kann, traute Burke nicht.

Gelebt wird das Normale

Wer Grund und Boden besitzt, so die Logik, wird ihn pflegen und bewahren. So argumentieren übrigens auch die freien Bauern – und alle, die wissen, welch Unheil die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR angerichtet haben: Von einem, dem nichts gehört, kann man auch keine besondere Rücksicht erwarten. Kein bäuerlicher Landbesitzer aber wird seinen Boden und das Grundwasser verseuchen und sein Vieh quälen, Boden übrigens, der seit Jahrhunderten bäuerlich kultiviert worden ist.

Gut, solche Überlegungen verstoßen natürlich gegen das demokratische Heiligtum, one man, one vote. Sollen etwa nur Grundbesitzer und Hauseigentümer wählen dürfen? Und doch trifft das konservative Konzept in einem entscheidenden Punkt: Wer in ein Projekt investiert hat, wird alles daran setzen, dass es wächst und gedeiht. Und das gilt auch für den Steuerzahler im Nationalstaat. Jeder, der schon länger hier lebt, hat an Land, Kultur, Gesellschaft ein höheres Interesse als einer, der ins Land kommt, um seine persönliche Lage zu verbessern – etwas, was man ihm nicht übelnehmen kann, zumal es ihm ja auf dem Silbertablett serviert wird. Und dass Sechzehnjährige beim Wahlakt ans Große Ganze denken, kann man füglich bezweifeln – das sollten sie in diesem Alter auch gar nicht müssen.

Die Politik der milden sozialen Gaben hat ein gar nicht mal verstecktes Interesse daran, kurzfristige Interessen zu mobilisieren, da Politiker selten weiter als bis zum nächsten Wahltermin denken. Wo bin ich? Und was war noch mal die Anfangsfrage? Genau: Geht es in der Provinz konservativer zu? Wahrscheinlich ja, selbst dort, wo die bäuerliche Lebensweise nicht mehr sonderlich bestimmend ist. Der Zeitgeist war schon immer eher in den Städten zuhause, dort, wo die Bindungen weniger eng sind und die Freiheit größer. Das hat auch seinen Charme. Doch ist dort auch der Fortschritt zuhause?

Es steht zu befürchten, dass mancher städtische Trend nichts anderes ist als Mode. Klimakleber sind in den Städten zuhause, nicht in der Provinz, wo man das Wetter und seine Launen besser kennt. Auf dem Land zweifelt kaum einer daran, dass es zwei Geschlechter gibt, Mann und Frau, und dass man beide braucht, damit es Kinder gibt. Exzentrizität kann belebend sein. Gelebt aber wird das Normale.

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Soeben ist ihr neuer Roman „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ erschienen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Bücherl Ernst / 28.09.2023

“Wer in Projekt investiert hat…” +++ Das erklärt doch so vieles. +++ Jedes weitere Lebensjahr ist eine Erhöhung der Investition in die Gesellschaft und Gemeinschaft,  in der man lebt - jenseits von allem Kaufmännischem. Und indem man dies fortschreiben kann in seinen Kindern, ist man selbst, zusammen mit der Gesellschaft, das Produkt einer Investition. Einer Investition der Vorgänger… (die im übrigen Vorfahren sein können, es aber nicht sein müssen.) +++ Wie kann man nur so blind sein, das nicht zu sehen? +++ Punktuelles Denken. Kein Vor, kein Zurück, kein Radius.

Sam Lowry / 28.09.2023

Waschmaschinen, Kühlschränke und Kaffeemaschinen erleichtern einem das Leben. Dazu die Chirurgie. Manch einer wäre doch ein Krüppel oder tot, wenn es die moderne Medizin nicht gäbe, oder? Fortschrittt ist nützlich. Ob es Sinn macht, 100 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxien zu scannen, mag ja im Auge des Betrachters liegen, ebenso die Quantenmechanik oder die militärischen Fortschritte (Drohnen, Rail-Guns pp.). Sogar simple Errungenschaften wie das Rad kann man zum Positiven (Automobil) wie zum Schlechten nutzen (Rädern). Fortschritt ist für mich ein Schritt in der Entwicklung neuer Maschinen, die auch der Unterschicht das Leben erleichtern. Wärmepumpen und E-Autos sind ja nicht von Grund auf schlecht. Nur, wenn man die AKW´s abschaltet und mittels Flatterstrom und Stromimport das realisieren will, dann ist es tatsächlich eine schlechte Idee. Weil es dann für den Otto-Normal-Verbraucher unbezahlbar wird. Diese rot-grünen Hirngespinste klappen nicht. Sicher! Es wird im Chaos und Untergang enden. Bis dahin zahle ich meinen neuen Strafbefehl 100x15 Tagessätze. Fertisch…

Moritz Cremer / 28.09.2023

orwell`sch: “grün & progressiv” => naturschändend & destruktiv (halt Sozialisten/Kommunisten)

Thomas Szabó / 28.09.2023

Konservativ & fortschrittlich sind kein Widerspruch, sie ergänzen sich. Der fortschrittlich orientierte Mensch ist zugleich ein Konservativer. Er bewahrt & ehrt die Errungenschaften der vergangenen Generationen. Die Vergangenheit ist sein Fels auf dem er seine Zukunft baut. ***** Der Reaktionär lebt in der Vergangenheit und verwirft die Zukunft. Er unterscheidet nicht zwischen den guten und den schlechten Errungenschaften der Vergangenheit. Der Reaktionär steht für den gesellschaftlichen Stillstand & Rückschritt. ***** Der Revolutionär verwirft die Vergangenheit, macht tabula rasa und fängt bei 0 an. Der radikale Revolutionär macht die gesellschaftliche Evolution rückgängig und fängt wieder beim Affen an. Er hält sich für progressiv. Er führt einen Kulturkampf gegen seine eigene Identität: Chinesische Kulturrevolution, zeitgenössische westliche Kulturrevolution. Er reißt die Fundamente aus, auf dem er sein zukünftiges Haus bauen will. Siehe: großer Sprung nach vorne China, deutsche Energiewende, große Transformation. Der radikale Revolutionär steht für die gesellschaftliche Selbstzerstörung. ***** Im alten Römischen Reich, das 1000 Jahre währte, ehrte man die Ahnen. (imagines maiorum, lares, lararium, penates) Erst der radikale woke christliche Kulturkampf vernichtete die althergebrachte & stabile römische Identität. Kulturkämpfer, damnatio ad bestias!

Rainer Niersberger / 28.09.2023

Wir sollten die berechtigte Frage nach der Definition von “konservativ” von der gleichfalls berechtigten Frage nach dem ( aktiven) Wahlrecht trennen. Mit der zweiten Beschäftigten sich bekanntlich bereits die alten Griechen, weil sie, klug wie die waren, das Problem mit ihrer Demokratie erkannten. Sie loesten es bekanntlich in einem Sinne, der auch in diesem Artikel “durchschimmert”. Dass Frau Faeser alle ganz schnell waehlen lassen moechte, Rotgruen alle Kinder noch dazu, koennte damit, mit einer merkwürdigen Haltung der Taeter zur Demokratie, zu tun haben.  Die laufende Beseitigung von Identität und Eigentum uebrigens auch. Offensichtlich hat konservativ etwas mit konservieren zu tun. Die Schluesselfrage betrifft tatsaechlich die immateriellen und materiellen Gegenstaende des Konservierens. Nun wissen alle Beteiligten, welche “Gegenstände” herkoemmlicherweise gemeint sind. Es sind in etwa die, die die nationalen Entitäten ausmachen und prägen. Und schon sind wir genau da, wo wir partout nicht hin wollen, naemlich bei der AfD. Windraeder gehoeren ebensowenig zum “typischen” Bestand, zum Eigenen, wie der Wokismus oder Genderismus. Rein logisch fuehrt das zur wenig ueberraschenden Erkenntnis, dass wir genau eine konservative Partei, die Unaussprechliche, haben. Konservativ ist in Sch’land uebrigens “rechts”. Die Verbindung laeuft ueber “national”. Nebenbei war die “Westbindungskonsumpartei” CDU, zudem auch etwas linksaffin, alles andere als klassisch konservativ. Die geistig moralische Wende des Herrn Kohl, der Mitterand bat, nach der Wiedervereinigung auf den boesen deutschen Demos aufzupassen, was dann ja auch passiert ist, darf als gescheitert betrachtet werden.

Harald Hotz / 28.09.2023

Wo brechen Pandemien aus? In den Städten. Wo werden Angriffskriege geplant? In den Städten. Wo gibt es bezogen auf die Einwohnerschaft die höchste Verbrechensrate? Was wäre aus Hitler geworden, wäre er in Braunau geblieben oder als Landschaftsmaler auf ein Alm gezogen? ... Also nichts gegen die Landeier! Die Menschheit verrottet moralisch und buchstäblich immer in den Großstädten, nicht auf dem Land.

Dr.Jäger / 28.09.2023

“Acker wird zur Goldgrube” auf arte gesehen?  Ein super Geschäftsmodell für alternative Landwirtschaft, betrieben von Laien, heisst es da. Später kommt heraus, selbst die Vermarkter , die gutbezahlte Lehrgänge für die Pächter der Parzellen veranstalten,schreiben noch immer rote Zahlen. Dass sie auch noch vom grünen Landwirtschaftsministerium zusätzlich eine Anschubfinanzierung bekommen, wird kurz am Rande erwähnt. Für eine “gute Sache” ist immer Budget da, gell Cem. Aber alles wird gut, wenns nicht läuft, einfach abseilen, und andere Dumme und befreundete Politiker finden, die Kohle locker machen . Wie wärs mit einem tollen Solar-Elektro-Auto? Ging gerade erst in München richtig in die Hose, aber Blöde , die von Technik null Ahnung haben,gibts doch genug. Irgendwas mit Klima, und der Rubel rollt bis zur nächsten Pleite.

S.clemens / 28.09.2023

Der Wohlstandsteil der Menschheit hat sich hier in eine bedrohliche Lage gebracht. Im wesentlichen wird Freiheit aktuell nur noch als Bindungslosigkeit verstanden: Ich darf alles wollen dürfen (hier Gelächter einspielen…) aber muss zu nichts verpflichtet sein. So sachte beginnt man zu merken, dass die stärkste soziale Wirkungskraft die Selbstverpflichtung ist. Sei es, ein Handwerk oder eine Dienstleistung redlich auszuüben oder schriftstellerisch selbstkritisch tätig zu sein.  Redlichkeit, Selbstkritik oder (Achtung:Triggerwarnung): Tugendhaftigkeit sind dabei in der Rächzz-Hysterie böse Schimpfworte geworden. Im wesentlichen findet man diese Begriffe eher bei Konservativen diskutiert - nicht bei Progressiven. Genau so sieht die Welt dann auch heute aus!

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