Cora Stephan / 05.05.2022 / 12:00 / Foto: Norbert Schnitzler / 21 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Nicht ohne mein Auto

Man nehme den Franzosen ihr Auto und sie werden rasen – dann allerdings ausnahmsweise zu Fuß, was noch ein wenig fürchterlicher ist.

Die Demonstrationen der Gelbwesten waren nur ein unbedeutender Vorgeschmack auf solcherlei entfesselten Furor. Auto und mobil ist französisches savoir-vivre und dafür gibt es ein paar gute und ein paar, sagen wir, interessante Gründe.

Einige der besseren Gründe sind schon etwas länger her: eines der schönsten Autos der Welt, die Göttin, die Citroën Deesse, erstmals vorgestellt 1955, ist seit 1975 Geschichte. Die Ente, Citroen DC oder auch Deux Cheveau, war zwar knuffig und irgendwie Kult, aber furchtbar unpraktisch. Okay – beim Transportieren von Billy-Regalen half natürlich das offene Verdeck, womit man bei IKEA zu werben pflegte.

Doch schweigen wir über alle französischen Automodelle, die danach kamen. Die sind keine Gründe mehr.

Ein ernsthafter Grund fürs Auto allerdings sind die mäandernden Straßen hier in der Provinz, zwischen Kalksteinebene und Cevennen, mit ihren versteckten Abzweigungen zu trutzigen Residenzen einsamkeitsliebender Naturfreunde, die das Auto unverzichtbar machen – es sei denn, man reitet auf dem Esel durch die Cevennen, was schon für den Schotten Robert Louis Stevenson keine reine Freude war.

Manch einer trainiert hier für die Tour de France – oder kleidet sich wenigstens so. Die nicht ganz so Sportlichen wiederum sollten an einen leistungsstarken Akku am E-Bike denken sowie an einen Ersatz auf dem Gepäckträger, denn erstmal geht es lange rauf, bevor es irgendwann wieder runtergeht.

Man darf die Busfahrer bewundern, die durch verwinkelte Dörfer und Städtchen zirkeln, ohne anzustoßen – aber überall können sie nicht sein, es nützt also nichts, einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu fordern. Und überhaupt: Welcher Franzose möchte sich schon von einem Fahrplan abhängig machen?

Womit wir beim pikanteren Grund dafür sind, warum der Franzose aufs Auto nie und nimmer verzichten kann. Der Phänotyp französischer Macho hält es nämlich nicht aus, auf dem Weg zu Baguette et Cigarette (oder zum Mittagessen bei Maman) auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, weil vor ihm irgendein Dödel viel zu langsam durchs unübersichtliche Gebirge trödelt. Besonders verwerflich, wenn es sich um einen Ausländer handelt. Der wird gnadenlos überholt – auch an Stellen, an denen Gegenverkehr unpassend wäre. Ein echter Franzose liebt eben das Abenteuer! Und was insbesondere die deutsche Konkurrenz auf den Straßen betrifft: Rache für den Ersten Weltkrieg!

Die deutsche Frau ohne Auto im brandenburgischen Wald

Nie, also niemals würde ein echter Franzose auf den Gedanken kommen, in seine Sommerresidenz weitab von Paris zu ziehen und dort aufs Auto zu verzichten. Sowas gibt es nur in Deutschland – und womöglich nur in der „taz“. Dort beschrieb jüngst eine Autorin, wie sie mit Freund und drei Kindern aus Berlin ins wilde Brandenburg zog, um den lebensbedrohlich vielen Autos in der Hauptstadt zu entfliehen. Selbstverständlich ohne eigenes Auto! Man kann schließlich auch per pedes nachhaltig glücklich werden.

Der Bericht ist aufschlussreich. Denn die Versicherung vieler Freunde, auf dem Land brauche man nunmal ein Auto, erwies sich als brutale Realität, zumal dann, wenn drei Kinder in Schule oder Kitas fahren und zwei Erwachsene immer mal bei ihrem Arbeitsplatz in Berlin Flagge zeigen müssen. Was also tut die Familie, nachdem die Eltern den der Autorin geliehenen SUV wieder abgeholt haben? Die Eltern gönnen sich ein Lastenfahrrad und ein Klapprad mit Elektromotor. Alles prima – solange es Sommer ist. „Mit dem Rad anzuhalten, um einen Steinpilz am Wegesrand abzuschneiden, das ist das gute Leben.“

Doch im Winter? Bei Regen? Wer zerstreut die Zweifel daran, dass es richtig ist, sich gegen ein Auto zu entscheiden?

Na wer wohl! Putin. Wozu der alles nütze ist!

„Ein grausamer Angriffskrieg beweist, wie stark unser fossiler Lebensstil uns abhängig macht von Verbrechern. Derselbe fossile Lebensstil, der zu einer Klimakrise führt, die nicht irgendwo in der Zukunft liegt, sondern heute schon Menschen tötet.“

Alles gut also. Respekt vor Luise Strothmann!

Egal, dass so ein machomäßiger Franzose sich scheckig lachen würde, wenn er das läse. Lieber setzt er sich im Auto vor den nächsten Baum (oder den entgegenkommenden LKW), als dass er auf sein Gefährt verzichtet. Und Respekt hat er nur vor Menschen auf dem Rennrad, nicht auf dem Lastenfahrrad.

Insofern, mit schönem Gruß nach Brandenburg: die Energiewende in eine bessere Welt wird gewiss nicht an Berlinern in Brandenburg, sondern an den Franzosen scheitern.

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Leserpost

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Henri Brunner / 05.05.2022

Ich möchte einfach darauf hinweisen, dass ich damals mit meinem Deux Cheveau 2CV4 (gelb) einen Schreibtisch an einem Stück transportiert habe. Verdeck inkl. Kofferaumdeckel weg, Rückbank raus, et voila, Schreibtisch rein. Habe seit da kein anders Auto gehabt, welches sowas konnte.

Hans Meier / 05.05.2022

Vor sehr langer Zeit, fuhr ich Anfang Sommer und Ende Sommer mit meinem VW-Käfer gerne an die französische Riviera oder in die Bretagne. Bei den Spritpreisen wird nun Reisen per PKW zum Luxus. Wie sich das in den Flächen-Staaten, z. B. in Nordamerika auf die Bevölkerung, die absolut auf ihre „großen Benziner mit viel Durst“ auswirken wird kann man sich leicht vorstellen. Die US-Mineralöl-Konzerne, ihre Führungs-Riege + Biden werden sich wohl besser „beschützen lassen müssen“ um nicht am lodernden Zorn der US-SUF-Fahrer zu scheitern. Wobei der eigentliche, tragische, strategische Fehler, der Figuren in der politischen „Elite-Liga“ quasi zum revolutionären Sturz mächtig motiviert. Nach dem Bürger-Motto, „das Volk will fahren“ die „Elite will das verhindern“. Also wird „die Elite sofort nach Alkatraz oder St Helena“ evakuiert und unter Quarantäne gestellt, wöchentlich von „Prof. Luderbach grboostert“ damit es dem Volk wieder besser geht und die Politik-Behinderten woanders um den Baum tanzen bis sie umfallen. Übrigens ist strengstes Schweigen in den Berichten zu „den Bein-Atlethen aufem Rad“ angesagt. Böse Zungen zählen nämlich, dass vielviel weniger mitm Rad ans Ziel kamen, weil unterwegs ganz viele in nen Krankenwagen umsteigen mussten, “wegen Aua am Herzen”, infolge der ekligen „Doof-Spritzerei“ mit „Kreislauf-Ende im Gelände“.

Mats Skinner / 05.05.2022

Nachtrag: Ist mir erst jetzt aufgefallen: Die Dame hat von 35 Kilometer bis zur Arbeit nach Berlin geschrieben, das ist der Speckgürtel oder wenige Meter darüber hinaus. Und die Gesellschaft ist Schuld, dass sich keine S-Bahnstation unter 30min Fahrradweg befindet, da muss doch was zu machen sein. S-Bahnstrecken engmaschig quer durch Brandenburg und alles elektrisch, für das Wohl des Volkes. Notfalls können sie ja immer noch mit dem Lastenfahrrad die Strecke in die verhasste City bewältigen, aber bitte nicht wie alte weiße Rad-Männer mit Elektrofahrrad, sondern schön mit Muskelkraft, der Stromverbrauch nutzt ja auch dem Feind!  Da hat jemand aus Ideenmangel (Kollegin initialisierte das) mal wieder über seine Selbstbespiegelung geschrieben und das als journalistische Premiumqualität aufgepumpt. Eigentlich stinklangweilig und eine Verarsche allen echten Landbewohnern gegenüber.So richtig ins Outback hat sich das Stadtgesindel dann doch nicht getraut. Immer schön in der Nähe der Vollversorgung bleiben. Das ist in etwa so, als wenn sie in das Oderbruch ziehen und einen Erfahrungsbericht über Sibirien schreiben, knallhart recherchiert unter Einsatz des Lebens. Tja, wie sang schon Truck Stop in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts: “Der wilde, wilde Westen, fängt gleich hinter Hamburg an!“ Hier wird das kaum hinter sich gelassene Ortsausgangsschild von Berlin als Expedition ins Nirgendwo tituliert. Heldensagen, wo man hinschaut.

Mats Skinner / 05.05.2022

Zum Taz-Artikel: Wenn dieser unsägliche weinerliche Unterwerfungston nicht wäre und die Weltrettungspose, darunter geht es wirklich nicht mehr. Ausgerechnet sie Leute, die uns hier in Berlin und anderen Großstädten das Autofahren vergällen wollen und rücksichtslos ihre Eigeninteressen vor die demokratischen Mehrheit stellen, „erfinden“ jetzt das Landleben und die vermeintliche Unabhängigkeit neu. Es sei ihnen ja gegönnt, im Gegensatz zu ihrem radikalen Umerziehungs-Verhalten anderen gegenüber, daß sie dort ihr persönliches Glück finden und alle Möglichkeiten, wie Belieferung der Läden mit bösen Diesel-Lkw und Rettungsfahrzeugen in Anspruch nehmen. Aber niemals reflektieren gerade Journalisten aus der verhassten Stadt, dass gerade diese, die Erwerbs-Grundlage für viele auf dem Lande lebenden Menschen, sog.Normalos, darstellt. Abgesehen, dass ich die Landbewohner nicht darum beneide, dass die Durchgeknallten jetzt auch sie missionieren wollen, hier gibt es noch genügend Spinner, die sterben nicht aus.Einerseits sind Einfamilienhäuser ja so böse und keiner soll darin wohnen, auf der anderen Seite wird der Selbstversorger als hochheiliges Ideal dargestellt. Hier wird wieder Sozial- und Urlaubsromantik mit zusammengeworfen mit den Mühen des Alltags.

Mats Skinner / 05.05.2022

Ein persönliches Gespräch mit einer IT-Leiterin eines Krankenhauses mitten in der Uckermark: „Wir wohnen in unserem Einfamilienhaus (nicht mal mitten im Wald) und unsere Kínder hassen uns inzwischen dafür, dass sie abends nicht wegkommen, um sich in der Kreisstadt mit ihren Freunden zu treffen.“ Wenn die Kinder den Idealen der Eltern nicht folgen wollen, was ihr gutes Recht ist, ist es mit der ländlichen Idylle ganz schnell vorbei.Und für die Eltern stellen sich akut die Fragen, wo ist der nächste Facharzt, die nächste Klinik, ein Kino, Bar oder Kneipe, eine Werkstatt usw. all die Dinge, die man als naiver und junger Elternteil zunächst gar nicht im Fokus hat. Praktischerweise erklärt man alles einfach zur moralischen Kampfzone und glaubt allen Erstes, damit den bösen Diktator zu stürzen. Die Mühen der Ebene werden die Wunschvorstellungen mit der Realität nach und nach nivellieren. Da kann man trotz noch so verbohrter Ideologischer Sichtweise noch viel Erfahrung sammeln.

Marco Schulz / 05.05.2022

Wenn diese Moralisten denn alle aufs Land flüchten würden, machen sie aber nicht. Sie treffen Entscheidungen. Unverblümt wird von Verkehrswende gesprochen. In Leipzig hat man das Bemalen von Straßen entdeckt. Die Sachsenbrücke wurde mit den fragwürdigen “Warmingstripes” versehen, eine Spur des Rings wurde grün angemalt, und für Fahrräder reserviert. Gerichtlich setzte man zuvor das Recht durch, auf dem Ring Rad fahren zu dürfen, angesichts zahlreicher platt gefahrener Radfahrer in den letzten Jahren ein Irrsinn. Um die Gleichstellung zwischen Autos und Fahrrädern zu verdeutlichen, malte man auf eine Linksabbiegespur grüne Kästen, damit jeder Autofahrer weiß, mit wem er den Raum zu teilen hat. Kampf um Raum, es ist wie ein Krieg. Autos und ihr “Platzbedarf” werden mit den “Gehzeug”-Aktionen lächerlich gemacht, da bastelt man sich aus Latten ein Gestell von der Größe eines SUV, und trägt es. Drei volle Getränkekästen hatte dabei aber noch niemand dabei. Das Zitat am Ende fasst die Sicht auf die Dinge gut zusammen, da fehlen nur noch die tödlichen Viren.

Mathias Rudek / 05.05.2022

TAZ-Investigativ-Team, das sagt schon alles. Ich habe mich bereits scheckig gelacht. Die linken Teutonen und “Savoir-Vivre”, das geht niemals zusammen. Zwei Welten treffen aufeinander.

Helmut Scheid / 05.05.2022

Frau Stephan, klasse wie sie die Gegebenheiten in Frankreich formulieren. Ich war schon drei mal in den 90iger und 2000der Jahren in den Cevennen und kann ihre Beobachtungen bzw. Aussagen nur bestätigen! Ihr Artikel hat mir meinen heutigen Tag durch “massife Lachanfälle versüßt”! Danke

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