Cora Stephan / 01.12.2022 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 35 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Stimme der Provinz – Kinderreichtum

Wenn wir schon mal über die wachsende Weltbevölkerung reden: In meinem winzigen Dorf, allein in unmittelbarer Nähe, gibt es drei Kleinkinder mitsamt Eltern, also Mutter und Vater, was ja wohl allein schon erklärungsbedürftig ist.

Darf das denn? Und unter Garantie hat keiner der beiden vor oder bei der Zeugung an den klimaschädlichen Fußabdruck des künftigen Säuglings gedacht. So ist das eben bei den Dummdödeln auf dem Land, wo die Kühe furzen und die Schweine grunzen!

Ich kann natürlich über die Schadensanalyse der beteiligten Paare nicht viel sagen, nur eines liegt auf der Hand: Auf dem Land, jedenfalls dort, wo es, wie hier, noch Großfamilien gibt, muss man sich nicht mit so lästigen Fragen herumquälen wie: Wer passt auf’s Kleine auf, wenn einer oder beide Eltern ihrer Arbeit nachgehen? Es gibt Großeltern, Geschwister, andere Kinder – you’ll never walk alone.

Was nicht heißt, dass sich nicht auch auf dem Land das – räusper – Reproduktionsverhalten geändert hat. U. hatte noch drei Kinder, R. noch zwei, V. nur noch eins. Die Zeiten sind schon längst vorbei, da Kinderreichtum für einen landwirtschaftenden Familienbetrieb Mithelfer bedeutete. Und dennoch: Es ist einfacher, hier Kinder zu haben. Schon, weil nicht allzu viel Straßenverkehr das Spielen riskant macht. Und weil es Gärten gibt und Wälder und Katzen, Hunde, Hühner, Hasen.

Im internationalen Maßstab verpufft

Insofern kann man die woken Städterinnen verstehen, die das Kinderkriegen mühselig finden – nun, deren nachgewiesene Klimaschädlichkeit erspart ja eine Entscheidung. Und klar darf man Europa abgeben wollen an alle, die solche Skrupel nicht kennen und sich ungeniert vermehren. Wenn man schon für’s Vaterland keine Kinder kriegen will, dann erst recht nicht für Europa, oder?

Aber was mir nach wie vor nicht in den Kopf will: Wenn man also das Klima schützen will, weil man den menschlichen Faktor für entscheidend hält – warum geht in die Rechnung nie ein, dass in anderen Ländern und Kontinenten nicht nur das Geburtenwachstum anhält, sondern auch die Nutzung all der Dinge, die hierzulande als Teufelszeug gelten: Öl und Kohle und Strom oder gar Kernkraftwerke. Was hier durch Kinderlosigkeit eingespart werden soll, verpufft im internationalen Maßstab in unfassbarer Geschwindigkeit. It’s the Bevölkerungswachstum, stupid!

Doch mit paternalistischem Stolz beugt sich der weiße westliche Mensch noch immer über die „armen“ Länder und schickt Entwicklungshilfe, auch nach China, weil er offenbar noch immer nicht gemerkt hat, dass die sich längst an ihm vorbei entwickelt haben.

Stammeshäuptlinge und Clanchefs

Wenigstens schadet unsere Entwicklungshilfe den Chinesen nicht. In vielen Regionen Afrikas ist das anders. Entwicklungshilfe, ob als Geld oder in Form von Lebensmitteln, kommt selten bei den hungernden Kindern an, mit deren herzzerreißenden Fotos wie immer zur Weihnachtszeit um Mildtätigkeit geworben wird. Sicher aber profitieren Stammeshäuptlinge und Clanchefs. Lebensmittellieferungen wiederum sind geeignet, die letzten Reste lokaler Subsistenzwirtschaft zu zerstören.

Die hässliche Seite all der „Hilfen“ ist, was sie über den Helfenden verrät: Er macht das Objekt seines guten Willens nicht nur abhängig, er infantilisiert es auch. Zumal er glaubt, den „Ärmsten der Armen“ nicht zumuten zu dürfen, auf Kinder zu verzichten, die sie nicht ernähren können.

Der Schuldkomplex des „weißen“ Westens sitzt tief, zumal der schrille Ton zunimmt, mit dem er aufgefordert wird, die Übel der Vergangenheit nicht nur zu beklagen, sondern für die Sünden der Vorväter auch geradezustehen. Insofern werden die Geldströme nicht abnehmen, mit denen Wunden zugeklebt werden sollen. Entsprechend wachsen die Forderungen.

Sich aus der Geschichte zu befreien

Insbesondere die Antirassisten trommeln. Sind nicht die weißen Kolonialherren schuld am Elend Afrikas und aller Menschen mit afrikanischen Wurzeln? Ein Streit zwischen der Historikerin für Neuere Geschichte Rebekka Habermas in der Zeit und dem Althistoriker Egon Flaig zeigt, worum es dabei geht: um den Versuch, aus der Opfererzählung herauszukommen.

Während Flaig darauf verweist, dass es Schwarze waren, die schwarze Sklaven an arabische Händler verkauft haben und dass die weißen Europäer nicht nur dem Handel Einhalt geboten, sondern auch für die Befreiung der amerikanischen Sklaven gesorgt haben, meint Rebekka Habermas, er wolle dafür wohl Dankbarkeit einfordern.

Vielleicht ist das die falsche Gegenüberstellung? Die Sklaverei machte Menschen zum Objekt. Das Elend Afrikas allein auf die weiße Schuld zu schieben, macht Menschen ebenfalls zum Objekt und erspart ihnen, sich aus der Geschichte zu befreien und auf eigene Füße zu stellen.

Was das jetzt mit dem Bevölkerungswachstum in einem winzigen hessischen Dorf zu tun hat? Genau. Nichts. Höchstens das: Am deutschen Wesen wird die Welt nicht genesen. Wir überschätzen uns auch noch, was unsere Schädlichkeit betrifft.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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B. Zorell / 01.12.2022

Rebekka Harms: War das nicht jene Grüne aus Hannover, die auf dem Maidan in Kiew die Meute zum Kochen brachte? Übrigens Frau Baerbock kommt aus dem Umland Hannovers.

Moritz Ramtal / 01.12.2022

“und schickt Entwicklungshilfe, auch nach China” Man nennt es so, aber es hat mit Hilfe wenig zu tun, deshalb läuft sie ja auch weiter.

Gerhard Schweickhardt / 01.12.2022

Das Problem Afrikas ist die Überbevölkerung, die Korruption und der tiefe Aberglauben. Es fehlt an unternehmerischen Akteure. Entwicklungshilfe an die Atommächte China und Indien sind nicht mehr angezeigt.

Ludwig Luhmann / 01.12.2022

@Arne Ausländer / 01.12.2022 - “Afrika wurde definitiv durch die Jahrhunderte der Sklavenjagd weit tiefer geschädigt als durch die meistens nur Jahrzehnte währende Kolonialzeit. Beim Sklavenhandel waren unbestreitbar die Araber die aktivsten, weit über tausend Jahre lang. Sie haben auch das System etabliert, bei dem die eigentlich Jagd weitgehend von Einheimischen übernommen wurde. Portugiesen und andere “Weiße” waren da nur Nachzügler, wenn auch gewiß keine Engel oder Wohltäter. Seit dem Anfang des 19.Jh. wurde das Sklavensystem unter Europäern und Nordamerikanern problematisiert und im Laufe des Jahrhunderts abgeschafft. (...)”—- Ich empfehle dazu seit Jahren immer wieder Egon Flaig. Auch seine Videos auf Youtube. Die sollte man sich runterladen, weil ich den Eindruck habe, dass Flaigs Videos langsam aus dem Verkehr gezogen werden.

Jens Kegel / 01.12.2022

Der beste Satz ist der letzte. Er bringt das deutsche Dilemma auf den Punkt. Punkt.

Rolf Mainz / 01.12.2022

...weil die selbsternannten Experten/innen glauben, das Bevölkerungswachstum werde noch eine Zeit lang anhalten, dann zum Stillstand kommen und sich ins Gegenteil verkehren. Im Ernst. Denn - so fantasieren sie - mit dem sich künftig einstellenden globalen Wohlstand (vermutlich einmal mehr infolge des propagierten Sozialimus..) sinke die Reproduktionsrate. Wie sich die Unterstellung des steigenden Wohlstands erklärt, bleibt dabei unklar. Wird doch ansonsten vor diversen Katastrophen gewarnt. Letztlich rein eurozentrierte Sichtweise, vor der die gleichen Personen sonst stets warnen…

Rudi Hoffmann / 01.12.2022

Entwicklungshilfe ?  Im Handel nennt man das ” Regalgeld ” !  Letztlich werden dafür Nobelkarrossen , Waffen und sonstiger Luxus in Europa gekauft !

Gus Schiller / 01.12.2022

@S. Wietzke: dass der degenerierte Teil den Löffel abgibt ist gut und richtig. Allerdings weiss ich nicht, was der Afrikaner hier übernehmen soll? Ein abgewirtschaftetes Land mit desolater Infrastruktur? Er wird das machen, was er immer schon machte: Schnakseln. (Wusste Fürstin v. Thurn und Taxis schon vor 40 Jahren) und darauf warten dass ihn jemand seine “tolle Leistung” bezahlt.

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