Die Debatte um das Reizgas Stickstoffdioxid (NO2), welches bei jedem Verbrennungsvorgang entsteht, hat abgenommen, ist praktisch erloschen. Diverse Städte haben Luftreinhaltepläne vorgelegt, die Fahrverbote zumindest hinauszögern. Stuttgart und Hamburg, Städte, in denen Fahrverbote bereits umgesetzt wurden, sind fast kein Thema in den überregionalen Medien. Trotz erheblicher Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Jahresdurchschnittsgrenzwerts 40 Mikrogramm (µg) NO2 pro Kubikmeter Luft, also 40 Millionstel Gramm NO2 auf 1.200 Gramm Luft, ist dieser Grenzwert, ein Durchschnittswert, der rein theoretisch ermittelt wird, Mittelpunkt einer jeglichen Debatte.
Der Wert, der stündlich ganz praktisch und real an jeder der über 537 offiziellen Messstellen in Deutschland ermittelt wird, der Wert, für den der Stundenmessgrenzwert 200 µg NO2/m3 Luft plus 18 Überschreitungen festgelegt wurde, dieser Stundenmessgrenzwert spielt weder in der öffentlichen, noch in der politischen Debatte eine Rolle. In der zivilgesellschaftlichen Debatte kommt er sowieso nicht vor. Ich vermute, dass dieser Grenzwert in weiten Kreisen der Leute, die glauben, die Klima- und Umweltweisheit mit ganz großen Löffeln gefressen zu haben, nicht mal bekannt ist.
Es sind aber genau diese Stundenmessungen, die in der Wirklichkeit – über 4,5 Millionen Messungen pro Jahr – stattfinden, mit denen ermittelt wird, welcher Konzentration NO2 der Mensch ausgesetzt ist, wenn er sich im Einzugsbereich der Messstelle aufhält.
Die NO2 Werte bereits seit Jahrzehnten im Sinkflug
Bleibt die Frage, wie oft der gesetzlich festgelegte Stundenmessgrenzwert 200 µg NO2/m3 Luft plus 18 Überschreitungen gerissen wurde. Ich mache es kurz: Es gab bei den weit über 4,5 Millionen Messungen insgesamt in Deutschland 32 (zweiunddreißig) Überschreitungen der 200 µg. Dabei wurden an keiner Messstelle die erlaubten18 mal erreicht. Spitzenreiter ist die Messstelle Stuttgart Neckartor, die an 11 von 8.760 Stunden, die ein Jahr hat, den Stundenmessgrenzwert 200 µg NO2/m3 Luft überschritten hat. Damit liegt sogar Stuttgart noch im grünen Bereich der NO2-Wirklichkeit (Quelle: Hier klicken)
Nun sind die NO2 Werte bereits seit Jahrzehnten im Sinkflug. Auch 2008, als die neuen Grenzwerte NO2 festgelegt wurden, war abzusehen, dass der real zu messende Stundengrenzwert mehr und mehr eingehalten würde. Deshalb sind die Hexenmeister der Grenzwertfindung auf ein sicheres Procedere gekommen, um die Luft – obwohl mittlerweile in ganz Deutschland extrem sauber – dennoch als giftig und schädlich für Mensch und Tier erscheinen zu lassen. Sie setzten den, gemäß Professor Erich Wichmann, der die UN-Empfehlungen mit ausarbeitete, "politischen" Jahresdurchschnittsgrenzwert mit 40 µg so niedrig an, dass Städte mit engen Straßenschluchten und/oder punktuellem Hochverkehrsaufkommen praktisch keine Chance haben, diesen Grenzwert einzuhalten. So kommt es zu der Liste, die die angeblich NO2-verschmutzten Städte aufführt, in denen ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge bereits eingeführt ist, oder ein Fahrverbot droht. Unterstützt wird diese vollkommen an der Realität vorbeigehende Sicht der Dinge durch ein Urteil des EuGH, welches in der Pressemitteilung so zusammengefasst wird:
Daher stellt der Gerichtshof fest, dass bei der Beurteilung, ob die Mitgliedstaaten die Grenzwerte eingehalten haben, der an jeder einzelnen Probenahmestelle gemessene Verschmutzungsgrad entscheidend ist. Für die Feststellung, dass ein Grenzwert im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs überschritten wurde, genügt es daher, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen wird.
Nun weiß ja mittlerweile jeder, dass auf hoher See und vor Gericht der Mensch in Gottes Hand ist. Dennoch: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entbehrt jeglicher Logik. Wenn denn schon Durchschnittswerte zwecks Verschmutzungsbeurteilung einer Stadt herangezogen werden müssen, wäre es doch nur recht und billig, auch für eine Stadt insgesamt einen Durchschnittswert, den Durchschnitt aller Messstellen gelten zu lassen. Dann würde die Liste der verschmutzten Städte radikal kürzer.
Ein neuer Aspekt der Beurteilung von NO2-Grenzwerten
Hinzu kommt ein Aspekt, auf den mich kürzlich ein Leser aufmerksam gemacht hat. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen Menschen in Deutschland in geschlossen Räumen. Da ist es selbstverständlich, dass sich ein Umweltbundesamt um die Luft in den Innenräumen kümmert. Genau gesagt, ist es der Ausschuss Innenraumwerte, kurz und sinnig AIR genannt. Da ist zunächst zu lesen:
Die Menschen in Mitteleuropa halten sich heute durchschnittlich 90 Prozent der Zeit in Innenräumen auf. Pro Tag atmet der Mensch 10 bis 20 m3 Luft ein, je nach Alter und je nachdem, wie aktiv er ist. Dies entspricht einer Masse von 12 bis 24 kg Luft. Das ist weitaus mehr als die Masse an Lebensmitteln und Trinkwasser, die eine Person täglich zu sich nimmt. Deshalb ist es wichtig, dass Vorkehrungen getroffen werden, die eine gute Innenraumluftqualität sicherstellen. Es müssen daher Vorgaben erarbeitet werden, ab welcher Konzentration ein Stoff in der Raumluft „schädlich” ist. Dazu dienen Richtwertableitungen. [...]
Es gibt 2 Richtwerte:
[...] Richtwert I (RW I – Vorsorgerichtwert) beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der bei einer Einzelstoffbetrachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch dann keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, wenn ein Mensch diesem Stoff lebenslang ausgesetzt ist. Eine Überschreitung ist allerdings mit einer über das übliche Maß hinausgehenden, unerwünschten Belastung verbunden. Aus Gründen der Vorsorge sollte auch im Konzentrationsbereich zwischen Richtwert I und II gehandelt werden, sei es durch technische und bauliche Maßnahmen am Gebäude (handeln muss in diesem Fall der Gebäudebetreiber) oder durch verändertes Nutzerverhalten. RW I kann als Zielwert bei der Sanierung dienen. [...]
[...] Richtwert II (RW II) ist ein wirkungsbezogener Wert, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes unter Einführung von Unsicherheitsfaktoren stützt. Er stellt die Konzentration eines Stoffes dar, bei deren Erreichen beziehungsweise Überschreiten unverzüglich zu handeln ist. Diese höhere Konzentration kann, besonders für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen, eine gesundheitliche Gefährdung sein. [...]
Quelle: Umweltbundesamt Ausschuss für Innenraumrichtwerte
Wie hoch sind die Richtwerte (2018) AIR für den Bereich, in denen sich Menschen 90 Prozent ihres Lebens aufhalten?
- Richtwert I: 80 µg/m3 Luft (60-Minutenwert)
- Richtwert II: 250 µg/m3 Luft (60-Minutenwert)
Quelle: Ausschuss für Innenraumrichtwerte Empfehlungen und Richtwerte
Draußen ist die Luft sauberer, als im Zimmer
Weshalb werden keine Langzeitwerte festgelegt, wenn sich Menschen denn so lange in Innenräumen aufhalten? Die WHO meint:
Auch wenn in epidemiologischen Kurzzeitstudien Expositionsdaten bis 24 h erhoben wurden, sieht die Weltgesundheitsorganisation keinen Bedarf für zusätzliche 24 Stundenkurzzeitwerte [94]. Als niedrigste beobachtete wirkungsbezogene Konzentration (Lowest observed effect concentration – LOEC) nach einer Kurzzeitexposition kann bei Asthmatikern eine Konzentration um 0,5 mg NO2/m3 angesehen werden.
Quelle: Umweltbundesamt Dokumente Richtwerte NO2 2019, Punkt 6: Bewertungen
Oha, das sind 500 µg NO2/m3 Luft. Bei solch einem Wert in der Außenluft würde bereits der Alarmbaum brennen. Auf der Straße ist ab 400 µg NO2/m3 Luft mit Feuerwehreinsatz, Gasmasken und sofortigen Sperrungen zu rechnen. Wir reden hier aber von der Luft in Innenräumen, in denen sich die Menschen 90 Prozent ihres Lebens aufhalten. Von 500 µg NO2, einem Wert, der nach Ansicht der WHO der niedrigste (LOEC) ist, der einem Asthmatiker schadet. Ich empfehle trotzdem: Immer schön lüften. Denn draußen ist die Luft sauberer, als im Zimmer.
Die Bürger werden verschaukelt und zahlen
Im Licht der Richtwerte des AIR und der WHO ist die Debatte um das NO2 in der Außenluft nicht nur politisch motiviert. Es ist die pure Volksverdummung. Den Bürgern wird mit mehr als fragwürdigen, angeblich wissenschaftlichen Methoden eingeredet, dass die Außenluft in deutschen Städten schlecht sei. Mittels eines wissenschaftlich unhaltbaren 5:1 Verhältnisses (200 µg Messung zu 40 µg Durchschnitt) abgeleiteten Jahresdurchschnittsgrenzwerts von 40 µg NO2/m3 Luft und den daraus folgenden Maßnahme-Androhungen, wurden/werden massive Einschnitte in den Wirtschaftsraum Deutschland vorgenommen, die bereits jetzt erhebliche Folgen zeigen.
Vor allem die Autoindustrie erleidet Einbußen, der geplante Umstieg auf Elektromobilität ist ein Schritt in den Untergang. Zulieferfirmen der Autoindustrie melden schon heute Insolvenz an oder bauen in großem Umfang Arbeitsplätze ab. ZweiPfeiler des deutschen Wohlstands werden geschleift: Die Automobilindustrie und die sichere, verlässliche Stromversorgung. Hinzu kommen die Milliarden, Abermilliarden-Beträge, die für eine – nicht nur im Weltmaßstab – vollkommen ineffiziente Klimaschutzpolitik zum Fenster hinausgeworfen werden. Geld der Steuerzahler und Stromkunden, für das es viele sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten gäbe. Die Deindustrialisierung des Landes hat begonnen.
Rüdiger Stobbe ist Betreiber des Politikblogs wwww.mediagnose.de