Martina Binnig, Gastautorin / 20.12.2021 / 14:00 / Foto: Pixabay / 16 / Seite ausdrucken

Steuererklärung als Daumenkino von „alter“ zu „neuer“ Normalität

Mein Taschenkalender 2020 erinnert an ein Daumenkino, in dem sich die „alte“ in die „neue“ Normalität verwandelt. Die Begleitmusik dazu liefern immer schrillere „Tagesthemen“-Kommentare.

In diesem Jahr habe ich mich besonders lange um die Steuererklärung gedrückt. Konkret anfertigen muss sie sowieso mein Steuerberater, doch gewöhnlich raffe ich mich spätestens im September dazu auf, die Belege und Rechnungen des Vorjahres zu ordnen. Diesmal gelang es mir erst Mitte Dezember. Und noch nie wurde mir dabei so wehmütig zumute. Als ich meinen Taschenkalender von 2020 durchblätterte, um die notierten Termine mit meinen Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit abzugleichen, hatte ich den Eindruck, ein Daumenkino in den Händen zu halten: Vor meinen Augen vollzog sich wie im Zeitraffer eine Metamorphose von „alter“ zu „neuer“ Normalität.

Die erste Absage eines beruflichen Termins flatterte mir kurz vor dem 29. Februar ins Haus: Ich hatte für diesen Tag ausgerechnet ein Engagement in der Stadt Erkelenz angenommen, die im Landkreis Heinsberg liegt. Da dieser Landkreis infolge der Kappensitzung des Karnevalsvereins „Langbröker Dicke Flaa“ als Erstregion der COVID-19-Pandemie galt, wurde der Termin sicherheitshalber abgesagt, wofür ich natürlich Verständnis hatte.

Gleichwohl nahm ich die offenbar plötzlich als gefährlich eingestufte Lage mit Überraschung wahr, denn am 30. Januar 2020 war im Bayerischen Rundfunk ein Beitrag von Christoph Süß gesendet worden, in dem er sich über rechte Panikmache und Verschwörungstheorien lustig machte, laut derer das Virus aus Wuhan viel schlimmer sei, als man in Deutschland glaube. Diese „Paranoia“ verortete Süß im Lager von rechtsextremen Twitterern und YouTubern mit „Endzeit-Psychosen“. Mittlerweile hat der BR das Video gelöscht, es lässt sich jedoch noch über die Suchbegriffe „quer mit Christoph Süß – ganze Sendung vom 30.01.2020“ im Internet finden (ab Minute 6:48). Da ich natürlich unter keinen Umständen rechten Verschwörungstheorien aufsitzen wollte, schenkte ich Warnungen vor Corona fortan kaum mehr Aufmerksamkeit.

Rückkehr zur alten Normalität „Wunsch von Wirrköpfen“

Im März wendete sich das Blatt abrupt: Am 2. April 2020 wurde beispielsweise in der Sendung „Monitor“ nunmehr auf Verschwörungstheorien hingewiesen, durch die das Virus verharmlost werde. Dabei gebe es „eine Verbindung zwischen vielen Verschwörungstheorien und Rechtspopulismus“ (Ankündigung der Sendung auf der Seite der Tagesschau). Ich versuchte also, die gedankliche 180°-Wende mitzuvollziehen und nicht mehr die Warnung vor, sondern die Verharmlosung von Corona als rechte Verschwörungstheorie zu begreifen. Mir schwirrte der Kopf.

Aus meinem Kalender musste ich einen Termin nach dem nächsten streichen. Dazu ist anzumerken, dass mich eine Teilzeit-Festanstellung immerhin davor bewahrte, staatliche Gelder beantragen zu müssen. Für mich brach im Frühjahr 2020 nur knapp die Hälfte der Einnahmen weg. Nicht gerade ein Pappenstiel, doch andere traf es härter. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten alles dafür gegeben hätten, wieder in der „alten Normalität“ leben zu können.

Daher traute ich meinen Ohren kaum, als ich den Kommentar von Rainald Becker in den „Tagesthemen“ am 6. Mai 2020 hörte: Der Wunsch einer Rückkehr zur „alten Normalität“ sei „vielen Wirrköpfen“ ein „Herzensanliegen“, doch „all diesen Spinnern und Corona-Kritikern sei gesagt: Es wird keine Normalität mehr geben wie vorher.” Als Beleg verwies Becker auf „Madonna, Robert de Niro und 200 andere Künstler und Wissenschaftler“, die „zu Recht“ gefordert hätten, „nach der Corona-Krise Lebensstil, Konsumverhalten und Wirtschaft grundlegend zu verändern“. Da Becker zu diesem Zeitpunkt nicht irgendein Kommentator, sondern immerhin ARD-Chefredakteur sowie ARD-Koordinator für Politik, Gesellschaft und Kultur in der ARD-Programmdirektion war, wurde es mir allmählich etwas unheimlich. Auch die ARD hat die entsprechende Sendung aus ihrer Mediathek gelöscht; Beckers etwa zweiminütiger Kommentar lässt sich allerdings ebenfalls noch leicht mittels des Stichworts „Normalität“ aufspüren.

„Er ist da, der Preisschock: gut so!"

War dieser Kommentar vielleicht nur ein Ausrutscher? Offenbar nicht, denn die Hintergrundmusik zur „epidemischen Lage von nationaler Trageweite“, die in Form von Kommentaren in den „Tagesthemen“ und anderen öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt wurde, wurde immer schriller. Im laufenden Kalenderjahr gab etwa Detlef Flintz, Leiter der Programmgruppe Wirtschaft und Recht beim WDR, in den „Tagesthemen“ am 12. Oktober 2021 zum Besten: „Er ist da, der Preisschock: gut so! Denn nur wenn Öl und Gas spürbar teurer werden, kriegen wir die Erderwärmung in den Griff. Mehr Windräder und Solarenergie? So lange können wir nicht warten und sollten froh sein, dass wir gezwungen werden, Konsum und Produktion zu ändern. [...] Dafür brauchen wir allerdings auch einen Umbau unseres Sozialsystems.“ Flintz sieht die Lösung in einem bedingungslosen Grundeinkommen. Die Idee dazu gebe es schon, und die Gelegenheit sei günstig.

Becker und Flintz plädieren also dafür, die Krise zum Umbau der Gesellschaft zu nutzen und nie mehr zur „alten“ Normalität zurückzukehren.

Dagegen benannte die MDR-Korrespondentin Sarah Frühauf in ihrem „Tagesthemen“-Kommentar am 19. November 2021 ausdrücklich diejenigen, die schuld daran seien, dass es auch in diesem Winter keine Rückkehr zur „alten“ Normalität gebe:

„Na, herzlichen Dank an alle Ungeimpften! Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown. Vielerorts wieder ohne Weihnachtsmärkte, vielleicht wieder ohne die Weihnachtsfeiertage im Familienkreis. [...] Alle Impfverweigerer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, an der derzeitigen Situation mitschuldig zu sein. Sie tragen mit Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft wieder unter Druck gerät, wieder Ärzte und Pflegekräfte über ihre Grenzen hinaus arbeiten müssen. Wieder Gastronomen und Ladenbesitzer um ihre Existenz bangen. Und sie müssen sich fragen, welche Mitverantwortung sie haben an den wohl Tausenden Opfern dieser Corona-Welle. Viel zu lange haben die politisch Verantwortlichen gezögert, sie hätten viel früher den Druck auf Ungeimpfte erhöhen müssen.“

Als Lösung fordert Frühauf die Einführung einer Impfpflicht.

Neue Normalität: Menschen als potenzielle Krankheitsüberträger anzusehen

Jetzt komme ich nicht mehr mit: Wenn tatsächlich die Ungeimpften dafür verantwortlich wären, dass es kein Zurück zur „alten“ Normalität gibt, dann müssten wir – um in der Logik von Becker, Flintz und Frühauf zu bleiben – den Ungeimpften doch genau dafür dankbar sein, denn schließlich wären sie dann die Wegbereiter der ersehnten „neuen“ Normalität.

Ich bekenne mich allerdings freimütig dazu, der „alten“ Normalität den Vorzug zu geben. Einer Normalität, in der es möglich war, spontan ein Café zu betreten, ohne einen QR-Code vorweisen zu müssen. Einer Normalität, in der Kinder ohne Masken zur Schule gehen durften. Einer Normalität, in der Mitmenschen nicht in erster Linie als potenzielle Krankheitsüberträger angesehen wurden.

Laut Becker bin ich damit ein Wirrkopf und Spinner. Sei’s drum. Ob es vielleicht hilft, den Daumenkino-Taschenkalender 2020 möglichst schnell rückwärts durchzublättern, um wieder in der „alten Normalität“ anzukommen? Ein bisschen magisches Denken wird in diesen verrückten Zeiten doch noch erlaubt sein...

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Wilfried Cremer / 20.12.2021

Liebe Frau Binnig, die meisten Leute in den bis vor ein paar Jahren ziemlich freien Ländern sind von einer ähnlich mysteriösen Krankheit wie die Beutelteufel in Tasmanien betroffen. Die Geschwüre sind bei Menschen allerdings mehr geistig. Trotzdem sind es arme Teufel, deren Zeit auf Erden bald zu Ende geht. Dass sieht man einigen schon deutlich an, z.B. diesem Elend auf zwei Beinen Lauterbach.

Dirk Jäckel / 20.12.2021

Ich bin allen dankbar, welche sich den Unflat noch antun und davon berichten. Als Zonenkind ertrage ich solch ein Ausmaß an dümmlicher Arroganz nicht noch einmal. Und als unter 80-Jähriger gehöre ich ihnehin nicht zur faktischen Zielgruppe des real existierenden Öffi-Irrsinns.

Jörg Themlitz / 20.12.2021

Das ist doch mal eine Steilvorlage von Sarah Frühauf: “Und sie müssen sich fragen, welche Mitverantwortung ,...”;  ´Und sie, die GEZ Zahler, müssen sich fragen, welche Mitverantwortung sie haben an den wohl Tausenden Opfern dieser Propaganda-Welle. Viel zu lange haben die politisch Verantwortlichen gezögert, sie hätten viel früher den Druck auf ARD und ZDF erhöhen müssen.` Frau Frühauf wird uns sicherlich darüber hinaus erklären können, warum Vertreter der Bundeswehr viel besser in der Lage sind Corona zu bekämpfen, zu verwalten. Die Bundeswehr die im Jahr 2019 ca. 150 Millionen Euro für zivile Berater ausgegeben hat, um Stiefel und Unterhosen für die Mannschaften zu bestellen. Dreimal nachgedacht, oder dient die Bundeswehr wieder nur als Millionen Euro Verteiler für zivile Beratergesellschaften? Ich komme mit meinen Theorien den Verschwörungspraktikern nicht mehr hinterher.

Ludwig Luhmann / 20.12.2021

“Jetzt komme ich nicht mehr mit: Wenn tatsächlich die Ungeimpften dafür verantwortlich wären, dass es kein Zurück zur „alten“ Normalität gibt, dann müssten wir – um in der Logik von Becker, Flintz und Frühauf zu bleiben – den Ungeimpften doch genau dafür dankbar sein, denn schließlich wären sie dann die Wegbereiter der ersehnten „neuen“ Normalität.”—- Wer nachdenkt, ist übrigens schon seit Jahren ein Nazi!

Bernd Meyer / 20.12.2021

Fechten hat viel mit Stil zu tun. Daran ändert auch eine Maske nichts. Bei Gesunden nennt man das wohl Beißhemmung. Wichtig daran: Das sollten die Falschen besser richtig verstehen. 2022, ist es schon soweit?

Petra Wilhelmi / 20.12.2021

Danke für Ihren Artikel, Frau Binnig. So ist es. Alles was die Rechtsextremisten, die Wirrköpfe, die Verschwörungstheoretiker und wer sonst noch alles gesagt haben, IST eingetroffen. Das Fernsehen faselt aber immer noch in einen Werbespot, dass es keine Langzeitwirkungen gäbe. Die haben sicherlich durch die Kristallkugel in die Zukunft geschaut. Ansonsten können sie das gar nicht wissen. Auch die Nebenwirkungen wurden in den 0,00-Bereich heruntergeschwindelt, obwohl es schon sehr ernsthafte Statistiken gibt, die uns belegen, dass die Nebenwirkungen in der kurzen Zeit alle anderen Impfungen seit 19 in den 60er Jahren massiv überflügelt hat, wie die WHO VigiAccess Datenbank belegt. “Dr. David Nabarro, der Sondergesandte der WHO für Covid-19, sagt Andrew Neil: „Wir appellieren wirklich an alle Staats- und Regierungschefs der Welt: Hören Sie auf, Sperren als primäre Kontrollmethode zu verwenden“. Leider ist das Interview auf Englisch und ich verstehe es deshalb nicht. Dazu kommt noch Folgendes: “Die Weltgesundheitsorganisation hat nach über 7 Monaten endlich zumindest praktisch bestätigt, was viele echte Experten und Studien seit Monaten sagen: Das Coronavirus ist nicht gefährlicher als die saisonale Grippe. - Ich füge ein: die es ja seit 2020 angeblich nicht mehr gäbe - Während einer Sondersitzung des Exekutivrats am 5. Oktober gab die Führungsspitze der WHO zumindest über die Infektionszahlen eine Beschreibung ab, aus der sich dieser Schluss ziehen lässt. Das Virus ist keineswegs so tödlich, wie alle vorhergesagt haben. Haben das die sogenannten Verschwörungtheoretiker, Rechtsextremisten, Coronaleugner nicht schon lange gesagt? Und morgen tagt der Rat der Mafiosi (MP der Länder), um am Parlament vorbei (Frage: welches Parlament?) weitere Maßnahmen zur psychischen Brechung des eigenen Volkes zu beschließen.

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