Felix Perrefort / 18.03.2022 / 11:30 / 39 / Seite ausdrucken

Ende einer Beamtenkarriere: Shooting the Messenger

Am Mittwoch wurde Stephan Kohn, ehemaliger Mitarbeiter des Innenministeriums und Verfasser des 2020 skandalisierten Corona-Papiers, vom Verwaltungsgericht in Berlin der Beamtenstatus entzogen. Die heutige Situation gibt Kohns Lagebericht recht, aber darum ging es in der Verhandlung gar nicht.

Anfang Mai 2020 verschickte Stephan Kohn als Oberregierungsrat im Referat für kritische Infrastrukturen ein regierungskritisches Corona-Papier (hier einsehbar) innerhalb des Bundesinnenministeriums an höhere Beamte sowie an die Innenministerien der anderen Bundesländer. Durch ein Leak, das einer der Adressaten zu verantworten hat (übrigens illegal), gelangte das Dokument an die Öffentlichkeit und wurde infolgedessen als bundesweiter Skandal gehandhabt, für den Kohn verantwortlich sei. Für dessen Vorgehen wurde ihm vorgestern vom Verwaltungsgericht Berlin im Prozess „Bundesrepublik Deutschland gegen Stephan Kohn“ der Beamtenstatus entzogen. 

Im Kern ging es in der Verhandlung um die Frage, ob Kohn seine Kompetenzen überschritten und gegen explizite Anweisung seiner Vorgesetzten gehandelt habe. Er und sein Anwalt Gregor Gysi bestreiten dies und betonten sowohl die Zuständigkeit seines Referats als auch die Billigung des Projekts durch Vorgesetzte.

Zwei Mythen, die die Diskussion um Kohn entscheidend prägten, wurden als solche entlarvt: Für das Gericht stand außer Frage, dass Kohn weder einen Briefkopf des Ministeriums verwendete noch selbst an die Öffentlichkeit ging. Das Dokument war eine rein interne Kommunikation. Das BMI stellte jedoch am Montag, dem 10. Mai 2020, drei Tage nach Versendung der E-Mail, die Sachverhalte in einer Pressemitteilung ganz anders dar: 

Es ist nicht akzeptabel und mit den allgemeinen Pflichten im öffentlichen Dienst nicht vereinbar, wenn private Meinungsäußerungen und Gedankensammlungen unter Verwendung behördlicher Symbole, z.B.: dem offizielle [sic!] Briefkopf, verfasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf diese Weise wird der Anschein erweckt, die Privatmeinung gebe die offizielle Auffassung einer Behörde wieder.

Das BMI setzte also gleich zu Beginn der Affäre Fehlinformationen in die Welt, die Kohn in ein schlechtes Licht rücken sollten. Er habe, so die seinerzeitige Sugesstion, das Bundesinnenministerium dazu missbraucht, seine persönliche Meinung einer breiten Öffentlichkeit als staatliche Position weiszumachen – eine nicht nur verzerrte, sondern an den Tatsachen vollkommen vorbeigehende Sichtweise, die fortan medial kolportiert wurde. Entsprechend ging es nicht um den Inhhalt des Dokuments, sondern das moralische Verhalten Kohns. Es ist erstaunlich, wie skrupellos hier der Staat mit Fakten umgeht, um Mitarbeitern, die der Regierungslinie irgend gefährlich werden könnten, Schaden zuzufügen. 

Ob die richterliche Entscheidung nun formaljuristisch richtig war, sei dahingestellt. Kann in dieser Sache aber fair geurteilt werden, ohne den Inhalt seiner diesbezüglichen Arbeit zu berücksichtigen? Das achtzigseitige von Kohn seinerzeit formulierte Papier mit anfänglicher Zusammenfassung der wesentlichen Thesen legt  klar und deutlich dar, dass die Regierung unverhältnismäßig harte Maßnahmen ergriffen hat, ohne das Bedrohungspotenzial evidenzbasiert nachzuweisen und den Schaden, den die Maßnahmen hervorrufen, im Auge zu behalten. Das spielte für die Richter in der Verhandlung aber keine Rolle.

Künftig könnte der Fall Kohn noch von sehr viel größerer Bedeutung sein, als er es jetzt schon ist. Anfang Mai befand sich die Corona-Welle ihrer saisonalen Verlaufsform gemäß auch den offiziellen Zahlen zufolge im Abflauen. Nichtsdestotrotz wurde damals gerade eine Maskenpflicht erlassen, auch eine kritische Aufarbeitung der bisherigen Einschränkungen blieb aus – die Medien blieben größtenteils stumm. Statt Rechtfertigungsdruck aufzubauen, bedienten sie der Regierung in die Hände spielende Feindbilder. 

Stephan Kohns Analyse – obwohl für jedermann zugänglich – wurde nicht Teil einer öffentlichen Debatte über Sinn und Zweck der Maßnahmen. Stattdessen hat man Nebensächlichkeiten skandalisiert und letztlich auch zum Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung gemacht. Historisch bedeutsam könnte das Dokument insofern noch werden, als seine Existenz und der Umgang mit ihm keinerlei Ausreden seitens der Politik und Medien erlauben. Mit den entscheidenden Argumenten und Tatsachen setzte man sich bewusst zunächst staatsintern dann öffentlich nicht auseinander und folgte lieber dem Prinzip Shooting The Messenger.

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Leserpost

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Rainer Niersberger / 18.03.2022

Ich ersetze “Fehlinformation” durch “vorsaetzliche Luege” , wenn man so will “amoralisches und sittenwidriges Verhalten”.  Aber solange die Justiz, frueher einmal Rechtssprechung, systemkonform funktioniert, kann ja nichts passieren.  Wichtig ist, politische ” Gauner oder Kriminelle” nicht “Gauner oder Kriminelle” zu nennen.  Sie koennen allenfalls “irren” und das verstehen wir doch.

Uwe Schäfer / 18.03.2022

Was hat dieses Theater noch mit Demokratie und Rechtsstaat zu tun?  N I C H T S ! Angesichts eines obersten Bundesverfassungsrichters, der nur als Günstling dort landete, der garantiert bei jeglichem Rechtsbruch schön mitmacht, wird sich daran in absehbarer Zeit auch nichts mehr ändern.

Peter Sticherling / 18.03.2022

Das Verhalten Herrn Kohns wurde zum „Gegenstand der juriostischen Auseinandersetzung“. Damit ist doch alles erklärt. Herr Perrefort hat es -vermutlich selbst nicht bemerkend- richtig gesagt. Beim Berliner Verwaltungsgericht ging man nicht juristisch bzw. rechtlich gegen Herrn Kohn vor, sondern „juriostisch“. Und juriostisch klingt ja so ähnlich wie juristisch, bedeutet aber nicht, dass den Vorschriften der Rechtsprechung gemäß verfahren wurde.

Mathias Rudek / 18.03.2022

Der verwaltungsrechtliche Vorgang allein, zeigt wie es in diesem Land inzwischen bestellt ist. Die Causa Stephan Kohn zeigt exemplarisch, wie in einer konzertierten Aktion ein zuverlässiger, kompetenter Beamter fachlich und persönlich an den Pranger gestellt wird. Die Weichen sind hier schon sehr früh von einer kleinen Gruppe von Entscheidern im BMI gestellt worden. Fakten, die Herrn Kohn längst entlastet haben, sind in den Anfängen schon so verdreht worden, daß für das Verwaltungsgericht anscheinend klar war, daß Herr Kohn absichtlich seine Thesen-Studie in die Öffentlichkeit gegeben bzw. “geleaked” hat. Diese hysterische, politisch expansive Zeit einer einseitig ideologisch ausgerichteten Politik hat ihre gesellschaftliche Deutungshoheit mit der Ära Merkel flächendeckend vollzogen. Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut! Ich könnte inzwischen meine privaten Räume mit angesehenen Namen tapezieren, die alle im Laufe der Zeit durch substantielle Kritik an der Regierung in Misskredit gekommen sind. Es ist unfassbar, was in diesem Land für Vorgänge in Gang gesetzt wurden, die schweren gesellschaftlichen Schaden angerichtet haben. Selbst die Politikwissenschaftlerin von der Bonner Universität Frau Prof. Ulrike Guérot lehnt sich zur Zeit aus dem Fenster. Wer sich bereits als Kanzlerin in diesem Land als “alternativlos” darstellte, trägt schon totalitäre Züge in sich. Es muß sich keiner Sorgen machen, daß Putins Truppen morgen in Berlin einmarschieren, sie sind schon längst da und zeigen im besten deutschen, vorauseilendem Gehorsam, wie man dysfunktional regiert, einen Staat ideologisch infiltriert und ihn bis zum bankrott dekonstruiert.

Dielmann A. / 18.03.2022

Bei allem was so in und durch die Merkeljahren geschehen ist glaube ich das die Mauer zur falschen Seite gefallen ist und keiner hats gemerkelt!

Jochen Grünhagen / 18.03.2022

Bananenrepublik Deutschland. Das Urteil passt zum heutigen Deutschland wie der A…. auf den Eimer.

A. Iehsenhain / 18.03.2022

Wie immer: Der Mut zur Wahrheit ist die Angst der Anderen davor…

S. Wietzke / 18.03.2022

Wer immer noch glaubt Deutschland wäre auch nur ansatzweise ein “Rechtsstaat” dem ist schlicht nicht mehr zu helfen. Aber das ist der überwiegenden Mehrheit eh nicht.

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