Ramin Peymani, Gastautor / 24.04.2019 / 16:00 / Foto: Lusitana / 15 / Seite ausdrucken

Stellt euch vor, es ist Europawahlkampf und keinen interessiert er

In gut vier Wochen können rund 400 Millionen Wahlberechtigte ein neues Europaparlament wählen. Hierzulande kommt der Wahlkampf allerdings nicht recht in Gang. Das liegt vor allem am geringen Interesse der Bürger, die man für Parteiveranstaltungen zur Europawahl kaum noch hinter dem Grill hervorlocken kann. Viele Wähler haben resigniert, weil der Brüsseler Apparat ohnehin tut, was er will. Das Europäische Parlament scheint nur noch als Kulisse für die Hinterzimmer zu dienen, in denen ein kleiner Kreis Auserwählter alle wichtigen Entscheidungen trifft.

Angeführt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker umgehen die Akteure dabei nicht nur regelmäßig das Europaparlament, sondern auch die nationalen Entscheidungsgremien. In Deutschland hat sich dieser Eindruck im Verlauf der Finanzkrise verfestigt, bei der praktisch keinerlei parlamentarische Beteiligung stattfand. Und auch auf dem Höhepunkt der Zuwanderungswelle konnten die Abgeordneten lediglich dabei zusehen, wie fest vereinbarte europäische Regeln zur Bedeutungslosigkeit degradiert wurden.

Aktiv werden darf das Brüsseler Parlament hingegen immer dort, wo es um die Einschränkung der individuellen Freiheit geht. Es verordnet und verbietet, so oft es kann. Aber nicht nur das: In jüngster Zeit gilt der besondere Ehrgeiz der europäischen Abgeordneten der Zensur. Kein Wunder, dass Europas Bürger zunehmend die Nase voll haben und neuen Kräften eine Chance geben wollen. Es ist vor allem die Wahrnehmung, dass sie Juncker und seinem Apparat nicht trauen können, die sie umtreibt. Und daran ist der Mann, den regelmäßig der Ischias plagt, selbst schuld.

In Deutschland geht seit 1999 nicht einmal mehr die Hälfte aller Wahlberechtigten zur Europawahl. Das war mal anders: Als Brüssel noch nicht für Gleichmacherei, Gängelung und Bevormundung stand, lag die Wahlbeteiligung regelmäßig bei mehr als 60%. Natürlich haben sich die Wahlkampfmanager längst darauf eingestellt. Teure Großkundgebungen meiden sie allein schon deshalb, weil sich Bilder halbleerer Hallen nicht besonders gut machen. Zwar betonen alle etablierten Parteien die Wichtigkeit des Urnengangs im Kampf gegen Antieuropäer und Populisten, zu denen sie jeden zählen, der sich kritisch mit den Strukturen und Mechanismen des EU-Apparats auseinandersetzt, doch wissen die Verantwortlichen in den Parteizentralen auch, dass ein zu großer Aufwand sich für sie nicht rechnet, weil sich die Zahl ihrer Wähler damit kaum steigern lässt.

Eine finanziell lukrative Wahl für die Parteien

Dabei wäre dies an sich ein lukratives Geschäft: Der deutsche Steuerzahler vergoldet jede erhaltene Stimme mit 83 Cent aus der staatlichen Parteienfinanzierung. In der fünfjährigen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments spielen die deutschen Parteien auf diese Weise ein Vielfaches ihrer Wahlkampfkosten ein, die bei Union und SPD gerade einmal die Hälfte der Ausgaben für den Bundestagswahlkampf erreichen, bei den kleineren Parteien nur einen Bruchteil. Betrachtet man es vom reinen Kosten-Nutzen-Aspekt, ist keine Wahl für die Parteien finanziell so lohnend wie die zum Europäischen Parlament. CDU/CSU und SPD werden diesmal allerdings kräftig Federn lassen müssen. Und in vielen europäischen Staaten sieht es für die großen Volksparteien noch dramatischer aus.

Kommissionspräsident Juncker läutet daher nun die Alarmglocken. Er warnt davor, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament durch Lügen beeinflusst werden könnten. Es ist allerdings hochgradig lächerlich, dass ausgerechnet jener Mann sich dem Kampf gegen Unwahrheiten verschreiben will, der die Lüge zum politischen Stilmittel erkoren hat. „Wenn es ernst wird, muss man lügen“, gab Juncker 2011 freimütig zu, als den Bürgern die staatlich organisierte Insolvenzverschleppung europäischer Großbanken als alternativlose Euro-Rettung verkauft wurde.

Dass der 2014 nur gegen erheblichen Widerstand Großbritanniens und Ungarns zum Kommissionspräsidenten gewählte Luxemburger über Wahlkampflügen jammert, taugt deshalb bestenfalls zum Schenkelklopfer feucht-fröhlicher Runden. Juncker war es übrigens auch, der den Bürgern schon 1999 seine politische Agenda offenbarte: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Der Europäischen Union hat er dieses Grundprinzip politischen Taktierens in den anderthalb Jahrzehnten seines Wirkens nachhaltig verordnet. Er ist damit einer der Hauptverantwortlichen für die Ablehnung, die Brüssel aus weiten Teilen des Kontinents entgegenschlägt. Europa hat eine neue Chance verdient! Wir können sie aber nur ergreifen, wenn die „politische Elite“ endlich einen offenen Dialog über den Zuschnitt der EU zulässt und bereit ist, auch ein Ergebnis zu akzeptieren, das ihr nicht gefällt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ramin Peymanis Liberale Warte.

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Leserpost

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Lutz Gütter / 24.04.2019

Sehr geehrter Herr Peymani, ich lese Ihre Beiträge immer sehr gern. Sie sollten jedoch die EU und Europa nicht gleichsetzen, da Europa mehr als nur die EU ist. Am Ende würden einige Leute vielleicht noch den Putin ins “Europaparlament” wählen wollen, was natürlich nicht geht. Oder Erdogan (ein kleiner Zipfel der Türkei ist ja auch europäisch) oder Roger Köppel, der zwar kein Politiker ist aber doch einen recht ungeschönten Blick auf die EU hat. Wir haben es hier also mit der Wahl zum EU-Parlament zu tun, was der Achse-Leser natürlich weiß. Der Achse-Leser sollte sich allerdings von den rhetorischen Tricksereien der Nicht-Achse-Leser (den Achse-Verweigerern) in der Diskussion mit denselben diesen nicht beeinflussen lassen, sondern auf den Unterschied EU - Europa hinweisen. Herr Arning: in vino veritas Herr Gartner: aber nur bei einer Armlänge Abstand

Karl-Heinz Vonderstein / 24.04.2019

Schlimmer als Populisten und Linke in der Politik sind Konservative, die die Linken links überholen wollen und nicht weniger populistisch sind als die Populisten.  

Werner Arning / 24.04.2019

Ja, nach zwei bis drei Gläsern Wein sagt man schon mal die Wahrheit. Nur ahnt jene der Bürger ohnehin schon. Dann doch lieber Würstchen grillen, es sei denn man wählt die „Populisten“. Dann hat man zumindest ein Zeichen gesetzt und Haltung bewahrt. Lieber ein Populist, der die Wahrheit sagt, als ein A…kriecher, der das sagt, was man ihm zuvor diktiert hat.

Roland Stolla-Besta / 24.04.2019

Dieses Konstrukt EU und sein Parlament sind so demokratisch, wie es einst Louis XIV und sein Parlament waren. Es lohnt sich nicht, dafür zur Wahl zu gehen und die Schuhabsätze abzuhatschen. In Frankreich gab es einst eine Revolution, aber in der EU?

Christina S. Richter / 24.04.2019

Der Text ist sehr gut, danke. Bereits Jahre vorm Mauerfall gingen “die Anderen” in der DDR trotz alternativer Blockparteien wie z. B. LDPD=FDP - die meist keine andere Wahl hatte als das abzunicken was der große Bruder nebst Genossen vorgab - nicht mehr wählen, das Politbüro bekam sowieso meist 100%. Daher wird das Ergebnis zur Europawahl “trotz der Anderen” mich nicht vom Hocker hauen…alles voraussehbar…läuft…denn SIE BEGREIFEN ES NICHT, sie wollen es auch gar…das Leben im Glaspalast ist bequem…PROST und ob das Volk den UN-Migrationspakt stoppen will interessiert einen Pustekuchen, genauso wird es kommen mit G5, mit der Bargeldabschaffung usw….außerdem ist es tatsächlich so wie es Juncker in seiner politischen Agenda bereits sagte, denn entweder ist es dem Volk egal oder sie durchschauen nicht, was auf sie zukommt (uhah Verzeihung ich bin eine Verschwörerin oder gar räääächzächs…?) eben alles sehr demotivierend - vorallem wenn Mann/Frau es das 2. mal durchleben muss…zum Glück gibt es aber noch die ACHSE!!!

Engelbert Gartner / 24.04.2019

400 Millionen Wahlberechtigte. Unsere Erde hat eine Umfang von 40.000 km. Würden sich alle Wähler in einer Reihe aufstellen, so ginge die Kette 10 mal um die Erde. Nur mal so zur Info, damit man sich einmal im klaren ist, wie überaus wichtig jede einzelne Stimme ist.  (  Noch ein kleiner Tipp.  Einfach mal die Augen zu machen und sich das gedanklich vorstellen. )

Hans-Peter Dollhopf / 24.04.2019

Afrika wurde die Wiege der Menschheit! Asien wurde die Wiege der Kultur! Europa wurde die Wiege der Moderne! Brüssel ist die Büchse der Pandora.

Sabine Schönfelder / 24.04.2019

In der Tat muß sich auch ein ‘informierter’ Wähler fragen, wozu er ein europäisches Parlament wählen soll, dessen Kompetenzen gen null laufen. Das Wort ‘Gesetzgebungsfunktion’ gehört wieder einmal in die Kategorie ‘frame’ und verwirre! Das EU-P. hat kein Initiativrecht und keine Gesetzgebungsbefugnis, soll heißen, schlägt keine Gesetze vor, sondern darf auf eine Begründung der EU-Kommision bestehen, WOW!, und zwar innerhalb von 3 Monaten nach Gesetzesvorlage. Davon ausgeschlossen, sind die Themen Wettbewerb, Sicherheits- und Außenpolitik. Hierbei muß das EU-P. nur ’ gebührend berücksichtigt werden’. Eine sibyllinische Formulierung und entlarvend für die Wichtigkeit der Mitglieder dieses Parlaments, das sich in der Regel aus aussortierten Politikern der beteiligten Nationen zusammensetzt, optisch aufgefrischt ( zu Berlusconizeiten) durch vollbusige, hoffnungsfrohe italienische Polittalente. Natürlich glaubt man, durch Wahl wenigstens seine Partei zu stärken, 83 Cent in den richtigen Topf zu schmeißen, aber wie Sie wie immer treffend beschrieben, wird die Politik von einer kleinen Truppe bestimmt, undemokratisch und verlogen. Das Parlament wird utilisiert, für die eigenen Ziele und so lange abgestimmt ( Abschaffung der Sommerzeit) bis das Ergebnis passt. Schlucki Juncker hätte ohne Rückenstärkung Merkels nie seine schmierigen Spielchen durchsetzen können! Merkel muß weg und Sie, an die Parteispitze der FDP! Schicken Sie Lindner ‘auf Malle’ zur Auswanderung, dort gefällt’s ihm doch so gut!

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