Henryk M. Broder / 12.12.2019 / 12:00 / Foto: Stefan Klinkigt / 105 / Seite ausdrucken

Steinmeiers sachliche Streitkultur

Wann immer ich unseren Bundespräsidenten reden höre, frage ich mich: Wer schreibt eigentlich seine Reden? Doch nicht etwa er selbst?

Als Gastredner bei der Jahresversammlung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz sprach er in Hamburg über tatsächliche oder angebliche Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Dabei sagte er u.a.:

„Es gibt keine staatliche Meinungszensur und keine staatliche Sprachpolizei... Wer das behauptet, lügt und führt Menschen in die Irre. Und wer so etwas glaube, der falle auf eine bewusste Strategie interessierter verantwortungsloser Kräfte herein, und wer versucht, Verständnis aufzubringen für die angeblich gefühlte Freiheitsbeschränkung, die doch in Wahrheit nur eine massiv eingeredete ist, besorgt schon das Geschäft der Scharfmacher!“

Für einen, der ausgleichen, Brücken bauen und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken will, ist das schon ein seltsamer Jargon, irgendetwas zwischen Karl-Eduard von Schnitzler und Franz Josef Strauß. Natürlich gibt es keine staatliche Zensur in der Bundesrepublik, keine Reichspresse- und keine Reichsschrifttumskammer, aber das bedeutet nicht, dass es überhaupt keine Zensur gibt, vor allem keine Selbstzensur. Jede Ausgabe der Tagesthemen oder des heute journals beweist das Gegenteil. Und wer oder was sind die interessierten verantwortungslosen Kräfte? Kann der Mann nicht Ross und Reiter nennen, muss er raunen?

Und was die angeblich gefühlte Freiheitsbeschränkung, die doch in Wahrheit nur eine massiv eingeredete ist, angeht, wenn schon die ZEIT sich darüber Sorgen meint, dass fast sieben von zehn Deutschen glauben, ihre Meinung öffentlich nicht mehr frei äußern zu dürfen, dann ist das wohl etwas mehr als nur ein Gerücht, das von interessierten Kräften verbreitet wird.

Steinmeier kann aber nicht nur Uni, er kann auch Marktplatz. Bei einem Besuch in der sächsischen Kleinstadt Pulsnitz forderte er eine "sachliche Streitkultur", was sich nicht nur so anhört, sondern auch so gemeint ist wie "gepflegte Speisen und gediegenes Ambiente". Sachliche Streitkultur, das ist wie Duschen im Regenmantel oder die Tour de France auf dem Hometrainer.

Wer eine sachliche Streitkultur will, der will keine Streitkultur oder bestenfalls eine, die niemandem wehtut. Wir müssen wieder lernen, einander gegenüber zu sitzen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten, vor allen Dingen aber auch wieder lernen, dass der Kompromiss nicht ein Verrat an den eigenen Interessen, sondern mitunter auch das ist, was uns weiterbringt, was die Demokratie am Leben hält... So ein Ding hat manchen Reiz.

Steinmeier ist ein Meister des gepflegten Einerseits-Andererseits und der gediegenen Unverbindlichkeit. Egal, ob er eine Rede in einem ehemaligen KZ hält – Dieses Konzentrationslager steht für die Monstrosität eines Regimes, das das Grauen institutionalisierte – oder einen Kranz am Grab von Arafat niederlegt. 

So war er schon immer, auch als Außenminister. Sein absolutes Meisterstück, mit dem er sich einen Ehrenplatz in der Hall of Shame erwarb, lieferte er im Sommer 2007 ab, als er den Tod einer deutschen Taliban-Geisel in Afghanistan so einordnete: Wir müssen davon ausgehen, dass einer der entführten Deutschen in der Geiselhaft verstorben ist. Nichts deutet darauf hin, dass er ermordet wurde, alles weist darauf hin, dass er den Strapazen erlegen ist, die ihm seine Entführer auferlegt haben.

Hier die Geschichte.

 

Von Henryk M. Broder erschien am 8. November 2019 das Buch „Wer, wenn nicht ich – Henryk M. Broder“. Der Autor befasst sich darin mit „Deutschen, Deppen, Dichtern und Denkern auf dem Egotrip“. Das Buch kann im Achgut.com-Shop vorbestellt werden. Die zweite Auflage ist ab dem 18. Dezember lieferbar.

Foto: Stefan Klinkigt

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Thomas Weidner / 12.12.2019

@Kostas Aslanidis: Es gibt nicht nur eine Vorgeschichte - es gibt deren viele. Z.B. die, dass England und Frankreich bewusst auf den Krieg 14-18 hingearbeitet haben, um Deutschland als Wirtschaftsmacht kalt zu stellen. Darin die systematische Aufwiegelung der Serben gegen einen österreichischen Thronfolger, welcher einer zunehmenden serbischen Unabhängigkeit gar nicht so abgeneigt war. Was heißt, dass es bei der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares gar nicht um die Unabhängigkeit Serbiens ging, sondern dass letztlich England über seinen Geheimdienst einen zukünftigen ausländischen Staatschef ermorden ließ. Oder die Vorgeschichte, dass England und Frankreich den polnischen Dikator Pilsudski systematisch und mit der Garantieerklärung, bei deutscher Gegenwehr an Polens Seite militärisch einzugreifen, anstifteten, einen äußerst aggressiven Kleinkrieg (heute würde man das als “assymetrischen” Krieg bezeichnen) gegen Deutschland zu führen. Inklusive den Überfällen polnischer Paramilitärs auf deutsche Gebiete. Oder die seltsame Geschichte, dass die UDSSR angeblich zwar völlig ahnungslos von Deutschland überfallen worden sei -  wobei dummerweise nur die gewaltigen Truppenzusammenballungen der Sowjets nicht passen, welcher nach objektiver Beurteilung eindeutig auf einen geplanten Angriffskrieg der Sowjets deuten würde - was jüngste Auswertungen von vorher unzugänglichem russischen Archivmaterials bestätigten. Und wenn ich Ihren werten Namen als “griechischer Herkunft” richtig deute - müssen Sie sich was den deutschen Einmarsch in Griechenland betrifft, bei den Italienern bedanken… Von den Italienern als Verursachern haben die Griechen bis heute keinerlei Reparationen gefordert. Warum nicht?

Dietrich Herrmann / 12.12.2019

Diese Figur ist auch einer der mit gebrabbeltem Bödsinn Karriere machenden Emporkömmlinge. Da ist keinerlei geistige Substanz zu erwarten. Parteisoldaten können nur ideologisch. Raus aus dem Amt!

Hans Reinhardt / 12.12.2019

Steinmeier als Bundespräsident ist die größte personelle Fehlentscheidung, seit Judas zum Jünger des Monats gewählt wurde.

Robert Schleif / 12.12.2019

Ich durfte Onkel Uhu am 9. Oktober live im Leipziger Gewandhaus erleben und muss widerwillig einräumen, dass er mich schon beeindruckte. Aber das lag wohl zuvörderst an seiner massigen Gestalt, seinen noblen Klamotten, den schönen weißen Haaren und seiner Nilpferdartigkeit. Und die ihn wie Schmeißfliegen umschwirrenden Leibwächter, Hofschranzen, VIPs und Bittsteller erzeugten zusätzlich eine benommen machende schwüle neobyzantinische Atmosphäre. Auch seine Rede zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution hatte durchaus aristokratische Züge. Er sprach von seinen vielen Reisen durchs Land und wie er dabei herausgefunden habe, wo seinen Untertanen der Schuh drückt. Seine Theatralik wirkte aufgesetzt, wenn er – mal mit klagendem, mal mit drohendem Unterton – Allerweltsvorkommnisse in Hülsen „Man berichtet mir…“, „…und ich höre auch…“ oder „Es treibt meine Gesprächspartner an…“ packte. Aber gerade das Unvermögen, volksnah und empathisch wirken zu können, verstärkten die monarchische Aura des Berufsfunktionärs. Und dass er zwar alle möglichen aber nicht DIE Probleme der Menschen ansprach, erhoben ihn zu einem neuen Louis XVI.. Und so hat selbst eine schlichte Demokratie etwas Festliches, Weihevolles und Erhabenes.

Thomas Schmidt / 12.12.2019

Unglaublich wie viele Linksextreme es in hohe Machtpositionen geschafft haben. Die ganzen Ex- ..., Ex-Kommunisten, Ex-Maoisten, Ex-Sozialisten. Obwohl vieles daraus hindeutet, das alkoholkrank und ideologiekrank eine Gemeinsamkeit haben: man ist nie Ex-..., sondern allerhöchstens trocken. Wir werden also von mehr oder weniger trockenen Ideologiekranken regiert, bei denen wahrscheinlich ein paar Buzzwörter wie “letztes Gefecht” oder “Internationale” ausreichen, sie instinktiv die Umgebung nach geeigneten Gulagstandarten abscannen zu lassen.

Ilona Grimm / 12.12.2019

@Sabine Schönfelder: Sehr schön Ihre „Frau Antje der SPD“, die jeden neuen Käse frisch serviert. Ebenfalls sehr schön ist Ihre Replik an Enno Wellmann über die „Krämerzitate“. Gut, dass Sie das noch mal aufgegriffen haben! Es macht immer wieder Spaß zu sehen, wie sich Leute ins eigene Knie schießen.

Gert Köppe / 12.12.2019

Unser „bräsiger Grüßaugust“, wer schreibt wohl seine Reden? Ich denke mal seine betonierte Gesinnung ist der schöpferische „Phrasenspender“.

Dietmar Schubert / 12.12.2019

“Wer eine sachliche Streitkultur will, der will keine Streitkultur oder bestenfalls eine, die niemandem wehtut. ” // Aha, Herr Broder will also eine “unsachliche” Streitkultur, denn eine “sachliche” ist ja “keine Streitkultur”. Wer Attribute verwendet, sollte wissen, was man mit ihnen ausdrückt und wie man das überprüfen kann, zumindest wenn man die deutsche Sprache als seine Muttersprache beherrscht. // “Wir müssen wieder lernen, einander gegenüber zu sitzen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten, vor allen Dingen aber auch wieder lernen, dass der Kompromiss nicht ein Verrat an den eigenen Interessen, sondern mitunter auch das ist, was uns weiterbringt, was die Demokratie am Leben hält…” // O je, wenn ich mir da das Video der Sitzung des Petionsausschusses des Bundestags auf der einen Seite und Frau Lengsfeld und Herrn Broder auf der anderen Seite anschaue, gewinne ich eher den Eindruck, diese Forderung gilt nur für “die Anderen” und nicht für Frau Lengsfeld und Herrn Broder.  // O Gott, jetzt habe ich Heilige dieser Seite angegriffen. Das wird die Redaktion mir wohl übel nehmen. Aber damit mus die Redaktion leben, wenn sie Streitkultur einfordert.

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