Thomas Rietzschel / 31.08.2014 / 19:46 / 14 / Seite ausdrucken

Steinmeier gerät außer Kontrolle

Langsam müssen wir uns Sorgen um Frank-Walter Steinmeier machen. Gibt es doch Anzeichen für einen fortschreitenden Realitätsverlust, für einen „geistigen Zustand“, in dem der Betroffene nicht mehr „in der Lage ist, die Situation, in der er sich befindet, zu begreifen“. Die Psychologen wissen, was dem folgen kann, eine Schizophrenie schlimmstenfalls. Nun wollen wir hier nicht den Teufel an die Wand malen, Gott behüte. Aber so manches scheint der deutsche Außenminister in den letzten Monaten tatsächlich nicht mehr mitbekommen zu haben.

Als sei ihm plötzlich ein Licht aufgegangen, erklärte er am vergangenen Freitag, dem 29. August 2014, Monate nach dem Kriegsbeginn in der Ostukraine, nach der Einschleusung russischer Waffen und Söldner, nach dem Tod von über 2.500 Menschen, nach dem Abschuss einer Zivilmaschine mit einer russischen Rakete im Lauftraum der Ukraine, nach der Leichenfledderei der Separatisten, nach der Missachtung aller international vereinbarten Regeln - plötzlich, wie aus dem Traum erwacht, erklärt die diplomatische Knalltüte aus Berlin, dass die Lage jetzt „außer Kontrolle gerät“.

Du lieber Himmel, fragt man sich da, in welchen Wolken hat unser Außenministerchen bisher geschwebt? Geflogen ist er ja oft genug. Und dennoch wäre ihm zugute zu halten, dass eine späte Erkenntnis noch allemal besser ist als gar keine, wenn denn stimmte, was er gewohnt staatstragend in die Mikrofone raunte. Davon jedoch kann - wir sind wieder beim Realitätsverlust - keine Rede sein. Wer denn sollte das Geschehen bisher kontrolliert haben, Frank-Walter Steinmeier?  Diesen Eindruck will er zwar gern erwecken, in Kiew, in Brüssel, in Paris oder wo sonst er den Krisenmanager gibt. Seine Einbildung jedoch entsprach zu keinem Zeitpunkt der Realität.

Wenn einer die Lage unter Kontrolle hatte, dann war es stets Vladimir Putin - und daran hat sich bis heute nichts geändert, auch dank der Realitätsverluste westlicher Politiker, der deutschen zumal. Wann immer es zaghafte Versuche gab, dem Autokraten im Kreml die Grenzen seiner Machtpolitik aufzuzeigen, traten sie Berlin auf die Bremse, bei der ersten von den Balten gewünschten Verstärkung der NATO-Präsenz in Osteuropa ebenso wie bei der Verhängung wirksamer Wirtschaftssanktionen. Bloß die Österreicher setzen da noch eins drauf. Weil sie um den Rückgang der „Nächtigungen“ russischer Touristen in den Alpen fürchten, sperren sie sich bis heute gegen die Ausweitung der Sanktionen.

Nur solange man im Gespräch bliebe, heißt es nicht zuletzt aus dem Kanzleramt, bestünde die Chance, den Konflikt zu lösen. Wirtschaftliche Interessen werden vorgeschützt, um politisch den Schwanz einzuziehen. Dabei beträgt der Anteil des Russland-Geschäfts am deutschen Außenhandel kaum vier Prozent. Nicht einmal die russischen Gaslieferungen wären unersetzbar.

Natürlich muss alles getan werden, um militärische Konflikte des Westens mit Russland zu vermeiden. Nur müsste man dazu auch den Mut haben, selbst Stärke zu zeigen. Der vielfach verspottete Ronald Reagan und Helmut Schmidt haben das vorzeiten verstanden. Nicht die Ostpolitik Willy Brandts, sondern die Erkenntnis der wirtschaftlichen und mithin militärischen Unterlegenheit des Ostens haben schließlich zum Zusammenbruch des Kommunismus geführt. Das war gewiss nicht der diplomatische Königsweg, aber es war die einzige Sprache, die die Diktatoren verstanden.

Daran werden wir uns wohl oder über erinnern müssen in der Auseinandersetzung mit einem Herrscher, der sich etwas darauf einbildet, noch „ein Politiker mit Eiern“ zu sein. Dass man ähnliches von Frank-Walter Steinmeier sagen könnte, ist unvorstellbar. Es gehört sich nicht. Ebenso wenig gehört es sich freilich, diejenigen im Stich zu lassen, die für unsere europäischen Werte, für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde, in Kiew auf die Straße gegangen sind.

Allein, wer denkt heute noch daran, dass dies der Ausgangspunkt der kaum mehr verdeckten Invasion Russlands in der Ostukraine war. Längst werden die Kontrahenten auf dem diplomatischen Parkett gleichrangig behandelt. Mit dem Aggressor wird gesprochen, als verfolge er legitime Interessen. Manch bemühen sich gar schon um die historische Rechtfertigung einer bevorstehenden Annexion der Ostukraine, die Einverleibung Neurusslands in das Reich des Vladimir Putin.

Man müsste schon weiter in die Geschichte zurückschauen, um auf ein ähnliches Versagen der freien Welt vor den Großmachtansprüchen eines Autokraten zu stoßen. Wozu das in der Vergangenheit führte, wissen wir. Wann immer die Vertreter der Demokratie glaubten, Verständnis für die Diktatoren aufbringen zu müssen, um sich selbst in Sicherheit erbringen, haben sie ihren Völkern einen Bärendienst erwiesen. Am Ende gab es ein böses Erwachen. Ein Außenminister, der das nicht sehen will, leidet unter partiellem Realitätsverlust. Die Demokratie verlangt mehr, als er verhandeln kann.

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Leserpost

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Bärbel Schmidt / 03.09.2014

Ich hoffe, die Freundschaft von Schröder und Putin bewahrt uns vor denen, die so viel aus den Weltkriegen gelernt haben.

Axel Wahlder / 01.09.2014

Aber FraWa kann nicht anders! So ist er, der traurig Weg - von Metternich hinunter zu Steinmeier ...

Detlef Dechant / 01.09.2014

Es mag schon sein, dass wir jetzt an einem Punkt angekommen sind, wo man auf sehr drastische Art einem Despoten zeigen muss, wo die Grenzen sind. Aber dass es soweit gekommen ist, dafür sollte man auch bei seinem eigenen Handeln Ursachenforschung betreiben: Nach dem Zusammenbruch der UdSSR lag das Russland darnieder. Statt ihm zu helfen, sich wieder aufzurichten, hat man auf diesem am Boden Liegenden noch kräftig draufgetreten! (Fragen Sie einmal bei Diplomaten, wie - gerade auch von den Amerikanern - russische Diplomaten und Militärs auf internationalem Parket behandelt wurden!!) Nun hat sich dieses waidwunde Russland langsam aufgerichtet und sich gesagt: “Das passiert mir nicht noch einmal!” Eine durchaus sehr menschliche Reaktion. Noch in diesem Stadium hätte man helfen können und unter geostrategischen Gesichtspunkten eine Weltordnung schaffen können. Aber weder USA noch China waren daran interessiert und die Russen wurden auch zu diesem Zeitpunkt nicht als ernsthafte Mitspieler angesehen. Und die EU? Die waren bezüglich Russland zerstritten! Unter Nichtbeachtung sicherheitspolitischer Interessen anderer hat die EU euphorisch versucht, jeden aus Europa in die eigenen Bündnissysteme EU und Nato zu integrieren, und zwar so schnell wie möglich. Schauen wir uns diese im Entstehen begriffene Karte unter geostrategischen Gesichtspunkten an, können wir erkennen, dass seitens China, USA, NATO und EU ein Kreis immer enger um Russland gezogen wird, d.h. die Schlinge zieht sich zu. Es droht wieder eine Situation, die einen auf den Boden zwingt. Und jetzt wundern wir uns über die Reaktion? Es wurde hier von allen Seiten sehr viel Vertrauen verspielt. Dies gilt es wieder aufzubauen. Sicherheitsaspekte der Anrainerstaaten Russlands müssen dabei genauso berücksichtigt werden, wie auch die der in diesen Gebieten lebenden russischen Bevölkerung. Dies geht nicht mit Drohgebärden und Säbelrasseln. Hier ist Spitzen!-Diplomatie gefragt!!!

Werner Klemperer / 01.09.2014

Hallo Herr Rietzschel, Hat der Herr Steinmeier nicht auch schon eine “Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine” unterschieben, deren Umsetzung er hervorragend unter Kontrolle hat ? Hochachtungsvoll, Werner Klemperer

Daniel Oehler / 01.09.2014

Achse mit russophober Schräglage. In der Ostukraine versucht eine westukrainisch-ultranationalistische Regierung den Ostukrainern mit militärischen Mitteln ihren Willen aufzuzwingen. Es ist unmoralisch, Bomben- und Artillerie-Angriffe auf Großstädte zu verharmlosen oder zu vertuschen. Tausende Tote und hunderttausende Vertriebene, das ist das Ergebnis einer vom Westen unterstützen Politik gegen russischsprachige Ukrainer. Nicht Putin, sondern Porotschenko hat militärische Gewalt gegen Großstädte angeordnet. Putin hingegen hat wiederholt zum Dialog aufgerufen, wahrscheinlich auf Druck der orthodoxen Kirche, die in Russland und Ukraine die wichtigste Kirche ist. Die Ostukraine ist für Kiew, NATO, USA und EU verloren. Wer Zivilisten bombardiert hat jedes Recht verloren, diese Leute zu regieren.

Frank Mora / 01.09.2014

Als jemand, der die DDR hautnah erlebt hat, 3 Dinge, die in D sofort zu TUN und nicht erst zu BEREDEN sind. 1. Wir müssen uns aus der fatalen Energieabhängigkeit von Rußland lösen. Dazu brauchen wir SOFORT (und nicht erst, wenn der letzte Quakfrosch in der Botanik kategorisiert ist) 1-2 Häfen, in denen Flüsiggastanker gelöscht werden können. Zum Beispiel in Wilhelmshaven und Rostock. Das kann eine Frage von Leben oder Tod sein. Schon im nächsten Winter. 2. Müssen wir ernsthaft die Eigenförderung von Gas erhöhen. 3. Müssen wir schleunigst unsere Bundeswehr wieder auf Vordermann bringen. Nicht für Auslandseinsätze, sondern zur Landesverteidigung. Auch und vor allem, weil die Osteuropäer auf uns angewiesen sind. DAS ist die Lehre aus dem großen Krieg, den unsere Großväter vom Zaum gebrochen haben. In die Rationalität und Berechenbarkeit von Wladimir Putin sollten wir nach den Erfahrungen der Ukrainer, der Georgier und der anderen Kaukasier nicht zu große Hoffnungen setzen. Der Mann setzt seine militärischen Mittel bedenkenlos ein, wenn das Risiko gering erscheint.

Thomas Koch / 01.09.2014

Beteiligt sich die Achse des Guten jetzt auch schon an der Kriegs-Propaganda? Ach so. Hatte ich fast vergessen. Man ist ja USA freundlich eingestellt. Da darf ruhig die Wahrheit etwas vernachlässigt werden. Warum wird nicht wenigstens hier mal, nach Beweisen gefragt? Was war auf dem Maidan, und wer hat die Heckenschützen beauftragt? Was ist mit der MH17? Wann kommen endlich hier Fakten an die Öffentlichkeit? Wo sind die Beweise für die angebliche russische Invasion Armee? Wer glaubt bitte wirklich hier noch an die Mär von wegen, wir bringen doch nur Demokratie nach Kiew. Reine machtstrategische Überlegungen der USA sind hier doch entscheidend.  

Andrea Rosenberg / 01.09.2014

Alles soweit richtig - aber mich würde auch interessieren, wieviel russisches Gas im Notfall für uns nicht mehr verfügbar wäre, welchen Anteil es an unserer Versorgungssicherheit hat etc. Wäre ja erfreulich, wenn das tatsächlich verschmerzbar wäre. Der Dank der Fukushima-Hysterie bei uns prächtig gedeihende Windradwald und -wahn wird sicher nicht behilflich sein.

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