Archi W. Bechlenberg / 24.11.2019 / 06:08 / Foto: Pixabay / 34 / Seite ausdrucken

Steinmännchenplage

Eine Nachricht schreckte mich vor wenigen Tagen aus der gemütlichen Novemberlethargie auf. „Steinmännchen werden zur Plage.“ Steinmännchen? Wer um alles in der Welt sind die Steinmännchen? Wo kommen sie her, was macht sie zur Plage? Sind sie asylberechtigt? Haben wir denn noch nicht genug Männchen aufgenommen? Und handelt es sich nicht um einen Druckfehler? Muss es nicht „Steinmeier wird“ heißen? 

Ich machte mich schlau, und bald wusste ich: Steinmännchen sind mindestens so schrecklich wie Klimaleugner, CO2 Produzenten und Gammelfleischverwurster. Denn Steinmännchen zerstören Ökosysteme und führen in die Irre. Sie sind folglich ähnlich verwerflich wie Windparks. (Huch, habe ich das wirklich gerade geschrieben? Streichen Sie den letzten Satz aus ihrem Gedächtnis).

Langsam dämmerte es in meinem Langzeitgedächtnis. Meine erste Begegnung mit Steinmännchen fand etwa Mitte der 1970er Jahre in Schweden statt, einer Region, in der es vor seltsamen Wesen nur so wimmelt. Bei einer Wanderung mit Freunden war ich auf eine Hochebene geraten, die ausschließlich aus Schottergestein bestand, also in jede Richtung gleich aussah, was eine Orientierung sehr erschwerte. Vermutlich würde ich noch heute dort umherirren, wenn nicht in größeren Abständen Steinhaufen gestanden hätten, die eine Art Wegweiser darstellten. Dank dieses sehr effizienten Systems, das ausschließlich auf lokal verfügbaren Produkten basiert, gelangten wir kurz vor Mitternacht, also kurz vor Einbruch der Dunkelheit, am angestrebten Ziel an, Steinhaufen sei Dank.

Heute weiß ich, dass es sich bei den steinernen Wegmarkierungen im hohen Norden um Steinmännchen handelte, wenn auch von der gemeinen Sorte, für die einfach nur ein paar Dutzend dicke Kiesel pyramidenförmig zusammengehäufelt werden, so dass sie sich über der ringsum ruhenden Ebene erheben und für Orientierung sorgen. Ganz anders die heutigen Steinmännchen – da liegt nämlich ein Stein auf dem anderen, fein säuberlich ausbalanciert und scheinbar der Schwerkraft strotzend. Derartige Gebilde zeigte mir vor zehn Jahren eine Freundin am Ufer des Bodensees. Ich fand sie hübsch, manche verblüffend, und ich beneidete Menschen, die für so etwas Zeit haben. 

Ommm – Ommm – ja, es ist ein zutiefst spiritueller Akt

Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich diese menschgemachten Türmchen einmal als Plage erweisen würden. Doch dem ist nun so, und dankenswerterweise machen wieder einmal unermüdliche Naturschützer darauf aufmerksam. Sogar an kaum von der Zivilisation berührten Orten treiben Steinmännchen inzwischen ihr Unwesen; daher würde es mich nicht wundern, selbst in Berlin derartigen Unholden zu begegnen. Einen Steinmeier gibt es dort ja schließlich auch.

Ob in Australien, an karibischen Stränden oder auf den Kanarischen Inseln – Steinmännchen erobern derzeit die Welt. Und das nicht ohne Folgen. Unter jedem Stein wohnt etwas, ob es Carlos, die Krabbe auf Teneriffa oder Fidel, der Fadenwurm in Varadero ist – sie alle werden ihrer Behausung beraubt, sobald sich ein Zen-Jünger daran gibt, in vergeistigter Kontemplation ein Steinmännchen zu zeugen. Ommm – Ommm – ja, es ist ein zutiefst spiritueller Akt, nicht nur ein Dutzend Steine flach aufeinander zu legen, sondern zusätzlich eine hochkantige Komplikation dazwischen zu positionieren. Ähnlich einer Katze, die im heimischen Garten einen Haufen hinterlässt, um umherstreifenden Artgenossen zu sagen „Ich war vor dir hier!“, lässt der spirituelle Ökotourist heute seinen Steinhaufen zurück und sendet dessen Anblick per Smartphone umgehend in alle Welt. Kombiniert mit dem nackten gluteus maximus oder den mammae einer „Influencerin“ sorgt so ein Bild gleich wieder für ein paar tausend „Follower“ mehr. Und sollte die Darstellerin zwar eine rechte und eine linke Backe besitzen, dafür aber nur zwei linke Hände, kann sie sich, so las ich staunend, bei Kursen in der Kunst der Steinmännchenplage ausbilden lassen.

Und nun dies – das inflationäre Auftauchen von Steinmännchen hat offenbar seinen Scheitelpunkt überschritten und kann inzwischen zu Reaktionen führen, die als „Shitstorm“ bekannt sind (womit wir wieder bei den Katzen wären, die mit Hilfe natürlicher, biologisch abbaubarer Stoffe ihren Claim abstecken). Shit geht immer. Und das ist ein harter Schlag für die Sichselbstsucher an den Stränden und in den Wüsten dieser Welt. Gestern noch friedlich einen Steinmann von der Größe eines Goaischen Gnoms gezeugt und davon bei Twittagram mit einem herzhaften „Namasté!“ Bilder gepostet, und heute ist man ein Umweltfrevler! Weil man der Spinne Thekla das Dach über dem Kopf weggesteinmannt hat.

„Viele kamen allmählich zu der Überzeugung, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie von den Bäumen heruntergekommen waren. Und einige sagten, schon die Bäume seien ein Holzweg gewesen, die Ozeane hätte man niemals verlassen dürfen“ heißt es bei Douglas Adams in „Per Anhalter durch die Galaxis“. Man kann den weisen Worten des Autors nur beipflichten, jetzt, wo selbst das Aufeinanderstapeln von Steinen als Umweltfrevel enttarnt wurde. Auf Teneriffa, so kann man erfahren, mussten in diesem Sommer 150 Umweltaktivisten am Strand die dort massenhaft belästigenden hombres hecho de piedra dekonstruieren, und man kann nur hoffen, dass dabei nicht so mancher Strudelwurm zum Plattwurm getreten wurde. Denn auch Aktivisten hinterlassen Fußabdrücke. 

Und noch etwas wäre zu hoffen: Dass die ungezählten, von Windrädern zerdrückten und zerhackten Wälder, Insekten und Vögel ebenfalls eine Lobby hätten, die sich um ihren Erhalt kümmert. Das aber ist eine ganz andere Geschichte.  

Foto: Pixabay

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S. v. Belino / 24.11.2019

Und was ist mit der so genannten “Land Art”, einer relativ rezenten Kunstform, die gewiss ebenso folgenreich - wenn nicht noch folgenreicher - die Naturkreisläufe stört? Ist die hippe Land Art schon ebenso unter Beschuss geraten wie die allüberalligen putzigen Steinmännchen? - Im übrigen ist es bei vielen Völkern seit Menschengedenken Usus, bei Annäherung an besondere, eventuell heilige, Orte einen Stein aufzulesen und diesen einem bereits bestehendem Steinhügel hinzuzufügen. Eine Nichtbeachtung der meist sehr alten Bräuche würde bei der einheimischen Bevölkerung Verunsicherung oder gar Misstrauen hervorrufen. Gerade neulich befand ich mich in einer Situation, in der solch ein Steinwurf meinerseits erwartet wurde. Ich bin überzeugt, dass eine Verweigerung, den Hügel mittels eines von mir ausgewählten Steins weiter anwachsen zu lassen, bei meiner einheimischen Begleitung zumindest auf Unverständnis gestoßen wäre.

Arnauld de Turdupil / 24.11.2019

Im Gegensatz zu den Steinmännchen ist der Steinmeier ein echtes Problem. Besonders seine Neigung zu ekligem Sahne-Fischfilet müsste ein “Impeachment” nach sich ziehen. Wikipedia beschreibt das deutsche “Impeachment” als “Präsidentenanklage gegen den Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht „wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes“”. Frank-Walter leidet übrigens auch an einer chronischen “Trumpose”.

Detlef Rogge / 24.11.2019

So ein Steinmännchen könnte glatt als „Installation“ durchgehen. Nach allen Abscheulichkeiten der Postmoderne zurück zur Natur, wie schön.

Bernd Ackermann / 24.11.2019

Vor meinem geistigen Auge sehe ich gerade die Szene aus Monty Pythons “Das Leben des Brian”, in welcher Brian und seine Mutter Steine für die Steinigung kaufen (“Zwei spitze, einen großen flachen und ein Päckchen Kies”) - demnächst werden in der Nähe von Steinmännchenaufbauplätzen wohl auch solche Stein-Shops entstehen (da tut sich eine Marktlücke auf!), bei denen man die passenden Steinmännchenbausätze käuflich erwerben kann. Natürlich bio, CO2-neutral, linksdrehend, fair trade und vegan. Oder wie Bob Dylan schon zweideutig sang: “But I would not feel so all alone, everybody must get stoned!” Und mal wieder ein fettes “Danke” für das Grinsen am Sonntag, Herr Bechlenberg.

Karla Kuhn / 24.11.2019

“Eine Nachricht schreckte mich vor wenigen Tagen aus der gemütlichen Novemberlethargie auf. „Steinmännchen werden zur Plage.“ Steinmännchen? Wer um alles in der Welt sind die Steinmännchen? Wo kommen sie her, was macht sie zur Plage? Sind sie asylberechtigt? Haben wir denn noch nicht genug Männchen aufgenommen? Und handelt es sich nicht um einen Druckfehler? Muss es nicht „Steinmeier wird“ heißen? ”  Ich habe noch Bauchweh vom Lachen wegen dem “Sonntagsfahrer” und hier geht es gleich weiter,  “Sind sie asylberechtigt” ich krieg mich gar nicht mehr win, einfach herrlich !  “Und noch etwas wäre zu hoffen: Dass die ungezählten, von Windrädern zerdrückten und zerhackten Wälder, Insekten und Vögel ebenfalls eine Lobby hätten, die sich um ihren Erhalt kümmert. Das aber ist eine ganz andere Geschichte.”  Aber LEIDER ein ganz traurige, die unsere ZUKUNFT immens belasten wird !  DAGEGEN sollten die Hüpfer demonstrieren, auch daß diese Windräder jetzt wahrscheinlich näher an die Wohngebiete gebaut werden dürfen !!  WO BLEIBEN DA DIE “UMWELTSCHÜTZER??”  Hier bei uns gibt es vorwiegend nur noch Tauben, Tauben sind “fliegende Ratten” aber gegen die immer größer werdende Plage wird nichts unternommen. Ach ja, paar Krähen sind noch da und ein Eichhörnchen, dabei gibt es hier viele Bäume (NOCH !!) Allerdings (noch) kein Windrad !  Vielleicht muß die Annalena erst noch paar Stromleitungen zur Speicherung legen lassen ? 

Michael Mathar / 24.11.2019

werter Herr Bechlenberg, Katzen hinterlassen normalerweise im Garten keine Kothaufen um nicht auf sich als Raubtier aufmerksam zu machen. Sie verscharren ihren “Haufen” und sind für ihre “Feinde” lieber unsichtbar. Damit fällt die Katze als Synonym wohl aus. Das beschriebene Verhalten trifft eher auf Hunde zu. Somit wohl eher klassisches “Möter-Verhalten” für den spirituellen Ökosmombie.

Thomas Taterka / 24.11.2019

Steinmännchen sind in Berlin recht zahlreich, besonders in bestimmten Bezirken. Sie sehen etwas anders aus ( aufgebrochenes Strassenpflaster ) und man wird den Verdacht nicht los, daß sie mehr als nur symbolischen Charakter besitzen. Aber vielleicht irre ich mich hier ebenso wie mit der Annahme, daß : ” Wir schaffen das! “ in meinen Ohren immer klang wie ein Erkennungscode und nicht wie die Losung eines Motivationstrainers. Aber das ist natürlich nur rein hypothetisch gesprochen.

Jochen Becker / 24.11.2019

Dieses Steinmännchen Beispiel zeigt sehr deutlich die destruktive Seite der Spiritualität. Im Gegensatz zur kreativen Seite des künstlerischen Schaffens halte ich diese Art der Spiritualität für eine emotionale – pseudo-vergeistigte Form des Narzissmus, der die materielle Umwelt zum Zweck der Selbstbespiegelung verbraucht. Die Trivialität der Steinmännchen oder Liebesschlösser zeigt deutlich, dass der Mensch sehr wohl auf diese „spirituellen Bedürfnisse“ verzichten kann, wenn er denn über einen klaren Verstand verfügt. Schließlich baut nicht jeder Steinmännchen.

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