Der Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht über die Parteienfinanzierung wirft die Frage auf, ob weiterhin eine Politikerklasse gezüchtet werden soll, die einzig von Parteipolitik lebt?
Wir erinnern uns gut: Nach der für die SPD heftigen Wahlniederlage 2017 mit dem peinlichen Kandidaten Martin Schulz hatte die nachfolgende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles nicht nur die Wunden ihrer Partei zu lecken, sondern auch ihre finanziellen Löcher zu stopfen. Dafür wusste sie ihren guten Draht zur Kanzlerin schnell zu nutzen. Sie schlug ungeniert öffentlich vor, die Ressourcen ihrer Partei durch einen Zuschlag bei der staatlichen Parteienfinanzierung in Höhe von 25 Millionen Euro aufzufrischen. Bezeichnenderweise wurde nach Abschluss des Koalitionsabkommens mit der Union dieser Vorschlag mit den Stimmen der Union umgesetzt. In puncto „Mehr Geld aus der Staatskasse!“ waren sich CDU/CSU und SPD stets einig.
Die damaligen Oppositionsparteien, AfD, Grüne und FDP, klagten hiergegen, und das Bundesverfassungsgericht wird sich mit den Maßstäben seiner eigenen Rechtsprechung auseinanderzusetzen haben. Hiernach steht den Parteien zwar eine staatliche Finanzierung aufgrund des Parteienprivilegs gem. Art. 21 Grundgesetz zu. Indessen darf diese Finanzierung im Verhältnis zu den Mitgliederbeiträgen und Spenden eine nur subsidiäre Rolle spielen. Doch was sind 25 Millionen Euro angesichts der Milliarden, mit denen Olaf Scholz die Corona-Krise zu „wuppen“ meinte?
Der Hinweis ist insofern berechtigt, als die eigentliche Finanzierung der Parteimegastrukturen nicht über direkte Staatszuwendungen, sondern über die Partei-Stiftungen (Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung) erfolgt. Hier langen die Parteien richtig zu und holen in einem bislang vollständig intransparenten Verfahren beim Steuerzahler 500 Millionen Euro ab, um – wie es heißt – „die politische Arbeit“ zu finanzieren.
Die Parteistiftungen haben weltweit Niederlassungen. Von New York bis Hanoi finden sich Vertretungen von Konrad-Adenauer-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie organiseren die Nachwuchsrekrutierung, schütten Stipendien für Parteisympathisanten aus und sorgen vor allem dafür, dass gescheiterte Politiker nach der Abwahl recycelt werden. Es ist erstaunlich, wie schnell die Grünen, aber auch DIE LINKE es lernten, das Auf und Ab des politischen Wettbewerbs dadurch auszugleichen, dass man sich im Parlament gemeinsam mit allen anderen Parteien für die großzügige Finanzierung von Parteistiftungen einsetzt. So schwimmen die Parteien im Geld, solange sie im Parlament sitzen.
Willkommenes Becken für Nichtschwimmer
Durch die Forderung der AfD, für ihre Stiftung den nicht unerheblichen Betrag von 50 Millionen Euro entsprechend Parteiengewohnheitsrecht zu erlangen, wird die Öffentlichkeit unübersehbar auf diese Selbstbedienungspraxis im Parteienstaat aufmerksam. Es geht bei diesen Zuweisungen, die aus Parteien Staatsparteien machen, nicht allein um die Frage, ob Steuerzahlergeld für die Förderung des Machtstrebens von Parteiverbänden eingesetzt werden soll. Vielmehr ist prinzipiell zu klären, ob unter Berufung auf das Parteienprivileg weiterhin eine Politikerklasse gezüchtet und genährt werden soll, deren berufliche Perspektive allein darin besteht, von Parteipolitik zu leben – solange es der Partei gefällt. Denn dieser warme Wellness-Pool ist ein willkommenes Becken für Nichtschwimmer oder solche, die beim Leistungsschwimmen nicht zugelassen waren beziehungsweise sonstwie scheiterten.
Welche Nullen sich in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik tummeln, wurde durch das Scheitern in Afghanistan überdeutlich. Jahrelang übten sich Parteipolitiker in der deklaratorischen Verklärung des militärischen Einsatzes, ohne von den Verhältnissen vor Ort die geringste Ahnung zu haben. Erst durch den Fall von Kabul wurde auch dem letzten deutschen Michel klar, dass jedenfalls eine Diskrepanz zwischen der personellen Qualität des deutschen Politikpersonals und seiner generösen finanziellen Förderung durch den Steuerzahler besteht.
Die Verfassungshüter in Karlsruhe stehen also vor einer schwierigen Aufgabe. Dabei geht es nicht nur um fiskalische Überlegungen, sondern letztlich um die Frage, ob mit Hilfe des Selbstbedienungssystems Parteifinanzierung die Parteien den Staat weiter kolonisieren dürfen und damit – entgegen dem Prinzip der Demokratie – durch Wahlen nicht mehr in ihrer Macht beschnitten werden können.
Angesichts der in der jüngsten Vergangenheit öffentlich gewordenen und zunehmend problematisierten „Abendessen“ zwischen Repräsentanten des Bundesverfassungsgerichts und der Bundesregierung dürfte der Zweite Senat des höchsten deutsche Gerichts Wert darauf legen, seine Unabhängigkeit gegenüber den Machtansprüchen der Parteien zu unterstreichen. Leicht wird es ihm nicht fallen. Denn keiner der acht Richter des Zweiten Senats wäre in die Richterstelle gewählt worden, ohne dass nicht zuvor ein Parteiengremien über die Bestellung vorab entschieden hätte.
Markus C. Kerber, geb. 1956, ist Jurist und Professor für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, E.N.A. 1985 (Diderot), Gastprofessor an der Warsaw School of Economics und der Université Panthéon-Assas. Siehe auch europolis-online.org.