„Druck auf Seehofer wächst“, titelt tagesschau.de. Auf der Startseite der Süddeutschen wird zeitgleich Seehofers Rücktritt gefordert. Auch aus den Reihen der Union kommt harsche Kritik. „Die CSU muss insgesamt über ihre Führung nachdenken“. Der Politikstil, den die CSU pflege, „passt nicht mehr in die Zeit“, ließ beispielsweise der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident und Merkel-Vertraute Daniel Günther gegenüber dem Handelsblatt verlauten. Ebenfalls personelle Konsequenzen fordern Norbert Röttgen und Ex-CSU-Chef Erwin Huber. Auch der Regierungspartner aus Berlin, darunter Bundestags-Vize Thomas Oppermann, fordert den Rücktritt Seehofers. Dabei sollte man meinen, die SPD sei mit der Aufarbeitung ihres eigenen Wahldesasters hinreichend beschäftigt. Die Ernennung Horst Seehofers zum Staatsfeind Nr. 1 zeigt indes deutlich, dass die etablierten Parteien nicht in der Lage sind, die eigentliche Ursache für ihr Scheitern zu erkennen.
„Das werden wir in den nächsten Tagen und Wochen analysieren müssen.“, lautete der wohl häufigste Satz führender Spitzenpolitiker am vergangenen Wahlsonntag. Während der kritische Beobachter vor dem Hintergrund der vergangenen drei Jahre bei einer solchen Aussage Mühe hatte, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, konnte sich der wohlwollende Beobachter zumindest kurzzeitig darüber freuen, dass man nun doch ab jetzt an einer ernsthaften Ursachenforschung interessiert zu sein scheint und sich einmal fragt, welches einschneidende Ereignis der letzten drei Jahre für diesen, sich komischerweise ebenfalls seit drei Jahren vollziehenden Absturz der Volksparteien verantwortlich sein könnte. Dass sich diese zarte Hoffnung auf ernsthafte Aufarbeitung bereits nach zwei Tagen durch hysterische Rücktrittsforderungen und andere Nonsens-Aussagen über die Gründe der Schlappe zerschlägt, war jedoch zu erwarten.
Ja, wenn die Schlüsse von Politik und eines Großteils der deutschen Presse zur Bayern-Wahl eines noch einmal bestätigt haben, dann, dass wir in Zeiten der völligen geistigen Umnachtung leben. Diese vollkommene Unfähigkeit von führenden Politikern und „Experten“, die tatsächlichen Ursachen für die Erosion der politischen Mitte in Form des Absturzes der einst großen Volksparteien auszumachen, ist dabei unmittelbares Ergebnis der eigenen Unfähigkeit, überhaupt noch eine adäquate Definition für die politische Mitte parat zu haben. Eine Politik- und Medienlandschaft, die mehrheitlich der Meinung ist, dass in Berlin die „politische Mitte“ für eine offene, bunte Gesellschaft demonstriert hat, zeigt die geradezu tektonische Verschiebung dessen, was in der öffentlichen Diskussion als Mitte wahrgenommen wird und unter Merkels sozialdemokratischer Führung erst so richtig an Fahrt aufgenommen hat. Es ist diese linke Deutungshoheit in Medien und Politik, die eine wirkliche Problemerkennung und -lösung unmöglich macht, weil bei den Akteuren überhaupt kein Problembewusstsein und Interesse an einer Änderung dieses Kurses besteht.
Der Last Man Standing bei den Etablierten
Welch groteske Folgen diese ideologische Verblendung hat, lässt sich daran erkennen, dass einige Akteure, darunter der bereits zitierte Daniel Günther, allen Ernstes behaupten, dass das Problem der CSU darin bestünde, zu wenig links zu sein. Nichts anderes ist nämlich mit Aussagen, die auf eine angeblich fehlende Modernität der Partei abzielen, gemeint. Konservativ ist nicht modern. Für eine stabile Wirtschaftslage, Vollbeschäftigung und das beste Bildungssystem zu sorgen, ist nicht modern. Und der derzeitigen Asyl- und Islampolitik kritisch gegenüberzustehen schon gar nicht. Nein, modern ist heute, wer den Sozialismus, einst Relikt einer düsteren Vergangenheit der Menschheitsgeschichte, das weltweit über 100 Millionen Opfer forderte, für eine innovative Idee hält. Modern ist, wer mit Islamisten der Muslimbruderschaft, Antisemiten und Frauenfeinden für eine „bunte und offene“ Gesellschaft demonstriert. Wer für eine bedingungslose Aufnahme von Millionen von Menschen ist, deren Weltbild alles ist, nur nicht modern. Modern ist ebenso, wer, wie in Baden-Württemberg, binnen weniger Jahre ein funktionierendes Bildungssystem zerstört. Modern ist auch, wer mit Verbotspolitik sozialistischer Gleichmacherei das Schöne und Ästhetische aus dem öffentlichen Raum verbannen will. Wer der sexuellen Befreiung früherer progressiver Strömungen im Land eine neue verklemmte Spießigkeit gegenüberstellt.
Wer so denkt und die eigene Bigotterie dabei nicht einmal in Ansätzen erkennt, der glaubt auch, dass Seehofer mit seiner kritischen Haltung in der Asylpolitik schuld am Absturz der CSU ist und nicht etwa einer der Hauptgründe, weshalb konservative Wähler überhaupt noch Schwarz wählen und nicht direkt zur AfD übersiedeln.
„Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ und der Autor dieses Satzes der Last Man Standing bei den Etablierten, wenn es um den Erhalt konservativer Positionen abseits der AfD geht. Dass man ihn so unbedingt loswerden will, zeigt, wie mit Dissens in dieser Gesellschaft mittlerweile umgegangen wird. Derjenige, der von der gängigen Meinung abweicht, ist ein Querulant. Ein Störenfried. Dementsprechend ist er der Schuldige, wenn es nicht mehr läuft. Folgerichtig kommt auch die Kanzlerin zu dem Schluss, dass nicht etwa ihre linke Flüchtlingspolitik ursächlich für die zunehmende Polarisierung bei den Wahlen ist, sondern die Streitigkeiten der GroKo. Dissens unerwünscht. Auch das Ergebnis einer Medienlandschaft, deren mehrheitlich linke Journalisten an sich ein Problem mit Meinungspluralismus zu haben scheinen.
Klare Ansagen werden als polemisch gebrandmarkt
Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Nicht der vermeintliche Querulant ist das Problem und sorgt für Parteien- und Demokratieverdrossenheit, sondern der graue Einheitsbrei von Personen ohne Ecken und Kanten in der Politik, von denen keiner in der Lage ist, auch nur einmal einen Satz mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. Klare Ansagen werden als polemisch gebrandmarkt. Dabei ist nicht die Positionierung das Problem der ehemaligen Volksparteien, sondern die Nicht-Positionierung in elementaren gesellschaftlichen Fragen. Der Erfolg von Grünen und AfD als linkes und rechtes Gegenkonzept zum Wischi-Waschi von Union und SPD ist der sichtbarste Beweis hierfür. Ob sie diesen Ansprüchen auch in einer Regierung gerecht werden könnten, steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist, dass die Sehnsucht nach jemandem, der einmal auf den Tisch haut, nach 13 Jahren Merkel’schen Koma-Regierens in allen Teilen der Bevölkerung groß ist.
Wie man es dreht und wendet: Es sind immer nur 100 Prozent bei einer Wahl zu verteilen. Wenn die Grünen also 8,9 Prozent hinzugewinnen, dann müssen sie einem bzw. mehreren anderen weggenommen werden. Das trifft hier vor allem die SPD. Es zeigt sich: Das linke Spektrum ist nicht gewachsen, wie unsere grün-euphorische Medienlandschaft es in ihrem Freudentaumel seit zwei Tagen suggeriert, sondern hat sich größtenteils lediglich umverteilt. So kommen liberale und konservative Parteien, die allesamt – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – einen Kurswechsel in der Asylpolitik fordern, auf insgesamt 64,1 Prozent der Stimmen und konnten damit gegenüber 2013 sogar noch um 4,1 Prozentpunkte zulegen. Das verbleibende linke Spektrum aus Grünen, SPD und Linken kommt indes gerade einmal auf 30,4 Prozent. Daran, dass sich die Bürger – wie behauptet – nach einem stärkeren Linkskurs sehnen, kann es also nicht liegen. Wahrscheinlicher ist da, dass immer mehr Menschen der CSU das Konservative nicht mehr abnehmen und ihr Kreuzchen bei den Freien Wählern oder der AfD gemacht haben. Das ist aber auch das Einzige, was man Horst Seehofer anlasten kann, der sich zuletzt nur selten gegen Merkel durchsetzen konnte. Dass er bei dem massiven Gegenwind, der ihm entgegenschlägt, dennoch quasi jede Gelegenheit genutzt hat, um sie – wie in der Causa Maaßen – vorzuführen, wird dabei gerne vergessen.
Mit Spiritus löscht man keinen Brand
Richtig ist auch, dass die CSU, auf eine Partei bezogen, mit 170.000 Stimmen die meisten Wähler an die Grünen verloren hat. Zugleich hat sie jedoch nicht nur 100.000 ehemalige SPD-Wähler und 270.000 Nichtwähler hinzugewonnen, sondern mit insgesamt 360.000 auch die meisten Wähler an andere konservative oder liberale Kräfte verloren. Allein 320.000 davon, jeweils 160.000 an AfD und Freie Wähler. Das ist die Entwicklung, über die geredet werden muss und nicht darüber, ob die wohlstandverwahrloste Linksbourgeousie in den Städten, die man ebenso auch in Berlin Charlottenburg und Prenzlauer Berg antrifft, für das eigene moralische Gewissen Grün wählen als hip ansieht. Nicht wenige wählen die Grünen darüber hinaus, ebenso wie die Anhänger der AfD, auch aus taktischen Gründen. Weil man der Meinung ist, dass es ein Gegengewicht zum linken oder rechten Spektrum, je nach Wahrnehmung, bräuchte.
So oder so hat die Bundespolitik einen nie dagewesenen Einfluss auf die Landtagswahlen in Deutschland. Alle vier Jahre der Regierung in Berlin einen Denkzettel zu verpassen, reicht den meisten angesichts der Fakten, die durch diese katastrophale Einwanderungspolitik beinahe täglich geschaffen werden, nicht mehr. Und so werden die Denkzettel auch bei den Landtagswahlen verteilt. Klar ist in diesem Zusammenhang auch, dass die CSU vor 2015 und Angela Merkels „Öffnung“ der Grenzen vermutlich Kermit den Frosch hätte aufstellen können und trotzdem wieder eine absolute Mehrheit eingefahren hätte. Söder ist nichts weiter als ein armer Tropf. Wie alle CDU- und CSU-Politiker, die noch für das Konservative in der Union stehen und für die linke Politik der Kanzlerin von den eigenen Wählern abgestraft werden.
Wer das begriffen hat, der muss auch bei der nächsten Wahl nicht mehr „analysieren“, was schiefgelaufen ist und dann zu dem Schluss kommen, dass ein noch größeres Vakuum rechts der Mitte die Lösung aller Probleme sei. Der realisiert, dass man mit Spiritus keinen Brand löscht und die eigene Sehnsucht nach einem noch mehr Links am Ende nicht nur zu einer weiteren Auflösung der Mitte führen wird, sondern, damit einhergehend, auch zu einem Rechts, das sich keiner ernsthaft wünscht, der für das steht, was man früher einmal bürgerliche Mitte nannte.