Wolfgang Zoubek, Gastautor / 19.06.2021 / 06:00 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Sportreporter bei Olympia in Tokio? GPS weiß, wo du bist!

In Japan versuchte man 2020 noch moderat mit den Folgen des Coronavirus umzugehen. Komplette Lockdowns wurden vermieden, und Ausnahmezustände, die Geschäftssperren und andere Einschränkungen ermöglichten, wurden nur regional und befristet verhängt. Zugleich versuchte man ab April 2020, Einreisen aus dem Ausland zu unterbinden. Etwa ein halbes Jahr durften weder Touristen noch Ausländer, die über ein Visum verfügten, einreisen. Und für die einheimische Bevölkerung wurden Reisen mit rigiden Quarantänevorschriften und anderen Schikanen verknüpft, sodass kein offizielles Reiseverbot ausgesprochen werden musste, aber sich trotzdem kaum ein Japaner ins Ausland wagte.

Seit Anfang 2021 und spätestens seit der Entscheidung, die Olympischen Spiele trotz Corona ein Jahr später als geplant in Tokyo abzuhalten, schalteten Politik und Medien aber sukzessive in einen Panikmodus. Es begann damit, dass nach den Neujahrstagen 2021 die Infektionszahlen relativ stark anstiegen, und auch eine neuerliche Erhöhung im Mai wurde dazu benutzt, immer wieder neue Ausnahmezustände zu verhängen. Zuerst in den Ballungsräumen rund um Tokyo und Osaka, aber dann auch in anderen Gebieten, zum Beispiel auf der südlichen Insel Okinawa.

Nachrichten bringen immer die Zahlen der neu Infizierten, und die Coronaberichterstattung nimmt beim öffentlich-rechtlichen Sender NHK nicht selten die Hälfte der Sendezeit ein. Dabei spielten in letzter Zeit Bilder aus Indien und die Aufzählung der neuen Mutanten immer eine wichtige Rolle. Und es wird mit Zahlen jongliert, die möglichst bedrohlich klingen sollen. Wenn die Realzahlen dafür nicht hoch genug sind, nimmt man eben Prozentwerte. Auch auf den Trick mit den eingefärbten Landkarten greift man gerne zurück. Wenn in einer Präfektur mit einer Million Einwohnern statt fünf einmal fünfzig Leute infiziert sind, dann erscheint die Fläche schon statt in Gelb in knalligem Rot.

Politiker reagieren panisch auf ansteigende Inzidenzen

Umgekehrt wird zur Beruhigung mit ähnlichen Mitteln verfahren. In Japan begann man erst ab Ende Februar, gegen Covid-19 zu impfen, aber seit der Zeit sind täglich Fernsehbilder zu sehen, wie sich Leute impfen lassen und sich in Interviews glücklich darüber äußern, nun zu den unsterblichen Geimpften zu gehören. Obwohl erst drei Prozent der Bevölkerung geimpft wurden, geistert in Meldungen immer eine Zahl von fünfundzwanzig Prozent herum, doch damit sind nur die über 65-Jährigen gemeint. Bis zum November sollen dann „alle, die geimpft werden wollen“, geimpft sein, aber wenn das Tempo so beibehalten wird wie bisher, sind das am Ende vielleicht zehn Prozent.

Ein Hintergrund im veränderten Umgang mit Corona mag im Wechsel der politischen Spitze liegen. Der zurückgetretene Premierminister Abe wollte Anticoronamaßnahmen nur sehr dosiert einsetzen, um die Wirtschaft so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Als Folge davon sanken seine Umfragewerte, und die Werte der Hardliner, die sich für möglichst viele Verbote aussprachen, stiegen. Der neue Premierminister Suga scheint sich das zu Herzen genommen zu haben, denn er ruft auf Aufforderung von Provinzgouverneuren immer öfter und immer flächendeckender Ausnahmezustände aus.

Es scheint sich dabei ein Mechanismus eingespielt zu haben, dass Politiker auf ansteigende Infiziertenzahlen panisch reagieren, und die Panik dann gleich weitergegeben wird, weil man glaubt, dass sich verängstigte Menschen leichter manipulieren und daher auch leichter dazu bringen lassen, die neu verkündeten Verbote einzuhalten. Und die Presse spielt dabei mit. Wahrscheinlich hat man sich das von Europa abgeschaut, aber noch nicht mitbekommen, dass sich der Effekt von Mal zu Mal abnutzt.

Olympia ruft das Muckertum auf den Plan

Ein weiterer Grund für die Panikmache dürfte in der Entscheidung liegen, die um ein Jahr verschobenen Olympischen Spiele trotz aller Risiken diesen Sommer abzuhalten. Anfangs hielten sich die Proteste dagegen in Grenzen, aber dann kippte auf einmal die Stimmung, und die Entscheidungsträger bekamen kalte Füße. Sie begannen zu fürchten, von der Bevölkerung dafür verantwortlich gemacht zu werden, sollte sich die Coronalage dadurch verschlechtern, dass zehntausende Ausländer ins Land kommen. Man will daher schon im Vorfeld die Inzidenzrate so stark senken, dass jede neue Clusterbildung durch Nachverfolgung sofort unter Kontrolle gebracht werden kann.

Der Widerstand gegen Olympia wuchs, seit die Entscheidung über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen wurde. Größere öffentliche Proteste gab es zwar kaum, doch in den sozialen Medien wurde Unmut laut. Dabei kamen kaum rationale Argumente zur Sprache, sondern es machte sich ein Muckertum breit, dass allen andern verbieten will, was man sich selbst nicht zu tun getraut. Sportler, die sich auf die Spiele freuten, wurden geschmäht, und kaum kaschierte Xenophobie kam hoch, indem man Ausländern unterstellte, sie würden das Virus in Japan verbreiten. Aus dem Grund weigerten sich auch verschiedene Regionen, Sportler aus dem Ausland aufzunehmen, und viele bereits registrierte freiwillige Helfer sprangen aus Angst vor Ansteckung wieder ab.

Völlig unberücksichtigt blieb dabei, dass man in Japan schon seit letztem Herbst sportliche Events sehr gut in den Griff bekommen hat. Sportveranstaltungen in großen Stadien und auch Sumoturniere fanden seitdem wieder vor Zuschauern statt, und es wurden keine Fälle von Clusterbildungen bekannt. Dafür hat man im Mai einen prominenten Sumoringer mitten im Turnier von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen, weil bekannt wurde, dass er eine Gaststätte besucht und damit gegen die Compliance-Regeln verstoßen haben soll.

Sportreporter aus dem Ausland sollen per GPS-System überwacht werden

Wie sehr die Verantwortlichen von Panik getrieben sind, weil sie nicht schuld daran sein wollen, falls bei den Olympischen Spielen doch etwas passiert, zeigte sich diese Woche. Die Angst der politischen Funktionäre kulminierte in der Entscheidung, alle aus dem Ausland anreisenden Sportreporter – man rechnet mit 6.000 Personen – per GPS-System überwachen zu lassen. Man will sie damit fest an die Leine nehmen, denn sie müssen schon bei der Einreise alle Orte angeben, an denen sie sich aufhalten werden. Das heißt, ein unangemeldeter Restaurantbesuch kann dazu führen, dass die Akkreditierung entzogen wird und die Ausweisung erfolgt. Dass sich Journalisten privat ein Quartier suchen, will man ebenfalls verhindern. Es stehen nur 150 vorgemerkte Hotels – von ursprünglich 350 – zur Verfügung, wo sie einchecken dürfen.

Das erinnert an Zustände, wie sie zur Zeit des Eisernen Vorhangs im Ostblock herrschten, doch im Moskau der 1980er Jahre konnten sich Ausländer vielleicht sogar weniger beobachtet bewegen als im Tokyo des Jahres 2021, denn die Methoden zur Kontrolle wurden seitdem perfektionert. Die Sportler können sich dagegen noch relativ frei fühlen, von ihnen wird nur verlangt, dass sie sich an die Quarantänevorschriften halten und zu den Wettkämpfen täglich testen lassen.

Die GPS-Überwachung für Ausländer war schon lange angedacht worden. Als ich Anfang März 2021 von einem einmonatigen Aufenthalt in Europa nach Japan zurückkam, verlangte man damals schon von allen Einreisenden das Herunterladen einer App aufs Handy, die eine Nachverfolgung ermöglichen sollte. Da ich kein Smartphone habe, verfing das bei mir nicht, dafür wurde ich dann zu Hause am Festnetz täglich mit Anrufen genervt.

Aktionismus, der überängstliche Japaner beruhigen soll

Ich benutze bewusst kein Handy mehr, seit ich die Erfahrung gemacht habe, dass man damit in Japan ausspioniert wird. Unter der Bezeichnung Big Data werden schon seit Jahren ganz ungeniert Bewegungsprofile erstellt. Zum Beispiel wurde nach dem 11. März 2011 mit Hilfe von Big Data gezeigt, wie sich in Tokyo die Menschenmassen bewegten, denn der öffentliche Verkehr brach damals großteils zusammen. Und auch 2020/21 wurde damit demonstriert, wie sich die verhängten Ausnahmezustände auswirkten, ob mehr oder weniger Menschen auf den Straßen unterwegs waren. Bisher fand diese Nachverfolgung angeblich nur anonymisiert statt, nun will man sie ganz offiziell personalisieren.

Ich bin neugierig, wie die internationalen Journalisten darauf reagieren werden. Werden sie sich die Gängelei gefallen lassen oder sich darüber empören? In Deutschland beanspruchten Pressevertreter zur Zeit der Lockdowns Ausnahmegenehmigungen für sich, weil sie angeblich zu einer systemrelevanten Berufsgruppe gehören.

Ich habe aber den Verdacht, dass auch in Japan nichts so heiß gegessen wird wie gekocht. Es soll damit wohl den überängstlichen Japanern nur Sand in die Augen gestreut werden, indem man vor ihnen so tut, als ob man gegenüber Ausländern, die sich nicht an die Regeln halten, kompromisslos vorgehen wird.

Es blieben genug Möglichkeiten, um der ständigen Überwachung zu entgehen. Man muss ja sein Handy nicht überall dabei haben. Was ist, wenn ein Journalist, der am Abend noch in eine Bar gehen will, seines im Hotelzimmer vergisst? Wird ihm dann der Nachtportier eine Sondereinheit auf den Hals hetzen? Oder wird man nicht so genau hinschauen, um keine schlechte Presse zu riskieren? Sollte sich am Ende doch so ein durch einen Ausländer ausgelöstes Cluster feststellen lassen, könnten die japanischen Behörden immer noch den starken Mann markieren.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Thorsten Lehr / 19.06.2021

Es scheint, dass die Achse Berlin-Tokio noch funktioniert. Und das nach so vielen Jahren…….

Ferdinant Katz / 19.06.2021

Ich hätte gerade die Japaner für Vernünftiger gehalten, doch das Angstvirus scheint bevorzugt das Gehirn und die Augen zu befallen. Es beruhigt mich aber auf eine zynische Weise…nicht nur die Deutschen sind also so strunzdumm weil jemand im Umkreis von Hundert Kilometern “Hatschi” gesagt hat das Ende der Welt zu prophezeien mit der Selbstkasteiung wohlgemerkt.

Andreas Mertens / 19.06.2021

Olympia = Doping-Weltmeisterschaft & Gelddruckmaschine eines gewissenlosesn Clans, auf Kosten anschließend ausgeplünderter Staaten. Abschaffen (so wie den Rest des sogenannten Spitzensports) ! Das Geld lieber in Schul- & Breitensport investieren.

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