Niemand hat die Absicht, die Gesellschaft zu spalten, oder? Berlins Gesundheitssenatorin empfiehlt, private Kontakte zu Menschen zu meiden, die sich gegen eine Corona-Impfung entschieden haben.
Dilek Kalayci (SPD) ist Berliner Gesundheitssenatorin und als solche natürlich mit dem Corona-Ausnahmezustand befasst. Wie die meisten anderen Verantwortlichen der Corona-Politik, hat sie für das Scheitern selbiger einen Sündenbock: den Ungeimpften. Ohne diese Spezies könnte in einem durchgeimpften Deutschland Corona längst besiegt sein, erklären die Politiker der Noch- und der Bald-Regierung in verschiedenen Varianten. Und alle beteiligen sich an neuen Ideen, wie man die Ungeimpften ausgrenzen und ihnen das Leben möglichst ungemütlich gestalten kann, damit sie sich doch noch impfen lassen. Erst mussten sie sich überall testen lassen, wo Geimpfte ungerüstet Einlass fanden, dann die Tests selbst bezahlen, jetzt werden die Tests wieder kostenlos, dafür dürfen die Ungeimpften auch damit nirgends mehr hinein. Nur Supermärkte, einige Geschäfte, Arztpraxen und Kirchen sind ihnen noch nicht verschlossen.
Genossin Kalayci ist das noch zu wenig. Sie empfiehlt, auch jeden privaten Kontakt zu Ungeimpften zu meiden. Eine interessante Idee, die sich vielleicht irgendwie später einmal auch in eine Corona-Verordnung gießen ließe. Klingt zu dystopisch? Richtig! Nur hätte man das vor zwei Jahren beim Lesen einer heutigen Corona-Verordnung auch gesagt.
Aber lesen wir die grandiose Idee im Originalton auf Twitter, denn man soll ja einen einzigen Satz nicht aus dem Zusammenhang reißen. Wörtlich twitterte die Senatorin (oder ihr Social-Media-Team):
„Inzidenz mit hoher Dynamik (+33 % 7T) ist auch Frühindikator für Intensivpatienten. 2G umfassend ist erforderlich. Ob es reicht, hängt davon ab: Alle (ab 12J !!) Nicht-Geimpfte: Impfung jetzt! Nach 6 Monaten: Booster-Impfung! Empfehlung privat: Kontakt nur mit Geimpfte!“
„Kontakt nur mit Geimpfte!“, was für ein Satz, bei dem man sich nicht über ein fehlendes „n“ mokieren sollte. Wahrscheinlich würde die Senatorin normalerweise sagen, dass sie die Gesellschaft nicht spalten wolle. Es muss nur aus Gründen des Gesundheitsschutzes sein. Bevor Sie also zu einem anderen Menschen privaten Kontakt aufnehmen, sollten sie ihn, nach der Empfehlung von Genossin Kalayci, zu allererst fragen, ob und wie aktuell er denn geimpft sei. Auch Kindern müsste man einschärfen: Spiel nicht mit den Ungeimpften!
Was kommt als nächstes? Ist intime Nähe zwischen Geimpften und Ungeimpften überhaupt noch denkbar? Dürfen Geimpfte und Ungeimpfte heiraten? Und wie steht’s mit unvermeidlichen zwischenmenschlichen Begegnungen? Sollte es nicht im öffentlichen Verkehr extra Plätze oder Wagen für Geimpfte und Ungeimpfte geben? Sollten Geimpfte und Ungeimpfte überhaupt Tür an Tür wohnen dürfen? Ausgrenzungsideen gibt es viele, denn Ausgrenzung und Diskriminierung wurden in menschlichen Gemeinwesen schon hinreichend praktiziert. Fällt denn nicht wenigstens einem Genossen der Senatorin auf, wo das endet, wenn man den Weg der Kalayci-Empfehlung konsequent zu Ende denkt?
Wie groß muss eine Katastrophe, wie mächtig eine Seuche sein, dass man auf solche Gedanken kommt? Ist es wirklich die gigantische Zahl von 0,2792 Prozent? Ein solch großer Teil der Berliner Bevölkerung ist in den letzten sieben Tagen positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Aber Zahlen in ein Verhältnis zu setzen, ist der Genossin Senatorin vielleicht nicht ganz so wichtig. Vielleicht ist Frau Kalayci aber auch nur beim Twittern der Finger ausgerutscht.