Ansgar Neuhof / 19.05.2020 / 15:00 / 20 / Seite ausdrucken

Spekulationen vom Statistischen Bundesamt

Wieder eine neue Sonderauswertung zu den Sterbefallzahlen, wieder dieselbe unbelegte Mutmaßung. Das Statistische Bundesamt konstruiert auch in der aktuellen Pressemitteilung zur neuesten Sonderauswertung vom 08.05.2020 für den Zeitraum 01. Januar 2016 bis 19. April 2020 einen angeblich naheliegenden Zusammenhang zwischen leicht erhöhten Sterbefallzahlen seit Ende März 2020 und Corona. Es bleibt damit seiner unseriösen, manipulativen Linie treu. Denn ein solcher Zusammenhang liegt nicht zwingendnahe.

Wie schon an dieser Stelle dargelegt, lässt sich die leichte Übersterblichkeit auch ohne Corona mit den unterdurchschnittlichen Sterbefallzahlen bis Ende März 2020 und demographischen Erwägungen erklären. Diesen naheliegenden Erklärungsansatz verschweigt das Bundesamt – genauso wie den sehr bedeutsamen Fakt, dass die leichte Übersterblichkeit nur die Altersgruppe ab 80 Jahre betrifft. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Hier zunächst die vom Statistischen Bundesamt verlautbarten Fallzahlen gemäß Sonderauswertung vom 15.05.2020 zu den Sterbefällen vom 01. Januar 2016 bis 19. April 2020:

Rumpf-Jahr 01.01.-12.04.:

2016: 290.641   (Altersgruppe ab 80 J.: 157.273)

2017: 315.576   (Altersgruppe ab 80 J.: 180.498)

2018: 330.152   (Altersgruppe ab 80 J.: 189.109)

2019: 301.558   (Altersgruppe ab 80 J.: 172.709)

2020: 304.354   (Altersgruppe ab 80 J.: 178.073)

nur Zeitraum 30.03.-19.04. 

2016: 53.987  (Altersgruppe ab 80 J.: 29.031)

2017: 51.050  (Altersgruppe ab 80 J.: 27.884)

2018: 58.095  (Altersgruppe ab 80 J.: 32.843)

2019: 54.579  (Altersgruppe ab 80 J.: 30.986)

2020: 59.024  (Altersgruppe ab 80 J.: 34.991) 

Keine Übersterblichkeit bisher im Jahr 2020

Demnach ist im Zeitraum 01.01. bis 19.04.2020 keine erhöhte Sterblichkeit zu erkennen – weder bei der Gesamtbevölkerung noch bei den über 80jährigen. Erst recht nicht, wenn man berücksichtigt, dass das Jahr 2020 einen Tag mehr hatte als die Jahre 2017-2019.

In dem 3-Wochen-Zeitraum vom 30.03. bis 19.04.2020 ist zwar eine über dem Durchschnitt liegende Sterblichkeit zu verzeichnen. Sie betrifft aber nur die Altersgruppe ab 80 Jahre. Die Altersgruppen bis 80 Jahre sind nicht betroffen, nicht einmal die Altersgruppe 75-80 Jahre. 

Wenn Menschen aus der Altersgruppe ab 80 Jahre sterben, dann naturgemäß häufig an Krankheiten.  Auch an COVID-19 selbstverständlich. Aber eine – besorgniserregende –Übersterblichkeit ergibt sich daraus nicht. Ohnehin gibt es einige andere Gründe, die die erhöhten Sterbefallzahlen bei über 80jährigen seit Ende März 2020 erklären können.

Erklärungen für leichte Übersterblichkeit bei der Altersgruppe 80plus

Einer der Gründe ist der Nachholeffekt. Vom 01.01. bis 29.03.2020 starben nämlich bei den über 80jährigen erheblich weniger Personen (143.082) als im Durchschnitt desselben Zeitraums der Jahre 2017 bis 2019 (150.201), obgleich das Jahr 2020 sogar einen Tag mehr hat. Das gleicht sich jetzt augenscheinlich an.

Ein anderer Grund ist die starke Zunahme der Anzahl der Personen in der Altersgruppe über 80 Jahre. Mehr sehr alte Menschen bedeuten zwangsläufig mehr Tote in dieser Altersgruppe. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Laut dieser Auswertung des Statistischen Bundesamts ist die Zahl der über 80-jährigen wie folgt gestiegen:

31.12.2012:  4.348.282

31.12.2015:  4.766.190

31.12.2018:  5.396.249

31.12.2019:  noch nicht veröffentlicht

Da sich die Lebenserwartung kaum noch erhöht, wäre eine signifikante Zunahme der Sterbefälle bei den über 80jährigen gegenüber dem Durchschnittswert der Vorjahre nicht einmal ungewöhnlich, sondern im Gegenteil statistisch sogar erwartbar, und rechtfertigt daher weder gegenwärtig noch zukünftig blinden Aktionismus.

Sogar die Corona-Gegenmaßnahmen selbst könnten eventuell ein Grund für eine Übersterblichkeit sein. Wie dem Corona-Papier eines Referenten des Bundesinnenministeriums aus dem Referat Kritische Infrastrukturen zu entnehmen ist, gibt es Schätzungen über mehrere tausend mögliche zusätzliche Sterbefälle (insbesondere unter Pflegebedürftigen), weil zur Freihaltung von Kapazitäten für COVID-19-Fälle zahlreiche Operationen und Behandlungen verschoben wurden oder unterblieben sind.

Fazit

1. Es ist unseriös und spekulativ, einen Zusammenhang zwischen leicht erhöhten Sterbefallzahlen seit Ende März 2020 und COVID-19 herzustellen, wie es das Statistische Bundesamt tut. Das gibt die Statistik schlicht nicht her.

2. Es versteht sich von selbst, dass auch umgekehrt aus der Sterbefallzahlen-Statistik nicht ableitbar ist, dass Corona ungefährlich sei. Allerdings lässt sich das Regierungs-Narrativ von einem Killervirus, das ohne Rücksicht auf Verluste zu bekämpfen ist, nicht aufrechterhalten.

Auch wenn naturgemäß nicht feststellbar, wie sich die Sterbefallzahlen ohne die Corona-bedingten notstandsähnlichen Maßnahmen entwickelt hätten: Eine außerordentlich hohe Gefährlichkeit des Virus müsste sich trotz aller getroffenen Maßnahmen auch statistisch irgendwie bemerkbar machen (auch bei den Jüngeren). Denn die getroffenen Maßnahmen reduzieren weder die sozialen Kontakte vollständig noch werden sie von allen Bürgern beachtet.

Insofern lassen sich mit den Sterbefallzahlen per 19.04.2020 keine (weiteren) Grundrechtseinschränkungen wegen Corona begründen. Zumal die Beweislast für die Aufrechterhaltung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei denen liegt, die sie getroffen haben.  

3. Die bei isolierter Betrachtung seit Ende März 2020 bestehende leicht überdurchschnittliche Sterblichkeit betrifft nur die Altersgruppe ab 80 Jahre. Hierauf nicht deutlich hinzuweisen, ist ein schweres Versäumnis des Statistischen Bundesamts. Denn daran haben sich die Überlegungen zu orientieren, welche Altersgruppen besonders zu schützen sind und welche Maßnahmen dazu sinnvoll und erforderlich sind.

4. Auch die neuen Zahlen wurden erst mit fast vier Wochen Verzögerung veröffentlicht. Während Unternehmer in vielen Branchen neue Mitarbeiter sofort am Tag der Arbeitsaufnahme melden müssen, lassen sich die Behörden bei Sterbefällen offenkundig ganz viel Zeit. Es ist als multiples Organisationsversagen der Bundesregierungen (mit ihren Bundesinnenministern als obersten Dienstherren des Statistischen Bundesamtes) sowie der Landesregierungen zu bewerten, trotz regelmäßiger Warnungen vor möglichen Pandemien kein solches Meldewesen für Sterbefälle installiert zu haben, das den politischen Entscheidungsträgern eine zeitnahe Datengrundlage bietet.

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Volker Voegele / 19.05.2020

„Spekulationen von DESTATIS” ist noch recht freundlich formuliert. DESTATIS zeigt in der zitierten ‘Sonderauswertung’ nämlich spezifisch einen Kurvenvergleich der Sterbefallraten von 2020 (rote Kurve) und einer Durchschnitts-Sterbefallraten-Kurve von 2016 bis 2019 (schwarz-gepunktet). Und dieser Vergleich ist in der Tat „konstruiert“ und entspricht keiner statistischen Sorgfalt. Erstens sind die Sterbefallraten im gesamten Frühjahr 2020 eher unterdurchschnittlich tief, jedenfalls nicht erhöht. Zweitens müssten für einen statistisch relevanten Vergleich viele Jahre, also z. B. diejenigen von 2000 bis 2020 herangezogen werden. Drittens müsste ein Vergleich auf eine gleiche Bevölkerungsanzahl normiert werden. Viertens sollte man eine wahrscheinliche Bandbreite der zu erwartenden Sterbefallraten ermitteln und die Sterbefallkurven diesbezüglich mit einem schraffierten Bereich umgeben (z. B. + / - 8 %). (Es gebe noch weitere Gründe für meine Behauptung, die aber an dieser Stelle zweitrangig sind). Die Arbeit von DESTATIS offenbart darüber hinaus ein gewaltiges, grundsätzliches Handicap, was mindestens eine systematische Fahrlässigkeit darstellt. Aufgrund diverser Regularien werden die Daten mit mindestens vierwöchiger Zeitdifferenz zum jeweils aktuellen Datum ausgewertet. In einer vorgeblich außerordentlich Krise ist dieser Zeitversatz nicht akzeptabel. Schauen Sie sich schließlich noch die graue Sterbefallraten-Kurve von 2017 an, die im März 2017 enorm erhöht ist. Spätestens dann merken Sie, dass 2020 die Regierungen von Bund & Bundesländern extrem unangemessen agieren.

Rainer Nicolaisen / 19.05.2020

Vielleicht sollte das “stat. Bundesamt” (destatis.de) endlich einen Statistiker einstellen, statt Erbsenzählerei durch Hilfskräfte betreiben zu lassen, die mit der Agenda versehen sind, auf-Teufel-komm-raus Interpretationen im Sinne der Regierung zu ermöglichen und herauszugeben,  natürlich auch noch mit einer Verspätung, die die ganze Lächerlichkeit dieses verlängerten Armes der Regierung offensichtlich werden läßt ( entsprechendes läßt sich genauso übers RKI sagen). Wie armselig!

Jürgen Probst / 19.05.2020

Herr Neuhof, schon mal was vom Vorsorge-Paradoxon gehört?

W. Hoffmann / 19.05.2020

Das nützt doch nix. Es geht überhaupt nicht um Corona, um Sterben oder Leben oder gar um die Gesundheit der Bevölkerung. Es geht nur um völlig verkrampftes Festhalten an unsinnigen Behauptungen und Maßnahmen um die eigene Agenda nicht zu gefährden und um eventuelle Fehler nicht zuzugeben. Das gilt sowohl für die unfähige Politik als auch für die hündisch ergebenen Medien drumherum.

Bernhard Freiling / 19.05.2020

Noch so ein Renitenzler. Wie können Sie es wagen Statistiken, erstellt von unseren Besten, anzuzweifeln? Sind Sie etwa auch diplomierter oder promovierter Statist? Hm, nein - diese Koryphäen sind ja alle für höhere Staatsaufgaben eingespannt. Als Hobby-Statistiker laufen Sie natürlich Gefahr, umgehend in die verschwörungstheoretische, Ecke gestellt zu werden - Sie wissen schon: da sind die Flat-Earther und die Chemtrailer, die rechtsradikalen und die Impfgegner, natürlich jetzt auch Sie, als geouteter Bezweifler der verkündeten, reinen Wahrheit - versammelt. Willkommen im Club.

G. Schilling / 19.05.2020

Umbenennung des Vereins in “satirisches Bundesamt” und Merkel-Fakenews den ganzen Tag im TV und Radio. Das ist Deutschlands goldene Zukunft.

Wolfgang Kaufmann / 19.05.2020

Mit flinken und zuverlässigen Statistikern könnte man auch ein Lager betreiben. Also rüsten wir intellektuell ab und besetzen staatliche Stellen nur noch mit Stümpern. – Das ist jetzt ein bisschen böse, aber die deutschen Zahlen sind im internationalen Vergleich nicht nur besonders langsam (dreieinhalb Wochen Verzug), sondern auch besonders sprunghaft; die Unterschiede zwischen Werktag und Wochenende sind kaum irgendwo so riesig.

Rudhart M.H. / 19.05.2020

nein, die vier Wochen werden gebraucht, damit die Erklärung hingebogen werden kann

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