Peter Grimm / 09.03.2017 / 18:00 / Foto: Hartmut Reiche / 0 / Seite ausdrucken

SPD-Wahlkampf mit dem „Asylantenthema“

Wie wäre es mit einer kleinen Zeitreise? Wir sind im Jahre 1986: Ausgerechnet an den streng bewachten Kontrollpunkten in der Berliner Mauer fanden Menschen, die nicht aus dem kommunistischen Machtbereich kamen und als Asylbewerber nach West-Berlin und in die Bundesrepublik wollten, eine offene Grenze. Sie mussten seinerzeit einfach einen Flug zum DDR- Flughafen Berlin-Schönefeld buchen, sich dort ein Transit-Visum und eine Bus- oder S-Bahn-Fahrkarte kaufen und nach West-Berlin fahren. Der Osten winkte durch, solange die Migranten einen Pass besaßen, und der Westen kontrollierte die Reisenden an der Berliner Sektorengrenze nicht, denn an der Mauer verlief ja nach westdeutschem Rechtsverständnis keine Staatsgrenze.

Und als der Strom der Asylbewerber „bedrohlich“ anschwoll, sorgte dies für deutsch-deutsche Verstimmungen, denn die Bonner Regierung fühlte sich von den Herrschern in Ost-Berlin mittels der durchgewinkten Migranten unter Druck gesetzt. Ohne ein Visum für West-Berlin und die Bundesrepublik, sollten die DDR-Behörden doch bitte niemanden mehr ziehen lassen. Der Spiegel schrieb im Juli 1986:

„Von den 73832 Asylbewerbern des vergangenen Jahres nahmen 60,8 Prozent diesen Weg. Etwa die Hälfte davon stellte den Antrag in West-Berlin direkt. Im ersten Halbjahr 1986 nutzten 53,9 Prozent der 42268 Immigranten die Schleuse über Schönefeld. Das liegt alles noch weit unter den fast 108000 Asylbewerbern von 1980, dem bisherigen Rekordjahr der Einwanderungswelle.

In den letzten Wochen aber ist der Zustrom so stark angeschwollen, daß die Behörden in West-Berlin und der Grenzstadt Helmstedt nicht mehr wußten, wohin mit den Asylbewerbern: Turnhallen wurden mit doppelstöckigen Betten bestückt, Zeltstädte aufgeschlagen.

Einträchtig beschuldigten Unionschristen, Freidemokraten und Sozis die DDR, sie habe den Notstand im Westen verursacht. Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble sieht die deutsch-deutschen Beziehungen ‚in Gefahr‘, FDP-Fraktionsvize Uwe Ronneburger klagte Ost-Berlin versuche, die Lage der Bundesrepublik ‚zu destabilisieren‘“.

Rot-rote Zusammenarbeit sah damals anders aus

Die Bundesregierung hatte trotz mehrfacher Vorstöße keinen Erfolg bei der SED-Führung. Die wollte mit solch einem Übereinkommen lieber der SPD in anstehenden Wahlkämpfen helfen. Die versprach schließlich, sich für die volle Anerkennung der DDR einzusetzen. Außerdem stellten die von der SPD regierten Bundesländer die Finanzierung der „Zentralen Erfassungsstelle“ für DDR-Unrecht in Salzgitter ein. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau, SPD-Kanzlerkandidat des Jahres 1987, blieb es vorbehalten, der westdeutschen Öffentlichkeit zu verkünden, die DDR werde ihnen künftig die Asylbewerber vom Leib halten. Knapp zwei Jahre nach der Wiedervereinigung veröffentlichte Christian von Dithfurth seine Recherche zu dem deutsch-deutschen Asylbewerberdeal und die Rolle von Johannes Rau im Spiegel:

„Er war am 18. September 1986 vor die Presse getreten und hatte verkündet, die DDR-Führung werde den ungehinderten Zustrom von Asylbewerbern von Ost- nach West-Berlin unterbinden. Fast 40 000 Ausländer, vor allem Tamilen, waren zwischen dem 1. Januar und dem 12. September über den Ost-Berliner Flughafen Schönefeld in den Westteil der Stadt gekommen – eines der heißesten Themen im Wahlkampf.

Wolfgang Schäuble (CDU) hatte als Kanzleramtsminister schon im Februar 1986 mit dem SED-Westexperten und Politbüromitglied Hermann Axen im Bundeskanzleramt Tacheles geredet – „im Ton verbindlich, aber in der Sache hart“, berichtete der Politbürokrat per Telegramm aus Bonn seinem Generalsekretär. Und auch danach hatte die Bundesregierung die DDR-Führung immer wieder aufgefordert, die Grenze für Asylanten zu schließen. Ohne Erfolg.

Raus Behauptung, das SPD-Präsidium habe lediglich Minister Schäuble bei seinen Gesprächen mit der DDR unterstützen wollen, gehört ins Reich der Legenden. Statt dessen wollten die Sozialdemokraten der Konkurrenz wahlwerbewirksam das Asylantenthema nehmen; das belegen die Akten der SED.“

Damals sollte also das „Asylantenthema“ der SPD im Wahlkampf helfen. Die Sozialdemokraten wollten sich dem Wähler mit Hilfe der SED als Partei empfehlen, die imstande ist, die Bundesrepublik vor weiterem Asylbewerberzustrom zu bewahren. Damals funktionierte die rot-rote Zusammenarbeit noch ganz anders.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz

Foto: Hartmut Reiche/Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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