Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / Foto: Gerhard Pietsch / 19 / Seite ausdrucken

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im rot-grünen Lager an – wenn nicht eine Hamburger Spendenaffäre in letzter Minute noch alles verändert.

Hamburg wählt. Und noch vor vier Wochen sah es so aus, als würde die Hansestadt erstmals eine grüne “Erste Bürgermeisterin” bekommen. In Umfragen schienen die Grünen auf die 30-Prozent-Marke zuzusteuern und die SPD in ihrer mächtigsten Hochburg zu überholen. Das hätte für die deutsche Sozialdemokratie ein Desaster bedeutet, denn bei der letzten Bürgerschaftswahl war die SPD mit 45,6 Prozent noch drei- bis viermal so stark wie die Grünen (12,3 Prozent). Die Hamburg-Wahl schien eine weitere Etappe im historischen Niedergang der SPD und dem republikweiten Stabwechsel an die Grünen als neue Volkspartei der linken Mitte. Mit dem Fall Hamburgs wäre aus Rot-Grün in Deutschland endgültig Grün-Rot geworden.

Doch im Februar hat sich die Stimmung in Hamburg gedreht. Die SPD legt spürbar zu, die Grünen bauen ab. Es sieht plötzlich wieder nach einem klaren Wahlsieg für die Sozialdemokraten unter Peter Tschentscher aus. Für die SPD wäre das von großer symbolischer Bedeutung weit über die Hansestadt hinaus. Denn Hamburg ist eine SPD-Herzkammer, historisch tief rot verwurzelt. Schon von 1890 bis zum Ende des Kaiserreiches wurden alle Hamburger Mandate im Berliner Reichstag von Sozialdemokraten besetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg fanden 1919 die ersten wirklich allgemeinen Wahlen in Hamburg statt – die SPD errang 50,5 Prozent. Und seit dem Zweiten Weltkrieg stellte die SPD 11 von 14 Bürgermeistern, darunter so wirkmächtige wie Klaus von Dohnanyi und Hennig Voscherau. “Würden wir in dieser Stadt unsere Führungsrolle als linke Volkspartei an die Grünen verlieren, dann wären wir verloren”, unkte ein SPD-Präsidiumsmitglied noch im Januar.

Dass der SPD die Wende nun zu gelingen scheint, hat nicht nur mit den lokalen Umständen zu tun. Demoskopen weisen darauf hin, dass die SPD auch über Hamburg hinaus derzeit ein “Comeback-Momentum” entfalte und den Höhenflug der Grünen möglicherweise weiträumiger stoppen könne.

Neuerdings völlig andere Themen

Das hat fünf Gründe: Erstens findet derzeit ein nationaler Themen- und Stimmungswechsel statt. Die Republik hat nach monatelangen Dauerdebatten um Klimafragen, Greta und Fridays-for-Future-Demonstrationen neuerdings völlig andere Themen. Die Grünen kommen bei der Nachrichtenlage um Coronavirus, Thüringenkrise, Wirtschaftsabschwung, Irankrise, Libyenkonflikt und dem GroKo-Machtspektakel kaum mehr vor. Die SPD hingegen schafft mit ihren Bundesministern zusehends wieder Sichtbarkeit.

Zweitens führt die härtere Themenlage dazu, dass das Führungspersonal der Grünen zwar latent hohe Sympathiepunkte erringt, aber konkrete Führungskompetenz eher anderen zugeschrieben wird. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, warnt seine Partei bereits vor einem neuerlichen Absturz von hohen Umfragewerten zu bescheidenen Wahlergebnissen: “Wir sind die Partei des Rocks, nicht des Hemdes. In der Wahlkabine ist den Deutschen das Hemd aber häufig näher als bei Umfragen.” Tatsächlich zeigt sich bei Katharina Fegebank dieser Effekt genau wie bei Robert Habeck, der nach seiner missglückten Einlassung auf dem Davos-Gipfel in seiner Kanzlerfähigkeit kritischer gesehen wird.

Drittens hat die SPD ihre Führungsfrage geklärt und einigermaßen innere Ruhe gefunden. Zwar sind die beiden neuen Vorsitzenden keine starke Besetzung, aber die Partei wirkt derzeit innerlich so geschlossen wie lange nicht. Bei den Grünen hingegen brechen – nicht nur in etlichen Hamburger Stadtbezirken – Konflikte auf. Von Globuli bis Abschiebegesetzen, vom Schleierverbot über Steuerpläne bis zur E-Auto-Strategie reicht der Reigen neuer Streitereien. Auch die Führungsfrage, ob Robert Habeck oder Annalena Baerbock als Kanzlerkandidaten ins Rennen geschickt werden, ist offen, es schwelt wie bei der CDU ein unentschiedener Machtkampf.

Viertens war der Niedergang der SPD so gewaltig und überzogen, dass es nunmehr zu einer beinahe technischen Erholung kommt. Demoskopen sagen, der Absturz sei “über das Minimum der Kernwählerschaft hinaus geschossen”. Sobald die SPD als Definitionsmacht und Wahlsieger zurückkehre, dürfte sich auch die Kernwählerschaft wieder formieren. Und dies geht vor allem zu Lasten der Grünen.

Fünftens profitiert die SPD auch von der Schwäche der Union. Monatelang galt nur die SPD als unsicherer Kantonist, in Macht- und Personalfragen verstrickt. Nun steckt die Union in einer Führungskrise und schlagartig wirkt die SPD wie ein Fels in der Brandung. Leni Breymaier, Vorstandsmitglied der SPD, bringt es frohlockend auf den Punkt: “Die SPD ist der stabile Faktor in der Großen Koalition.”

Ein Spendenskandal platzt in die Hamburger Szenerie

Insgesamt hat die SPD also Chancen auf ein Frühjahrs-Comeback, zumal die anstehenden Landtagswahlen der Partei Hoffnung machen. Denn nach Hamburg findet die nächste Landtagswahl in einem Jahr in Rheinland-Pfalz statt, und auch dort haben die Sozialdemokraten mit Malu Dreyer an der Spitze eine starke Stellung weit vor den Grünen. Zudem führt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Partei recht geschickt aus den organisatorischen Krisen. Klingbeil tut der SPD mit seinem modernen Optimismus spürbar gut. Er hat dem Willy-Brandt-Haus sowohl das Weinerlich-Aggressive als auch das Ideologische ausgetrieben. Nun steht er mit der Parteizentrale vor dem ersten Wahlsieg seiner Amtszeit.

Doch just da man sich unter leidgeprüften Genossen schon die Hoffnungshände reibt, platzt ein angeblicher Spendenskandal in die Hamburger Szenerie. Die Warburg-Bank hat dem SPD-Landesverband 45.500 Euro Spendengeld gezahlt. Nun steht der Vorwurf im Raum, dass die Finanzbehörde im Gegenzug eine Steuerforderung gegenüber der Bank in Höhe von 47 Millionen Euro verjähren ließ. Es geht dabei um dubiose CumEx-Geschäfte.

In den inzwischen beschlagnahmten Tagebüchern von Bank-Chef Christian Olearius hatte dieser über Treffen mit den SPD-Politikern Johannes Kahrs und Olaf Scholz berichtet. Der Eindruck eines Hamburger SPD-Klüngels entsteht, und die Opposition unterstellt Tschentscher sowie seinem Vorgänger Olaf Scholz Kungelei mit dem Traditionsbankhaus – zulasten der Steuerzahler. Die Grünen könnten – obwohl sie mitregieren – von dem vermeintlichen Skandal auf der Zielgeraden vielleicht noch profitieren und den Wahlsieg der SPD einbremsen. Rot-Grün oder Grün-Rot hängt am Ende womöglich an der Warburg-Bank. Und für die SPD gilt plötzlich: CumEx oder Comeback?

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European

 

Foto: Gerhard Pietsch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Tobias Kramer / 22.02.2020

Leute, was soll die Aufregung? Völlig uninteressant, ob Rot oder Grün gerade vorn liegen und warum und wieso. Hamburg will mehrheitlich von beiden regiert werden, dann sollen sie es bekommen. Und sie müssen vermutlich nicht einmal wie in Berlin die SED mit ins Boot nehmen. Obwohl das letztlich auch egal wäre. Man sieht doch in der Hauptstadt, wie gut und nachhaltig die Roten und Grünen regieren und wo die Prioritäten liegen.

Heribert Glumener / 22.02.2020

Herr Weimer dürfte Unterschiede von GrünCDUSPDLinke überbewerten. Genannte sind letztlich, trotz HH-Spezifika und Gebalge um die Pöstchen, ein relativ homogener Block. Und der Hanauhebel könnte morgen in HH stark wirken: FDP unter 5? AfD unter 5? Block happy, SPD gar über 40? Bös‘ überspitzt ausgedrückt, kam Hanau genau zur richtigen Zeit -  besseres Timing für den Block kaum vorstellbar – medial gekonnt orchestriert (Gegentöne, etwa Hinweise auf den grünaffinen, wohl ebenfalls durchgeknallten Querulanten-Erzieher des Hanaumörders und eine möglicherweise familiär weitergereichte schizoide Disposition, sowie auf das Totalversagen der Behörden, werden wenig öff.-wirksam). Und wenn die morgen in Hamburg noch hessisch auszählen, na dann Helau.

Jürgen Fischer / 22.02.2020

Einerseits tun mir die Hamburger leid: dass ihnen als Kandidaten lauter komische Gestalten angeboten werden. Andererseits ist das überall anders in diesem unserem Lande genauso, warum also sollte es den Hamburgern besser gehen als dem Rest? Um dem Spuk ein Ende zu machen, müsste man überall eine grüne Regierung installieren, die innerhalb kürzester Zeit alles in Grund und Boden wirtschaften dürften. Aber ach, auch das wird nichts helfen: Die Mehrheit der Bevölkerung wird selbst dann nichts merken und alles munter weiterdümpeln lassen. Es ist nicht so einfach, wie Hellmut Holthaus einmal schrieb: »Man fülle den Ofen mit Dynamit, zünde die Lunte an und bestelle beim Bauunternehmer ein neues.« Wandert man aus, überlässt man den Idioten kampflos alles. Bleibt man hier, muss man sich evtl. wie weiland Erich Kästner den Vorwurf machen lassen, nicht ins Exil gegangen zu sein. Dafür hat man dann das Elend weiterhin vor der Haustür. Wie man’s macht, ist es verkehrt.

Karsten Dörre / 22.02.2020

In Stadtstaaten wohnen mehrheitlich SPD- und Grünenwähler. Also keine Überraschung zur Hamburg-Wahl.

Robert Jankowski / 22.02.2020

Tschentscher wäre vor 25 Jahren Staatsrat, bestenfalls noch Senator geworden, aber erster Bürgermeister?! Niemals! Kein bischen Strahlkraft, dazu noch Bremer: all das zeigt, wie weit unten diese Partei mittlerweile ist. Der hessische AWO Skandal ist 1:1 bundesweit übertragbar auf alle Sozialprojekte mit direkter oder indirekter SPD Beteiligung. Aber Hamburger sind nun einmal eher konservativ und auch deshalb wird das mit einem grünen Bürgermeister hier nix werden. Zum Glück! CumEx und Warburg sehen viele Menschen wahrscheinlich auch nur als Nachgewitter der HSH Nordbankaffäre an. Hamburg ist mittlerweile an politische Skandale, Bestechungen und Mauscheleien gewöhnt, da schockt diese Meldung Niemanden mehr wirklich. Alle haben jetzt ja auch das Milliardengrab Elphi lieb und somit ist hier wieder Alles in Butter. Ich weiß, wen ich wählen werde. Hätte Lindner das Ding in Thüringen nicht verkackt, wären meine Stimmen an die FDP gegangen!

Frank Holdergrün / 22.02.2020

Eine technische Erholung, grün und rot wabbern hin und her, Lars Klingbeil als Retter. Man reibt sich die Augen, hat aber trotzdem Mitleid für die SPD. Dann doch lieber sie als Robert, der Davos-Schreck. Wenn ich bei Herrn Weimer das Wort “wirkmächtig” lese, huscht ein Lächeln über mein Gesicht und ich weiß nicht warum. Herr Stegner freut sich schon jetzt auf seine Twittereien ab Sonntag Abend, sei’s seinen beiden nach unten reichenden, langen Falten um die Zähne gegönnt.  

HaJo Wolf / 22.02.2020

Ach Herr Weimer… wieder ein feuchter Traum aus Ihrer Feder. Wann kapieren endlich auch Sie, dass 1. die SPD sich längst selbst gemeuchelt hat und Sie die letzten Zuckungen fälschlicherweise als Wiederbelebung interpretieren, dass 2. Hamburg nicht repräsentativ ist, dass 3. völlig gleich ist, ob SPD oder Grüne Stimmen erhalten: beide sind eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland…?! Ausgerechnet Klingbeil heben Sie aufs Podest. Das ist der Typ, der u.a. die Greueltat eines Wahnsinnigen missbräuchlich instrumentalisiert: “Wir müssen ein Zeichen gegen rechts setzen, gegen den Terror, gegen den rechten Hass, gegen Faschismus.”, der den Generalsekretär der AfD ausgrenzt aus einer Beratung aller Generalsekretäre mit der Begründung: „Wenn ich ein Feuer löschen will, dann kann ich nicht die Brandstifter mit ins Boot holen“, denn: „Diese Partei steht für die Verrohung des politischen Diskurses, diese Partei grenzt aus. Es gibt Hinweise, dass sie Verbindungen in rechte Terrornetzwerke hat.”, der gnadenlos lügt, um Sarrazin los zu werden, der nicht müde wird, politisch Andersdenkende als Nazis zu diffamieren. Ausgerechnet Klingbeil… Aber irgendwie hatte ich von Ihnen auch nichts anderes erwartet.

Wilfried Cremer / 22.02.2020

Der Stammwähler der SPD erwartet Klüngelkompetenz. Links bedeutet schließlich immer auch ein bisschen link. Darum ist ein Erdrutschsieg wahrscheinlich. Zumal die grüne Hüpferei so langsam pubertär wirkt.

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