Cora Stephan / 18.08.2008 / 18:21 / 0 / Seite ausdrucken

SPD Ade

Lassen wir zunächst mal alles weg, was um Fragen der Ästhetik oder der Moral kreist: etwa die nach der undemokratischen Vergangenheit der Partei „Die Linke“, nach dem Ehrgeiz von Andrea Ypsilanti und ob sie den überhaupt haben darf – oder nach den Sympathiewerten Roland Kochs. Die Lage in Hessen ist auch ohne das Erregungspotential solcher Erwägungen trübsinnig genug.

Lassen wir zunächst mal alles weg, was um Fragen der Ästhetik oder der Moral kreist: etwa die nach der undemokratischen Vergangenheit der Partei „Die Linke“, nach dem Ehrgeiz von Andrea Ypsilanti und ob sie den überhaupt haben darf – oder nach den Sympathiewerten Roland Kochs. Die Lage in Hessen ist auch ohne das Erregungspotential solcher Erwägungen trübsinnig genug. Seit den letzten Wahlen ist das Land unregierbar – oder, weniger dramatisch gesagt: können wichtige Entscheidungen mit langfristigen Folgen nicht getroffen werden. Die Bildung einer stabilen Regierung liegt also im Landeswohl. Daß dabei alle verfassungsgemäßen Parteien zur Regierungsbildung herangezogen werden können, also auch „Die Linke“, mag man für moralisch wenig erträglich halten. Aber wenn nur dadurch eine Regierung gebildet werden kann, zählt das nicht.
Selbst ein gebrochenes Wahlversprechen ist dabei unerheblich – Politiker verhalten sich nunmal „flexibel“, wie man Opportunismus höflicherweise nennen könnte, das ist schließlich ihr Job. Kühl betrachtet spricht also nichts gegen Ypsilantis Vorhaben, sich mit den Stimmen der Grünen und der Linken zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen – und vielleicht würde man ihr den Wortbruch und die Mitwirkung einer Partei mit dubioser Vergangenheit ja sogar verzeihen, wenn das alles eine Regierung verspräche, die dank stabiler Mehrheitsverhältnisse regierungsfähig wäre.
Aber hier liegt der eigentliche Skandal. Denn das ist noch unwahrscheinlicher als daß es der Sozialdemokratin überhaupt gelingt, sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Eine von der Linken tolerierte rotgrüne Regierung hätte den Konflikt stets im Haus – nicht nur des Störpotentials der Linken wegen. Auch bei den Grünen und Sozialdemokraten sitzen genug pragmatische und realistische Politiker, die weder mit Ypsilantis Machtanspruch noch mit den hochtrabend „Energiewende“ genannten Plänen von Ypsilantis Umweltberater Hermann Scheer glücklich sind.
Diese Pläne verdienen eine genauere Betrachtung. Sie sehen nicht nur den Ausstieg aus Kohlekraft und Kernenergie zugleich vor, etwas, das Wolfgang Clement zurecht als blauäugig kritisiert hat. Hermann Scheer will mehr: zugespitzt formuliert, eine Kirchturmpolitik zugunsten der Lobbyisten für Windkraft und Solarenergie. Wenn es nach ihm geht, soll es jeder Gemeinde künftig selbst überlassen sein, wieviele und wie hohe Windkrafträder sie in die Landschaft stellt, gern auch in Naturschutzgebiete. Die hochsubventionierten Windkraftanlagenbetreiber werden jubeln und bereitwillig darbende Gemeindekassen füllen, auf Kosten der Steuerzahler und egal, ob die jeweilige lokale Entscheidung dem Land insgesamt nützt.
Auch dürften Kommunen den Plänen zufolge künftig Hausbesitzern vorschreiben, wie sie ihre Dächer decken: natürlich, wie in Marburg, mit ebenfalls hochsubventionierten Solaranlagen. Das wird teuer für alle Hausbesitzer. Kommen dann noch kostspielige Wäredämmungsmaßnahmen hinzu, wird ein verheerender Tornado durch den hessischen Altbaubestand fegen und das Gesicht des Landes unwiderruflich verändern. Dagegen war die autogerechte Stadt der SPD der 60er Jahre ein Lufthauch. Profitieren dürfte die Bauindustrie – Scheer wird schon wissen, warum er im Falle einer rotgrünen Regierung Umwelt- und Wirtschaftsressort zusammenlegen will. Am liebsten natürlich in die eigene Hand.
Das alles halten auch viele in der hessischen SPD für hellen Wahnsinn, von den Grünen ganz zu schweigen. Die Chancen wären also groß, daß eine rotgrüne Regierung selbst dann nicht zustandekommt, wenn die Wahl Ypsilantis gelingt.
Warum dann also dieses „Himmelfahrtskommando“, wie es die hessischen Grünen jetzt schon nennen? Allein, weil es Andrea Ypsilantis einzige Chance ist?
Kein Grund für die SPD, das Spiel mitzuspielen. Denn woran auch immer Ypsilanti scheitert - Neuwahlen sind dann unausweichlich. Für die SPD mit womöglich dramatischem Ergebnis: aktuelle Umfragewerte lassen erkennen, daß der Partei das Manöver ihres und ihrer Vorsitzenden tief geschadet hat: nicht nur in Hessen, auch im Bund. Wir erleben derzeit den Niedergang einer traditionsreichen Partei in den politischen, moralischen und strategischen Sumpf – und das tut weh, auch wenn man nicht Genosse ist. Daß eine Partei mit einer so bedeutenden Tradition sich von dem kleinen Rachsüchtigen von der Saar und einer größenwahnsinnigen Landesvorsitzende vor sich hertreiben läßt, kommt ihrer Entwurzelung gleich.
So paradox es klingt: die einzige Rettung für die SPD liegt in Neuwahlen – und sie sollte sich besser gleich dafür entscheiden. Nur so könnte es vielleicht noch gelingen, den Pleitegeier abzuschießen, der über der Partei seit den Hessenwahlen kreist: daß sie sich ohne Not, weil ohne Aussicht auf Erfolg und unter Preisgabe von Moral und Glaubwürdigkeit, von einer machtsüchtigen Einzelkämpferin und einer dubiosen Partei in die Ecke hat treiben lassen.
NDR-Info, Die Meinung, 14. August 2008

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