Manchmal muss man das ja machen: Mit der eigenen, hochbetagten Mutter spazieren gehen, weil es ihr daheim zu langweilig ist, und man muss ja auch mal raus. Corona hin oder her, so ihr Herr es will, steckt sie sich an oder nicht. Außerdem wird es ab 80 sowieso irgendwie doof, auch, wenn es auch 80-Jährige gibt, die sich auf die Abi-Feier des Sohnes freuen. Zumindest, wenn es Männer sind. Die Natur ist da so gar nicht auf Gleichberechtigung gepolt.
Ich helfe also der Mama aus dem Auto und schnalle sie am Rollator fest und schiebe sie Richtung Eingang des Stadtparks, als uns zwei junge Männer entgegenkommen. Das Schöne an jenen jungen Männern ist, dass sie Polizeiuniformen tragen, sie werden uns also nicht fragen, ob wir Stress suchen oder ein Problem haben. Habe ich gedacht. Ich will gerade Muttern in eine Steilkurve um die Beamten legen, als uns der etwas Größere der jungen Polizisten anspricht. „Einen Moment bitte“, sagt er. Verdutzt, aber freundlich bleiben wir stehen. Die Sonne lacht vom Sommersonntagshimmel, Vöglein singen ihre Lieder in den Weiden, in etwas Entfernung ist das Knirschen des Kieswegs unter den schnellen Schritten einer kleinen Punkerin zu vernehmen.
„Ja?“, frage ich höflich und der größere Polizist hakt seine Daumen in seiner Schutzweste ein. „Führen Sie Drogen oder drogenähnliche Substanzen mit sich?“, will er wissen und einen kurzen Moment flackert in mir die Antwort „Wieso? Wollen Sie mir ansonsten welche verkaufen?“ auf, aber der Typ ist einen Kopf größer und mit einem Beamtenstatus bewaffnet. Außerdem sind die beiden zu zweit und ich bin mir nicht sicher, ob nicht inzwischen doch Taser erlaubt sind. Also nehme ich die Antwort, die wohl jeder 53-Jährige an einem Sonntagmorgen der Polizei geben würde: „Was? Nein! Natürlich nicht!“ Der Größere guckt den Kleineren an, meine gram- und altersgebeugte Mutter sieht mich an. „Was wollen denn die Herren?“, will sie wissen. „Ob ich Drogen habe, Mama“, gebe ich zurück. „Drogen? Um Himmels willen! Was das kostet!“, stellt sie auf kuriose Weise nicht so ganz nüchtern fest.
Der Kleinere wendet sich meiner Gebärerin zu: „Personalkontrolle. Haben Sie Ihren Ausweis dabei?“ Meine Mutter wirkt irritiert. „Ausweis? Ich habe so ein Kärtchen von der Krankenkasse“, erklärt sie und blickt mich hilfesuchend an. „Sagen Sie, was soll denn das?“, nehme ich das Heft in die Hand, „Sie wollen uns allen Ernstes jetzt hier am Stadtpark kontrollieren? Sonntagmorgens?“ Der Größere nickt: „Reine Routinekontrolle. Wir haben heute schon zwei Schwarzafrikaner kontrolliert, als Ausgleich müssen wir jetzt zwei Nichtschwarzafrikaner kontrollieren, sonst kann man uns mit Fug und Recht Rassismus vorwerfen.“ „Das ist ein Scherz, oder?“, gebe ich zurück. „Leider nein“, bestätigt der Kleinere, der einen kurzen blonden Haarschnitt und einen 70er-Jahre Oberlippenbart trägt.
Dann klappt Mama die Box auf und entnimmt ihr ihre „Medizin“
„Okay, also, wir haben keine Drogen und würden jetzt gerne in den Stadtpark“, gebe ich Auskunft und will schon gehen, aber ein „nicht so schnell“ des Größeren stoppt mich. „Haben Sie Ihren Personalausweis dabei?“ „Natürlich, sage ich und friemle meinen Ausweis aus der Handyhülle, in der er mit zig anderen Kärtchen verstaut ist und händige Sie dem Größeren aus. „Thilo?“, sagt meine Mutter jammervoll, „was ist denn passiert? Wirst Du verhaftet?“ Auch, wenn ich das Gefühl habe, dass ihr das nicht unbedingt unrecht wäre, weil dann „hätte sie mal wieder recht gehabt, dass aus dem Jungen mal nichts wird“, so will ich sie doch beruhigen. „Neinnein, es ist nichts, nur eine Routinekontrolle, da die beiden Herren heute schon Schwarzafrikaner kontrolliert haben und das jetzt ausgleichen müssen, wegen der Polizeistatistik. Ist gleich vorbei“, erkläre ich ihr. Aber jetzt wirkt Muttern erst recht beunruhigt. „Afrikaner? Gibt es die hier im Park? Hier gab es nie Afrikaner. Amerikaner schon, da erinnere ich mich, aber Afrikaner hatten wir hier früher nicht“, gib sie einen kurzen historischen Abriss der Parkgeschichte seit 1960. „Es ist alles in Ordnung“, sagt der Größere und routinekontrolliert weiter.
„Das ist Ihre Mutter?“, stellt er jetzt Fragen zu meiner Herkunft. „Ja, aber Sie können sie gerne haben und mitnehmen, wenn Sie möchten“, biete ich ihm an und werfe einen gehässigen Blick auf meine Mama, die folgerichtig „Mitnehmen? Ja, um Gottes Willen, warum denn?“ echot. „Niemand wird mitgenommen“, erläutert der blonde Kleinere freundlich. „Es ist alles in Ordnung“, sagt er auch. „In Ordnung? In den 70ern war alles in Ordnung“, brummelt sie vor sich hin. „Ja Mama“, spreche ich ihr zu und an die beiden Polizisten gewandt: „Können wir dann jetzt den Park genießen?“
Die vier Augen des Gesetzes zwinkern mir zu. „Einen schönen Sonntag noch“, sagt der Größere und dann gehen die beiden aus dem Stadtpark Richtung ihres Streifenwagens. Ich begleite meine klapprige Mutter zu einer Bank, die etwas abseits unter einer Blumenarkade steht. Sie setzt sich, pflückt ihr Handtäschen aus dem kleinen Ablagefach am Rollator, öffnet sie und zieht eine schmale Zigarrenbox heraus. Dann klappt Mama die Box auf und entnimmt ihr ihre „Medizin“ aus garantiert pflanzlichem Marihuana. Sie zündet sich den Joint mit zittrigen Händen an, zwinkert mir zu und sagt: „Endlich. Ich habe schon Angst gehabt, dass ich diesmal fällig bin.“ Sprichts, nimmt einen tiefen Zug, lässt den Blick über den Main in die Ferne schweifen und denkt an die Zeit, als sie noch Blumen im Haar hatte. Ich wüsste nur gerne, woher sie das Zeug immer bekommt…
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