Tobias Kaufmann / 28.02.2007 / 11:21 / 0 / Seite ausdrucken

Spaßfaktor Spielen

Für viele Erwachsene ist es eine nicht nachvollziehbare Erfahrung. Warum kann der Junge, der sich sonst für nichts länger als eine halbe Stunde interessiert, stundenlang reglos am Computer sitzen und Städte bauen? Was findet der durch und durch friedliche Mitbewohner daran, mit einem Ego-Shooter Terroristen umzulegen? Computerspiele begeistern Millionen Menschen. Und zwar allem Anschein nach nachhaltiger und länger als jedes Brett- oder Kartenspiel. Was aber fasziniert Menschen so sehr an Computerspielen?

Ein europäisches Wissenschaftlerteam will dies nun erstmals grundlegend erforschen. Medienexperten, Neurologen, Psychologen und Physiologen an den Hochschulen in Hannover, Aachen, Eindhoven, Helsinki und Stockholm arbeiten im Auftrag der Europäischen Union am Projekt FUGA (The Fun of Gaming). Sie sollen herausfinden, warum Menschen Spaß an Spielen haben - und was ihnen den Spaß vergehen lässt. „Die Idealvorstellung ist, dass die europäische Spiele-Industrie dadurch ein Werkzeug in die Hand bekommt, mit dem sie ihre Produkte besser analysieren und gezielter planen kann“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Christoph Klimmt von der Universität Hannover. Zwei Millionen Euro ist das der EU wert.

„Ein zentraler Spaßfaktor bei PC-Spielen ist die Erfahrung eigener Wirksamkeit“, erklärt Klimmt. Menschen, gerade Kinder, sind so gepolt, dass dieses Erlebnis ihnen Spaß macht. Zwar gibt es einen solchen Spaßfaktor auch bei klassischen Gesellschaftsspielen. Aber der eigene Erfolg ist dabei viel abhängiger von Zufall, Glück und den Handlungen der Mitspieler. Nur die Maschine Computer ist in der Lage, eine winzige Eingabe-Ausgabe-Schleife an die andere zu reihen. So wird eine in sich logische Spielwelt erschaffen, in der eine winzige Handlung des Spielers - wie ein Mausklick - riesige Ergebnisse erzielen kann, positiv wie negativ. Auch Neugierde ist ein Instinkt, der beim Computerspielen angesprochen wird. Der dunkle Raum voller geheimnisvoller Truhen, den man im Rollenspiel nach und nach entdecken kann, bringt Spaß.

Darüber hinaus sind Computerspiele spannend. „Das Spannungs- und Entspannungsverhältnis in Spielen ist vergleichbar mit dem in einem fesselnden Film“, sagt Klimmt. Und wie beim Film identifiziert sich der Spieler mit der Hauptperson, bangt und hofft mit ihr - nur sehr viel intensiver. An der Universitätsklinik in Aachen untersuchen Neurowissenschaftler für FUGA die Gehirnaktivitäten von Computerspielen. „Wir wollen zum Beispiel herausfinden, welche Gehirnregion bei Gewaltspielen auf Angst reagiert“, sagt Teamleiter Klaus Mathiak.

Interessant wird sein, herauszufinden, wie sich der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Medien auf den Organismus auswirkt: Im Film sieht man dem Helden passiv zu, im Computer rettet man die Welt selbst. Das Wohlgefühl des Happy Ends geht einher mit persönlichem Erfolg. „Das erhöht das Selbstwertgefühl“, so Klimmt. Doch zu viel Erfolg ist langweilig. Ist ein Spiel zu schwer, fliegt es ebenfalls schnell von der Festplatte. Manche brauchen Action und Nervenkitzel eines Ballerspiels wie das viel diskutierte „Counter Strike“. Andere fasziniert es, Welten zu erschaffen, zu handeln und Diplomatie zu betreiben, wie in der „Anno“-Reihe, dem hierzulande meistverkauften Spiel. Aber für alle Zielgruppen gilt: Wenn das Maß aus Frust und Erfolg stimmt, wenn die Hauptperson so glaubwürdig ist, dass man sich mit ihr identifiziert, dann wird ein Spiel ein Bestseller.

„Gerade Jungs, die ja oft auf der Suche nach einer männlichen Identität sind, schlüpfen gerne in eine Rolle“, sagt Klimmt. Was das für die reale Welt bedeutet, ist umstritten. Bei Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen nimmt die Wirkung eines Gewaltspiels zu. Aber mit dem Medium Computerspiel ließen sich unter Umständen auch soziales Verhalten oder richtiges Reagieren trainieren - ein spannendes Forschungsfeld gerade für Wirtschaft und Industrie. „Der Effekt ist aber begrenzt, wenn die Aufgaben im Spiel von denen in der Realität zu weit entfernt sind“, sagt Klimmt. Bei aller Forschung über die Effekte der virtuellen Spielewelten ist Klimmt etwas ganz Einfaches wichtig: Das Wohlbefinden, das Spielen verursacht, ist ein Wert an sich.

Kölner Stadt-Anzeiger, Magazin, 28.02.07

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