Thomas Rietzschel / 30.05.2018 / 14:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Spalten ist gut für die Demokratie

Was tun, wenn der Vorrat unsachlicher Argumente aufgebraucht ist, wenn die Leute nichts mehr darauf geben, dass jemand des „Rechtspopulismus“ bezichtigt oder als „Nationalist“ angepflaumt wird. Ganz einfach, man behauptet, er oder sie würden die Gesellschaft „spalten“. Ein Totschlag-Argument, das auf diejenigen zurückfällt, die es gebrauchen. Ebenso wie die politischen Wortführer entlarvt es die journalistischen agierenden Volkserzieher als politische Deppen, mehr noch als bedrohliche Blindgänger autokratischer Ideologien.

Denn was, um alles in der Welt, ist in einer freiheitlichen Gesellschaft gegen die Spaltung der Meinungen einzuwenden. Wer eine bestimmte Auffassung vertritt, grenzt sich ab, wie denn sonst sollte er sie kenntlich machen. Nolens volens spaltet sich von Mainstream ab, wer etwas Neues will. Wäre es nicht so, würden wir seit Jahrtausenden auf der Stelle treten. Verdammt zu dem Glauben, dass die bestehende die beste aller möglichen Welten ist, hockten wir noch immer unter’m Bärenfell, um weiter mit dem Faustkeil zu hantieren.

Wandel durch Spaltung 

Allein durch den Mut, sich abzugrenzen, ist der Fortschritt in Gang gekommen. Dass das nicht immer Glück und Segen über die Menschheit brachte, steht auf einem anderen Blatt. Am Ende war es stets ein Grund mehr, Wandel durch Spaltung zu erzwingen. Schließlich konnte erst in dem Maße, in dem sich Unterscheidungen ausgebildet haben und zugelassen wurden, Kultur überhaupt entstehen.

Auch der Wandel der politischen Kultur vom Sippenverband bis zur rechtsstaatlich verfassten Demokratie verdankte sich einer Abspaltung nach der anderen. Wollen sich dagegen alle immer nur in den Armen liegen, blüht der politische Kitsch – wie unlängst, als die Bürger in mehreren deutschen Großstädten aufgerufen waren, für einen Tag Kippa zu tragen.

Sie sollten sich eins fühlen mit den Juden. Ein Event der Sentimentalität, der davor bewahrte, weiter über den gravierenden Antisemitismus nachzudenken. Diejenigen, die es dennoch taten und dabei Merkels Flüchtlingspolitik als eine Ursache ausmachten, wurden abermals und geradezu reflexartig verdächtigt, die Gesellschaft zu spalten.

Wir sind alle Familie

Das zieht irgendwie immer. Die Angst der Menschen vor Vereinzelung und Isolation, vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft, macht sie anfällig für den politischen Schwindel, zumal in Zeiten wie diesen. Man muss nur einmal darauf achten, wie wir überall dazu angehalten werden, uns einer großen Familie zugehörig zu fühlen, im Kreis der Kollegen, beim Konzert von Helene Fischer oder beim Tag der offenen Moschee, wenn die multikulturell bewegten Herzen höher schlagen.

Denn Blut soll ja angeblich dicker sein als Wasser. Das wusste schon der deutsche Kaiser, als er bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges dem Volk versicherte, fortan keine Parteien, sonder nur noch Deutsche zu kennen. Das Volk, Heinrich Heines „großer Lümmel“, wurde emotional entmündigt und mit Schmus auf Linie gebracht. Zu sagen hatte es nichts mehr.

Immer dann, wenn sie um die Pfründen fürchten, rücken die Herrschenden ihren Kritikern mit dem Vorwurf der Abspaltung zu Leibe. Indem sie ihn erheben, beanspruchen sie nicht mehr und nicht weniger als die absolute Herrschaft auf Dauer.

Argumentativ pfeifen sie dann allerdings auch schon auf dem letzten Loch. Sie müssen die Grundregel der Demokratie, das Recht der politischen Abgrenzung, in Frage stellen, um sich halbwegs über die Runden zu retten. Dass sie damit an dem Ast sägen, an den sie sich klammern, geht den armen Teufeln meist erst hinterher auf. 

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Leserpost

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Karl Baumgart / 30.05.2018

@ Fritz Kolb   Kleiner Korrekturvorschlag: “Es stimmt, DER Fehler waren zu viele ...”

Peter Zentner / 30.05.2018

Lieber Herr Rietzschel, ich widerspreche Ihnen in einem einzigen Nebensatz, in welchem Sie den Faustkeil erwähnen. Der ist mitnichten ein obsoletes Werkzeug. Ich spalte unser Kaminholz (igitt! CO2, Feinstaub und so) mit einem Faustkeil, geschmiedet vor gut 150 Jahren, das der letzte überlebende Dorfschmied für mich pflegt und schärft. “Herrgottsseiten!” spricht der alte Herr alle zwei Jahre bewundernd, “so ein guter Stahl wird heutzutag’ nimmer g’macht.” || Faustkeil zuerst, fürs Grobe, dann Axt. || Ich wollte, ich könnte dieses spaltende Vorgehen (natürlich rein rhetorisch) auch in Diskursen mit merkelverliebten Bar- und Thekengenossen anwenden. Aber dann müsste ich bisweilen gesiebte Luft atmen.

Dirk Jungnickel / 30.05.2018

In der verblichenen “DDR”  beurteilten die “Rechtgläubigen”  ihre Mitmenschen nach dem simplen Schema : ‘Das ist einer von uns’ , oder ‘Der gehört nicht zu uns.’ Genossen gehörten a priori dazu, die Anderen wurden in Noch - Lernende, Unwissende, ideologisch Verblendete, Klassenfeinde oder Staatsfeinde unterteilt. Das konnte graduell gestaffelt keine bis schlimmste Auswirkungen nach sich ziehen.  Die Herrschenden befürchteten keine Spaltung der “DDR” - “Nation” ;  sie hatten gelernt mit ihr zu leben - und wir hatten gelernt mit der Staatssicherheit zu leben.  Die Genossen fürchteten eine Neuauflage des 17. Juni oder einen Marsch auf die Mauer. Eine offene Gesellschaft lag außerhalb ihres Horizonts. Trotz staatlicher Schikanen und Präventionen haben die ” Anderen”  gesiegt und die Genossen sind bis auf den jämmerlichen Rest ( Die Linke)  in den Orkus der Geschichte entschwunden.   Dies um der hier oft vertretenen Meinung, Deutschland würde sich den “DDR”- Verhältnissen annähern, zu widersprechen. Die Vorzeichen sind ganz andere ! Thomas Rietzschel weist völlig zu Recht darauf hin, dass Meinungsspaltung   e i n   Lebenselixier der Demokratie ist.

Petra Wilhelmi / 30.05.2018

In der DDR wurde jede Diskussion abgewürgt, in dem man fragte: Bist du nun für den Frieden oder nicht. Danach war Ruhe. Was sollte man denn auch auf solch eine Banalität antworten. Wir wissen, wie weit die DDR mit dem Abwürgen der Diskussionen gekommen ist. Dem heutige Deutschland wird es ähnlich ergehen. Die westliche Gesellschaft ist nicht für den Stillstand geschaffen. Zuerst rumort es im Untergrund solange bis der Druck im Dampfkessel alles zur Explosion bringt. Wie lange es noch dauern wird bis der Druck sich Luft verschafft,  das ist die spannende Frage unserer Zeit.

Hans-Peter Dollhopf / 30.05.2018

Wie passend dazu Welt Online von heute: “Christen treiben Keil zwischen Juden und Muslime.” Originelle Begründung des ansonsten eher starrsinnig argumentierenden Autors: bayerische Schweinshaxn.

Fritz Kolb / 30.05.2018

Es stimmt, sie pfeifen aus dem letzten Loch. Es stimmt, die Fehler waren zu viele und zu gravierend in ihrer Wirkung. Es stimmt, dass es hinterher wieder alle auch gewusst haben wollen. Es geht nicht mehr um das “ob”, sondern nur noch um das “wann”. Das ist nicht unerheblich, weil der Schaden von Tag zu Tag grösser wird, die Glaubwürdigkeit der Herrschenden immer löchriger und die gesellschaftlichen Verwerfungen immer grösser. Wann also werden die, die unser Land immer weiter in den Abgrund treiben, endlich aus dem Tempel der Macht gejagt? Wer aus der Politikerkaste hat den Schneid, den andere in unseren Nachbarländern ja auch hatten. Und wann wacht das deutsche Wahlvolk endlich aus seiner Wohlstandslethargie auf?  Man könnte verzweifeln, wenn man an den Zustand Deutschlands dieser Tage denkt.

Werner Arning / 30.05.2018

Den Teufel der Spaltung der Gesellschaft an die Wand zu malen, funktioniert besonders in Deutschland immer gut. Von keiner anderen Gesellschaft ist mir dieses „Argument“ bekannt. Denn natürlich ist es keines. Warum sollte ich keine andere Meinung haben dürfen in einer Demokratie? Warum spaltet diese „andere Meinung“? Gehört es in einer Demokratie nicht dazu, anderer Meinung zu sein? Daran schon sieht man, dass das Verständnis von Demokratie in Deutschland bisweilen unterentwickelt ist. Ansonsten würde jedem die Unsinnigkeit des „Argumentes“ auffallen. Die Deutschen lassen sich offensichtlich immer noch einschüchtern mit der Warnung vor einer möglichen Isolation, vor einem Abgespaltensein, vor dem Anderssein. Sie haben das Bedürfnis als Kollektiv aufzutreten und sind unbarmherzig mit dem „Außenseiter“, mit dem, der es wagt, anderer Meinung zu sein. Dieser wird verurteilt, ausgegrenzt. Für ihn ist kein Platz. Denn das größte Unheil scheint die Vorstellung eines nicht vorhandenen Konsenses zu sein. Das ist das Schreckgespenst schlechthin : Spaltung. In Wirklichkeit wird Spaltung durch die Intoleranz gegenüber dem Andersdenkenden ja erst geschaffen.Wir sind nicht alle einer Meinung. Ja und?  Nein, wir müssen lernen, Meinungsvielfalt auszuhalten. Und die bringt natürlich auch Spaltung. Aber das gehört zu einer Demokratie. Deshalb bringen wir uns ja nicht alle gleich um. Oder, Antifa? Ertragen wir doch die Unterschiede. Und fallen wir nicht darauf herein, auf dieses Schreckgespenst der Spaltung. Es ist, wie Herr Rietzschel sagt, das „Argument“ derer, die keine Argumente haben. Es scheint ein Trick zu sein, um Verunglimpfung des politischen Gegners zu rechtfertigen und ihn, wenn möglich, mundtot zu machen. Geschieht ja immer im Dienst der Vermeidung der Spaltung.

Andreas Späth / 30.05.2018

Dazu fällt mir spontan etwas von Brecht ein. Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen  Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen,  Wie man schneller sägen könnte, und fuhren  Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen,  Schüttelten die Köpfe beim Sägen und  Sägten weiter. - Bertolt Brecht, Exil, III

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