Jens Spahns Masken-Skandal kann nicht vollständig aufgeklärt werden, weil die fehlende Kooperationsbereitschaft im Gesundheitsministerium einen abschließenden Prüfbericht unmöglich macht.
Zahlreiche Medien haben in der Vergangenheit, gestützt auf zwei Veröffentlichungen bei den Kritischen Richtern und Staatsanwälten (KRiStA), darüber berichtet, dass Jens Spahn von März bis Mai 2020 in seiner damaligen Funktion als Bundesgesundheitsminister den von den Steuerzahlern gespeisten Bundeshaushalt verfassungs- und gesetzwidrig sinnfrei belastet hat. Die in dem Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) vom März 2024 nachgewiesene Belastung des Bundeshaushalts ist zwischenzeitlich auf weit mehr als zehn
Milliarden Euro angewachsen:
Anschaffungskosten für Masken: 5,9 Milliarden Euro; Lagerkosten / sog. Logistikbetriebsführung: circa eine Milliarde Euro; Kosten für Vernichtung der Masken: neun Millionen Euro; Prozesskosten (einschließlich Gerichtsgebühren, Anwaltskosten und Zinsen): bis zu 3,5 Milliarden Euro (bereits ausgeurteilt sind 1,1 Milliarden Euro); weitere circa hundert ähnlich gelagerte Verfahren sind noch rechtshängig.
Karl Lauterbach hatte im August 2024 Margaretha Sudhof, ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, mit der Überprüfung der Maskenbeschaffung beauftragt und dabei martialisch angekündigt, man werde der Sache auf den Grund gehen und keinen Stein auf dem anderen lassen. Schon anlässlich dieser Ankündigung berichtete KRiStA, dass eine Überprüfung wegen des im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) herrschenden Verwaltungschaos kaum erfolgreich sein könne. Das hat sich bewahrheitet. Das Verwaltungschaos und fehlende Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten im
BMG verhindern einen der Realität entsprechenden abschließenden Prüfbericht. Darüber berichtet die FAZ in ihrer Ausgabe vom 29. März 2025.
Der Bericht von Frau Sudhof sollte schon Ende 2024 vorliegen. Der Bundeshaushaltsausschuss hat vergeblich einen Zwischenbericht bis zum 15. Januar 2025 angefordert. Ob überhaupt eine Aufklärung erfolgt, liegt nunmehr beim neuen Bundestag. Dessen Glaubwürdigkeit in Bezug auf den Willen, das Corona-Geschehen aufzuarbeiten, wird schon zu Beginn der Legislaturperiode auf die Probe gestellt.
Aktenteile könnten entfernt werden
Dass die Maskenanschaffung verfassungs- und gesetzwidrig war, ist seit dem Bericht des Bundesrechnungshofs offensichtlich. Ob Frau Sudhof die nachfolgenden Feststellungen des BRH in ihrer bisher achtmonatigen Arbeit bestätigt gesehen hat, ist unbekannt, da das Gesundheitsministerium jede Auskunft verweigert. Entgegen dem in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Rechtsstaatsprinzip wurden die Akten nicht so geführt, dass der wesentliche Ablauf verwaltungsinterner Maßnahmen und Entscheidungen nachvollzogen werden kann. Hiergegen hat das Gesundheitsministerium verstoßen.
Die vorhandenen Akten enthalten keine Seitenzahlen. Das eröffnet die Möglichkeit, Aktenteile zu entfernen oder nachträglich hinzuzufügen. Es gibt keine der Wirklichkeit entsprechende Vergabedokumentation. Sämtliche Vergabebegründungen enthalten formularmäßig wortgleich den Zusatz, nur dieser Lieferant habe die angegebene Menge zu dem genannten Zeitpunkt liefern können. Alle Dokumente wurden ohne jede Begründung nachträglich mit dem Vermerk versehen: „VS – nur für den Dienstgebrauch“, was die Ansprüche aus dem Informationsfreiheitsgesetz unterlaufen sollte. Dieses hier nur beispielhaft benannte Verwaltungschaos hat zu einer bedeutenden Belastung des
Bundeshaushalts geführt.
Nachzollerhebung im mittleren dreistelligen Millionenbetrag
In neun Lagern externer Logistikunternehmen verursachten dort gelagerte 494 Millionen PfH- und sieben Millionen MNS-Masken, die wegen Mängeln unbrauchbar waren, hohe Lagerkosten. Dies nur deshalb, weil das Gesundheitsministerium keine Mängelrügen vorgebracht hatte. Bei abgeschlossenen Vergleichen mit den Lieferanten war unterlassen worden, die Abholung mit zu regeln. Bei einer entsprechenden Vereinbarung in Vergleichen wurde die Abholung nicht durchgesetzt.
Bei importierten Masken ist das Gesundheitsministerium wegen des Verwaltungschaos nicht in der Lage, deren Einfuhr, Lagerung und zweckgerechte Verwendung nachzuweisen. Das Gesundheitsministerium wusste, dass hiervon abhing, ob sich die zunächst nur vorläufige Einfuhrzollbefreiung in eine endgültige Befreiung umwandeln würde. Da das Gesundheitsministerium chaosbedingt diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann, steht nach der Berechnung des Bundesrechnungshofs eine Nachzollerhebung im mittleren dreistelligen Millionenbetrag an. Wegen des Verwaltungschaos war das Gesundheitsministerium nicht in der Lage nachzuweisen, wie viele Masken an die Bundesländer geliefert und wie viele zurückgegeben wurden. Die Bundesländer haben angesichts der ungeklärten Lage nur einen geringfügigen Betrag an den Bund erstattet.
In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung sah sich die CDU-Fraktion trotz des Verwaltungschaos veranlasst, den Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums für ihre
aufopferungsvolle Tätigkeit während der Corona-Zeit zu danken und deren großen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie hervorzuheben. Für Frau Sudhof musste erkennbar sein, dass nach dem föderalen Aufbau der BRD die Bundesländer für die Maskenbeschaffung zuständig sind und dagegen verstoßen wurde. Das Gesundheitsministerium wusste, dass die Bundesländer, die Krankenhäuser und die Arztpraxen selbst Masken beschaffen würden.
Ausgehend von der Zuständigkeit der Maskenbeschaffung durch die Bundesländer wurde dem Bund am 29. März 2020 in einer Bund-Länder-Vereinbarung – ergänzt durch einen
Beschluss des sogenannten Corona-Kabinetts vom 30. März 2020 – gestattet, 75 Millionen PfH- und 200 Millionen MNS-Masken zu beschaffen. Das Gesundheitsministerium hat diese Anzahl in mehrfacher Abstimmung mit den Bundesländern selbst ermittelt.
Verfassungswidrig hat Jens Spahn davon abweichend das 17- bis 20-Fache der mit den Bundesländern vereinbarten Menge (1,7 Milliarden PfH- und vier Milliarden MNS-Masken) angeschafft. Wohlgemerkt: Die Anschaffung begann schon am 9. März 2020, zu einem Zeitpunkt, als es die Bund-Länder-Vereinbarung noch gar nicht gab.
Spahn hat vergaberechtswidrig Einzelkaufverträge geschlossen
Haushaltsrechtlich gilt nach § 17 Abs. 1 BHO die sogenannte Einzelveranschlagung. Im Falle der Anschaffung der Masken war offensichtlich, dass diese Maßnahme nicht nur das Haushaltsjahr 2020, sondern, zum Beispiel durch die notwendigerweise entstehenden Lagerkosten, die Folgejahre belasten würde. Die für diesen Fall nach § 38 BHO unabdingbare Verpflichtungsermächtigung gab es nicht.
In Kapitel 1503 des Bundeshaushalts wurde der Titel 68406 (Nationale Reserve Gesundheitsschutz, kurz: NRGS) vorsorglich eingestellt und mit 750 Millionen Euro ausgestattet. Die für den geplanten Titel erforderliche Beschlussfassung des Bundestages über ein Gesundheitssicherstellungsgesetz kam aber bis heute nicht zustande, weil der damit verbundenen Grundgesetzänderung die erforderliche Zweidrittelmehrheit versagt blieb.
Über diesen noch nicht existierenden Titel hat Jens Spahn verfügt, indem er am 22. Januar 2021 gegenüber dem Bundesverwaltungsamt anordnete: „Die Zahlungen sind zuerst aus dem NRGS-Titel zu leisten, sollte dieser ausgeschöpft sein, so leisten Sie
weitere Zahlungen aus dem Corona-Titel.“ Das Vergaberecht erlaubt die Vergabe öffentlicher Aufträge grundsätzlich nur im Wettbewerb. Eine Situation, davon abzuweichen, lag nicht vor.
Jens Spahn hat vergaberechtswidrig ohne Ausschreibung Einzelkaufverträge geschlossen. So erklärte er gegenüber einem Logistikunternehmen eine Abnahmegarantie für 350 Millionen PfH- und 700 Millionen MNS-Masken mit einem Verpflichtungsvolumen von 1,4 Milliarden Euro. Im sogenannten Open-House-Verfahren wurden wirtschaftlich völlig unsinnige Standards gesetzt. Das Gesundheitsministerium bot an, Masken zum Preis von 5,36 Euro anzukaufen, für eine von dem Lieferanten zu bestimmende Menge. Einzige Bedingung war die Lieferung bis zum 30. April 2020. Marktwirtschaftlich sinnvoll war der von dem zuständigen Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium vorgeschlagene Preis von 3,57 Euro. Die Erhöhung des Angebotspreises durch Jens Spahn kostet nach den Ermittlungen des Bundesrechnungshofes den Steuerzahler circa 470 Millionen Euro und stellt einen Verstoß gegen das Gebot der sparsamen Haushaltsführung dar.
Keine Spur von persönlichem Verantwortungsbewusstsein
Die Anschaffung der 5,7 Milliarden Masken war insgesamt nicht notwendig. Der Bundesrechnungshof kommt zu der zusammenfassenden Bewertung: Die angeschafften Masken waren „ohne Nutzen für die Pandemiebekämpfung und damit ohne
gesundheitspolitischen Wert“. Bei der Anschaffung der Masken bestand kein Verteilungskonzept, weder hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs noch in Bezug auf die Empfänger. In einer Drucksache des Gesundheitsministeriums an den Haushaltsausschuss wird eingeräumt, dass es schon während der Pandemie nicht gelungen war, die Milliarden Masken „unterzubringen“.
Der Bundesrechnungshof hat nachgewiesen, dass schon mindestens vier Milliarden Masken verbrannt worden sind (Stand März 2024). Zum Absatz noch gelagerter gebrauchsfähiger Masken wurde im Sommer 2024 eine „Herbstinitiative“ angekündigt, verbunden mit einer sogenannten „kostenlosen Andienaktion“ bei Krankenhäusern, Sozialverbänden, an Bahnhöfen und Flughäfen. So soll die „energetische Verwertung“ des Restbestandes vermieden werden. Das Auswärtige Amt hat die Ankurbelung der „Maskenandienung“ im Ausland mit der Begründung abgelehnt, „Spenden dieser
Art (seien) aus regulatorischen und logistischen Gründen zu komplex und zeitaufwendig“.
Trotz dieser Ungeheuerlichkeiten zeigen öffentliche Verlautbarungen von Jens Spahn keine Spur von persönlichem Verantwortungsbewusstsein. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass er sich auf absehbare Zeit für ein öffentliches Amt disqualifiziert hat. Er ist anderer Auffassung. Nach eigener Bekundung will er nicht nochmals Bundesgesundheitsminister werden. Seine CDU-Parteifreunde unterstützen ihn derweil in der Einschätzung, sowohl für das Finanz- als auch für das Wirtschaftsministerium in der neuen Bundesregierung qualifiziert zu sein. Einzig Proporzgründe könnten da hinderlich
sein. Für diesen Fall bleibt dann eben der Vorsitz der CDU-Bundestagsfraktion.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Berliner Zeitung.
Dr. Manfred Kölsch war 40 Jahre lang Richter und gab im Mai 2021 aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen sein Bundesverdienstkreuz zurück.