Dass das Leben hart und ungerecht ist, hatte ich immer schon geahnt. Aber auf die Bestätigung dieser Befürchtung hätte ich dann doch gerne verzichtet.
Was ist passiert? Vor drei Monaten erhielt ich eine Einladung der Fabian Society, jener britischen Intellektuellenvereinigung, die sich seit 1884 für die Verbreitung des Sozialismus einsetzt. Man gedenke, eine Veranstaltung zu dem Thema zu organisieren, welche Partei besser für die Wirtschaft sei, Labour oder die Tories, und ob ich dort nicht sprechen könne.
Das war Mitte Juni, in den letzten Amtstagen von Tony Blair, und im direkten Vergleich mit einer Labour-Party unter Gordon Brown, der in seinem Amt als Finanzminister für eine massive Ausweitung der Staatstätigkeit und unzählige Steuererhöhungen verantwortlich war, wäre es mir leicht gefallen, die Frage zugunsten der Tories zu beantworten - wenn auch nur als das kleinere Übel. Diese Antwort hätte den Sozialisten zwar nicht gefallen, aber wenn sie schon einen Vertreter eines Mitte-Rechts-Think Tanks einladen, dann müssten sie damit wohl rechnen.
Dann kam der Übergang von Blair auf Brown, und plötzlich sieht alles ganz anders aus als vorher. Gordon Brown legte nicht nur einen gelungenen Start als Premierminister hin, sondern er bekannte sich vor wenigen Tagen auch noch zu allem Überfluss als Anhänger von Margaret Thatcher. Oppositionschef David Cameron hingegen hat man über den Thatcherismus noch nicht viel sagen hören - es würde auch nur bei den Bemühungen zur “Modernisierung” seiner Partei stören.
Doch damit nicht genug. Schattenschatzkanzler George Osborne versprach letzte Woche, dass seine Partei bei einem Wahlsieg exakt soviel ausgeben würde, wie es eine Labour-Regierung tun würde. An Haushaltskürzungen oder Netto-Steuersenkungen sei somit nicht gedacht. Was den Umfang der Staatstätigkeit angeht, so passt zwischen Labour und die Tories somit kein Blatt Papier mehr.
Aber es kommt noch besser: Heute legte die konservative Programmkommission zur “Steigerung der Lebensqualität” ihre Vorschläge auf den Tisch. Darin enthalten sind Sondersteuern für große Neufahrzeuge (zum Beispiel £2000 für einen Ford Mondeo), Zwangsparkgebühren für Einkaufszentren, Verbote von Produkten mit geringer Energieeffizienz und ein Ausbaustopp für alle englischen Flughäfen. Man hat sich also wirklich Mühe gegeben, bloß nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Konservativen noch irgend einen Gedanken an die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft verschwenden.
Das wäre nun alles schon traurig genug, aber nun muss ich nächste Woche also bei den Sozialisten meinen Vortrag halten, und die beiden Parteien haben mein ursprüngliches Redemanuskript Makulatur werden lassen. Denn welche Partei ist wirklich wirtschaftsfreundlicher? Sie wollen beiden gleich viel ausgeben, gleich viel besteuern, nur die Tories wollen das zusätzlich noch mit einer ökologischen Regulierungsoffensive verbinden. Da fällt die Antwort auf die Frage der Fabians eigentlich nicht schwer.
Aber der Gedanke, dass ich den sozialistischen Aktivisten erzählen muss, dass Labour eigentlich die Partei mit der besseren Wirtschaftspolitik sei, ist nicht sonderlich erfreulich. Und ob die Fabians das wirklich hören wollen, ist noch eine ganz andere Frage.