Sorry, Roger Koeppel, mit Wehleidigkeit hat das nichts zu tun

Roger Koeppel aus der Schweiz gehört sicher zu den erfrischendsten, erfreulich schamlos konservativen Publizisten im deutschen Sprachraum. Es ist auch sympathisch, wenn er der deutschen politischen Debatte als so halb von draußen darauf schauender Akteur attestiert, dass sie lebhaft und vielfältig sei, mehr als in früheren Jahren – nicht zuletzt geschuldet dem technischen Fortschritt, der es möglich macht: dass man keinen riesigen, kostspieligen Fernseh-Sender mehr braucht, um interessiertem Publikum per Video die Meinung zu sagen – auch keinen aufwendigen Verlags- und Verteilungs-Apparat, um kritische Texte zu verbreiten; all das erledigt das Internet wie von Zauberhand.

Ebenfalls zuzustimmen ist ihm in der Wahrnehmung, dass die Herrschenden teilweise geradezu panisch reagieren, weil sie merken, dass ihnen die Kontrolle entgleitet und dass ein nennenswerter Teil der Regierten sich doch tatsächlich eine abweichende Meinung erlaubt und diese auch noch ungeniert äußert. Ja, dann wird Demokratie anstrengend … und da muss die Opposition sich nicht wundern, wenn die Burgfräuleins – Koeppel mag an Uschi, Angela, Maybrit oder Annalena denken – nicht Blumen werfen, sondern Pech und Schwefel regnen lassen von ihren tapferen Knappen. Aber man muss nicht „wehleidig“ sein, um gleichzeitig auch andere Feststellungen zu treffen, die bei Roger Koeppel fehlen, obwohl sie unübersehbar notwendig sind. 

Erstens nämlich die Tatsache, dass es Meinungsvielfalt früher in eben dem System gab, dem sie inzwischen fast vollständig abhanden gekommen zu sein scheint. Früher gab es konservative Zeitungen, früher gab es konservative Meinungen im Staatsfernsehen, und zwar mit gehörigen Anteilen am Gesamtbild. Heute gibt es fast nur noch grünlinks gleichgeschalteten Einheitsbrei, und was dabei am linken Rand herausquillt, hätte man in der alten Bundesrepublik als so absurd extremistisch angesehen, dass man dafür keinen Raum gegeben hätte.

Zweitens: Früher gab es auch konservative Parteien, heute nur noch einen Rest versprengter Konservativer in der Union, und sie benötigen offensichtlich Artenschutz – während diejenige Partei, die im Grunde programmatisch das Erbe der alten Union angetreten hat, als quasi Nazi-Partei verunglimpft wird, maßlos überzogen, und teilweise vom Verfassungs-Schutz traktiert. Während gewaltfreudigen Linken noch Steuergelder für ihr wackeres Tun hinterdrein geworfen werden, angeblich zur „Verteidigung der Demokratie“. Was für ein Hohn.

Zu wenig, an den Sportgeist zu appellieren

Drittens: Früher wäre es auch selbstverständlich gewesen, dass führende Politiker es als ihre Aufgabe ansehen, die Interessen ihres Landes zu vertreten, auf der internationalen Bühne. Heute scheinen die Politspitzen es für ihre Pflicht zu halten, das „eigene“ Land zugunsten des ungenierten Zugriffs durch nicht-demokratische globalisierende Funktionärskörper und der Ausplünderung durch fremde Interessen aller Art schutzlos zu machen, Grenzen offen (abgesehen natürlich von kleinkarierten Reisevorschriften gegen die eigenen Bürger).

Viertens: auch wenn das Internet – gegen den Kontrollwahn der Mächtigen – gegenwärtig wirklich viel echte Meinungs-Opposition möglich macht: wie lange noch? Kontrolliert werden die Plattformen durch nicht mal eine Handvoll Unternehmen, deren Führungen und Mitarbeiter in einer Weise ungeniert Zensur üben, die mit George Orwells Wahrheitsministerium aus „1984“ locker mithalten kann. Donald Trump ist die öffentliche Meinungsäußerung schon vereitelt worden, da saß er noch amtlich im Weißen Haus. Um sich wieder frei zu äußern, wird er in den nächsten Wochen neue Plattformen eröffnen … das wird noch spannend. Aber dass er solche Schritte gehen muss, ist nicht normal.

Fünftens: Was noch öffentlich gesagt werden kann, wird immer weiter eingeengt; im englischen Sprachraum gibt es dazu den Begriff des „Overton window“. Und nicht nur werden bestimmte Meinungsäußerungen gebannt; gleichzeitig werden Sprachformen und Inhalte verpflichtend vorgegeben als gefälligst freudig zu vertretende Position: In England sind schon Bürger eingesperrt worden, weil sie im Internet transsexuelle Personen nicht mit deren gewünschten Pronomen bezeichnet haben; das so genannte „Misgendern“ ist damit als krimineller Akt etabliert. Lehrer in Amerika werden entlassen, weil sie sich weigern, offen rassistisch „weiße“ Kinder und Jugendliche zu bekämpfen. „Wehleidig“?

Und schließlich sechstens: Wenn somit die Meinungsfreiheit faktisch massiv eingeengt wird, ist das nicht „nur abstrakt“ ärgerlich, weil man das Maul verboten bekommt. Sondern dann wird das Gemeinwesen auch in der Sache vor die Wand gefahren, denn komplexe Probleme in komplexen Gesellschaften können eben nur mit freier Debatte angemessen analysiert und gelöst werden. Wir haben das gerade erst quasi bei lebendigem Leibe schmerzhaft erlebt, und manche auch nicht überlebt, was dabei herauskommt, wenn inkompetente, aber um so kontroll- und machtwütigere Herrschende Propaganda an die Stelle echter Debatte setzen. Und viele der massiven Folgen der totalitären Corona-Inkompetenz werden erst noch in den kommenden Jahren überhaupt ans Tageslicht kommen: gesundheitliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche.

Vor diesem Hintergrund: Es ist ganz und gar nicht „wehleidig“, darüber alarmiert zu sein. Im Ergebnis hat Roger Koeppel natürlich recht, sofern er gleichsam aufmuntert, sich nicht einschüchtern zu lassen. Gleichwohl scheint es zumindest etwas zu blauäugig, einfach nur an den Sportgeist zu appellieren. Wenn ein angehender jugendlicher Fußballspieler das erste Mal übel gefoult wird und sich fragt, ob das der richtige Sport ist, kann der Trainer sagen: hab dich mal nicht so, das gehört dazu, steh einfach auf und kämpfe weiter. 

Manipulierte Spielregeln, korrupte Schiedsrichter

Das Problem ist, dass die Mächtigen gerade komplett die Spielregeln verdrehen, zu ihren Gunsten, und dass die Schiedsrichter durchweg agieren, als seien sie gekauft, falls sie überhaupt die Regeln verstehen. Und „die Mächtigen“, das ist inzwischen ein geradezu unappetitlich zusammengeschmolzenes Konglomerat. Das Establishment, wie Roger Koeppel es nennt, kennt heute keine innere Pluralität mehr. Die Parteien sind überwiegend wie Blockflöten, vereint gegen die dämonisierten „Populisten“. Medien kontrollieren die Politik nicht mehr, sondern schwenken für sie die Fahnen und geben gleichzeitig die Marschrichtung vor. Die Justiz scheint an höchsten Stellen ebenfalls keine Lust mehr zu haben auf Distanz und Unabhängigkeit. Die Länder agieren wie Vasallen des Bundes, als sei Föderalismus nur eine Spielwiese und keine Säule der Gewaltenteilung.

Selbst in der Wissenschaft wird mit viel Geld und viel Zensur faktisch gleichgeschaltet und Debatte unterbunden. In allen genannten Sphären, die sich früher gegenseitig kontrolliert haben und innerhalb derer es wirklich Pluralität gab, scheinen die gleichen, beängstigend einheitlichen Strippen gezogen zu werden. Das ist eine strukturell und fundamental veränderte Situation, in der die Mächtigen kein Pardon mehr geben und offen die Demokratie bekämpfen. Das hat, noch einmal, nichts mit Wehleidigkeit zu tun.

Aber richtig bleibt natürlich: Der Kampf muss weitergehen, jetzt erst recht, und es bewegt sich auch etwas. Aber wo bewegt es sich? Wer kommt wirklich voran? Reichen mutige Worte und eine scharfe Zunge? Meinungsfreiheit wird jetzt nicht mehr nur ausgeübt mit dem hoffentlich besseren Argument. Es geht jetzt tatsächlich darum, Demokratie und Meinungsfreiheit zurückzuerobern, indem man „das System“ der Mächtigen als Ganzes offen infrage stellt. So wie es Nigel Farage und Donald Trump gewagt haben. Beide haben die Spielregeln der Mächtigen ignoriert, die Schiedsrichter als korrupt benannt und ihr ganz eigenes Spiel durchgezogen. Nur als rigorose Außenseiter hatten sie Erfolg, nicht mit taktisch wohldosierter Kritik.

So viel offener Widerstand gegen das Establishment muss schon sein. Dem Beamten im Bundesinnenministerium, der entlassen werden soll für mutige Sachanalyse; harmlosen Schauspielern, denen die berufliche Existenz entzogen werden soll für ihre Corona-Kritik; den gewaltsam polizeilich traktierten bürgerlichen Demonstranten kann man jetzt nicht Wehleidigkeit vorwerfen. Denn es muss wirklich sozusagen auf der Meta-Ebene die Konfrontation gesucht werden, anstatt ihr mit ritterlich-eleganter Geste auszuweichen. Wenn ein so herausragender Publizist wie Roger Koeppel uns sagt: Leute, habt Euch mal nicht so, das ist doch alles ganz normal … dann möchte ich ihm entgegnen: Nein, es ist eben nicht mehr normal, wie die Mächtigen uns den Saft abdrehen wollen. Wenn wir das nicht in aller Klarheit thematisieren, dann brauchen wir uns mit einzelnen Sachthemen nicht mehr aufzuhalten.  

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Horst Kruse / 22.06.2021

Volle Zustimmung ! Es fehlt noch der Hinweis auf den ” Klimabeschluss ” des Bundesverfassungsgerichts , der Deutschland auf Jahrzehnte eine Notstandsverfassung mit extremer Einschränkung der Grundrechte beschert hat .

Torsten Hopp / 22.06.2021

Bravo.

Berta Zimmermann / 22.06.2021

100 % Zustimmung zu diesem Artikel.

Block Andreas / 22.06.2021

Roger Koeppel, den mag ich…der hat dem SPD Taugenichts Stegner mal erklären müssen was DEMOKRATIE bedeutet…hat der Stegner aber nicht kapiert….sonst hätte der ja die antidemokratischen Sozialisten ( nennt sich auch SPD) schon längst verlassen….

Frank Holdergrün / 22.06.2021

Der deutsche Gutmensch ist zum Regenbogen-Nazi verkommen: wenn er in München das Stadion des Wurstfabrikanten nicht in bunt erstrahlen lassen darf, wird er in die UEFA Zentrale einmarschieren. Die zu hörenden Affenlaute im Stadion in Budapest sind für ihn Anlass, Ungarn zu bombardieren. Er macht die Sachen von der Wurzel her, immer ganz und gar, seine Birne ist so hohl wie der Ball, auf den der Jogi treten lässt. Dies ist der Unterschied zur Schweiz: nirgendwo schwebt eine Diktatur permanent näher über den Köpfen als in diesem Land, das immer an der Front der Besten stehen will. Franz Werfel schrieb in seinem 1946 veröffentlichten Roman „Stern des Ungeborenen” die Begründung dafür: „Zwischen Weltkrieg II und Weltkrieg III drängten sich die Deutschen an die Spitze der Humanität und Allgüte. Und sie nahmen das, was sie unter Humanität und Güte verstanden, äußerst ernst. Sie hatten doch seit Jahrhunderten danach gelechzt, beliebt zu sein. Und Humanität schien ihnen jetzt der bessere Weg zu diesem Ziel. Sie fanden diesen Weg sogar weit bequemer als Heroismus und Rassenwahn. So wurden die Deutschen die Erfinder der Ethik der selbstlosen Zudringlichkeit.“ Der humanistische Nazi ist feuergefährlich, sein Wirken aus dem Oberkommando Weltmoral lässt ihn zu einer Lachplatte werden, die sich eiernd in die Weltpolitik einmischen möchte.

Gerald Weinbehr / 22.06.2021

Der Analyse von Michael W. Alberts ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Wenn heutzutage der Furor der linksgrünen Meinungsmonopolisten über einen Meinungsabweichler hereinbricht, ist dessen Existenzvernichtung als Drohkulisse ausdrücklich mit einkalkuliert. Wie hieß es doch nach der Wende von DDR-Nostalgikern in der Debatte DDR = Unrechtsstaat j/n? “Wer sich an die Regeln gehalten hat. hatte nichts zu befürchten”. Genau an diesem Punkt sind wir wieder angekommen. Hatte gerade am Wochenende ein Gespräch mit einem eingefleischten Grün-Wähler. Sogar er kam nicht umhin, den Stand der Diskussionskultur in Deutschland als “merkwürdig” zu umschreiben. Mittlerweile merkt es wirklich JEDER, der sich nicht völlig taub stellt.

RMPetersen / 22.06.2021

Wichtig: Früher gab es ein breites Meinungsspektrum im Rundfunk und im Fernsehen. Der ÖRR ist nun stramm auf rot-grün gepolt.  Es fehlt jeglicher Respekt vor den konservativen Positionen im Wahlvolk.

Pál Dr. Erdélyi / 22.06.2021

So ist es, Binnensicht vs. Außensicht. It depends on. Leider sieht es so aus, dass die Demokratie immer schon eher ein Wunsch als Wirklichkeit war. Die kurzen, „demokratischen“ Interludi waren und sind „Salz in der Suppe“. Mr. Attlee soll gesagt haben Macht korrumpiert. Was stimmt. Es geht um Macht in jeder Hinsicht, wer nicht kuscht wird Mundtot gemacht, heute erst noch mit der Maske. Brave new World + 1984 zusammen, vor allem sichtbar in der ersten Welt. Anderswo war es eher schon immer so. What next??

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael W. Alberts, Gastautor / 16.06.2023 / 12:00 / 42

Das große Wärmepumpen-Märchen (2): „Wir sparen CO2“

Wenn man auf gesamtwirtschaftlicher Ebene vergleichend bewertet, was nach der groß-grünen Wärmepumpen-Transformation passieren wird, gelangt man zu ernüchternden Ergebnissen: Es würde sogar mehr CO2 produziert werden, als…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 15.06.2023 / 06:00 / 48

Das große Wärmepumpen-Märchen (1): „Gut für die Wirtschaft“

Die Milliarden für Heizungs-Umbauten und andere Vorhaben der „Großen Transformation“ sollen die Wirtschaft „ankurbeln“, sagt die Bundesregierung. Ein Märchen, das „Experten“ erzählen, die alles kompliziert…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 12.05.2023 / 14:00 / 33

Lenkhilfe für Frau Lemke

Umweltministerin Steffi Lemke will Klimapolitik per Tempolimit betreiben. Mit etwas gesundem Menschenverstand und Allgemeinbildung stell man schnell fest, wie einfältig diese Idee ist – es sei…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 12.03.2023 / 16:00 / 42

Tarnen und Täuschen mit dem Umweltbundesamt

Das Umweltbundesamt veröffentlichte eine Studie, die die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits zeigen wollte. Das Papier ist im Wesentlichen Blendwerk, eine Kulisse handwerklicher Gediegenheit, ein Potemkinsches Dorf,…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 03.03.2023 / 14:00 / 43

Umsturz von oben: Absolutistischer Größenwahn (3)

Das „neue Normal“ einer formierten Gesellschaft im ideologischen Gleichschritt scheint das eigentliche Ziel der Politik zu sein – ein feuchter Traum von Spitzenpolitikern und Strippenziehern,…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 02.03.2023 / 12:00 / 27

Umsturz von oben: Permanenter Ausnahmezustand (2)

Alles ist moralisch massiv aufgeladen und jedes Mittel zulässig, um das angeblich unbedingt Notwendige durchzusetzen. Psychologisch wie politisch herrscht ein permanenter Ausnahmezustand. Im ersten Teil…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 01.03.2023 / 12:00 / 35

Umsturz von oben (1): Erleuchtete und Schuldige

Was die Menschheit über unzählige Generationen gelernt und geschaffen hat, soll plötzlich nichts mehr gelten, wird ins Gegenteil verdreht. Ein Muster dabei ist das Denken…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 08.02.2023 / 12:00 / 32

Die Tempolimit-Lügner: Radikal rücksichtlos (3)

Was bringt es für die „klimarettende“ CO2-Vermeidung, wenn die Grünen endlich das Tempo auf allen Autobahnen auf 120 drosseln dürfen, worauf sie seit Jahrzehnten fieberhaft…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com