Vera Lengsfeld / 09.08.2020 / 06:18 / Foto: Lesekreis / 48 / Seite ausdrucken

Sonntagslektüre: Wie ich meine Zeitung verlor

Birk Meinhardts Buch „Wie ich meine Zeitung verlor“ macht derzeit vor allem in den sozialen Medien Furore. Wenn es von denen besprochen wird, die früher als Leitmedien galten, wird es meist mit dem Attribut „umstritten“ belegt. Angefeindet wäre der genauere Ausdruck, denn Meinhardts Analyse des journalistischen Niedergangs der Süddeutschen Zeitung trifft auf alle Mainstream-Medien zu.

Wie kommt ein mehrfach mit dem prestigeträchtigen Egon Erwin Kisch-Preis honorierte Edelfeder dazu, sich gegen sein Blatt und seine Karriere zu wenden? Es ist kein Zufall, dass dieses Buch von einem Ostdeutschen geschrieben wurde. Der Schlüsselsatz steht auf Seite 47: 

„Ganz am Anfang… habe ich mich den Kollegen gegenüber im Nachteil gewähnt. Sie traten alle so sicher auf. Sie waren alle so weit gereist…Es schien mir, als seien sie mir voraus. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass es umgedreht war: Die größte und wichtigste Erfahrung, die des Zusammenbruchs eines Systems, hatte ich gemacht… Es war und ist ein Privileg, über sie zu verfügen… Nimm nichts als gegeben, nie wieder. Reih dich nicht noch einmal bei denen ein, die etwas für gegeben und unumstößlich halten…Bleibe auf Abstand.“

Meinhardt war kein Dissident in der DDR, aber er lehnte es ab, Stellvertretender Chefredakteur zu werden, weil er nicht die Parteianweisungen an seine Kollegen weiter geben wollte. Er eckte ab und zu an, weil er schrieb, was er erlebte, nicht, was gewünscht war.

Nach der Vereinigung, als westdeutsche Redaktionen begannen, sich nach einem ostdeutschen Journalisten umzusehen, bekam Meinhardt mehrere Angebote. Eins scheiterte beim Gespräch mit dem Verleger, als er bekannte, nicht gezwungenermaßen, sondern freiwillig aus Überzeugung der SED beigetreten zu sein. Mit einem Opportunisten hätte der Verleger gut leben können, mit einem, der lieber in der Wahrheit lebt, wie Vaclav Havel das ausgedrückt hat, nicht. 

„Klein-Fritzchen“hatte  mit seiner Einschätzung richtig gelegen

Zum guten Schluss landete Meinhardt bei der Süddeutschen und, wie er dachte, im Siebten Himmel. Er machte eine steile Karriere vom Sportressort zum Feuilleton als Starreporter. Ein erster Missklang war 2004 eine Auftragsreportage über die Schwierigkeiten der Deutschen Bank. Nicht gerade sein Thema. Aber er begann zu recherchieren und kam zu dem Ergebnis, dass die DB sich dumm angestellt hatte, als sie für 2,7 Mrd DM die Investmentbank Morgan Grenfell kaufte und die Banker im voraus mit Boni von 15 Millionen Mark bedachte. Am Ende machte die Bank 1 Million Gewinn und blieb auf 14 Millionen Verlust sitzen. Darin erkannte Meinhardt keine einzelne Fehlentscheidung, sondern einen Systemfehler, der dadurch nicht kleiner wurde, dass sich die meisten großen Banken der Welt der Investment-Zockerei ergeben hatten. Der Chef des Wirtschaftsressorts der Süddeutschen bescheinigte ihm er stelle sich die Wirtschaft wie Klein-Fritzchen vor und verhinderte die Veröffentlichung. Vier Jahre später, mit der Bankenkrise 2008 stellte sich heraus, dass „Klein-Fritzchen“ mit seiner Einschätzung richtig gelegen hatte.

Ab 2010 fiel Meinhardt auf, dass die Berichterstattungen über Auseinandersetzungen zwischen rechten oder für rechts gehaltenen Jugendlichen und Migranten asymmetrisch waren. Ihm schienen die Schuldzuweisungen nach rechts nicht immer stimmig zu sein. Wieder begann er zu recherchieren und fand sich bestätigt. Er schrieb eine Reportage über gravierende Falschverurteilungen.

Fall eins, Gerald, ein stadtbekannter rechter Kleinkrimineller, wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt für eine Brandstiftung an einem Imbiss, die er nicht begangen hatte. Er lag zur fraglichen Zeit zu Hause in seinem Bett. Seine Mutter  konnte das bezeugen, aber der Richter fand es gewichtiger, dass eine Postbotin nicht zwei Brandstifter am Tatort gesehen haben wollte, sondern schemenhaft einen Dritten. Weil Geralds Kumpel, mit denen er den frühen Abend verbracht hatte, die Täter waren, wurde auch er verhaftet und verurteilt. Erst nach vier Jahren gab es am Landgericht Frankfurt/Oder ein Wiederaufnahmeverfahren, das erste im Land Brandenburg nach 2200 abgelehnten Anträgen, in dem Gerald freigesprochen wurde. Wurde ein Justizirrtum korrigiert? Meinhardt zweifelt, ob es das trifft. Der Richter, der Gerald verurteilte, war vorher zweimal öffentlich wegen angeblich zu milder Urteile gegen rechte Jugendliche angegriffen worden. Es handelte sich also eher um Beflissenheit, Beeinflussbarkeit, Zweifelsverdrängung. Aber was ist ein Rechtsstaat noch wert, der seinen Prinzipien nicht mehr folgt und sich sein Vorgehen von Meinungsmache diktieren lässt?

Kanzlerin Merkel gab den Ton vor

Im zweiten Fall, den Meinhardt aufgriff, war das Dilemma noch deutlicher. Es ist ein Beispiel dafür, „was geschehen kann, wenn im Kampf gegen Rechts der Blick auf die Tatsachen verloren geht“. Es handelt sich um den der spektakulären Angriff auf einen Jamaikaner 2006 in Potsdam. Als die Polizei einen halben Handymitschnitt ins Internet stellte, auf dem zu hören war, dass eine hohe männliche Stimme „Oller Nigger“ sagt, glaubt ein Mann Björn Liebscher erkannt zu haben. Das reicht, um Liebscher mit äußerst brutaler Gewalt zu verhaften und sein Bild als Täter in „Bild“ zu präsentieren. Mehr noch. „Weil Teile der Gesellschaft nur noch ihren Reflexen folgen. und weil unter diesen Reflexen die Gewissheit lag, auf der richtigen Seite zu sein“, passierte Folgendes: 

Kanzlerin Merkel gab den Ton vor: „Mir liegt daran, dass dieser Fall schnell aufgeklärt wird und dass wir deutlich machen, dass wir Fremdenfeindlichkkeit, Gewalt, rechtsradikale Gewalt aufs Äußerste verurteilen.“

Generalbundesanwalt Kai Nehm hörte die Signale und zog die Ermittlungen an sich. Er ließ Liebscher im Hubschrauber mit verbundenen Augen, Ohrenschutz und Handschellen nach Karlsruhe fliegen, wo er den Mann, gegen den er ermitteln wollte, bereits als Täter präsentierte.

Der oberste Jurist Deutschlands setzte die Rechtstaatsprinzipien, zuvörderst das oberste - in dubio pro reo - außer Kraft, um dem Zeitgeist gefällig zu sein.

Liebscher wurde hinter Gitter gesperrt, obwohl die lokalen Ermittlungsbehörden sehr bald wussten, dass er nicht der Täter war. Nur weil ein Kriminalbeamter den Mut aufbrachte, der Freundin Liebschers zu sagen, dass er unschuldig sei, kam es letztendlich zu seiner Entlassung. Der Mann, der mit voller Namensnennung und Foto als Täter durch die Medien gezerrt wurde, leidet noch heute unter den Folgen. Er bekommt keine Wohnung, weil man neben so einem nicht wohnen will. Er hat seine Lebensfreude verloren. Er ist ein zerstörter Mensch. Das sind die Folgen der Aufforderung, wie sie von der stasispitzelgeführten Amadeu Antonio-Stiftung formuliert wurde: Lieber einen Rechten zu viel, als einen zu wenig anzuzeigen.

„Nur noch in eine Richtung gebürstet“

„Ein Mann wie Kay Nehm weiß bis heute nicht, was er angerichtet hat, mit seinem Furor…“ Auch der Vorsitzende des Vereins „Gesicht zeigen“, Uwe Karsten Heye, der Zahlen über rechtsextremistische Straftaten herunterrattert, alle 26 Minuten eine, (gehören auch die „Propagandadelikte“, die es links nicht gibt dazu?), weiß nicht, dass 90 Prozent der Intensivtäter der Stadt Potsdam Migranten sind. Auch Talkshow-Moderator Jauch würde seine Sendungen, in denen er den Jamaikaner zweimal, die Mutter von Liebscher einmal einschlägig vorgeführt hat, wieder so machen, sagt er Meinhardt in einem Interview. Er scheint keinerlei schlechtes Gewissen zu haben, an der Zerstörung eines Menschen beteiligt gewesen zu sein. 

Im Rechtsstaat ist erst schuldig, der rechtskräftig von einem Gericht verurteilt wurde, im Kampf gegen Rechts wird auf rechtsstaatliche Prinzipien verzichtet. Was ist der Rechtsstaat dann noch wert?

Jauch interveniert übrigens bei einer Silvesterfeier erfolgreich beim Stellvertretenden Chefredakteur der Süddeutschen gegen eine Veröffentlichung der Reportage Meinhardts. Offenbar ist ihm klar, wie zweifelhaft seine Position ist und möchte sich damit lieber nicht in der Zeitung sehen.

Er hat damit Erfolg. Die Reportage erscheint nicht, weil sie den „Rechten in die Hände spielen“ könnte. Sie könne „als Testat dafür genommen werden, dass sie ungerechtfertigt verfolgt werden.“ Das steht allerdings nicht in Meinhardts Reportage, die er vollständig im Buch dokumentiert, damit sich jeder Leser selbst ein Bild machen kann. In der DDR, erinnert Meinhardt, hieß es übrigens, die Kritik möge ja berechtigt sein, aber sie könnte dem Klassenfeind nützen.

"Wie selbstherrlich, wie töricht"

Meinhardt analysiert, wie die gesamte Berichterstattung, nicht nur die der Süddeutschen, „nur noch in eine Richtung gebürstet“ ist. Es wird einer „Haltung“Ausdruck verliehen. Aber das Haltung zu nennen ist schon falsch.

„Wenn es eine Haltung wäre, was Selbstdurchdachtes, Selbsterarbeitetes, was vielleicht unter Mühen Erworbenes, was Eigenständiges, würden doch von den Individuen so große Teile der Realität nicht so gemeinschaftlich, so geschlossen, so uniform ausgeblendet werden; so identisch zeigen sich eigentlich nur Späne, die sich nach dem Magneten ausrichten…“

Meinhardts Fazit: „…Sie kennen die journalistischen Grundregeln, aber sie befolgen sie nicht mehr, handsreichartig setzen sie sie außer Kraft, wie selbstherrlich, wie töricht.“

Und er fragt: „Wieso kommen all die Weglasser und Hervorheber nicht auf die Idee, dass sie selber einen gehörigen Beitrag leisten zur Radikalisierung, der sich vor ihren Augen vollzieht?“

 

Birk Meinhardt: Wie ich meine Zeitung verlor

Foto: Lesekreis CC0 via Wikimedia Commons

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Sabine Heinrich / 09.08.2020

...und meine Zeitungen haben mich im Laufe der letzten Jahre als zahlende Leserin verloren. Als erstes “Die Zeit” - damals noch ein Qualitätsblatt, das aber Leser von weiteren Informationen aussperrte, die kein Internet hatten - und das waren vor ca. 2 Jahrzehnten noch viele Menschen - und statt Qualitätstexten zunehmend nur mit größeren Fotos Platz geschunden hat. Für mich gehörte früher eine Tageszeitung einfach zu einem “runden” Tag dazu - vorbei. Ich habe es mit mehreren versucht - aber ich bin nicht bereit, für einseitige Informationen, linke Gehirnwäsche und Beleidigungen auch noch Geld auszugeben. Viele Jahrzehnte habe ich einem größeren norddeutschen Blatt seit meiner Studienzeit auch fern von Kiel die Treue gehalten - aber was nützt mir die Tageszeitung, wenn die Post - früher zuverlässig spätestens um 10 Uhr im Kasten - nun erst am späten Nachmittag oder gar nicht ausgeliefert wird? Aber “Post” - das ist ein Thema für sich - und vielleicht könnten Sie - liebe Redaktion - das auch einmal aufgreifen.

Gudrun Dietzel / 09.08.2020

Vor allem an die Autorin, Vera Lengsfeld, gewandt, möchte ich zu Birk Meinhardt sagen: Wir DDR-Journalisten sind nach der Wende 1989, so wir überhaupt Arbeit in unserem Beruf bekamen, vom Regen in die Traufe gekommen. Da ging es uns nicht anders als den meisten Menschen, die in dieser Zeit ihr Glück in der bundesdeutschen Politik versuchten, stimmts’s, Frau Lengsfeld? Aus eigener Erfahrung in drei großen bundesdeutschen Verlagshäusern kann ich nur bestätigen, was Birk Meinhardt schreibt. Aber dieser Niedergang im Zeitungs- und Medienwesen ging nicht erst in den letzten fünf Jahren los. Er war schon da als wir, die sehr gut ausgebildeten Absolventen der Fakultät für Journalistik der Universität Leipzig, im Westen “ankamen”. Mit unserer in der DDR sozialisierten Vita und dem (Lebens)Lernergebnis, die alten Fehler nicht wiederholen zu wollen, hatten wir die sensibelsten Antennen für das, was im westdeutschen Journalismus läuft. Und es war nichts anderes als im Osten. Hat lange gedauert für Meinhardt und Lengsfeld. Dennoch: Chapeau vor beiden.

Michael Brüggemann / 09.08.2020

Lieber Redaktion vielleicht sollten sie die Buchbesprechungen nicht mit einem Link zum Amazonbuchkauf versehen. Ich bin selbst Primekunde, kann mir aber auch gut andere Buchhändler vorstellen.

Heiko Stadler / 09.08.2020

Meinhardts Buch ist ein Stück Zeitgeschichte. Es spiegelt den moralischen Verfall von Politik und Medien unter dem Deckmantel des “Gutmenschentums” wieder, der bereits in den 1990er Jahren begann, aber erst unter Merkel richtig Fahrt aufnimmt und mittlerweile bizarre Formen annimmt. Ein Buch, das das Prädikat “nicht hilfreich” verdient hat. Ich hab es bereits in meinem Bekanntenkreis weiterempfohlen.

Stefan Schultz / 09.08.2020

Ich verstehe es nicht. Ich begreife diese Menschen nicht, die die Wahrheit mit Füssen treten und sich dabei auch noch auf der Seite des Guten wähnen. Was geht in solchen Köpfen vor? Wie konnte es soweit kommen im Jahre 2020?

Wolfgang Zeh / 09.08.2020

Hallo erstmal, “Wieso kommen all die Weglasser und Hervorheber nicht auf die Idee, dass sie selber einen gehörigen Beitrag leisten zur Radikalisierung, die sich vor ihren Augen vollzieht?” Nun ja, da es sich bei den handelnden Personen, zumindest nach deren eigener Einschätzung, um eher überdurchschnittlich mit Intelligenz gesegnete Menschen handelt, würde ich da mal bewusstes Handeln implizieren. Divide et impera eben. Klappt auch ganz bombig - im Sinne des Wortes. Ergo: Uffbasse!

Wilfried Cremer / 09.08.2020

Die vermeintlich Rechten sind der Sündenbock für die Bescherung mit dem Internet. Das kommt schließlich aus Amerika, wo sich die Juden tummeln. Das Böse ist nach links gerutscht, bevor es wieder in den Abgrund rauscht, als Echo von der anderen Seite.

Christian Noha / 09.08.2020

Beim SPEICHEL, der Welt und der FAZ ist es eigentlich noch würdeloser. Die waren ja nicht immer „links“, so wie jetzt. Das entsprechende Weglaufen der Leser und die Halbierung der Auflage sind die Quittung. Scheinbar ist man aber so stark auf Staatsknete angewiesen, dass man nur noch DDR-ähnlichen Huldigungsjournalismus betreiben darf. Aber wer braucht das in einer Welt von Smartphones noch, wer kauft noch extra im Kiosk eines der „Qualitätsmedien“, wenn im Internet immer mehr hochkarätige Konkurrenz wie dieser Blog hier existieren? Im Grunde ist der ganze, aufgeblasene „Qualitätsjournalismus“ nur durch den Anzeigenteil der Zeitungen möglich gewesen, weil so unheimlich viel Geld reinkam, dass man sich auch regierungskritisch und unabhängig geben konnte. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei, geblieben sind nur hohe Fixkosten für überteuerte Journalisten, unterausgelastete Druckerpressen und sonstige Wichtigtuer. Man braucht nun „Muttis“ antifaschistisches Geld, sei es über die stark ansteigende Werbung der diversen Ministerien, oder mittlerweile direkt über die bereitgestellten 220 Mio. Euro des Bundes. Ergebnis: Man kriecht einer Frau ohne Eigenschaften in den Allerwertesten, obwohl sie in jeder Krise wieder und wieder versagt.

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