Vera Lengsfeld / 28.06.2020 / 06:05 / Foto: Smalltown Boy / 15 / Seite ausdrucken

Sonntagslektüre: Uwe Tellkamps „Das Atelier“

Kaum ein Büchlein hat eine solche Eruption an Kritikerstimmen ausgelöst wie der schmale Band des Dresdener Schriftstellers Uwe Tellkamp. So gesehen, war es ein überaus erfolgreicher Start der Edition „Exil“ aus Susanne Dagens Buchhaus Loschwitz, laut „Freitag“ die „gute Stube des rechtsintellektuellen Pegida-Umfelds“. Die intellektuelle Strahlkraft dieses Umfelds macht die Linke offensichtlich hochnervös. Es ist amüsant zu lesen, wie die Herren Kritiker sich mit ihren schrillen Stimmen bei der Dekonstruktion des Textes gegenseitig zu übertreffen suchen. Von der „Zeit“ bis zum „Freitag“ sind alle einschlägig Verdächtigen am Start, um sich über die „antimoderne, neurechte und raunende Männerclique“ zu echauffieren. Selbst Sonntags-Krimi-Spezialisten, die lieber bei ihrem Leisten geblieben wären, fühlen sich berufen, sich zum Literatur-und Kunstkritiker aufzuschwingen. Der Brei, um den alle herumreden, ist so heiß, dass sogar die notorische Amadeu Antonio Stiftung mit ihrem „Belltower“ mitmischt, die bisher weniger als Kunstkritiker denn als Gesinnungswächter aufgefallen ist. Tellkamp muss sie tief und präzise getroffen haben, wenn der Aufschrei so groß ist. 

Was eine Reflexion über Kunst und Künstler nach Besuchen in Ateliers erfolgreicher Maler ist, die mit Sachsen so verbunden sind wie mit ihren Vorgängern, gerät den Kritikern, die sich anscheinend alle Mühe geben, tatsächlich wie „Mattschädel aus der  Sekundärindustrie“ oder „Schmieranten“ daher zu kommen, zu „hochtoxischer Materie“. Oder: „Ungefüges Amalgam – bildungsprahlend und ressentimentgeladen“. Wenn es so wäre, warum dann die Aufregung? Ein schlechter Text könnte doch einfach seinem Schicksal überlassen werden.

Das Gegenteil ist der Fall – man arbeitet sich daran ab, ihn zu framen und damit unwirksamer zu machen. Die „agitatorische Rechte“ würde hier „ihre paranoiden Wirklichkeiten zimmern“. Gemeint ist die Tatsache, dass, was „Belltower“ en passant eingesteht, es eine „Erosion dessen, was in Deutschland noch sagbar ist“, gibt. Der von Tellkamp diagnostizierte „Meinungskorridor“, der immer enger wird, ist Realität, auch wenn es offensichtlich nicht zugegeben werden soll. 

In der DDR wurden immer wieder Bücher verboten oder zurechtgestutzt, wegen gewisser „Stellen“. Manche, die nicht zu den Unter-dem-Ladentisch-Kunden von Buchhandlungen gehörten, bemühten sich, mit den kopierten „Stellen“ als Tausch an das begehrte Exemplar zu kommen. In Tellkamps Buch ist die auslösende „Stelle“ der linken Erregung der Vergleich eines Vesuv-Ausbruchs mit der Masseneinwanderung von 2015. Tatsächlich hat dieser Einbruch unser Land radikal verändert. Aber darum geht es im Buch nur ganz nebenbei.

Caspar David Friedrich war schon fast vergessen 

Thema ist das Geheimnis der Kunst und der Künstler. Ist es ein Zeichen von großer Kunst, wenn dem Maler Martin Rahe die Bilder förmlich „aus dem Atelier gesaugt werden“, weil alles, was er malt, obwohl es meist „merkwürdige Menschen mit nie ganz deutbaren merkwürdigen Verrichtungen“ sind, noch im Schaffensprozess aufgekauft wird? Ist es ein Zeichen von weniger künstlerischem Wert, wenn sich die Bilder eines anderen Malers im Atelier stapeln? Nicht unbedingt. Caspar David Friedrich war schon fast vergessen. Ein Museumsmitarbeiter musste seinen Direktor darauf aufmerksam machen, dass es durchaus Gemälde von Friedrich im Hause gäbe, allerdings im Keller. Heute ist es kaum glaubhaft, denn der Meister der Rückenansichten ist nun der Stolz eines jeden Museums, das glücklich genug ist, Werke von ihm zu besitzen. 

Auch kann Beliebtheit über Nacht abflauen und zerbröseln, wie ehemals die Preise für Tulpen im Tulpenfieber. Eben war eine begehrte Zwiebel noch ein Vermögen wert, am nächsten Tag erzielte so ein Exemplar nur noch Pfennige.

Wie entstehen Gemälde? Darüber erfährt man manches im Atelier von Rahe. Seine Figuren, sagt er, drängten sich von selbst auf das Bild. Er folgt ihnen, manchmal korrigierend. Etwas Ähnliches schrieb Evelyn Waugh über die Entstehung seines Romans „Mit fliegenden Fahnen“. Er beobachtete seine Figuren und war gespannt, was sie tun würden. So konnte er auf einem Kriegsschiff in den Feuerpausen eines seiner bedeutensten Werke schöpfen.

Im Atelier von Thomas Vogelstrom erfährt man viel über Dresden, das zeitweilig eines der Zentren der Malerei war. Hier hatte Otto Dix sein Atelier. Ich vermisste in diesem Zusammenhang Karl Otto Götz, der mit Dix das Atelier teilte, später als Direktor der Düsseldorfer Kunsthochschule Gerhard Richter förderte, was ihm dieser nicht dankte. Dresden würdigte Götz anlässlich seines hundertsten Geburtstags mit einer großen Werkausstellung.

Abbildung eines Gedankenstroms

Dafür ist mit Recht viel von Curt Querner die Rede, dem aktuell eine Ausstellung auf Schloss Burgk gewidmet ist. Sein Lebenswerk, so Vogelstrom, vereine die beiden Forderungen des großen Edgar Degas, Streben nach Echtheit und Abscheu vor der Mittelmäßigkeit. Es steht noch viel über Dresdens Maler auf den nur 100 Seiten. Wenn wir über Kunst reden, kommen wir uns näher, reflektiert Tellkamps Alter ego Fabian im Buch. „Wir korrespondieren, führen ein Gespräch… auf der Suche nach Verständigung setzen wir uns miteinander in Beziehung.“ 

Wenn es keine Gespräche mehr gibt, hören auch die zwischenmenschlichen Beziehungen auf, das ist die große Gefahr unserer fragmentierten Gesellschaft. Dies ist die Botschaft, die ich zwischen den Zeilen entnehme. 

Tellkamps Text ist in großen Teilen Abbildung eines Gedankenstroms, mit jähen Wendungen und unerwarteten Assoziationen, die jeder kennt, der denkt. Wenn der Denkende gebildet ist, sind die Sprünge und Assoziationen mit Bildung verbunden. Das ist keine Protzerei, sondern ein natürlicher Prozess. Die Lektüre hat meinen Blick auf Malerei und künstlerisches Schaffen jedenfalls sehr erweitert.

Gibt es nichts zu meckern? Doch. Als erhebliche Irritation empfand ich die ausführliche Darstellung eines Koitus in einem Schlachtbetrieb neben einem toten Kalbsauge. Wer will so etwas wissen? Ist die Partnerin gefragt worden, ob sie diese Bloßstellung will? Warum gibt es keine Gentlemen mehr, die genießen und schweigen? Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass eine Unvollkommenheit jedes Werk ziert. Das wussten auch die großen Maler und bauten solche Unvollkommenheiten ein. 

 

Uwe Tellkamp: Das Atelier 

Erhältlich im BuchHaus Loschwitz und bei bei Amazon.

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Markus Rüschenschmidt / 28.06.2020

Gibt man “Maler Martin Rahe” in die Suchfunktion gewisser Suchmaschinen ein, erscheint als erstes Ergebnis “Rechte Künstler und Hetzer in Uwe Tellkamps neuem Buch” bei br.de…Ach…Schade, dass direkt so geframt wird. Darüber hinaus erkenne ich in den zitierten Kritik-Passagen auch als Laie gleich die Projektion des linken Spektrums: Die „agitatorische Rechte“ würde hier „ihre paranoiden Wirklichkeiten zimmern“ - leicht abgewandelt träfe dieser Satz eher auf die linke Schickeria zu: “Die selbstgerechte Linke zimmert hier ihre naiven, wirklichkeitsfremden Wirklichkeiten” oder so ähnlich. Von „hochtoxischer Materie“ oder: „Ungefüges Amalgam – bildungsprahlend und ressentimentgeladen“ kann man bei buchstäblich jedem neuen Werk der linken Bessermenschlerei erkennen, insbesondere, wenn es sich “gegen rechts” richtet und damit sämtliche irgendwie nichtlinken Strömungen und Denkmodelle mit einschließt. Darüber hinaus lässt sich all den ach so scharfen “Entlarvungen” (das Lieblingswort aller Linken und Linksextremen) in Kritiken der tiefverankerte Neid zu erkennen: Kunst, die über die abstrakten Schmierereien, Aktionskunst, all das eher trashige Geschreibsel dieser Klientel hinaus, ist in deren linken Spießer-Augen gleich hochverdächtig, “rechts” und “völkisch” oder was auch immer zu sein. Tellkamp schreibt exzellent, und das ist etwas, das die Gender-Gemeinschaft der Mittelmäßigkeit nicht ertragen kann. Damit dürfte dies eine Kauf- und Lese-Empfehlung sein…

Michael Hinz / 28.06.2020

Interessanterweise heute bei Amazon “derzeit nicht lieferbar” und bei ebay nicht gelistet. Meinungskorridor? -Jau!

Peter Holschke / 28.06.2020

Zur Information. Das Buchhaus Loschwitz ist ein ganz normaler, ziviler Buchladen, mit sehr fachkundigem und sehr netten Personal. Aber heutzutage gilt wohl, wer keinen dezidierter Links-Buchladen sein will, welcher sich nicht der Weltrevolution verschrieben hat, ist ein verdächtiger Buchladen. Aber es gilt wohl, schlage einen Buchhändler, so triffst du alle Buchhändler.

Dieter Kief / 28.06.2020

Almost Perfect! = Ein neurechter und kryptorassistischer Film über einen Amerikanischen Männerbund, der in den Südstaaten gegründet wurde und sich - über Jahrzehnte - immer wieder über die sklaventreiberische Südstaatenflagge neu in seinem von gruppenbezogener Menschenfeindlichekti starrenden Kollektivgeist stärkte, kennt, sag’ ich, ebenfalls diesen Verweis auf die Altmeistertechnik, die eigene Perfektion durch absichtliche Fehler zu - heben, und heißt deshalb auch genau so, wie man auch Ihren Artikel überschreiben könnte, liebe Vera Lengssfeld: Fast Perfekt! (Nur zum Hintergrund: Diese Woche diskutiert die FAZ Eric Clapton im Hinblick auf dessen - rasssistsiches Lebenswerk. Gestern schrieb Edo Eeents eine ganze Seite darüber - ooch inne FAZ - dass er nun jahrzentelang die Hautfarbe von Musikern erwähnt habe, wenn er Kritiken schieb - Rasissmus ! Eine Selbstanklage - die FAZ kann einpacken!

Markus Rüschenschmidt / 28.06.2020

Eins gleich vorweg, eh ich richtig kommentiere: Wenn das Feuilleton etwas in Bausch und Bogen verreißt, muss es etwas sehr Interessantes, möglicherweise Gutes sein und lesens-, sehens-, hörenswert. Tellkamp hat bis jetzt alles richtig gemacht…

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