Ich werde dieses Buch mit Sicherheit nicht lesen, weil mich die Bilder im Kopf bis in alle Ewigkeit verfolgen würden. Das, was ich zwangsweise über die Greueltaten speziell der Russen und Tschechen gegenüber der Zivilbevölkerung gelesen und von Mitmenschen gehört habe (jahrzehntelang war das ein Tabu, und die überlebenden gefolterten, vergewaltigten Menschen durften/konnten ja jahrzehntelang nicht darüber sprechen), hat mich so entsetzt und verfolgt mich noch immer, wenn ich durch irgendeinen Anstoß daran erinnert werde. Wenn ich dann diese wohlstandsverwöhnten, empathielosen Gören, die gern die Welt und eingewanderte Nichtsnutze retten möchten, hüpfen und krakeelen höre und sehe, möchte ich schon dies oder jenes tun, damit sie endlich zur Vernunft kommen. Aber das kann dauern - auch ungebildeten, z.T. richtig dummen linken Lehrern sei Dank. Die Situation in meinem Kollegium war schon vor 7 Jahren nicht so besonders: Fehlender Wissensdrang - sprich: Neugier im positiven Sinn, selbständiges Denken - weitgehend Fehlanzeige.Was die Vertreibung der Deutschen betrifft: Während meiner Schulzeit in Schleswig-Holstein wurde dieses Thema von unserem linken Geschichts- und Deutschlehrer nur gestreift. Kein Wort über deren Leid. Grob gesagt: Sie hatten ja selbst schuld, weil sie alle Hitler hinterhergelaufen sind. Natürlich hatte er - wie seine ebenfalls linken Kollegen, die auch während des Krieges ihr schönes Domizil in S-H hatten und weder von Flüchtlingen noch Bomben belästigt worden waren, keinerlei Mitleid mit den Flüchtlingen und den armseligen Gestalten der Spätheimkehrer. Dazu fällt mir ein - ich schweife wieder einmal ab - dass er das Thema "Mauer" , "Grenze" und "DDR" mit all der mörderischen Menschenverachtung nie thematisiert hat. Davon "zehren" die meisten meiner ehemaligen Mitschüler sicher noch heute. Nico (Vorname meines damaligen, inzwischen längst verstorbenen Lehrers) würde heute wohl immer noch in der SPD sein, obwohl er sehr intelligent war.
Mein Leben begann wenige Jahre nach 1945. Nein, unsere Familie war von diesen „Dingen“ nicht betroffen. Es gab die Verwandten in der Ostzone / DDR. Aber ich hatte später einen freundlichen Kollegen, der 1935 in Schlesien geboren worden war. Er sprach nicht sehr häufig oder in Einzelheiten über diese „Dinge“. Aber einmal erzählte er mir ungefiltert (und mit mühsamer Eigenkontrolle), wie es einem 10-Jährigen geht, der weitgehend auf sich allein gestellt mit einer Waffe wortwörtlich auf den Tod bedroht wird. Ab da hat sich meine Sichtweise zum Thema Vertriebene deutlich verändert. Danke für den Hinweis, Herrn Bernig lerne ich zunehmend schätzen.
Hochschwanger im Rückmarsch der Deutschen, mit zwei kleinen Kindern an der Hand und überall die Bomben und Granateinschläge, dabei das Gehör weitgehend verloren. Alles zurückgelassen, das gesamte Leben und eine lange Flucht zu Fuß, auf Lastwagen, in Zügen. Unterwegs das Kind geboren, das gleich von einem, der sich für einen Arzt ausgab und keiner war, durch eine Spritze vom Leben zu Tode befördert wurde. Ein kleines Mädchen mit der Haarfarbe des Vaters. In der US-Besatzungszone dann nach langem eine Wohnung gefunden durch erzwungenen Konfessionswechsel. Und nach und nach trafen die vertriebenen alten Leute der Familie ein und irgendwann ein Jüngerer, durch die Tschechen gefoltert, ihm waren die Zähne herausgeschlagen worden mit dem Gewehrkolben, er überlebte nicht mehr lange. Die Älteste, die berichtete, wie sie unterwegs für die Russen putzen mussten und sie einfach die Eimer ausgekippt hatten und das Wasser gleichmäßig über den Boden verteilten, weil sie der Meinung waren, die Russen würden gar nicht merken, ob es sauber wäre oder nicht. Der Mann, der krank aus dem Krieg zurückkam und nie wieder gesundete und über Jahre langsam starb. Die Entschädigung für den verlorenen Besitz, die Villa, die Felder, die umwegslos vom Pflegeheim für den Mann eingestrichen wurde. Die harte Arbeit nach dem Krieg, Teppiche schleppen für das Nötigste für die Familie. So die Geschichten meiner Kindheit, unserer Familie.
Danke für die lesenswerte und berührende Rezension. Ich werde das Buch auf jeden Fall bestellen, allerdings direkt im Buchhaus Loschwitz (ich wollte ohnehin noch die Bücher aus der Reihe Exil bestellen) und ganz sicher nicht bei Amazon, mit dem Sie leider das Buch verlinkt haben. Liebe Achse, lasst doch bitte die Amazon-Links bleiben. Bezos ist schon reich genug und braucht nicht auch noch Eure Unterstützung beim Griff nach der Weltherrschaft!
Durch Erzählungen aus der Familie erfuhr ich von der Vertreibung, Plünderung, Vergewaltigung durch Polen und Russen aus Pommern. Schlimm war auch, dass in der DDR nur im privatesten Familienkreis darüber erzählt werden konnte und die Betroffenen euphemistisch als Umsiedler bezeichnet werden mussten. Man wusste nur, dass „ein anständiger Junge“ seine Großeltern, Großtanten und -onkel nicht durch Geschwätzigkeit in der Schule damit in Schwierigkeiten brachte. Danke für den Lesetip, verehrte Frau Lengsfeld. Wahrscheinlich wird die Lektüre zu bedrückend für mich. Im Moment bin ich ja noch mit Bernd Wagners „Sintflut in Sachsen“ und mit „Maos 72 Affen“ ;-) ausgelastet. Einen schönen 2. Advent!
Liest sich allein in der Rezension schon grausam genug. Wer Parallelen im Verhalten seiner Mitbürger in heutiger Zeit und in vielen Themen (Migranten, Klima, Energie, Corona) wiederfindet - natürlich auf einem deutlich niedrigeren Niveau an Todesopfern - wird wohl nicht besonders verkehrt liegen. Und die Zeiten sind noch lange nicht vorbei.
Meine Mutter wurde 1936 in der Nähe von Eger geboren und 1945 mit ihrer Mutter und Schwester vertrieben, ihr Vater saß im Lager und konnte, obwohl Tscheche, seine Familie nicht schützen. Es ging einigermaßen zivilisiert ab und die Familie hatte das Glück, dass Verwandte in Nürnberg lebten. Später reiste mein Großvater nach D und blieb bei seinen Angehörigen. Eine formelle Einbürgerung gab es gar nicht, sondern einen Flüchtlingsbeamten: "Sin Se Volksdeutscher?" Ein "Ja" reichte. Meine Mutter empfand Jahrzehnte lang eine eigenartig undramatische Art von Hassliebe zu Tschechien und den Tschechen. Anfang der 2000-er Jahre reiste sie nach Tschechien und versöhnte sich endgültig mit diesem Land. Ausschlaggebend war dafür die Beobachtung wie rücksichts- und liebevoll die Tschechen ihre Hunde behandeln. Meine ganze Familie liebt Hunde, wir hörten alle gefühlsmäßig berührt zu, wie sehr viele Tschechen auf die Emotionen und Bedürfnisse von Hunden eingehen. Ich denke, ich werde ihr das Buch zu Weihnachten schenken. Wenn mich die Buchhändlerin schief anschaut, weil Bernig von der edition buchhaus loschwitz verlegt wird, ist mir das egal. Sie kennt auch meinen Namen und meine Adresse, aber obwohl sie zur polit. Korrektheit neigt, wird sie mich ziemlich sicher nicht verpfeifen, sondern eher intern "kritisieren". Vielleicht nicht mal das. "Wehret den linksextremen Anfängen" heißt auch, sich nicht vor schiefen Blicken und sehr unwahrscheinlichen Gerüchten aufgrund eines Interesses an "unanständigen Autoren und Verlagen zu fürchten.
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