Der „Jahresend-Lockdown“ scheint das besondere Weihnachtsgeschenk der Regierung an ihre Schäfchen zu werden. Nach anderthalb Monaten Lockdown, der die Nerven der Bevölkerung überstrapaziert, die Adventszeit zur Unkenntlichkeit verstümmelt und die Wirtschaft weiterhin extrem belastet hat, fällt den Regierenden nichts Besseres als weitere Verschärfungen ein. Die steigenden Corona-Testzahlen werden als Hauptargument angeführt. Doch die Verlässlichkeit der Tests steht immer wieder in der Kritik. Beispielsweise veröffentlichte Elon Musk Mitte November, dass er hintereinander vier Schnelltests durchgeführt habe, und davon zwei positiv und zwei negativ ausgefallen seien. Der anschließende PCR-Test zeigte ein positives Ergebnis. Kurz zuvor hatte das Berufungsgericht von Lissabon die PCR-Tests für ungültig erklärt. Im Netz geht derweil ein Video viral, in dem der österreichische Abgeordnete Michael Schnedlitz (FPÖ) während einer Rede im Parlament mit einem in Österreich üblichen Schnelltest ein Glas Cola positiv auf Corona testet.
Außerdem haben wir nach wie vor keine Übersterblichkeit zu verzeichnen und aktuell sind deutschlandweit noch 17,4 Prozent aller Intensivbetten frei (Stand: 10. Dezember 2020).
Von derartigem lässt sich unsere Politik jedoch nicht auf ihrem Weg beirren. Unterstützt wird sie dabei vom dienstbeflissenen Sekundieren einiger großer Medien. Man übertrifft sich gegenseitig im Ereifern gegen den neuen harten Lockdown – weil er erst so spät kommt. Wenn es zum Beispiel nach Sebastian Fischer vom Spiegel geht, sollten wir den harten Lockdown schon ab kommendem Montag einläuten:
„Ein Herunterfahren des Landes in der nächsten Woche kann Tausende Menschenleben retten, die Lage stabilisieren und es der Wirtschaft sowie uns allen ermöglichen, im kommenden Jahr aus jenem trüben Dämmerzustand wieder herauszufinden, den der nicht enden wollende Shutdown light mit sich bringt.“
Berlin erwägt Lockdown schon vor Weihnachten
Wie wir es der Wirtschaft nach einem erneuten harten Lockdown „ermöglichen“ können, „im kommenden Jahr“ aus dem „trüben Dämmerzustand“ herauszufinden, bleibt das Geheimnis von Sebastian Fischer. Der Einzelhandel warnt aktuell vor Ladenschließungen im Lockdown: „Viele Händler fahren dem (Handelsverband) zufolge im November und Dezember rund ein Viertel ihres Jahresumsatzes ein.“
Und bezüglich eines Lockdowns nach Weihnachten heißt es vonseiten des Einzelhandels: „Der Einzelhandels-Lobbyverband HDE allerdings sieht die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr neben der Woche vor Heiligabend als umsatzstärkste Zeit des gesamten Weihnachtsgeschäfts.“
Es gibt eben doch einige Menschen, die sich genau am 28. Dezember einen Pullover kaufen wollen, was besonders für Michael Müller eine bedeutende Information sein dürfte. Der Regierende Bürgermeister von Berlin erwägt übrigens tatsächlich einen Lockdown schon vor Weihnachten. Müller kommentiert: „Wir sind in einer weltweiten Krise. Wie viele Tote sind uns ein Restaurantbesuch oder ein Shopping-Erlebnis wert?“ Man sollte ihn für den Oscar nominieren.
„Und dem Impfstoff Zeit geben, Wirkung zu zeigen“
Gereon Asmuth von der taz beurteilt den harten Lockdown nach Weihnachten mit ähnlicher Strenge und Realitätsferne wie sein Kollege vom Spiegel:
„Jetzt redet die Kanzlerin zwar von einem harten Lockdown – aber erst nach Weihnachten. Da stellt sich die Frage: Wie weltfremd kann man eigentlich sein? Denn wer jetzt harte Einschränkungen für in zwei Wochen ankündigt, provoziert doch für die Zeit bis dahin genau das Gegenteil: Viele werden jetzt erst recht an Weihnachten die Familien besuchen. Viele werden sich bis dahin erst recht in die Innenstädte stürzen, um mitzunehmen, was danach nicht mehr geht. Warum auch nicht? Die Regierung hat es doch erlaubt.
Ein späterer harter Lockdown führt somit in den nächsten zwei Wochen zu unzähligen weiteren Infizierten. Wer das verhindern will, muss ihn sofort verhängen. Damit jetzt die Zahl der Neuinfizierten sinkt. Damit ab Januar weniger sterben. Ja, das ist hart. Hart für die Gesellschaft. Für die Wirtschaft. Für die Kultur. Für jeden Einzelnen. Aber was ist die Alternative? Ein bis ins Frühjahr anhaltender Lockdown light, der die Zahl der Opfer auf hohem Niveau belässt?“
Auch dieser Autor scheint herausgefunden zu haben, wie man von Luft und Liebe leben kann. In seinem Text heißt es weiter:
„Alles dichtzumachen, ab sofort bis zum Ende der Weihnachtsferien, das wäre ein Hoffnungsschimmer. Nicht weil er die Coronapandemie besiegen würde. Aber wir würden der dritten Welle, die viele Virologen für das kommende Jahr prognostizieren, gelassener entgegensehen. Und dem Impfstoff Zeit geben, Wirkung zu zeigen.“
Normales Leben haben – nur anders
Damit wären wir an einem zentralen Punkt angelangt. An mehreren Stellen wurde bereits das Modell „Impfstoff gegen Freiheit“ in Aussicht gestellt (hier etwa von Markus Söder und hier von Alan Joyce, Chef der australischen Fluglinie „Qantas“). Auch Angela Merkel knüpfte diesen bedenklichen Handel kürzlich in ein Interview ein. Und zwar ausgerechnet im Rahmen ihres mittlerweile schon legendären Kniebeugen-Bekenntnisses für Metropol FM:
„Wir kommen (zum normalen Leben) zurück, wenn wir 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun haben, das wird hoffentlich bald durch Impfung gelingen und bis dahin aber auch viel normales Leben haben – nur anders.“
Ihren einzigartigen Sinn für Humor zeigt unsere Kanzlerin bei ihrer Interpretation vom „normalen Leben, nur anders“. Ansonsten erweckt ihre Äußerung in mir den Verdacht, dass sie durch die verhängten Restriktionen uns alle so mürbe machen möchte, dass wir am Ende entnervt der Verabreichung eines Impfstoffes zustimmen, um den wir sonst einen weiten Bogen gemacht hätten. Irgendwann will man halt mal wieder etwas unternehmen, wenn es sein muss mittels eines kaum erprobten Präparates.
Andere sind da mit ihren Überlegungen schon viel weiter. In einem Welt-Plus-Interview gibt der Medizinethiker Georg Marckmann zu Protokoll:
„Wenn das Infektionsrisiko bei einer kulturellen Veranstaltung nur dann vertretbar ist, wenn nur geimpfte Menschen teilnehmen, fände ich das vertretbar. Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht impfen lassen wollen, auch wenn sie es könnten, können dann eben nicht teilnehmen.“
Dieser Herr ist übrigens Leiter des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin. Er war laut WELT „einer der federführenden Autoren des im Frühjahr informell erarbeiteten Konsenses zu Triage-Entscheidungen bei Covid-19“.
Es ist mitunter interessant, zu erfahren, wer maßgebliche Beschlüssen in diesem Land beeinflusst – und was ein „Medizinethiker“ alles für vertretbar hält.
Gesellschaftliche Nachteile für alle ohne Impfung
Im Spiegel liest man derweil noch wildere Gedanken. Nikolas Blome formuliert in seiner Kolumne „Impflicht! Was denn sonst?“ genauso radikal wie es der Titel befürchten lässt:
„Die Bürger haben in großer Mehrheit bis dato tapfer mitgemacht, und die Kaskade von Einschränkungen soll alsbald ja auch ein Ende finden – dank eines Corona-Impfstoffes und seiner flächendeckenden Verabreichung. Doch ausgerechnet an diesem Punkt ziert sich die Obrigkeit und will regulatorisch außen vor bleiben, wiewohl absolut unbestritten ist: Wenn alle geimpft sind, die es gesundheitlich vertragen, sind Lockdown und hohe Infektionszahlen Geschichte. Hier wären die lenzschen ‚Freuden der Pflicht‘ endlich einmal wirklich welche.“
Weiter ereifert er sich:
„Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“
Ja, das steht da so.
Bürgermeister Michael Müller stellt sich derweil heimlich, still und leise darauf ein, im ersten Quartal des kommenden Jahres 350.000 Berliner zu impfen, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht. Er kann es offenbar gar nicht erwarten: „Wenn nicht im Dezember mit dem Impfen angefangen werde, dann im Januar“, wird er zitiert.
Ich habe bei diesem zur Schau gestellten Elan irgendwie ein ganz dummes Gefühl. Ich möchte nicht zu den 350.000 Glückspilzen gehören.