Rainer Bonhorst / 18.10.2018 / 14:30 / Foto: Tim Maxeiner / 24 / Seite ausdrucken

Soll der Freistaat es allein machen?

Der verstorbene Wilfried Scharnagl, Schattenmann von Franz Josef Strauß, langjähriger Chefredakteur des zu seiner Zeit noch wichtigen Bayernkurier und herausragender Journalist, hat einem seiner Bücher den Titel gegeben: „Bayern kann es auch allein“. Ich, als gebürtiger Bindestrich-Bayer (Franke), preußisch sozialisierter Migrant (Ruhrgebiet) und seit langem wieder Bindestrich-Neubayer (Schwabe), halte das für eine völlig korrekte und nach der Landtagswahl besonders reizvolle Lagebeschreibung.

Natürlich kann Bayern es allein. Der Freistaat hat kulturell sicher so viel Eigenes zu bieten wie das, was Tschechen und Slowaken oder Slowenen und Kroaten unterscheidet. Wirtschaftlich hätte Bayern keinerlei Probleme, mit der Konkurrenz in der Europäischen Union mitzuhalten. Würde Brüssel den Antrag eines unabhängig gewordenen Bayerns auf EU-Mitgliedschaft verweigern, etwa wegen eines Veto aus Berlin, so wäre das eher ein Schaden für Europa als für ein Bexit-Bayern.

Das Verhältnis der Länder jenseits des Weißwurst-Äquators ist, was einen bayerischen Alleingang anginge, merkwürdig gespalten. Halb zieht es sie hin, halb stößt es sie ab. Und zwar gleichzeitig am selben Objekt. So ist Bayern zwar ständiges innerdeutsches Satire-Objekt, als solches aber auch unverzichtbar. Ohne Bayern blieben nur die Ostfriesen. 

Natürlich wäre die Bundes-Marine ohne bayerisches Kontingent kaum einsatzbereit. (Dieses Problem ließe sich allerdings lösen, indem man bayerische Marine-Soldaten als Fremdenlegionäre aufnähme.) Die schnöde Tatsache, dass die meisten Nordländer auf Finanzhilfe aus Bayern angewiesen sind, soll in dieser Betrachtung nur eine Nebenrolle spielen. Deutschland lebt nicht vom Geld allein.

Seehofer bundesweit als Schuldiger vom Dienst

Hier noch ein Beispiel dafür, dass man selbst das, was Nichtbayern an Bayern nicht mögen, nicht loslassen mag: So ist ganz aktuell der Freistaat in Gestalt von Horst Seehofer unverzichtbar. Seehofer hat es zum universell einsatzfähigen und darum hoch begehrten Buhmann geschafft. Der amtierende CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister ist, nach allem, was man liest und hört, nicht nur für das schlechte Abschneiden seiner eigenen Partei verantwortlich.

Er hat offenbar auch die Havarie der SPD verschuldet. Die Sozialdemokraten fühlen sich als Mitglieder der Bundesregierung zugleich als Opfer des Dauerkonflikts zwischen Seehofer und Angela Merkel, nach dem Motto: Mitgefangen, mitgehangen. Auch ihr Absturz ist also ein Seehofer-Absturz. Der Mann aus Ingolstadt wird sicher auch als Hauptverantwortlicher für etwaige Pleiten bei der Hessenwahl dienen müssen. Mit anderen Worten: Auf absehbare Zeit ist der Bayer Seehofer bundesweit als Schuldiger vom Dienst dringend gefragt. Und da er eine Verkörperung Bayerns ist, tendieren die Chancen des Freistaats, vom Bund in die Unabhängigkeit entlassen zu werden, vorerst gegen Null.

Könnte sich nach einem Abschied Seehofers aus der Landes- und Bundespolitik die Lage ändern? Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Bayern nie das bundesdeutsche Grundgesetz unterzeichnet hat und über eine ausgezeichnete eigene Verfassung verfügt. Auch die Hymnen-Frage ist längst gelöst: „Gott mit dir du Land der Bayern“ steht dem „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gesanglich und textlich in keiner Weise nach. Allenfalls das erste Wort, also „Gott“, könnte zu Diskussionen führen und müsste möglicherweise durch den Begriff „Höheres Wesen, was immer es sein mag“, ersetzt werden. Dies aber sicher nur außerhalb des Freistaates, und keinesfalls in Bayern selbst. 

Machtvoll dunklen A-wie-O-Laute

Andererseits ist Bayern trotz der Unterschrifts-Verweigerung der Bundesrepublik ohne Verzögerung (wenn auch etwas zögerlich) beigetreten. Eine unilaterale Unabhängigkeitserklärung Bayerns ist in der real existierenden Bundesrepublik nicht vorgesehen. Würde in Bayern ein Carles Puigdemont wie in Katalonien auftreten, so wäre sein Schicksal wohl ähnlich. Er müsste früher oder später das Weite suchen, Belgien würde in diesem Fall nicht genügen. 

Im Übrigen liegt die Parallele zu Katalonien sowohl kulturell als auch wirtschaftlich auf der Hand. In beiden Fällen ist es für den Zentralstaat unakzeptabel, auf seine reichste und best organisierte Region zu verzichten. Die Katalonier haben es in einer Hinsicht allerdings weiter gebracht: Sie haben ihre Sprache offiziell anerkannt, während in Bayern der Rundfunk, der diesen Namen trägt, seinen Sprechern den bayerischen Sprachklang auszutreiben versucht.

Immerhin spielt demnächst der Niederbayer Hubert Aiwanger (in eigener Diktion: Oiwohnger) in der Politik eine prominente Rolle. Er wird dafür sorgen, dass den lauschenden Nordlichtern beim Klang seiner machtvoll dunklen A-wie-O-Laute die Ohren klingeln. Aber ich fürchte, ein Oiwohnger allein reicht nicht aus, um die deutschen Nordmänner und Nordfrauen davon zu überzeugen, dass man die Bayern, die es auch allein könnten, auch allein machen lässt. Wilfried Scharnagl hat es, so sehr es ihm zu gönnen gewesen wäre, ja auch nicht geschafft.

Bleibt die Frage der Millionen Neubürger, die es aus den anderen Bundesländern in dieses komische Bayern zieht. Würden sie für ein unabhängiges Bayern stimmen? Ich möchte das gar nicht ausschließen. Dirndl und Lederhose befinden sich besonders häufig an ehemals preußischen Beinen, Hüften und Busen. Es müsste allerdings die Frage einer doppelten Staatsbürgerschaft und der Familiennachzug geklärt werden. Hier sollte Seehofer schon vorab über seinen Schatten springen und frühzeitig auf eine Obergrenze verzichten.    

Foto: Tim Maxeiner

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Peter Michel / 18.10.2018

Der Artikel gefällt mir, auch wenn ich als nicht Bayer und Exil-Sachse eher für eine Abkopplung Sachsen bin.  Da sehe ich mittlerweile mehr Patriotismus als in Bayern., sch… auf das Geld. Aber bitte Bayern voran.

Wolf-Dietrich Staebeg / 18.10.2018

Eine spaßige Vorstellung! Wegen der vielen tat- und finanzkräftigen “rechten” Zuwanderer würden die Grün*innen die Flucht in die weiter nördlich gelegenen Paradies-Inseln wie Berlin oder Bremen antreten. Wie heißt es so schön auf Neu-Deutsch: Eine Win-Win-Situation für Bayern!

Marc Blenk / 18.10.2018

Lieber Herr Bonhorst, es gab allerdings auch mal die Idee der Bildung eines Südstaates, nämlich im 18. Jahrhundert die Überlegung der Bildung eines allemannischen Staatsgebildes aus Teilen der Schweiz und Süddeutschlands und auch nach 1945 dachte man nach, Süddeutschland in eine Konförderation (Union alpine) mit Alpenregionen einzugliedern. Bayern könnte sicherlich alleine. Allerdings würde es bald aus allen Nähten platzen, wenn die Grenzen für nicht bajuwarische Deutsche offenbliebe. Ich frage mich übrigens immer, wie man die vermeintliche Rückständigkeit der Bayern erklären würde, wenn man es denn versuchte oder versuchen müsste. Die Leute da sind glücklicher, das Land erfolgreicher und die Wirtschaft innovativer als im Rest des Landes. Dass sich die Bayern dabei ihre Identität bewahrt haben, hat mit ihrem Glück zu tun und macht sie toleranter als irgendwo sonst in Deutschland, auch weil sie Grenzen ziehen können. Und das bäuerische nie aufgegeben zu haben, obwohl man vielleicht in einer Softwareschmiede arbeitet, ist eine Auszeichnung und kein Makel. Aber, bei all dem Naserümpfen über die Bayern. Ihr Geld wird gerne genommen. Schließlich bekamen sie ja auch Länderfinanzausgleich nach dem Krieg. Nur ging das nur ein paar Jahre lang und sie haben was draus gemacht. Seitdem hängt die Hälfte der Republik am bayrischen Tropf. Übrigens: Hat sich eigentlich schon die Linke bei Seehofer beschwert, dass sie nicht mehr im Landtag ist?

H.Milde / 18.10.2018

Nächs` Woch zügel ich au no Obafrongn. Froimich,  ;)

Thomas Wentingmann / 18.10.2018

Eine schöne und wahre Ironie. Außerdem ist rein sachlich anzumerken, das das BIP pro Kopf in Bayern höher ist als z.B. in Kalifornien.—Wenn Bayern selbsrständig würde, was natürlich nicht geht, müsste ich vom auch wirtschaftskräftigen Hessen dorthin migrieren.

Herbert Dietl / 18.10.2018

Wäre ein Grund für mich, wieder zurück zu kommen. Aber nicht nach Deutschland.

Bernd Ackermann / 18.10.2018

Bayern als souveräner Staat - interessante Vorstellung. Würden Franken, Schwaben und Oberpfälzer dann nicht auch ihren eigenen Staat fordern? Schließlich unterscheiden die sich auch von den Bayern wie die Tschechen von den Slowaken. Würde die Region Coburg zu ihren Wurzeln nach Sachsen zurückkehren? Wer will schon von Sepplhutträgern mit komischem Akzent regiert werden? Und wenn man dies auf andere Teile Deutschlands überträgt? Eine Abstimmung in Berlin könnte dank zahlreicher Doppelpassbesitzer ergeben, dass die Stadt Berlin sich der Türkei anschließt und Erdogan könnte endlich durchregieren. Möglicherweise bereuen inzwischen auch die neuen Länder ihren Beitritt zur Bundesrepublik und gründen wieder ihren eigenen Staat, diesmal aber ohne SED. Duisburg-Marxloh und Bremen würden libanesische Exklave. Oder vielleicht sollte man einfach wieder den Zustand von 1618 einführen, kurz vor dem 30-jährigen Krieg, dann hat jeder seinen eigenen Staat und alle sind zufrieden.

Karla Kuhn / 18.10.2018

Ich als eine sächsisch sozialisierte-bayerisch integrierte Zuagroaste wäre für eine Bayerisch- Sächsische Vereinigung, zumal der Freistaat Bayern direkt neben dem Freistaat Sachsen liegt.  Zwei derart unterschiedliche Mentalitäten würden auch dem Schäubelschen WUNSCH, mehr Fremde wegen INZUCHT ins Land zu lassen hervorragend entgegenkommen.  Was die Sprache angeht, sächsisch gegen bayerisch, vor allem niederbayerisch, da ist der einen einen Dreier und der andere DREI Pfennige wert.  Dazu gehören auch die Unterarten fränkisch und erzgebirgisch. Auf geht`s-pack ma`s, märd Eisch aus.

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