Politiker versprechen seit dem Anschlag, mehr für die Sicherheit zu tun. Kaum konkret, wenn es dabei um illegale Migration geht. Aber im Anti-Terror-Maßnahmenpaket finden sich etliche Punkte, die verdächtig gut zur „Smart Cities“-Initiative der EU-Kommission passen.
Als Reaktion auf den islamistischen Terrorangriff in Solingen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Anja Hajduk am Donnerstag ein sicherheitspolitisches Maßnahmenpaket vorgestellt. Darin findet sich u.a. der Hinweis, dass die Sicherheitsbehörden vor allem in der digitalen Welt zusätzliche Befugnisse erhalten sollen, um Islamisten gezielter und effektiver bekämpfen zu können. Ermittlungsbehörden soll beispielsweise künftig der biometrische Abgleich von Internetdaten zur Gesichtserkennung erlaubt sein. Damit sollen Tatverdächtige oder gesuchte Personen schneller identifiziert werden können. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz soll den Behörden ermöglicht werden.
Zuvor schon hatte sich Oppositionsführer Friedrich Merz in ähnlicher Weise geäußert und sich für mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum ausgesprochen. Bereits Mitte August war laut Tagesspiegel bekannt geworden, dass das Innenministerium an einem Entwurf arbeitet, der die polizeiliche Gesichtserkennung ausweiten soll. Der Abgleich von Bildmaterial könne demnach nicht mehr nur mit polizeilichen Datenbanken, sondern auch mit weiteren Daten aus dem Internet erfolgen.
Wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passt eine aktuell Publikation der „Smart Cities“-Initiative der EU-Kommission zu diesen Überwachungsansätzen. „Smart Cities“ werden gerne in erster Linie als Verbesserung der digitalen Verwaltungsstrukturen von Behörden beworben, wogegen selbstverständlich nichts einzuwenden wäre. Doch bei den „Smart Cities“ geht es um weit mehr (achgut berichtete hier, hier und hier).
Die Broschüre des „Smart Cities Marketplace“, der von der Generaldirektion Energie der EU-Kommission unter Kadri Simson verwaltet wird, wurde am 4. Juli dieses Jahres veröffentlicht, umfasst 49 Seiten und trägt den Titel „Solution Booklet: ICT-Infrastrukturmanagement und das Internet der Dinge“. Die Abkürzung ICT steht für Informations- und Kommunikationstechnologien (englisch: Information and Communications Technologies). In der Broschüre werden die transformativen Auswirkungen des Internets der Dinge (Internet of Things, kurz: IoT) auf Smart Cities beschrieben, und es wird erklärt, wie ein Netzwerk von miteinander verbundenen Sensoren Daten sammeln und verarbeiten kann, um Smart-City-Funktionen zu erleichtern. Außerdem wird hervorgehoben, wie wichtig es sei, diese Geräte in großem Umfang einzusetzen, damit eine echte Interkonnektivität erreicht werden könne. Schließlich wird die Notwendigkeit einer robusten und zuverlässigen Telekommunikationsinfrastruktur (konkret: 5G) betont, da von den IoT-Geräten ein enormer Datenfluss erzeugt werde.
Politische Mehrheitsfindungen wären hinfällig
Bereits 2017 hatte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Zusammenarbeit mit dem damaligen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), das heute Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (kurz: BMUV) heißt, eine „Smart City Charta“ herausgegeben. Sie trägt den Untertitel: „Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“. In dieser 108-seitigen Broschüre wird u.a. die Vision eines hypervernetzten Planeten entworfen. Das „Internet of NO things“ könne demnach eine neue Gesellschaft kreieren, nämlich eine „super resource-efficient society“, in der kein Gebäude leer stehe, sondern die ganze Zeit optimal genutzt werde, und auch keine Autos mehr leer fahren würden. Außerdem könnten neue Geräte und Maschinen ihre eigene Energie generieren. Es würde sich auch um eine „post-choice society“ handeln, in der die Künstliche Intelligenz die Wahl ersetze. Politische Mehrheitsfindungen wären hinfällig, da eh klar sei, „was Leute tun und möchten“. Verhaltensbezogene Daten könnten die Demokratie „als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen“.
In dieser „post-ownership society” mache es dank der Information über „verfügbare geteilte Waren und Ressourcen“ zudem weniger Sinn, etwas zu besitzen. Daten könnten Geld als Währung ergänzen oder ganz ersetzen. Privateigentum sei dann ein überflüssiger Luxus. Auch Märkte als „Informationssysteme, die Ressourcen zuteilen,“ könnten in der „post-market society“ durch Daten kompensiert werden. Und als „post-energy society“ müsse die Gesellschaft von morgen die Fähigkeit entwickeln, „Energie auf Makro-, Mikro- oder Nanoskala zu generieren und zu speichern“. Zwar handelt es sich bei dieser Vision eines hypervernetzten Planeten nur um das modellierte Szenario eines Think Tanks, doch es wird mehr als deutlich, dass es den Smart City-Visionären nicht allein um ein bisschen effektivere Verwaltungsabläufe geht. In der Ausgabe der Charta von 2021, die auf 32 Seiten geschrumpft wurde, fehlt das Szenario übrigens. Dafür wurde die Charta stärker auf den vermeintlichen Klimaschutz ausgerichtet. Und durch „smarte“ Instrumente wie den QR-Code als Impfnachweis wurde dann ja sogar in der Realität beispielsweise der Zugang zu Kulturveranstaltungen geregelt.
Zurück zum „Internet der Dinge“. Dazu informiert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf seiner Webseite: „Der Begriff Internet der Dinge oder Internet of Things (IoT) steht für eine vernetzte Welt aus `smarten´, d.h. intelligenten, Geräten. Diese IoT-Geräte verhalten sich wie Computer und sind lokal oder über das Internet mit anderen Geräten vernetzt. Sie sollen unseren Alltag einfacher, bequemer und effizienter machen, beispielsweise indem sie die Temperatur und Helligkeit in einem Raum messen und auf dieser Grundlage verschiedenste Vorgänge automatisieren. Dies kann auch beinhalten, dass sie die Daten mit weiteren hilfreichen Informationen anreichern. Häufig sendet das Gerät dabei Informationen an eine Cloud. Dort werden die Daten aufbereitet, zugänglich gemacht oder dienen als Grundlage für weitere Dienstleistungen.“ Lichtquellen an die Helligkeit eines Raumes anzupassen, könnte durchaus sinnvoll sein. Problematischer ist da schon die automatische Anpassung der Raumtemperatur. Denn wer gibt letztlich die zu erreichende Temperatur vor?
Klima und Kriminalität
Auch die Definition des IoT, die das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) gibt, fällt eher irritierend aus: „Das Internet der Dinge bezeichnet die Vision selbstständiger Systeme, die computergestützt Daten erheben und verarbeiten, miteinander kommunizieren und Entscheidungen treffen. Anders als beim `Internet der Computer´ sind Rechner in ihre Umwelt integriert und nicht von menschlichen Eingaben abhängig.“ Das klingt doch sehr nach einem nicht gänzlich kontrollierbaren Eigenleben dieser Rechner. Und die Beschreibung des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum, kurz: WEF) wirkt erst recht wenig vertrauenerweckend: „Von Fitness-Trackern bis zu intelligenten Heizungssystemen - das Internet der Dinge (IoT) beschreibt das wachsende Netz internetfähiger Geräte. Außerdem ermöglicht es intelligente Städte und in Zukunft auch fahrerlose Autos. Zusammen mit anderen Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz ist das IoT Teil der Vierten Industriellen Revolution. COVID-19 hat die Nutzung von IoT-Technologien beschleunigt, aber es bestehen nach wie vor Fragen hinsichtlich der Governance.“ Und weiter: „Milliarden vernetzter intelligenter physischer Objekte auf der ganzen Welt, auf den Straßen der Städte, in Privathaushalten und Krankenhäusern, sammeln ständig Daten und tauschen sie über das Internet aus, was ihnen ein gewisses Maß an digitaler Intelligenz und Autonomie verleiht.“
Schon jetzt gebe es mehr vernetzte Geräte als Menschen auf der Welt, und bis 2025 würden vermutlich 41,6 Milliarden Geräte Daten darüber erfassen, wie „wir leben, arbeiten, uns durch unsere Städte bewegen sowie die Maschinen, von denen wir abhängig sind, bedienen und warten“. Vor allem während der Corona-Krise habe sich die Rolle des IoT als unbezahlbar erwiesen. IoT-Anwendungen wie vernetzte Wärmebildkameras, Kontaktverfolgungsgeräte und tragbare Gesundheitsüberwachungsgeräte hätten wichtige Daten geliefert, die für die Bekämpfung der Krankheit benötigt worden seien, während Temperatursensoren und die Paketverfolgung dafür gesorgt hätten, dass die empfindlichen COVID-19-Impfstoffe sicher verteilt worden seien. Über das Gesundheitswesen hinaus habe das Internet der Dinge dazu beigetragen, von COVID unterbrochene Lieferketten widerstandsfähiger zu machen und Aktivitäten in Lagerhäusern und Fabrikhallen zu automatisieren, um die soziale Distanz zu fördern.
Außerdem sei ein Großteil der bestehenden IoT- Anwendungen in der Lage, die Agenda 2030 der Vereinten Nationen zur globalen Klimaneutralität zu unterstützen. Nicht zuletzt könne Kriminalitätskartierung in Echtzeit zur Verbrechensverhütung beitragen. Hier schließt sich also wieder der Kreis zur Überwachung des öffentlichen Raums. Da sich das WEF als Vertreter der 1000 wichtigsten globalen Unternehmen versteht, ist klar, dass es sich für die Interessen etwa der Digitalkonzerne oder der Chip-Industrie einsetzt. So übertraf bereits im Jahr 2017 der weltweite Umsatz der Halbleiterindustrie 412 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von 21,6 Prozent gegenüber dem Umsatz von 2016 entsprach. Vielleicht ist das IoT noch dazu ein Spleen von WEF-Gründer Klaus Schwab, der einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem im Juli 2020 erschienenen Buch „The Great Reset“ (deutscher Titel: „COVID-19: Der große Umbruch“) bekannt wurde, in dem er seine Vorstellungen davon skizzierte, wie die Weltwirtschaft und -gesellschaft nach der Corona-Krise neugestaltet werden sollten. Doch schon in seinem 2016 veröffentlichten Buch „The Fourth Industrial Revolution“ (deutsch: „Die Vierte Industrielle Revolution“) entwirft Schwab die Vision einer Verschmelzung des Menschen mit der digitalen Sphäre, die auch als Transhumanismus bezeichnet wird.
Die Allegegenwart der Kameras
Wörtlich schreibt Schwab zum Beispiel: „Wir stehen an der Schwelle einer technologischen Revolution, die die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und miteinander umgehen, grundlegend verändern wird. In ihrem Ausmaß, ihrer Tragweite und ihrer Komplexität wird dieser Wandel alles übertreffen, was die Menschheit bisher erlebt hat.“ Und: „Die vierte industrielle Revolution wird nicht nur verändern, was wir tun, sondern auch, wer wir sind. Sie wird sich auf unsere Identität und alle damit zusammenhängenden Fragen auswirken: unseren Sinn für Privatsphäre, unsere Vorstellungen von Eigentum, unser Konsumverhalten, die Zeit, die wir Arbeit und Freizeit widmen, sowie auf die Art und Weise, wie wir unsere Karrieren entwickeln, unsere Fähigkeiten entfalten, Menschen treffen und Beziehungen pflegen.“
Diesen Es-geht-um-alles-Ansatz muss man also bei der Smart City-Initiative mitdenken. Der Smart Cities Marketplace der EU-Kommission behauptet in seiner Broschüre nun, dass die Nutzung von Big Data und Sensoren von entscheidender Bedeutung für die Verringerung der Kriminalität sei. Im selben Atemzug weist er allerdings darauf hin, dass die Einführung von 5G wegen der Hochgeschwindigkeitsverbindungen, die mit verschiedenen Anwendungen kompatibel seien, unverzichtbar sei. Welcher Aspekt steht hier im Vordergrund? Vielleicht doch eher die Erschließung eines lukrativen Marktes als die Kriminalitätsbekämpfung? Um die Bandbreite und die Latenzzeiten, die 5G bieten kann, zu erreichen, müsse nämlich das physische Netz immens verdicht werden, was eine höhere Anzahl von Funkmasten bedeutet, die mit einer Glasfaserverbindung ausgestattet werden müssen. Vorsichtshalber wird hinterher geschoben, dass laut bedeutender Organisationen des öffentlichen Gesundheitswesens wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die bei der Mobilkommunikation verwendeten schwachen Funksignale nach derzeitigem Kenntnisstand keine Gesundheitsrisiken bärgen.
Die Sensoren, Aktoren und Knotenpunkte des IoT-Netzes in einer Stadt seien in der Regel klein, aber zahlreich. Ein Smart City-Projekt könne mehrere Tausend dieser Geräte umfassen. Das Internet der Dinge verbessere die Energieverteilung, die Abfallentsorgung, die Sicherheit und die Luftqualität, was ein vielfältiges und gut gewartetes Sensornetz erfordere, das am besten von einem spezialisierten, zentralisierten ERP-System verwaltet werde. ERP steht dabei für Enterprise Resource Planning (zu deutsch etwa: Unternehmensressourcen-Planung), worunter in der Regel IT-Systeme verstanden werden. Kleinere Antennen und Geräte könnten etwa an Bushaltestellen, Ampeln oder Laternenpfähle angebracht werden. In diesem Zusammenhang ist die Rede von „multifunktionalem Stadtmobiliar“ (Multifunctional Street Furniture). Diese „Möbel“ könnten leicht mit Sensoren und Kameras ausgestattet werden, um die Überwachung und Datenerfassung für das Stadtmanagement zu verstärken. Die Illustrationen in der Broschüre zeigen u.a. Sicherheitskameras, QR-Codes und Kartenlesegeräte, durch die Standorte von Geschäften gefunden werden können, die zum Beispiel Mastercard akzeptieren. Die städtische Architektur der Zukunft soll demnach geprägt sein von allgegenwärtigen Antennen, Kameras, Automaten, Sensoren und Solarzellen.
Zwar wird in Europa wohl kaum so leicht ein Sozialkredit-System wie in China eingeführt werden können, doch wer entsprechende Strukturen schafft, kann nicht garantieren, wofür sie einmal verwendet werden. Technisch wäre zum Beispiel eine Interaktivität von digitalem Ausweis samt Impfpass und biometrischen Überwachungskameras durchaus möglich. Ob jedoch ein dichteres Netz von Kameras den Attentäter von Solingen von seinen Morden abgehalten hätte, ist zweifelhaft. Vielmehr handelt es sich bei dem Täter um einen längst ausreisepflichtigen Asylbewerber. Hier müsste die Politik ansetzen, wenn es ihr wirklich um die Sicherheit im öffentlichen Raum ginge. Das Anti-Terror-Maßnahmenpaket könnte sich dagegen im Nachhinein als Türöffner für die Etablierung eines Überwachungsstaats erweisen.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.