Wie eine sogenannte Sonderabgabe zur Dauerabgabe wurde. Ein kurzer Streifzug durch die hohlen Versprechungen fast aller Politiker bei ihrer Einführung 1995 und danach.
Es ist schon fast gespenstisch, mit welchem Langmut die Deutschen einen besonders augenfälligen – ich bitte um Entschuldigung – Beschiss ihrer Obrigkeit ertragen. Dass angesichts eines neuen, unvorhergesehenen Geldsegens, den die Steuerzahler über die gefräßige Politik sprudeln lassen, keine ernsthafte öffentliche Debatte über den 22- Jahre alten sogenannten „Solidaritätszuschlag“ aufkommt, ist für mich unerklärlich.
Auf einmal sind 23,7 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen, die niemand ein- oder verplant hat, auch in den Vorjahren wurden sie bereits gut gefüllt. Gleichzeitig verharrt aber jene Sondersteuer, die uns im Jahr 1995 als eine nur sehr vorübergehende verkauft wurde, im Bundesetat wie in bunkerfestem Beton gegossen, für Jahrtausende. Damals, vor 22 Jahren, hat man den zeitweiligen Zuschuss für die deutsche Einheit hingenommen, weil die Kassen leer waren, die Wirtschaft kränkelte dahin (es war noch vor der Agenda 2010), die Steuereinnahmen flossen spärlich, man hat sich irgendwie vertrauensselig darauf verlassen, dass sich der Zuschuss schon irgendwann erübrigt haben wird – und hat das Ganze dann irgendwann vergessen.
Das Kapitel Solidaritätszuschlag ist ein Lehrstück darüber, wie eine einmal eingeführte vorübergehende Sonderabgabe niemals verschwindet, trotz aller Versprechen.
Das Kleingedruckte hat man damals ganz großzügig jedenfalls überlesen: Der „Soli“ war bei seiner Begründung weder zweckgebunden noch zeitlich befristet. Was sollte es auch, die Versprechungen von damals waren ja ziemlich eindeutig. Zwei, drei Jahre, dann sollte der Ausstieg anstehen. Finanzminister Theo Waigel (CSU) versprach 1995 in der Bild-Zeitung: „Wir werden den Soli so schnell wie möglich abbauen. Auch im kommenden Jahr wird geprüft, was geht. Ich will auf jeden Fall 1998 mit dem Abbau beginnen.“ Der Fraktionschef der Union, Wolfgang Schäuble, fast wortgleich damals in derselben Zeitung: „Wir wollen den Solidaritätszuschlag so schnell wie möglich abbauen.“ Bundeskanzler Kohl meinte bei einem Besuch eines Werkes in Schwarzheide, es bleibe dabei, den Zuschlag so schnell wie möglich abzuschaffen. Schäuble in der Bild am Sonntag im selben Jahr: „Wir überprüfen jedes Jahr die Möglichkeit, den Solidaritätszuschlag abzubauen.“ Auch in einem Autoren-Beitrag für die Berliner Zeitung bekräftgte Waigel: „Der Solidaritätszuschlag wird spätestens 1998, wenn möglich schon 1997 zurückgeführt.“
Der Soli zwischen Witz und Treppenwitz
Fast unerhört klangen damals Stimmen wie die des CDU-Mitgliedes Rainer Eppelmann, der für die Beibehaltung des Solis „bis zum Jahr 2000“ forderte. Bis 2000! Na gut, dachte man sich, der Mann kommt aus Brandenburg, der will, dass der Aufbau Ost noch ein paar Jahre anhält. Aus heutiger Sicht ein Treppenwitz. Dass Heide Simonis in einem Interview mit der Welt sogar forderte, den Topf noch „zehn bis zwölf Jahre“ (also bis 2005 oder 2007) weiter zu füllen, hörte man zwar auch, wusste aber, dass andere Größen der bundesoppositionellen SPD vom Fach sich gleich von Anfang an gegen diese Erfindung der schwarz-gelben Koalition aussprachen.
Es war also eher ein Witz, wenn Hermann-Otto Solms von der regierenden FDP, die damals mitregierte, sich in einem Beitrag für die Bild am Sonntag heftig über Simonis aufregte, den Soli mit der Sektsteuer verglich, die 1902 allein zur Finanzierung der Kriegsflotte eingeführt wurde, aber immer noch besteht, und sich brüstete: „Darum haben wir im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass der Zuschlag jährlich auf seine Notwendigkeit überprüft und dass jede Chance zu seiner Absenkung konsequent ergriffen wird. Darauf bestehen wir.“
Immerhin: Die Worte von Finanzminister Waigel waren insofern nicht ganz falsch, als tatsächlich 1998 der Soli von 7,5 auf 5,5 Prozent der Einkommenssteuer abgesenkt wurde. Niemand weiß, ob er damit weiter gemacht hätte. 1998 begann bekanntlich die Ära Rot-Grün – und damit sollte eigentlich das Problem gelöst gewesen sein. Hatte doch Oskar Lafontaine, der in dem Moment neuer Finanzminister wurde, bereits 1994 sich vehement gegen den Solidaritätszuschlag ausgesprochen: Mit dem Solidaritätszuschlag steige die Steuer- und Abgabenbelastung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers auf fast 50 Prozent, sagte er laut Berliner Zeitung vom 30.12.1994, „eine derartige Rekordbelastung der Arbeitnehmer gefährdet den Standort Deutschland, weil sie die berufliche Leistung bestraft und den Marsch in die Schattenwirtschaft fördert.“ Lafontaine kündigte an, die Sozialdemokraten würden über Bundesrat und Vermittlungsausschuss dafür sorgen wollen, „dass die verfassungswidrig hohe Besteuerung der Arbeitnehmer beendet wird“. Jetzt war er in der Regierung, und hätte weder den Bundesrat noch den Vermittlungsausschuss anrufen müssen, sondern mit einfacher Bundestagsmehrheit den Soli begraben können.
Was ist eigentlich aus den alljährlichen Überprüfungen geworden?
Lafontaines Parteikollege Günther Verheugen hätte ihm beigepflichtet, der hatte nämlich noch im Januar 1995, kurz nach der Einführung des Soli durch Schwarz-Gelb, in einem Interview gesagt: „Der Solidaritätszuschlag darf nicht weiter bestehen, weil er von Grund auf unsozial ist. Er lässt die Nettoeinkommen aller Steuerzahler ab diesem Monat spürbar sinken und ist Gift für die Konjunktur und damit für den Arbeitsmarkt.“ Auch der 1994 gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping versprach in einem Zeitungsinterview schon ein Jahr später, mit der Abschaffung des Soli noch einmal ins Rennen zu gehen: Auf die Frage: „Was würde ein Kanzler Scharping mit dem Solidaritätszuschlag machen?“, antwortete er: „Der Solidaritätszuschlag muss so schnell wie möglich weg. Dafür wird die SPD im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat sorgen.“
Es erübrigt sich von selbst, darauf hinzuweisen, dass natürlich die FDP auch hier und da mit dem Versprechen, den Soli abzuschaffen, ins Gefecht zog, siehe Hermann-Otto Solms, aber auch Otto Graf Lambsdorff, der die Sonderabgabe als Ausgeburt einer großen „Steuerlüge“ bezeichnete. Zwischen 1998 und 2005, zu rot-grünen Zeiten, ist dies sicher leicht gefallen. Doch schon im Wahlprogramm 2005, als man wohl ahnte, wieder an die Regierung zu kommen, verschwieg man dann das Thema Abschaffung des Solidaritätszuschlags wieder, sicher ist sicher (übrigens genauso wie bei der Ökosteuer, die man vorher leidenschaftlich gekämpft hatte). Kein Wort. Während der Regierungszeit suchte man sich dann lieber andere Themen, bei denen man dem Koalitionspartner Union unterlag. Kaum wieder raus aus der Regierung, schwang sich dann Frank Schäffler, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zu umso drastischeren Worten auf: Die Abgabe sei ein „Geschwür im Einkommensteuerrecht und gehört deshalb abgeschafft“. Wo war die FDP eigentlich in den Jahren zuvor? In der Regierung etwa, in einer, die Geschwüre gepäppelt hatte?
Es ließen sich noch unendlich viele Zitate finden, die die hohlen Versprechungen dokumentieren könnten, egal ob von Union, SPD oder FDP. Lassen wir es dabei. Aber was ist eigentlich aus den alljährlichen Überprüfungen geworden, mit denen die Notwendigkeit des Fortbestandes des Solidaritätszuschlags immer wieder aufs neue bewiesen werden sollten. Man hört nichts mehr von ihnen. Das ist leicht zu erklären: Sie würden schließlich zwangsläufig negativ ausfallen.
Ein Etikettenschwindel ist und bleibt ein Etikettenschwindel
Im Solidarpakt, aus dem der Bund den Aufbau in den östlichen Bundesländern mitfinanziert, sind im laufenden Jahr gerade einmal dreieinhalb Milliarden Euro vorgesehen, die Ausgaben verringern sich drastisch, 2019 werden es nur noch zwei Milliarden sein. Und was zahlen die Bürger brav als Solidaritätszuschlag, Jahr für Jahr? Allein 2015 waren es 16 Milliarden Euro – Tendenz steigend, im diametralen Gegensatz zu den Zuwendungen an den Osten, die aus dem Topf fließen und nur einen Bruchteil betragen. Mit den jetzt gefundenen 23 Milliarden jedenfalls könnte man die Solidarpakt-Ausgaben in Höhe von 2019 elf Jahre lang finanzieren.
Es ist einfach nicht hinnehmbar, wenn Kanzlerin Merkel jetzt schon mal vorsorglich ankündigt, der Solidaritätszuschlag müsse auf jeden Fall auch nach dem Auslaufen des Solidarpaktes 2 im Jahr 2019 weiter fortgeführt werden. Einfach mal so, weil die Aufgaben der öffentlichen Hand immer größer würden, klar. Das kann jeder sagen. Und überall du bei jeder Gelegenheit. Es stimmt immer, wie es gleichzeitig falsch ist. Die Begehrlichkeiten, sich milliardenteure Denkmäler zu setzen, sind schließlich bei allen projektfixierten Ministern und Ministerinnen unendlich.
Ja, es stimmt, der Soli ist laut jenem „Kleingedruckten“ zeitlich unbefristet und auch nicht zweckgebunden. Aber auch ein legaler Etikettenschwindel ist und bleibt ein Etikettenschwindel. Auch wenn es kaum jemand merkt.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ullli Kulkes Blog Donner und Doria hier.