Gunnar Heinsohn / 05.09.2014 / 11:20 / 1 / Seite ausdrucken

„Solange die Musik [des Nullzinses] spielt, musst du aufstehen und tanzen. Noch tanzen wir“

Die Nullzins-Geldvergabe der Zentralbanken soll Geschäftsbanken dazu verführen, in Preissteigerungen zu investieren. Vier Prozent bringende Vermögen werden nicht gekauft, wenn auch bei der Zentralbank vier oder mehr Prozent entrichtet werden müssen. Bei jetzt 0,05 Prozent EZB-Zins aber können sich die Preise von Vermögen verdoppeln (Ertrag dann noch 2 %) oder auch vervierfachen (Ertrag noch 1 %) und es bleibt immer noch anständig was hängen. An den Börsen werden deshalb welthistorische Höchstpreise erzielt. Die Kurse kurzfristiger deutscher Staatspapiere sind so durch die Decke, dass ihr Ertrag unter 1 Prozent liegt, sie aufgrund der Differenz zu den noch geringeren Zentralbanksätzen aber auch dann noch etwas bringen.

Diese Preisspitzen für Aktien und verbriefte zukünftige Steuereinnahmen (Staatspapiere) kontrastieren aktuell mit einer leichten Rezession in Deutschland, einer Dauer-Stagnation in Frankreich und einer italienischen Wirtschaftsleistung auf Höhe des Jahres 2000. Die drei stehen für 65 Prozent der Ökonomie im Euro-Raum.

Nicht weil Unternehmen Output, Produktivität und Innovationskraft steigern und die Steuerzahler deshalb glänzend verdienen, steigen die Preise, sondern weil Händler über die Nullprozentangebote an die Zentralbanktresen gelockt werden. Niemals zuvor in der Geschichte standen sie so tief in Margin-Krediten (für Gewinne aus Ertragsdifferenzen) wie heute. Die Vorcrash-Niveaus von 2000 und 2007 sind noch einmal gewaltig überboten worden, wie die New York Stock Exchange am 25. August meldet (Tabelle hier).

Weil die Vermögenspreise nicht die Wirtschaftsleistung spiegeln, sondern aus künstlicher Inflation zum Abbremsen von Deflation resultieren, muss die Angst vor ihrem Fallen allgegenwärtig bleiben. Weil zugleich Wirtschaftsleistung und Masseneinkommen stagnieren, können die Verbraucherpreise nur sinken. Allen zentralbanklichen Wunderinstrumenten zum Trotz erreichen sie nicht die angestrebten 2,0 Prozent. Man ist im Euro-Raum bei sinkender Tendenz im September 2014 auf 0,4 Prozent herunter.

Fallen auch die Preise von Aktien und Bonds, eliminiert das die Eigenkapitale, in denen diese Titel stecken oder aus denen die Investments für sie abgesichert werden. Ein großer Teil der Unternehmen im OECD-Raum wäre dann ausgelöscht. Deshalb kann die Nullzinspolitik nicht aufhören. Und solange die Nullzinspolitik läuft, sind alle Händler wegen der Konkurrenz untereinander zum Zugreifen genötigt. Wenn dieser Hedgefond mit dem Nullzinsgeld glänzend fährt, aber jener aus Angst vor der Hyper-Deflation morgen nicht mehr mitmacht, ist er gleich heute raus aus dem Geschäft.  „Solange die Musik [des Nullzinses] spielt, musst du aufstehen und tanzen. Noch tanzen wir“ (Financial Times, 10-07-2007). Diese Beschreibung der Konkurrenz unter Banken durch den Citigroup-Chef Charles “Chuck“ Prince vor dem Crash von 2007/2008 bleibt ungebrochen gültig. Mit ihren Verfluchungen der Investmenkbanker, die nichts an die „Realwirtschaft“ weiterreichen, zeigen die Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und Kommentatoren lediglich, dass sie die Tarantella nicht verstehen, deren Takt in den Zentralbanken geschlagen wird.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Rainer Müller / 07.09.2014

“Fonds” immer mit “s”, wenn nicht Fleischfond o.ä. gemeint ist.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gunnar Heinsohn / 28.06.2022 / 12:00 / 84

Patent und Verstand: Ex-Kolonie Südkorea überholt Deutschland

Südkorea ist überaltert, holt sich keine ausländischen Arbeiter ins Land, hat nahezu keine Bodenschätze, war unterdrückte Kolonie der Japaner und vom brutalen Korea-Krieg verwüstet –…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 04.11.2021 / 14:00 / 30

Sechs von Tausend

Den Kindern obliegt die Zukunft. Deshalb wollen die Berliner Unterhändler für eine neue Regierung ihre Maßnahmen für die „umfassende Erneuerung unseres Landes” so zielgenau in…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 11.05.2021 / 06:15 / 32

Amerikas groteske Unterschätzung Chinas

“Sixty Minutes”, Amerikas berühmte Plattform für hochkarätige politische Interviews, befragt Anfang Mai den US-Außenminister Antony Blinken zur Zukunft der Konkurrenz mit China. Er gibt sich…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 28.04.2021 / 18:00 / 8

Ostasien, Schweiz und Liechtenstein glänzen bei PCT-Anmeldungen 2020

85 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren mit dem Potenzial zu allerhöchsten geistigen Leistungen leben 2020 in Ostasien. Zu ihren Resultaten gehört das Anmelden von…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 01.03.2021 / 16:00 / 17

Die Reichen werden immer reicher – und können nichts dafür

Peter und Paul haben pfandfähiges und derzeit unbelastetes Vermögen – Firmenanteile und Zentrums-Immobilien – von je zwanzig Millionen. Einer liebäugelt mit einem Aktienpaket, das zehn…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 05.11.2020 / 11:00 / 9

Chinas Augen im Himmel

Ende Juli 2020 befinden sich 2.787 aktive Satelliten im Weltraum. Mehr als doppelt so viele Kunstmode funktionieren nicht mehr. Sie gehören zu den 29.000 Portionen…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 23.08.2020 / 16:00 / 16

Hightech: Das Rennen der Einhörner

Die Sino-Amerikanerin Aileen Lee (*1970) schöpft 2013 den Terminus Unicorn für junge Hightech-Firmen (startup companies), die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet, aber noch nicht an Börsen gehandelt…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 20.07.2020 / 06:19 / 121

Der Elefant im Brüsseler Verhandlungsraum

Die elterliche Garage, in der spanische Tüftler den Prototyp eines Smartphones fertigstellen, der Huawei und Samsung das Fürchten lehrt, gibt es nicht. Man weiß das,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com