„Stimmt. Sehe ich genau so, aber …“
Wenn es darum geht, in aktuellen politischen Debatten KEINE Meinung zu vertreten, ist die Liste der Begründungen lang. Das ist kein Phänomen des Berliner Politikbetriebs, sondern hängt mit der inneren Dynamik von Parteien zusammen, mit Wahlterminen und der Interessen-Vernetzung in der Politik überhaupt. Für politische Neueinsteiger, die noch immer glauben, man müsse zu seinen Überzeugungen stehen, hier eine kleine Auswahl der beliebtesten Ausflüchte aus der täglichen Praxis. Die eine oder andere Wendung dürfte sich eigentlich mit Anführungszeichen schmücken, aber sei’s drum ...
„Das Thema passt jetzt nicht in die Zeit“
Gern genutzt, wenn statt unbequemer Anfragen lieber der politische Gegner ins Visier genommen werden soll und ablenkende Debatten nicht zielführend sind.
„Diese Frage stellt sich nicht“
Grundwissen und Standard-Repertoire jedes Polit-Profis. Inhaltlich zwar doppelt dämlich, weil Fragen sich ohnehin nie selbst stellen (sie haben noch nicht mal Beine), sondern auch, weil die betreffende unliebsame Frage ganz offensichtlich soeben gestellt wurde. Macht nichts. Bei dem einen oder anderen Interviewer kommt man dann doch immer wieder damit durch, sich die genehmen Fragen einfach selbst auszusuchen.
„Ich will XY nicht schaden“
Sicher, die Sache ist eine Riesen-Dummheit gewesen, aber wir haben so lange gebraucht, endlich eine Frau unseres Flügels auf den Posten zu bekommen. Das will ich jetzt nicht gefährden. Merke: Man muss einen Dummen nicht dumm nennen, wenn es der eigene Dumme ist.
„Diese Schlacht kann man nicht gewinnen“
Vorsicht, Zeitgeist-Falle! Umbenennung der Mohrenstraße, Frauenquote, Adoption für Homo-Paare, Rassismus-Keule … In der Sache mag es da gute Argumente Pro und Contra geben, aber im Zweifel hat man tagelang im Netz einen Shitstorm an der Hacke, gilt womöglich irgendwann den eigenen Leuten nicht mehr als unbelastet vorzeigbar. Fazit: Klappe halten, statt Maul verbrennen.
„Das spielt doch nur den falschen Leuten in die Hände“
Im milderen Fall ist es nur die politische Konkurrenz, im schlimmsten die AfD. Grundsätzlich muss die Benennung von Tatsachen lieber einmal aussetzen, als dass Applaus von der „falschen Seite“ kommt. Auch Follower in sozialen Netzwerken sollten streng auf Gesinnung gesichtet, ggf. rasch blockiert und Likes von dubiosen Absendern nicht angenommen werden. Auch bei Empfängen in Berlin-Mitte gilt: Immer erstmal sehen, mit wem man nicht gesehen werden darf …
„Bin im Urlaub“
Naja, ist weder glaubwürdig noch originell, wenn man mit diesem Spruch per SMS antwortet, also durchaus aufs Handy gesehen hat, geht aber gerade jetzt im Sommer immer. Auch wenn sonst keine Zeit zu unchristlich und kein Sonntag zu heilig ist, um zweckdienliche Dinge durchzustechen, sich selbst ins Gespräch zu bringen oder Missgünstiges über Dritte auszuträufeln – wenn das Thema zu heikel ist, einfach Urlaub vorschieben. Müssen die auch mal akzeptieren.
„Zuviel Aufmerksamkeit für die Falschen“
Auch im Gespräch zu sein, ist eine politische Währung. Deshalb Obacht, wem man zu Beachtung verhilft. Thema hin oder her, wenn man jemanden aus dem Diskurs wegschweigen kann oder in eine vermeintlich niedrigere Liga abqualifizieren will: Klappe halten. Motto: Nicht mal ignorieren.
„Nicht zuständig“
Die Mutter aller Beamten-Ausflüchte ist ein wenig in Verruf geraten. Zu banal, die Organigramm- und Hierarchie-verliebt. Meine Meinung gibt’s eine Tür weiter, Kostenstelle 08/15. Wenn der Spruch unvermeidlich ist, bitte um gespielte Fürsorge für den eigentlich Verantwortlichen ergänzen: Er hat den Sprecher-Posten noch nicht so lange, da will ich ihm nicht reingrätschen ... Siehe auch: Das ist Ländersache.
„Dazu hat der Vorsitzende schon alles gesagt“
Klar, wenn der Chef gesprochen hat, schweigen die Zwerge im Vorgarten. Die Losung für den heutigen Tag finden wir im Chef-Evangelium, Kapitel 1, Vers 3: Du sollst keine anderen Meinungen haben neben mir.
„Ich möchte da nicht vorgreifen“
Wenn Gremien wichtige Beschlüsse fassen müssen, vermeidet man a) tunlichst den Eindruck, die Entscheidung stehe schon fest und wird nur noch abgenickt, b) man geht kein unnötiges Risiko ein, wenn die Würfel doch anders fallen sollten und leistet sich c) keine abweichende Meinung. So geht Geschlossenheit heute.
„Ich kann da intern mehr erreichen“
Wenn Wahlen in Bundestagsfraktionen oder auf Parteitagen anstehen, empfiehlt es sich, die gemeinsamen Erfolge hervorzuheben und nicht mit kleinlicher Sachkritik „quer im eigenen Stall zu stehen“ (Wolfgang Bosbach). Wer Vize-, Beisitzer-, Sprecher- oder Ausschuss-Posten anpeilt, verweist gern darauf, dass mit den neuen Epauletten dann das eigene (kritische) Wort noch mehr Gewicht habe. Da ist insofern etwas dran, als man beim Versuch, das System von innen umzukrempeln, das angenehme (zum Beispiel Funktionszulagen) mit dem Nützlichen verbinden könnte. Leider weisen die Posten-Patrone auch nach der Beförderung allzu aufdringlich immer wieder darauf hin, wem der Beförderte seine Meriten zu verdanken hat und verlangen Gefolgschaft. Hach.
„Ich will die jetzt nicht verärgern, weil ich noch Zugeständnisse beim Soli will“
Da es nicht nur bei Trump, sondern auch in der deutschen Politik hin und wieder ums Deal-Machen geht, muss Wahrheit auch hier mitunter taktisch klug dosiert werden. Warum Fronten unnötig verhärten, die man hernach mit politischen Geschenken verlustreich wieder aufweichen muss. Aufrecht stirbt der Teppichhändler. Klarheit kommt demnächst wieder rein.
„Ich habe schon genug Ärger“
Da muss man in der Tat Verständnis haben. Wer auf zu vielen Baustellen unterwegs ist, wird schnell zum Dauernörgler und Querulanten etikettiert und auch sonst nicht mehr ernst genommen. Also hin und wieder mal aussetzen mit der berechtigten Kritik. Können ja auch andere mal den Mund aufmachen. Theoretisch zumindest.
„Sie wissen ja, wie ich darüber denke“
(Aber deshalb muss ich es doch nicht auch noch laut aussprechen.) Kuschelige Übereinstimmung ist das eine, mit unbequemen Zwischenrufen erwischt zu werden, das andere. Wenn das nächste Mal wohlfeil auf die politische Konkurrenz eingeprügelt werden kann, gern nochmal nachfragen.
„Sonst gern, aber ...“
Irgendwas ist ja immer. Vor Wahlen nimmt man sich besser etwas zurück, zeigt Geschlossenheit, nach Wahlen, wenn es um die Postenvergabe geht, empfiehlt sich ebenfalls geschicktes Aufmerksamkeitsmanagement und keinesfalls vorlautes Auffallen. Wenn es keine Parteilinie in der Sache gibt, wartet man besser ab, wenn es eine gibt, hält man sich dran, bekräftigt, unterstreicht, pflichtet bei.
„Aber sonst ...“
Lassen Sie mich das mit aller Deutlichkeit sagen: Hier muss entschlossen geprüft werden. Da kann es kein „Weiter so“ geben. Wir müssen Zukunftsfähigkeit konsequent implementieren, damit aus Bologna II nicht Basel 3 wird und die Gespräche im Normandie-Format im Sinne der Reziprozität auch den BEPS-Prozess voranbringen ... Was Letzteres ist, können Sie ruhig mal selbst herausfinden. Die ersten zehn Einsendungen gewinnen an Erkenntnis. Die anderen auch.