Titus Gebel / 11.09.2020 / 12:00 / Foto: Pixabay / 22 / Seite ausdrucken

So klappt es vielleicht doch noch mit dem Liberalismus

Sehen wir der bitteren Wahrheit ins Auge: Der Liberalismus hat heute nur wenige überzeugte Verteidiger und Anhänger. Das liegt darin begründet, dass er seine eigenen Prinzipien verraten hat. Das wiederum ist eine notwendige Folge des politischen Betriebs in der Demokratie. Das wiederum ist eine Erkenntnis, der sich die meisten Liberalen lieber verschließen. Stattdessen hören wir vonseiten derer, die den zunehmenden Freiheitsverlust durch den aktuellen Verbots- und Empörungsaktivismus erkannt haben: „Wir müssen um unsere Freiheit kämpfen! Wir müssen liberale Positionen wieder offensiver vertreten“ und so weiter.

Das ist zwar aller Ehren wert, aber dieser Kampf ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Vorstellung, dass man Mehrheiten mit Vernunftargumenten von freiheitlichen Ideen überzeugen könnte, war und ist eine Selbsttäuschung. Faktisch hat das der real existierende Liberalismus erkannt, und seine Parteien haben sich längst dem sozialdemokratischen Mainstream angeschlossen. Klassisch-liberale Regierungsparteien wurden hingegen seit Ende des 19. Jahrhundert überall da abgewählt, wo die Massendemokratie eingeführt wurde oder änderten ihr Programm (Beispiele sind England, Deutschland, die USA und letztlich auch die Schweiz).

Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen der Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten und den Wahlerfolgen umverteilend-kollektivistischer Parteien. Ein ähnliches Phänomen hatten die alten Griechen in ihren Stadtstaaten schon beobachtet, von daher scheint es sich um eine menschliche Konstante zu handeln, nämlich in Form des „Minimalprinzips“. Der Mensch möchte – evolutionär vernünftig – möglichst viel erhalten, für möglichst geringen Einsatz.

Trifft diese Disposition nun auf politische Macht, ergibt sich ein Problem: Die Politik kann aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols Zuwendungen versprechen, welche die Zuwendungsempfänger scheinbar nichts kosten. Aus deren Sicht stellt sich dies vorteilhaft dar: keine Anstrengung, trotzdem Ertrag = gutes Geschäft. Darunter fallen nicht nur offensichtliche Wählerbestechungen wie die Gewährung von Kindergeld oder freier Heilfürsorge, demnächst vermutlich das bedingungslose Grundeinkommen, sondern auch gesetzliche Regelungen, die eine Interessengruppe wünscht, zum Beispiel Kündigungsschutzvorschriften oder das Verbot der Kernenergie.

Schon Bismarck erkannte Vorteile des „Staatssozialismus“

Alle kurzfristigen Vorteile, Zeitgeistmoden, gegenleistungslose Versprechen und dergleichen „Gratis“-Angebote der Politik werden früher oder später von der Mehrheit nachgefragt. In der Theorie kann man dieses Problem mittels Einsatzes der Vernunft und Überzeugungsarbeit bewältigen, in der Praxis ist das Minimalprinzip stärker. Politiker oder Regenten, die Leistungskürzungen befürworten, werden über kurz oder lang abgewählt oder ausgetauscht. Otto von Bismarck, der Erfinder des Sozialstaates, bezeichnete diesen folgerichtig als „Staatssozialismus“. Am Ende seines Lebens zog er folgendes Fazit: „Es ist möglich, dass unsere Politik einmal zugrunde geht, wenn ich tot bin. Aber der Staatssozialismus paukt sich durch. Jeder, der diesen Gedanken wieder aufnimmt, wird ans Ruder kommen.“

Gegen dieses evolutionär angelegte Anreizsystem mit Argumenten anzugehen, ist aussichtslos. Aufgrund dessen sind liberale Parteien praktisch immer in der Defensive, insbesondere, wenn sie für weniger Staatseingriffe plädieren. Unser Dilemma lautet: wollen liberale Parteien überleben, müssen sie sich letztlich zwangsläufig in Umverteilungsparteien wandeln. Insofern kann man den liberalen Mandatsträgern nicht einmal einen Vorwurf machen. Sie können nicht anders, oder sie sind bald keine Mandatsträger mehr.

Die Anpassungswilligen bleiben, die anderen gehen. Daher entwickelt sich jede Massendemokratie, egal ob direkte oder parlamentarische Demokratie, zwangsläufig über kurz oder lang zu einem Umverteilungsstaat. Auch die Staatsquote der Schweiz kennt seit über hundert Jahren trotz eines Knicks nach dem zweiten Weltkrieg nur eine Richtung: nach oben (1910: 14 Prozent, heute: 33 Prozent).

Ich befürchte, dass viele „Liberale“ heute schon so konditioniert sind, dass sie gar nicht bemerken, dass durch Umverteilungsgesetze und staatliche Meinungsverbote liberale Prinzipien mit Füßen getreten werden. Lassen Sie uns diese Prinzipien daher wieder in Erinnerung rufen.

Freiwilligkeit und Gewaltverzicht

Im Familienkreis ist es möglich, zwischenmenschliche Beziehungen nach dem Modell der liebenden Fürsorge zu gestatten. Dieses Modell eignet sich jedoch nur zur Gestaltung kleinster sozialer Räume unter Menschen, die sich gut kennen. Die Übertragung auf Beziehungen in anonymen Massengesellschaften ist eine eklatante Überforderung der Beteiligten und daher zum Scheitern verurteilt.

Klammert man also dieses eher private Modell des Zusammenlebens aus, dann bleiben in größeren Gesellschaften nur noch zwei Möglichkeiten, die Beziehung zu anderen Menschen zu gestalten: entweder nach dem Modell der freiwilligen Zusammenarbeit oder nach dem Modell von Zwang und Gewalt. Da niemand gerne Zwang und Gewalt gegen sich angewandt sehen möchte, hat man sich im Laufe der Jahrhunderte darauf verständigt, Zwang und Gewalt grundsätzlich zu ächten. Allerdings verbleibt ein Problem: Nicht alle schließen sich dieser Ächtung an. Einige bleiben gewaltbereit und ziehen die Beherrschung anderer einer gleichberechtigten Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis vor.

Das Problem lässt sich nur im Wege eines kleineren Übels beheben, nämlich dadurch, dass die Gewaltbefürworter unter Androhung von Gewalt gezwungen werden, von ihrer Gewaltbereitschaft Abstand zu nehmen. Das ist die Idee des klassisch-liberalen Rechtsstaats: Der Staat hat ein Gewaltmonopol, übt dieses aber nur dort aus, wo es absolut notwendig ist, nämlich zum Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum vor den Gewaltbereiten. Dadurch wird erreicht, dass das Modell der freiwilligen Zusammenarbeit sich auf allen anderen Gebieten möglichst breit entfalten kann.

Dieser Schritt, mit dem die menschliche Kooperation den Bereich sozialer Nahbeziehungen und willkürlicher Gewaltherrschaft hinter sich ließ, war ein entscheidender Meilenstein in unserer zivilisatorischen Entwicklung. Letztlich schuf er die Voraussetzungen für die industrielle Revolution, welche die Lebensqualität und Lebenserwartung für den Durchschnittsmenschen in vorher nie gekannte Höhen schraubte. Die von Karl Marx vorausgesagte Verelendung ist hingegen nicht eingetreten.

Anpassung als Verrat an den eigenen Grundideen

All das sind keine neuen Erkenntnisse, sie finden sich bereits bei klassischen Denkern wie John Locke, Wilhelm von Humboldt oder Ludwig von Mises. Oder auch beim Vater des deutschen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, demzufolge die Probleme beginnen, wenn der Staat aufhört, Schiedsrichter zu sein und anfängt selber mitzuspielen. Freilich wird diese Erkenntnis regelmäßig missachtet, weil es im Sinne des Minimalprinzips so attraktiv ist, seine Probleme von der Politik lösen zu lassen. Es kommt aber zwangsläufig zu Konflikten und Krisen, wenn der Staat sein Gewaltmonopol benutzt, um politische Ziele zu verfolgen, die über den Schutz von Freiheit, Leben und Eigentum seiner Bürger hinausgehen. Denn Politik zu machen, heißt, Partei zu ergreifen und die Wünsche einiger zum Maßstab für alle zu erheben, und zwar, das darf man nicht vergessen, notfalls mit Gewalt. 

Leider wird genau dieses Verhalten von der Mehrheit nachgefragt. Liberale Politik erschöpft sich daher zwangsläufig in Rückzugsgefechten. Ginge es nicht auch mit 10 Prozent weniger Wahnsinn beim Umwelt-, Klima- und Ernährungsfuror? Wäre es nicht besser, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, anstatt diese sofort abzuschalten oder gar zu sprengen, wie in Deutschland geschehen? Könnten wir die Verpflichtung zur Gendersprechweise auf öffentliche Stellen beschränken? Sollten wir die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Internetzensur, Rassismus- und Antidiskriminierungsparagrafen nicht ein bisschen abschwächen?

Schlimmeres zu verhindern ist aber kein Programm, mit dem man viele Anhänger mobilisieren kann. Die Rechtfertigung lautet meist, das wäre eine zeitgemäße Anpassung des Liberalismus. Politik sei die Kunst des Machbaren, mehr ginge eben nicht. Anpassung ist jedoch hier tatsächlich Verrat an den eigenen Grundideen.

Zwischen Freiwilligkeit und Zwang gibt es keinen dritten Weg, es gibt nur ein Entweder- oder: „Der Preis der Freiheit ist Freiwilligkeit“ (Gottlieb Duttweiler). Das war schon vor tausend Jahren so und wird auch in weiteren tausend Jahren nicht anders sein. Wer also staatlichen Zwangsmaßnahmen jenseits der klassisch-liberalen Staatsaufgaben das Wort redet, hat bereits liberale Positionen aufgegeben. Wurde das Grundprinzip aber einmal geräumt, dann gibt es kein Halten mehr. Wer als Liberaler in die Politik geht, ist bald keiner mehr. Ein jeder möge sich selbst fragen, was wahrscheinlicher ist: dass die Staatsquote der Schweiz wieder auf 14 Prozent sinkt oder dass sie auf über 50 Prozent steigt? Eben.

Bringen wir neue Angebote auf den Markt!

Stellen Sie sich vor, jedes neue Produkt bedürfte der Zustimmung der Mehrheit. Würden wir dann im Wohlstand leben? Gäbe es Elektrizität, Autos, das Feuer? Oder hätten Demagogen erfolgreich Abstimmungsmehrheiten verhindert, durch die Heraufbeschwörung von Gotteszorn, Vernichtung von Arbeitsplätzen oder Gefahren für Leib und Leben?

Wir kommen daher einer Lösung auf die Spur, indem wir den Marktgedanken einfach auf unser Zusammenleben übertragen. Statt einen aussichtslosen politischen Kampf um die Mehrheit zu führen, treten Liberale und Libertäre besser für neue „Produkte“ auf dem „Markt des Zusammenlebens“ ein, über die dann mit den Füßen abgestimmt werden kann. Das geschieht zunächst durch die Schaffung von Nischensystemen, an denen die Teilnahme freiwillig ist und die im Erfolgsfalle Nachahmung finden. Das ist kein leichtes Unterfangen, aber immer noch sehr viel einfacher, als eine Mehrheit von liberalen Ideen zu überzeugen.

So hatte Hayek bereits 1976 die Entkoppelung des Geldes vom staatlichen Monopol gefordert. Diese findet nun seit 2009 tatsächlich statt, nämlich durch Bitcoin und andere Kryptowährungen, und zwar ohne, dass die Staaten eine ausdrückliche Genehmigung dafür erteilt hätten.

Besser eine Trennung beizeiten, als andauernder Bürgerkrieg

Gerade ein dezentralisiertes Gemeinwesen wie die Schweiz hat Möglichkeiten, im Rahmen der Gemeinde- und Kantonsautonomie neue Dinge zu versuchen. Auch ist es leichter, regionale Mehrheiten für solche Freiheitsexperimente zu gewinnen. Nötigenfalls müssen die entsprechenden Befürworter umziehen, um entsprechende Mehrheiten zu schaffen. Das klingt ungewohnt, aber eine derartige politische Segregation hat anderswo längst begonnen. Als die amerikanische Stadt Minneapolis kürzlich entschied, ihre Polizei abzuschaffen und durch etwas anderes zu ersetzen, wurde beiläufig bekannt, dass sich die zwölf Ratsmitglieder wie folgt zusammensetzen: elf Demokraten und ein Grüner.

Mit anderen Worten: in dieser Stadt gibt es längst keine Republikaner mehr! Diese sind nämlich schon in Gegenden verzogen, die ihren Einstellungen eher entgegenkommen. Ist das schlecht? Keineswegs. Menschen sind verschieden, und bevorzugen deshalb auch ein verschiedenes Umfeld. Besser eine Trennung beizeiten, als ein andauernder versteckter oder offener Bürgerkrieg.

Liberale haben erkannt, dass nur eine freiheitliche Ordnung Frieden und Wohlstand schaffen kann. Sie müssen daher Systeme schaffen, in denen es nicht oder nur schwer möglich ist, sich mit Hilfe von Politikern das Geld der anderen in die Tasche zu wählen oder die Mitmenschen in ihrer Lebensgestaltung zu bevormunden. Gerade in Zeiten der Einschränkungen von Grundrechten und zunehmender Planwirtschaft erscheint das Ideal des großen badischen Liberalen Roland Baader wieder attraktiv: „Lasst mich einen festen, eindeutigen und ein für alle Mal fixierten Steuersatz zahlen und bezahlt damit angemessene Sicherheitskräfte und ein verlässliches Rechtswesen, aber haltet Euch ansonsten heraus aus meinem Leben. Dies ist mein Leben; ich habe nur eines, und dieses eine soll mir gehören.“

Wie kann ein solches System angesichts der aufgezeigten Tendenz zum Umverteilungsstaat Bestand haben? Dazu gibt es eine Fülle von Vorschlägen. Etwa die Idee von Markus Krall, dass Empfänger staatlicher Gelder für die Dauer ihres Transferbezugs vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen sind (1). Das betrifft etwa Politiker, Staatsangestellte, Subventionsempfänger und Sozialhilfebezieher. Die solchermaßen Betroffenen können ihr Wahlrecht jederzeit wiedererlangen durch den Verzicht auf die entsprechenden staatlichen Leistungen.

Eine andere Idee des kalifornischen Rechtsprofessors Tom W. Bell geht dahin, das demokratische Verfahren in zwei Bereiche aufzuspalten (2). Der erste Bereich zur Schaffung neuer Regeln funktioniert wie eine Aktionärsdemokratie, das heißt, die Stimmenanzahl richtet sich nach der Höhe des Steueraufkommens. Als Korrektiv besteht für die Gesamtbevölkerung aber die Möglichkeit, im Rahmen einer Volksabstimmung, in der jede Stimme gleich zählt, jedes neue Gesetz abzulehnen. Der Mehrheit kommt aber kein eigenes Gesetzesvorschlagsrecht zu.

Ich habe den Vorschlag eines Bürgervertrages gemacht, der dem Einzelnen einen echten Rechtsanspruch gegen den Staat als Dienstleister gibt und der nicht einseitig abgeändert werden kann, weder durch eine Regierung, ein Parlament noch die Mehrheit (3). Zudem stehen Leistung (Beitrags- beziehungsweise Steuerpflicht) und Gegenleistung (Schutz von Freiheit, Leben und Eigentum) in einem direktem Gegenseitigkeitsverhältnis, das heißt, es bestehen konkrete Leistungs- und sogar Zurückbehaltungsansprüche gegen den Staat bei Schlechtleistung. Die Rechtsfortbildung erfolgt nach dem Common Law-Prinzip durch richterliche Einzelfallentscheidungen, wie es jahrhundertelang im angelsächsischen Raum gut funktioniert hat. Die Idee eines Bürgervertrages ist unabhängig davon, ob man Gemeinwesen als Privatrechtsordnung oder wie bisher als öffentliche Ordnung betreibt.

Viele Bürger sehen dringenden Handlungsbedarf, das erfahre ich wöchentlich durch entsprechende Zuschriften. Auch wenn wir insgesamt eine kleine Minderheit sind: eine kritische Masse bekäme man allemal zusammen. Wir sollten mit der Schaffung von freiwilligen Alternativsystemen freilich nicht zu lange warten, denn der Zug fährt derzeit mit zunehmender Geschwindigkeit genau in die entgegengesetzte Richtung.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Schweizer Monat.

Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Er gründete unter anderem die Deutsche Rohstoff AG. Nach über 30 Jahren politischer Aktivität kam er zum Schluss, dass Freiheit im Sinne von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung auf herkömmlichem Wege nicht zu erreichen ist. Er arbeitet seither daran, mit Freien Privatstädten ein völlig neues Produkt zu schaffen, das bei Erfolg Ausstrahlungswirkung haben wird. Weitere Informationen über dieses Projekt gibt es bei Free Private Cities.
 

Weitere Quellen

(1) Krall, Markus. Die Bürgerliche Revolution. Wie wir unsere Freiheit und unsere Werte erhalten, Langen-Müller, Stuttgart 2020.

(2) Bell, Tom W. Your Next Government?: From the Nation State to Stateless Nations, Cambridge University Press, Cambridge 2017.

(3) Gebel, Titus. Freie Privatstädte. Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt. Aquila Urbis, Walldorf 2018.

Foto: Pixabay

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Martin Landvoigt / 11.09.2020

Ich finde die Idee des kalifornischen Rechtsprofessors Tom W. Bel, das demokratische Verfahren in zwei Bereiche aufzuspalten, gut. Zwar hat es keine Chance auf Umsetzung, aber der Ansatz gefällt mir. Die Vertreter nach Steueraufkommen sind m.E. aber nicht leicht bestimmbar. Immerhin können sie nur von natürlichen Personen gewählt werden. Im Zeichen der Ideologisierung aber ist damit keineswegs Vernunft eher garantiert. Es sind doch gerade die Gelder der Superreichen, die in fragwürdige Stiftungen fließen. Die so finazierten NGOs sind aus Sicht mancher dann die Wohltäter und humanistische und ökologische Vorreiter, Aus anderer sich die Zerstörer der Gesllschaft und der Wirtschaft. Letzteres ficht die Reichen nicht an.

Helmut Driesel / 11.09.2020

  Es gibt ein Problem mit dem Liberalismus in Deutschland, das ist wahr. Rar geworden ist er meiner Meinung nach nicht, die liberalen Politiker haben das Problem, dass sie sich immer auf die Gegenwart beziehen müssen. Wir leben in einem Staat, in dem sehr viele sehr frei sein können. Die persönliche Freiheit ist etwas sehr Wertvolles, wenn es die meisten Mitbürger nicht sind, wenn man also privilegiert ist. Ihr praktischer Wert und ihre Wertschätzung als Gut nehmen umgekehrt proportional zu dem Anteil der Bürger ab, die vergleichbar ebenso frei sind. Wenn per Definition im Grundgesetz alle Menschen frei sind, dann wird Freiheit zur gewöhnlichen Trivialität, über die es kaum lohnt zu reden. Stellen Sie Sich mal vor, wie unwohl sich Goethe in solcher Gesellschaft fühlen würde. Wer also heute liberal sein will, muss sich an den Kleinigkeiten festhalten. Die bringen bei Wahlen eben nur 5%. Die großen Namen, die im Bezug auf den modernen Liberalismus immer wieder genannt werden, das waren allesamt Intellektuelle, die in ihren mit Büchern voll gestopften Zimmern am Schreibtisch hockten und nie einen persönlichen Bezug zu wertschöpfenden Arbeitsprozessen hatten. Wenn das Geld halt sowieso da ist, dann ist man privilegiert und dann ist gut liberal sein. Aber man kann mit den liberalen Theorien nicht die reale, korrupte und missgünstige Welt erklären. Im Grunde ist es auch Marx mit seinem Irrtum von der Verelendung der Massen so gegangen. Es ist ja noch nicht völlig ausgeschlossen, das am Ende aller Freiheiten die Verelendung steht. Es ist völlig offen, ob das Privileg die Freiheit schlägt. Das kann man heute nicht erkennen.

Martin Landvoigt / 11.09.2020

Ich denke, dass Herr Gebel hier ein falsches Dilemma zeichnet. Liberalität ist keineswegs ein Prinzip, das nur Ja oder Nein kennt. Reale Politik lebt von Kompromissen, nicht nur wegen der Machtverhältnissen, sondern wegen der Komplexität der Problematik. Manches ist im Kontext der Umverteilung durchaus sinnvoll, anderes nicht. Das Prinzip kann als Prüfkriterium im Einzelfall heran gezogen werden.  Die Soziale Marktwirtschaft im Sinne des Ordo-Liberalismus ist doch gerade der Versuch, die negativen Aspekte der Extreme zu minimieren. Das Problem der FDP ist auch nicht, dass sie die einzig wahre Lehre verlassen haben, oder dass sie zu Kompromissen bereit sind, sondern sie haben den Kompass verloren, um die Richtung ihrer Politik zu bestimmen.

Steffen Binder / 11.09.2020

Titus Gebels Vorschläge beruhen darauf, dass die Liberalen politisch drastisch mehr Einfluss gewinnen, was am Anfang des Artikels aufgrund des “Minimalprinzips” von Gebel für unmöglich erklärt wird. Wie sollen die Vorschläge also umgesetzt werden? Klar, man kann sich nun vorstellen, dass in “Privatstädten” ausserhalb des Machtbereichs bestehender Staaten solche Ideen zu verwirklichen wären. Ich halte das für illusorisch und bis heute gibt es m.E. keine einzige funktionierende Privatstadt. Warum wohl? Es gibt keine Alternative für Liberale als den mühsamen Weg, wieder den politischen Diskurs zu prägen und den Marsch durch die Institutionen anzutreten. Genauso wie es vor fast fünfzig Jahren die 68er von links getan haben. Ihr Erfolg zeigt den Weg.  Mindestens 10% der Bevölkerung in Deutschland haben ein liberal geprägtes Grundverständnis von Wirtschaft und Politik. Das ist doch keine schlechte Basis.

Martin Landvoigt / 11.09.2020

Ich sehe es nicht als eine Notwendigkeit, dass eine liberale Partei den Umverteilungsstaat befördern muss. Vielmehr würde ein konsequentes Programm ohne die Verwässerungen vermutlich mehr Anhänger finden, als die FDP heute hat. Das Problem liegt eben in der klaren Programmatik und Umsetzung. Wenn die FDP ihre eigenes Profil aufgibt, um zur Block-Partei zu werden, ist ihre Existenzberechtigung dahin.

Martin Landvoigt / 11.09.2020

Es ist nicht ganz klar, Herr Gebel mit dem Liberalismus meint. Ist es der Alleinvetretungsanspruch durch die FDP und ähnliche Parteien in anderen Ländern? Ist es nur die Idee der Freiheit und Selbstverantwortung ... was kaum einen -ismus begründet? Ist es der Wirtschaftsliberalismus die auf die Marktkräfte setzen? Bei aller Neigung zur Freiheit und Selbstverantwortung sehe ich das Kindergeld nicht als ein Beispiel für fragwürdige ‘Wohltaten’ an. Wenn die Altersversorgung im Gegensatz zu traditionellen Gesellschaften nicht mehr an die eigenen Nachkommen gebunden ist, diese aber hohe Beitrage für Steuern und Finanzierung der Renten für die Allgemeinheit zahlen, entsteht damit eine Zahlungsverpflichtung des Staates für die Kinderversorgung. Diese kann einfach reguliert werden: Wenn es demographisch zu wenige Kinder gibt, ist dies ein Indikator, dass die gesellschaftlichen Nachteile zu groß sind, Dann muss der Staat Maßnahmen, z.B. Kindergelderhöhung durchführen. Denn es sollte der Staat ein Interesse an nachhaltiger Demographie umsetzen.

Petra Wilhelmi / 11.09.2020

Athen scheiterte mit seiner Demokratie. In Deutschland, der EU und der fast gesamten Welt, ist der Zug schon längst abgefahren. Die Diktaturen haben das Kommando übernommen und demokratische Staaten eifern solchen Diktaturen wie China nach. Keiner stellt sich dem entgegen, außer ein kleines Häufchen der 7 Aufrechten oder Asterix. Zitat: “Im Familienkreis ist es möglich, zwischenmenschliche Beziehungen nach dem Modell der liebenden Fürsorge zu gestatten. ” Weil heutzutage gerade dieses Prinzip im Familienkreis festgelegt wurde, haben wir es zu verdanken, dass lauter Schneeflöckchen und emotionalisierte Menschen herangezogen werden, die Pflichtgefühl und Anstrengungen nicht kennengelernt haben, vor lauter Liebe und Fürsorge. Dieses Prinzip hat es ermöglicht, dass den Heranwachsenden keine Grenzen gesetzt und keine unangenehmen Wahrheiten vermittelt worden sind. Ich möchte jetzt nicht die Schuld auf die Schulen schieben, denn Erziehung ist Pflicht des Elternhauses im Guten, wie im Bösen. Nun haben wir den Salat. Eine außer Rand und Band geradene Schickeria, die nichts von Pflichtgefühl und Anstrengungen gehört hat, dominiert uns. Diese Verwöhnten, egal ob Kids oder Erwachsene im jungen oder mittleren Alter, wissen kaum, wie man mit Geld umgeht und haben auch keine Vorstellungen, wie ein ein Gemeinwesen funktioniert. Sie haben noch nie Opfer bringen müssen. Statt diesen Verwöhnten mal in die harte Wirklichkeit zu stoßen, wanzen sich alle an diese an und geben Herrn Westerwelle im Nachhinein recht, als er von spätrömischer Dekadenz sprach. Dekadenz führt IMMER in den Abgrund, wie uns die Geschichte gelehrt hat. Jedes Volks, was in Dekadenz erstarrte, wurde von Eroberern übernommen. Wir haben die Eroberer schon im Land. Die Linksgrünen werden vergeblich nach einen linksgrünen Sozialismus suchen. Die Weichen sind anders gestellt und diese Verwöhnten werden hart in einer islamischen Diktatur aufwachen. Der Liberalismus ist schon lange tot und wird nicht wieder auferstehen.

Peter Holschke / 11.09.2020

Der Liberalismus hat gar nichts verraten, genau so wenig wie der Kommunismus und der Nationalsozialismus. Der Autor ist mit dieser Floskel bereits durchgefallen. Das sind nämlich Wortbezeichnungen für abstrakte Konzepte, welche pe se nichts verraten können. Menschen können verraten, Worthüllen nicht. Ist das nicht so? Ansonsten sollte wir vielleicht zum Liberalismus beten und ein paar Opfer bringen, dass der Liberalismus wieder lieb mit uns ist.  Konzepten kann man fröhnen, gar persönliche Untaten damit entschuldigen. Wenn der “Liberalismus” schwach geworden ist, liegt das nur daran, dass weniger Menschen mit diesem Konzept etwas anfangen können.  Man braucht also nicht über das Konzept reden, denn die Prinzipien sind selbsterklärend und man kann diese Prinzipien überall nachlesen und für sich entdecken. Wer das nicht tut, sieht daran keinen Bedarf und dem ist auch nicht zu helfen.  Da zum Liberalismus keine Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda paßt, ist klar, wo das Problem liegt. Es gilt wohl, wenn es zu gut geht, dann tanzt der Esel auf dem Eis.

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