Klaus-Dieter Humpich, Gastautor / 24.11.2019 / 14:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

So geht Kohleausstieg

Rechtzeitig zum Winterbeginn wurde am 15. November in Haiyang in der Shandong Provinz in China die erste Stufe einer nuklearen Fernwärmeversorgung in Betrieb genommen. Vorerst werden 700.000 Quadratmeter Wohnfläche aus dem Kernkraftwerk Haiyang mit Wärme versorgt. Es handelt sich um die eigene Wohnsiedlung und einige öffentliche Gebäude. Schon dieser allererste Schritt spart rund 23.200 Tonnen Kohle pro Jahr ein. Die lokale Umwelt wird von 222 Tonnen (t) Feinstaub und Ruß, 382 t Schwefeldioxid und 60 000 t CO2 jährlich entlastet. Ab 2021 soll ganz Haiyang mit 30 Millionen Quadratmeter versorgt werden. Im Endausbau sollen bis zu 200 Millionen Quadratmeter Wohnfläche in einem Radius von 100 km aus diesem Kernkraftwerk versorgt werden. Dies soll dann 6,6 Millionen t Kohle pro Jahr einsparen. Wohl gemerkt, nur für die Heizung in einem Ballungsraum.

Neben seiner Größe und seinem Bevölkerungsreichtum herrschen in China recht extreme Temperaturen. So liegt Haiyang etwa auf der gleichen Breite wie Tunis, hat aber eher Berliner Temperaturen. Im Januar bewegen sich die mittleren Temperaturen zwischen -5  und 1 °C. Obwohl an der Küste gelegen, sind aber auch Temperaturen von unter -10 °C durchaus nicht selten. Im Sommer herrscht feuchte Hitze zwischen 24 bis 28 °C. Je nach Windrichtung (Monsun) herrscht Meeres- oder Kontinentalklima vor. Im Nordosten von China sind die Winter extrem lang und bitterkalt. Die vielen Kohleheizungen sind dort Ursache für die extrem schlechte Luft im Winter, die von der Bevölkerung nicht mehr länger toleriert wird.

Luftverschmutzung ist eins der wesentlichen Probleme für die Regierenden auf allen Ebenen. Als (wirtschaftlich praktikable) Lösung bieten sich nur zwei Ansätze: Ersatz der „schmutzigen“ Kohle durch „sauberes“ Erdgas als Brennstoff oder Ausbau der Fernwärme und Einspeisung von nuklearer Abwärme. Erdgas muss überwiegend importiert werden und erfordert damit einen kontinuierlichen Devisenbedarf. Der Bau von Kernkraftwerken erfordert lediglich in der Bauphase einen großen Kapitalaufwand, während der Uranverbrauch später kaum noch ins Gewicht fällt. Langfristig sicherlich die günstigere Lösung. Mit jedem Kernkraftwerk, das in Betrieb geht, sinkt der Kohleverbrauch gleich um mehrere Millionen Tonnen pro Jahr.

Der Drang in die Ballungsräume

Weltweit wachsen die Ballungsräume immer schneller. Sie sind insbesondere für junge Menschen wegen der angebotenen Arbeitsplätze und der vielfältigen Freizeitangebote höchst attraktiv. Dies haben Berlin und Lagos – wenn auch auf völlig unterschiedlichem Niveau – gemeinsam. Die hohe Bevölkerungsdichte führt allerdings zu enormen Umweltbelastungen (Luftverschmutzung, Verkehr, Müll, Abwasser, usw.), die die Lebensqualität stark einschränken (können). Im Grunde genommen sind Großstädte wie Mars-Kolonien: Sie sind nur durch „Technik“ überhaupt lebensfähig. Hat man erst mal eine Einwohnerzahl wie Peking (21 Millionen) oder Shanghai (23 Millionen) erreicht, ist eine Heizung beziehungsweise Klimatisierung nur noch über Fernwärme- oder Kaltwassernetze sinnvoll möglich.

Will man die Luftqualität merklich verbessern, muss man die Abgasquellen beseitigen oder zumindest aus der Stadt schaffen. Absolut keine neue Erkenntnis. Genau diesen Weg hat man in allen Industrieländern beschritten. Es ist der einzig gangbare Weg: unabhängig von Region, Kultur und Wirtschaftssystem. Zentraler Gesichtspunkt ist dabei die Energiedichte. Will man den sehr hohen Energiebedarf pro Fläche in einer Großstadt ausgerechnet mit „Regenerativen“ (Wind, Sonne, Biomasse) bereitstellen, zerstört ein Ballungsraum eine ganze Region oder sogar ein ganzes Land. Immerhin hat das „kleine“ Shanghai inzwischen mehr Einwohner als ganz Österreich.

China hat ernsthafte Probleme mit der Luftverschmutzung. Hauptursache ist der gewaltige – und immer noch steigende –Verbrauch an Kohle. 2016 verbrauchte China 3349 Millionen t Steinkohle (Deutschland 57 Mio t), sowie 140 Millionen t Braunkohle (D 168 Mio t). China setzt deshalb konsequent auf den Ausbau der Kernenergie. In der ersten Phase hat man sich weltweit alle möglichen Reaktortypen zusammengekauft. Diese Phase scheint abgeschlossen. Von jetzt an setzt man auf den Bau von Eigenentwicklungen (Hualong und CAP1000) auch für den Export. Bisher wurden fast alle Reaktoren an der Küste gebaut (billige Kühlung durch Meerwasser). Endgültige Klarheit über Typen und Standorte wird das Inkrafttreten des 14. Fünfjahrplans (2021–2026) verschaffen.

Eine Million Kilometer Hochspannungsnetz

Von Anfang an, ist man aber mit großen Kraftwerken (bis 6 Reaktoren) möglichst nah an die Ballungszentren herangerückt. Dies spart schon mal lange und kostspielige Hochspannungstrassen. Auch mit diesen – anders als in Deutschland – hat man bereits seine Erfahrungen gesammelt. Das Hochspannungsnetz von China hat eine Länge von etwa einer Million km (Deutschland 35.000 km). Paradestück ist z.B. die 800 kV Tian-Zhong Stromtrasse mit einer Länge von fast 2.200 km. Zehn weitere solcher Trassen sind in Bau oder Planung. Thermische Kraftwerke in der Nähe von großen Städten bieten sich aber auch für die Kraft-Wärme-Kopplung an. Darunter versteht man die doppelte Ausnutzung des Brennstoffs für die Stromerzeugung und Heizung – eine besonders effiziente und umweltfreundliche Energienutzung.

Wenn man jedoch so nah an Ballungsräume heranrückt, ist ganz besonderer Wert auf die Sicherheit zu legen. Bei den zwei Reaktoren vom Typ AP-1000 handelt es sich wohl um die zur Zeit sichersten und modernsten Druckwasserreaktoren, die auf dem Weltmarkt zu kaufen sind. Zwei dieser Reaktoren befinden sich auch in Vogtle (USA) im Bau, zwei weitere in Sanmen (China) sind schon in Betrieb. Dieser Reaktor verfügt über passive Sicherheitseinrichtungen, die ein Unglück wie in Fukushima („station blackout“, dies ist ein totaler Ausfall des Kraftstroms) ausschließen. Die Nachzerfallswärme könnte ohne jeden Eingriff des Betriebspersonals abgeführt werden.

Die Verknüpfung mit dem Fernwärmenetz der Fengyan Thermal Power geschieht in einem separaten Gebäude auf dem Gelände des Kernkraftwerks. Wichtig unter Sicherheitsaspekten ist, dass das Fernheiznetz physikalisch durch Wärmeübertrager vom sekundären Dampfkreislauf des Kernkraftwerks völlig getrennt ist. Eine „Ausbreitung von Radioaktivität“ im Heizungsnetz kann also ausgeschlossen und ständig automatisch überwacht werden. Jeder muss nun selbst entscheiden, was für ihn ein größeres Risiko darstellt: eine virtuelle Strahlenangst oder eine chronische Belastung durch Abgase.

Übertragung auf deutsche Verhältnisse

In Deutschland sind rund 14 Prozent aller Wohnungen an Fernwärme angeschlossen, und damit werden rund neun Prozent des gesamten Wärmebedarfs abgedeckt. Dies ist z.B. gegenüber Dänemark bescheiden: Dort werden 62 Prozent aller Haushalte durch Fernwärme versorgt. In großen Städten ist dort die Versorgung nahezu vollständig. So oder so lassen sich durch den Ausbau der Fernwärme in Deutschland noch beträchtliche Mengen an fossilen Brennstoffen einsparen. Schneller und kostengünstiger als durch jedwede „Elektromobilität“. Aus ideologischen Gründen verdrängt man in Deutschland umweltfreundliche Kohlekraftwerke (mit Entstaubung, Entstickung und Rauchgaswäsche) durch kaum bessere Gaskraftwerke. Gemessen an den Entwicklungen, etwa in China, kann das nur eine Übergangslösung sein.

Es kann also nicht schaden, sich schon jetzt ein paar Gedanken für die Zeit nach dem Öko-Sozialismus zu machen. In dem dann wieder aufzubauenden Deutschland wird eine kostengünstige und sichere Energieversorgung (wieder) eine zentrale Aufgabe sein. Die Kerntechnik entwickelt sich beständig weiter. Sie hat bereits heute ein sicherheitstechnisches Niveau erreicht, das es erlaubt, Kernkraftwerke in unmittelbarer Nähe von Städten zu errichten – jedenfalls eher als Chemieanlagen, Raffinerien, Windparks und dergleichen.

Allerdings gibt es einen Unterschied zu China: Unsere Städte sind bedeutend kleiner. Der Einsatz konventioneller Reaktoren ist daher begrenzt. In Deutschland gehört die Zukunft den SMR (kleine Reaktoren bis zu etwa 300 MWel). Mit diesen könnten ganz unmittelbar bisherige Heizkraftwerke (Kohle oder Erdgas) ersetzt werden. Alle notwendigen Einrichtungen (Stromanschlüsse, Pumpstationen etc.) könnten weiter benutzt werden. Durch diese dezentrale Lösung entfielen auch neue Hochspannungstrassen, wie sie zum Beispiel für Windenergie aus der Nordsee nötig sind. Hinzu kommt eine enorme Versorgungssicherheit (Abdeckung des Bedarfs 24 Atunden an sieben Tagen die Woche) und Unabhängigkeit von Energieimporten. Da in solchen Kraftwerken nur alle paar Jahre ein Brennstoffwechsel notwendig ist, sind beispielsweise Erpressungsversuche durch Abstellen der Erdgaspipelines ausgeschlossen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Klaus Humpichs Website

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Anders Dairie / 24.11.2019

Eines der größten politischen Verbrechen der GRÜNEN geschah nach 1986,  als infolge des GAU am Reaktor 4 in Tschernobyl,  ein politisches Klima der Angst erzeugt wurde, das die deutsche Zukunftsentwicklung, den THORIUM-Reaktor, “wegmobbte”.  Deutschland hätte eine sichere, zukunftsträchtige Strom-und Wärmeerzeugung haben können.  Auch für die GRÜNEN gilt :  Erfolghaben ist Pflicht!  Ich meine, die Anstifter wie TRITTIN u.a. , werden dafür noch bezahlen. Auch, weil Trittin im Fall des Lagers ASSE aus Kostengründen auf die Bremse trat.  Er hatte aus eigenem Haus venünftige Sanierungspläne, die im Weg waren. Herrn HUMPICHs Energieversorgungs-Grundkonzept, abgeleitet vom chines. Vorbild,  ist schlüssig, weshalb ihm zugestimmt werden soll.  Was in China im Großen machbar ist,  trifft erst recht im sehr übersichtlichen “Kleinstaat”  Deutschland zu.

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