Julian Marius Plutz, Gastautor / 16.02.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 50 / Seite ausdrucken

Skandal in der SZ: Schauspieler outen sich als schwul!

Ab und an mache ich etwas Verrücktes. Ja. Unlängst bestellte ich beim Vietnamesen nicht, wie üblich, die Nummer 85 in sakrisch scharf, sondern die Nummer 81 in sakrisch scharf. Ergebnis? War nicht lecker. Aber immerhin sakrisch scharf. 

Als ich nach dem verkorksten Mahl ein wenig missmutig so durch den digitalen Blätterwald blätterte, sah ich hinter der SZ-Bezahlschranke einen Artikel, der mich als Schwester im Geiste interessierte. Und da machte ich wieder etwas Verrücktes: Ich klickte das Süddeutsche-Zeitung-Probeabo an, wohlwissend, dass sich das E-Paper nicht für das Einwickeln von Biomüll eignet. Aber sei es drum, der Prantls Heribert macht zur Zeit doch eine recht vernünftige Figur. Und außerhalb der Schachtel, out of the box, soll man ja denken, sagen die Leut’. Na, dann los!

„Komm schon SZ, du hast mehr zu bieten!“

Der Text, der mich anfixte, begann so: „185 lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspieler*innen outen sich.“ Bei dem Satzmonster voll krummer Worthülsen und Stolpersternchen, die das weibliche Geschlecht, das es eigentlich gar nicht gibt, einbinden sollen, musste ich erst einmal durchatmen. Ok, Julian, worum geht's? Ah, Schauspieler outen sich als Homos. Ähm, ja. Und jetzt?

Der Satz „Schauspieler outen sich“ ist ungefähr so skandalös wie „Auf Münchens Straßen fahren viele BMWs“, oder „Das neue ACDC-Album klingt wie jedes andere ACDC-Album“. Wo ist da die Story? Das Ding mit den Klischees ist, dass sie häufiger stimmen, als die Social-Justice-Warrior es wahrhaben wollen. Friseure sind nun mal häufiger schwul als Industriemechaniker. Und? Wo ist das Problem? In kreativen und künstlerischen Berufen tummeln sich vermehrt Schwule und Lesben. Das ist kein Geheimnis und weiß auch jeder, der noch alle Latten beisammen hat. Der Zukunftsforscher Matthias Horx schrieb in einem Aufsatz einmal, dass eine lebendige Schwulenszene für eine Metropole und deren kreatives Schaffen elementar ist. Also nochmal: Wo ist die Überraschung?

Ich selbst habe einige Zeit Theater gespielt und muss sagen, dass der heterosexuelle Mann eher in der Minderheit war, was Schauspieler und Regisseure anging. Was mir im Übrigen recht entgegenkam. Gut, nun sind meine Erfahrungen auf ein paar Off-Bühnen sicher nicht maßgeblich, aber ich bleibe dabei: In der Szene der Schauspielerei gibt es eine höhere Akzeptanz für das Anderssein als in den allermeisten anderen Bereichen. Würden sich 15 Fußballprofis outen oder fünf Clanchefs, 50 Imame oder 500 katholische Pfarrer, dann wäre dies eine Story wert. Aber „Schauspieler sind homosexuell“ als Breaking News zu verkaufen? Kommt schon, liebe Redakteure der Süddeutschen. Ihr habt doch mehr zu bieten!

Der „Westerwelle-Effekt“

Was erschwerend hinzu kommt: Die Mehrheit der Schauspieler, die an #Actout teilnehmen, kennt keine Sau! Ja, es tut mir leid, aber ich habe noch nie etwas von Mehmet Atesci gehört. Und auch die Kunst von Tucké – nein, wir machen jetzt keinen billigen Schwulenwitz – Royale ist an mir vorbeigegangen. Jonathan Berlin klingt auch nur vom Namen her nach Fame. Oska Melina Borcherding? Bestimmt begabt, aber auch ebenso unbekannt. Wie soll denn die Botschaft an junge, ungeoutete Homosexuelle lauten? „Schau mal, da outete sich jemand, den keiner kennt?“ 

Immerhin sind auch bekannte Gesichter abgedruckt. Doch sowohl bei Ulrich Matthes als auch bei Jaecki Schwarz kommt der so genannte Westerwelle-Effekt zum tragen. Den habe ich erfunden und der geht so: Menschen outen sich als homosexuell, bei denen es jeder schon wusste oder es zumindest stark ahnte, so dass das Bekenntnis am Ende niemanden überrascht. So erging es vielen bei Guido Westerwelle, und so ergeht es mir bei Jaecki Schwarz. Und selbst wenn nicht: Es gibt, neben seinen Talkshowauftritten, nichts Uninteressanteres als die Sexualität von Ulrich Matthes.

Verstehen Sie mich richtig: Ich halte es für wichtig, dass das Schwulsein, nicht die Sexualität, im Alltag vorkommt und sichtbar ist. Nicht „auf Teufel komm raus!“ und ganz sicher nicht als Christopher-Street-Day-Gedöns, das so abschreckend ist, wie Fastnacht in Franken. Sichtbarkeit ist wichtig, jedoch dann auch bitte in den Milieus, in denen es Homos wirklich noch schwer haben. In der muslimischen Community, aber auch im Fußball. Aber doch nicht „Der männliche Abba-Fanclub outet sich“ oder „Schauspieler sind homosexuell“. Um sich kostenlos die Moralin-Lorbeeren zu sichern, bedarf es weder Mut noch Verstand. 

So schaffe ich es in die Wikipedia

Die PR, das muss man den 185 Todesmutigen lassen, ist gut geplant. Bei jedem, den ich gegoogelt habe, ist der Wikipedia-Artikel mit dem ähnlich handlichen Satz wie in der Einleitung des Artikels bereits hinzugefügt: „Im Februar 2021 war der Schauspielende Teil der Initiative „Actout“ im SZ-Magazin, zusammen mit 184 anderen lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, intergeschlechtlichen und transgender Schauspielenden.“ Oska Melina Borcherding hält sich übrigens für nichtbinär. Sie fühle sich mehr Mann als Frau, aber beides. Auch diese Information ist weder geistreich noch wichtig noch hilft sie irgendjemand, außer vielleicht der Karriere von Oska Melina Borcherding, weiter. 

Ich glaube, ich mache demnächst mal wieder etwas Verrücktes. Ich bestelle die Nummer 85 beim Vietnamesen, aber gar nicht scharf! Oder ich oute mich, wohnhaft im Freistaat, als FC Bayern-Fan. Das wäre ähnlich skandalös wie Künstler, die sich als homosexuell outen. Nur fürs SZ-Magazin dürfte es nicht reichen. Vielleicht aber als nicht-binärer, halb Tischbein, halb Mann, aber eher Mann FC Bayern-Fan? Damit schaffe ich es zumindest in die Wikipedia. 

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B. Ollo / 16.02.2021

Dieses Outing wird ganz praktische Gründe haben: In Zeiten, wo Filme “divers” besetzt werden müssen, damit sie reichlich Steuer- bzw. Fördergelder erhalten können, ist es natürlich praktisch ein amtliches Verzeichnis schwuler, lesbischer oder bigotter Darsteller zu haben. Das ist nur ein Wink mit dem Zaunpfahl, wer gefälligst demnächst mit Steuergeld gefördert werden will.

Lutz Herrmann / 16.02.2021

Als ob ein Outing die völlige Talentfreiheit ungeschehen macht ...

g.schilling / 16.02.2021

Soll doch jeder machen wie er es will, aber nicht um der Publicity wegen mir damit auf den Geist gehen.

Petra Wilhelmi / 16.02.2021

Ich weiß jetzt nicht, warum es mich interessieren sollte, wer mit wem schläft. Das ist Sache der Partner und geht mich nichts an. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Das alles nach außen zu tragen und jemanden wie mir mitteilen zu müssen, ungefragt natürlich, das ist es, was ich hasse. Sich abknutschende Lesben in der Werbung finde ich ebenso daneben, wie wenn es Heteros wären. Muss mir denn nun jeder sagen, mit wem er schläft? Warum nur? Ist er dadurch ein besserer Mensch? Ein Anderer? Soll ich ihn nur deshalb anerkennen, weil mir erzählt wird, dass jemand schwul ist oder lesbisch. Na, was soll’s, ist deren Sache. Ich will ja auch von niemanden wissen, wie viele Geliebte er hat oder mit wie vielen Geliebte sie gerade zu Gange sind oder auch nicht. Das ganze Gedöns wegen des Outings. Na und? Sollen sie das doch denen erzählen, denen Klatsch das liebste ist im Leben, mir nicht. Es ist so interessant für mich wie die Nachricht des berühmten Reissackes der in China umfällt.

Karla Kuhn / 16.02.2021

Das ist doch heute keine Schlagzeile mehr wert. Manchmal vermute ich, daß schwul sein die neue Mode ist. Ich bin am Theater groß geworden, da war schwul sein im Osten bei etlichen Schauspielern und Tänzern gang und gäbe und das in einer Zeit, wo im Westen viele der “obersten Klasse” zwar ungeniert eine Nitribit besuchten aber Schwule noch eingekerkert wurden. Über was ich wesentlich mehr staune ist, daß es Frauen gibt, die nach mehr als 30 Jahren Ehe und mehreren Kindern “plötzlich” entdecken, daß sie auf Frauen stehen. Reinhard Weber, Warum anecken ? In der heutigen Zeit ? Wo Politiker die Mist bauen eher noch beförderrt werden, statt das Rückgrat zu haben zurückzutreten ? Wo eine Merkel ein ganzes Land “mit denjenigen, die darin leben ” einfach mal so mit einem “Ermächtigngsgesetz” ruinieren kann ? Wo die Ethik, die durch den “sogenannten ETHIKRAT” eigentlich geschützt werden soll,  offenbar kaum noch vertreten wird? Nein, SIe ecken nicht an, vor allem nicht, wenn die “Nichtsystemrelevanten”  sich das Maul darüber zerreißen sollten ! Da ich die SZ schon lange nicht mehr lese, wäre mir viel “entgangen” wenn ich den “spektakulären ” Artikel nicht gelesen hätte.

Volker Kleinophorst / 16.02.2021

Sexuelle Orientierung ist keine Leistung. Sie passiert. Man sucht sich nicht aus, was einen erregt. Ich glaube nicht, dass ich eine Wahl hatte, was meine Vorlieben (die euch nen feuchten Furz angehen) betrifft. PS.: Einer Minderheit anzugehören ist auch keine Leistung und die Mehrheit schuldet Minderheiten rein gar nichts. Dass man sich nicht an jedem abarbeitet, der weniger Macht hat, als man selbst, ist simpelste Ethik. PS.: Nicht alle Schwulen sind kunstsinnig und sensibel. Aber viele haben die Neigung, einem mit ihrer “Orientierung” auf den Sack zu gehen.

Burkhard Mundt / 16.02.2021

Schwul? Ach ja? Gähn. Ja, früher, als es den Par. 175 StGB noch gab, da wäre das Outing eine Sensation gewesen. Aber heute? Wen interessiert das denn überhaupt noch?

Regina Lange / 16.02.2021

@Manni Meier Männlich,  alt,  heterosexuell und auch noch weiß?  Das geht nun wirklich nicht, das sind ja gleich vier schlechte Dinge auf einmal! Tut mir leid für sie, aber da bleibt nur noch der Strick!

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