Gunter Weißgerber / 30.11.2018 / 15:00 / Foto: Ben Titze / 20 / Seite ausdrucken

Sittenverfall in einem demokratischen Denkmal

Für den 28. November 2018 lud der Vorstand der „Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG)“ zur Mitgliederversammlung nach Berlin ein. An historisch bedeutsamem Ort, dem früheren „Reichstagspräsidentenpalais“ und jetzigem Gebäude der „Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft“, sollten der Rechenschaftsbericht sowie Satzungsänderungen beraten werden. An und für sich übliche, gleichfalls notwendige Themen in der Mühe der Ebene von Vereinstätigkeiten.

Nun ist die „Deutsche Parlamentarische Gesellschaft“ nicht irgendein Verein von Briefmarkensammlern, Pferdezüchtern, Kaninchenliebhabern, Musikfreaks. Die DPG ist Teil der deutschen Parlamentsgeschichte von der „Paulskirche“ über den „Reichstag“ bis zum Deutschen Bundestag. Es ist für Demokraten eine Ehre und eine Verpflichtung, Mitglied dieses demokratischen Clubs zu sein.

Mitglied kann dort werden, wer im Deutschen Bundestag, im Europäischen Parlament (für Deutschland) oder in deutschen Landtagen Abgeordneter ist oder war und sich zu den Werten des Grundgesetzes bekennt. Man weiß um die Parteizugehörigkeiten und pflegt über diese Grenzen hinweg kollegialen Umgang. Auch das ist Demokratie. Ich bin gern Mitglied dieses politischen Clubs.

Im Vorschlag des Vorstandes der „DPG“ stand am 28.11.2018 in Punkt 4 eine Satzungsänderung in § 1 Nr. 4 auf der Tagesordnung:.

„Jede Benachteiligung oder Bevorzugung von Personen auf Grund von Geschlecht, Rasse, Ethnie oder Religion lehnt sie (die DPG) ab“.

Eine harmlose Ergänzung

Manfred Kolbe (CDU, Bundestagsabgeordneter 1990 bis 2013 mit Unterbrechung, 2000 bis 2002 Justizminister in Sachsen) sprach Antje Hermenau (Bündniss 90/Die Grünen, Landtagsabgeordnete 1990 bis 1994 und 2004 bis 2014, Bundestagsabgeordnete 1994 bis 2004) und mich auf diese Satzungsänderung an. Ihm war die Änderung zu einseitig und es fehlt der Verweis auf den Terminus „Klasse“ im Sinne von sozialer Herkunft beziehungsweise Stellung.

Was uns sofort einleuchtete. Neunundzwanzig Jahre nach dem erfolgreichen „Volksaufstand“ der Ostdeutschen gegen eine linke Diktatur, die sich ausdrücklich auf den "immerwährenden (opferreichen) Klassenkampf“ berief, kann es nicht sein, dass die aller Ehren werte „Deutsche Parlamentarische Gesellschaft“ ihren Blick einseitig nach Rechtsaußen richtet und die Gefahren von Linksaußen nicht ebenfalls in ihren Blick nimmt. Die „DPG“ ist Teil des Zentrums dieser Republik und damit Teil des politischen Lots, welches das Gemeinwesen mit austarieren soll. Mit Linksaußen gegen Rechtsaußen? Das sollte doch eigentlich eine aus Absurdistan kommende Vorstellung sein!

Aber: Gerade, weil im politischen Raum jüngst über das Zusammenwirken „mit der Antifa gegen rechts“ fabuliert wurde (aus dem engen Beraterkreis der SPD-Vorsitzenden), war es uns wichtig, auf diese gefährliche Schiefstellung hinzuweisen. Unser Änderungs-Antrag wurde vom Plenum abgelehnt. Sowas kommt in den besten Familien vor. Die gemeinsame politische Bewertung der Antragsteller ist unten dokumentiert.

Mir geht es um einen für mich völlig neuen Umgang mit Dingen der Geschäftsordnungspraxis in der Sitzung am 28. November 2018. Es war immerhin eine Versammlung sehr erfahrener Abgeordneter, die in einem langen politischen Leben einen großen Erfahrungsschatz in der ordnungsgemäßen Führung von Versammlungen anhäuften. Absolut selbstverständlich ist beispielsweise der Umgang mit fristgerecht eingegangenen Änderungsanträgen zu Tagesordnungspunkten.

Unser Antrag sollte überhaupt nicht stattfinden

Was uns in besagter Sitzung widerfuhr, das war unparlamentarisch, richtigerweise vor-parlamentarisch. Die Präsidentin stellte den Antrag, die vom Vorstand vorgeschlagene Formulierung ohne Debatte abzustimmen. Unser fristgemäß eingegangener Antrag sollte überhaupt nicht stattfinden, geschweige denn unsere Begründung gehört werden.

Niemals hätte ich in der „Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft“ mit solch einem zynischen und unkollegialen Umgang gerechnet. Nehme ich jetzt diese Erfahrung zum Maßstab, verstehe ich die Gründe für das akute Missverhältnis zwischen Bundespolitik und Wahlbevölkerung noch besser. Da ist was ins Rutschen gekommen. Ich würde von Sittenverfall sprechen. Vorbilder sollten es besser vorleben.

Manfred Kolbe, Antje Hermenau und Gunter Weißgerber haben dazu erklärt:

Um einen eigentlich unstrittigen Änderungsantrag des Vorstandes zu § 1 Ziff. 4 der Satzung entwickelte sich auf einer lebhaften und zeitweise turbulenten Mitgliederversammlung der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG) am 28.11.2018 eine strittige Diskussion. Eine überforderte Versammlungsleitung leistete zusätzlich noch ihren Beitrag zur Verwirrung. Besonders ärgerlich waren ihre Versuche, die Diskussion abzuwürgen und über Änderungsanträge nicht abstimmen zu lassen.

Der folgende Passus sollte auf Antrag des Vorstandes der DPG in die Satzung eingefügt werden: „Jede Benachteiligung oder Bevorzugung von Personen auf Grund von Geschlecht, Rasse, Ethnie oder Religion lehnt sie (die DPG) ab“. Begründet wurde dies mit dem erforderlichen Bekenntnis zu einem Kern von politischen Grundwerten, die vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht verhandelbar seien.

Sicherlich richtig – aber zu einseitig, monierte ein Änderungsantrag der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU), Gunter Weißgerber (SPD) und Antje Hermenau (Bündnis 90/ Die Grünen). Die Geschichte des 20. Jahrhunderts habe nicht nur Diktaturen erlebt, die aus rassistischer Ideologie Millionen Menschen umgebracht haben, sondern auch Diktaturen, die aus klassenkämpferischer Ideologie Millionen Menschen umgebracht haben. (z.B. Sowjetunion, Ukraine, China, Osteuropa, Kambodscha). Deshalb sollte durch Einfügen der zwei Worte “oder Klasse“ in den obigen Katalog klargestellt werden, dass auch die kommunistischen Verfolgungen im 20. Jahrhundert mit über 50 Millionen Toten abgelehnt werden. Der klassenkämpferische Ansatz des Marxismus-Leninismus war die Triebfeder für diese ebenfalls schrecklichen Verbrechen, und dies sollte durch die ausdrückliche Aufnahme des kommunistischen Kampfbegriffes „Klasse“ in den Katalog der verbotenen Diskriminierungen herausgestellt werden.

In der anschließenden Diskussion sprach sich dann ein Teil der Mitglieder generell gegen die Satzungsänderung aus, da sie bereits im Grundgesetz stehe, andere brachten andere Ergänzungsvorschläge. Der Vorstand schlug dann vor, die Worte „oder Klasse“ durch „oder Herkunft“ zu ersetzen, was aber wiederum teilweise als zu beliebig abgelehnt wurde.

In der Abstimmung setzte sich dann der Vorstand mit Mehrheit durch und der Änderungsantrag Kolbe/Weißgerber/Hermenau wurde abgelehnt. Unverständnis auf Seiten der Antragsteller: „Wir verstehen nicht, wie man den mehr als 50 Millionen Opfern des kommunistischen Klassenkampfes im 20. Jahrhundert so die kalte Schulter zeigen kann!“

Foto: Ben Titze via Wikimedia Commons

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Dr. Christian Rapp / 30.11.2018

Das Sie das noch wundert….

Bernhard Maxara / 30.11.2018

Mit bestem Dank, sehr verehrter Herr Weißgerber, für diesen traurigen, allerdings für den Beobachter heutiger Bundespolitik keineswegs überraschenden Befund, eine Frage nebenbei. Wie Sie mit Recht betonen, handelt es sich ja um keinen Taubenzüchterverein, sondern um eine ehrwürdige Einrichtung von ebenso historischem wie aktualpolitischem Rang, gewissermaßen auf höchster Ebene. Warum beträgt dann der Jahresbeitrag für Abgeordnete armselige 180 Euro im Jahr und bedarf der Zuschüsse in Millionenhöhe? Überstiege ein der Bedeutung angemessener Beitrag wohl die finanziellen Möglichkeiten unserer Parlamentarier?

Martin Landner / 30.11.2018

Joa, wäre es ehrlich gemeint, müssten die Mitglieder der DPG auf der Straße stehen & gegen Anis Amri, IS & Hamas demonstrieren - immerhin löschen die bestimmte ethnische & religiöse Gruppen aus, was über eine “Benachteiligung” weit hinausgeht. Das Problem: Selbst die jetzige Fassung ist gelogen - denn selbstverständlich haben die verantwortlichen Leute keinerlei Problem mit einer “Benachteiligung oder Bevorzugung von Personen auf Grund von Geschlecht, Rasse, Ethnie oder Religion” - solange sich diese nur gegen westliche Gesellschaften richtet. Die Angriffe auf Frauen in Köln & anderswo sind genauso wenig zu übersehen wie ihre Bevorzugung bei Einstellungen. Die Vernichtung der Jesiden, der Juden & die immer schlimmeren Drohungen gegenüber Amerikanern & Europäern sind nicht mehr zu vertuschen. Der Hass auf Atheisten & andere religiöse Gruppen generell hat längst auch Europa erreicht.  Und wo wir gerade beim Thema sind: Wenn ‘Rassismus’ ausschließlich & selektiv in westlichen Gesellschaften verortet wird, dann ist das, naja, ziemlich diskriminierend.

Brigitte Brils / 30.11.2018

Wo kein Parlamentarismus mehr stattfindet, ist „Deutsche Parlamentarische Gesellschaft“ nur noch ein sinnentleerter Name. Die kommunistischen, internationalistischen, öko-diktatorischen, globalistischen Vertreter in solchen Gremien sind tüchtig dabei, im Dienste einer kleinen Geld-Elite (womit ich ausdrücklich nicht die Juden meine, das muss man ja inzwischen klarstellen, die Leute suchen schon wieder bequeme Schuldige für die Misere) ihren Totalitarismus zu installieren. Sie zeigen auch schon den zukünftigen Opfern die kalte Schulter.

Thomas Weidner / 30.11.2018

Tja - SED-Stasis haben schon viele Institutionen unterwandert…

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