Was passiert, wenn ein Mercedes mit osteuropäischem Akzent auf einen cholerischen Fahrer trifft, der einfach nur ins Schlosshotel Kronberg will?
Also, ich kenne das so: Ich steige in den Datschia, klemme mein IPhone an und sage dann Sätze wie „Hey Siri, navigiere mich zum Eva-Braun-Platz in Salzgitter“ und dann sagt Siri: „Eva Braun ist nicht in Deinen Kontakten gespeichert“, was absolut korrekt ist. Ich kenne keine Eva Braun. Dann sage ich „Siri, Salzgitter, Braun-Platz“ und Siri sagt dann „Anneliese-Braun-Platz in Worpswede“. Dann gebe ich die Adresse per Hand ein. Beim Fahren. Was immer wieder für kurzfristige und etwas hektische Aufmerksamkeit auf der Gegenspur sorgt.
Neulich jedoch war ich mit einem Freund in seinem Mercedes unterwegs. Da ist natürlich ein völlig anderes Navigationsgerät am Start wie in dem öden Duster. Edles Interieur und ein wunderbarer Bildschirm in der Mitte, der besser ist als so manch deutsches Fernsehgerät in Mittelschichthaushalten. Und, sehr cool, die Navigation schaltet sich mit einem für konservative Verhältnisse sehr saloppen „hey Mercedes“ ein. Gegen das Mercedes-Navigationssystem mit seiner weiblichen Stimme, die Charme, Eleganz und einen leicht osteuropäischen Akzent imitiert, wirkt Siri wie die tätowierte Schlampe an der Kasse der Geisterbahn. Grandios. Außerdem hört Mercedes viel besser als Siri!
Also sagt Thomas zu Mercedes: „Hey Mercedes!“ Und Mercedes fragt dann „Hallo. Was kann ich für Dich tun?“ Und während ich noch überlege, ob mir Mercedes einen Kaffee ohne Milch und Zucker holen soll, sagt Thomas: „Kronberg, Schlosshotel“. Und Mercedes schweigt. Dann sagt Thomas, etwas lauter: „Kronberg, Schlosshotel“. Und Mercedes sagt: „…“. Dann brüllt Thomas wie Karl Liebknecht vom Balkon: „KRONBERG!!! SCHLOSSHOTEL“ und Mercedes lässt sich das nicht gefallen und sagt: „Tut mir leid. Ich kann Dir hier nicht helfen.“
Während ich mich vor verhaltenem Lachen – ich will Thomas ja nicht verärgern – im Beifahrersitz krümme, probiert es Thomas in einer verbindlichen Tonart: „Hey Siri, bitte navigiere mich nach Kronberg ins Schlosshotel.“ „Kronberg, Schlosshotel. Ich berechne die Route“ kommt es von der Mittelkonsole, in der mein Handy liegt. Nun könnte ich ja mein Handy in das System der Mercedes einloggen, dann würde ihm Siri den Weg weisen, was sie im Datschia normalerweise eher ungern tut, aber vom Interieur her muss sie der Mercedes mit seinen weißen Ledersitzen derart beeindruckt haben, dass sie Thomas´ willenlose Sklavin ist, wenn sie nur einen Mercedes navigieren darf.
Eine epische Schlacht
Aber Thomas will nichts mit meiner Verräterin zu tun haben und hat sich nur versprochen, sondern Mercedes soll den Job machen, für den sie mitgeleast wurde. Und dass er sie mit dem falschen Namen angesprochen hat, ist nicht ihre Schuld. Während Siri auf der Mittelkonsole bereits vor sich hinrechnet, versucht es Thomas noch einmal: „„Hey Mercedes, BITTE navigiere mich nach Kronberg ins Schlosshotel. Ich flehe Dich an!“ „Okay, Schlossstrasse in Flensburg“, antwortet Mercedes und kündigt auch an, dass es die Route berechnet. Da ist Siri unten, vor der Handbremse, schon weiter, aber jetzt geht es ums Prinzip.
Thomas´ Gesicht hat eine deutliche gesunde rote Farbe angenommen. „KRONBERG STATT FLENSBURG“ brüllt er und bekommt von Mercedes die Gegenfrage „Meinst Du Kronstadt in Russland?“ und noch bevor Thomas „NEIN!!!“ brüllen kann, geht schätzungsweise eine Email an den Bundesnachrichtendienst raus. Ich schreibe den Leuten, die wir treffen wollen, dass es etwas später wird, will aber unbedingt bei der epischen Schlacht zwischen Thomas und Mercedes um die Reiseroute dabei sein!
Ich schlage vor, das Ziel per Hand einzugeben und Thomas schaut mich an wie ein Vater seinen Sohn, der verkündet, er wolle das Jurastudium schmeißen und auf Genderstudies umsteigen. Selten sah ich diesen Hass in seinen Augen. Nicht auf mich.
Dusselige Kuh
Thomas schluckt zwei Blutdrucktabletten. Bisoprolol. Gute Ware. Damit sich´s länger lebt. Er atmet tief durch und gibt sich betont höflich: „Hey Mercedes, bitte navigiere mich nach Schlosshotel Kronberg!“ Aber Mercedes ist nicht doof und lässt sich eine neue Taktik einfallen, bei der sie allerdings sehr subtil mit den Nerven ihres Auftraggebers spielt. Sie fängt gut an: „Schlosshotel Kronberg“, stellt sie fest. AHA! Diesmal hat sie das Ziel erkannt. Thomas steht mit den rechten Reifen auf dem Bürgersteig und wartet. Von Mercedes ist auf dem Display nur eine schwingende Sinuslinie zu sehen. Das Luder überlegt und ich google, wann heute Sonnenuntergang ist.
Dann verkündet sie ihr Urteil: „Du hast folgende Optionen: A) Route unterbrechen. B) Route abbrechen. C) Neues Zwischenziel hinzufügen“ „Da ist noch Kronstadt in Russland drin“, erkläre ich und Thomas brüllt „WEISS ICH!“ Mercedes misch sich wieder ein: „Das habe ich nicht verstanden.“ Wir brüllen beide „SCHNAUZE MERCEDES!“ und Mercedes antwortet so nüchtern wie ein Ordnungsamtmitarbeiter am Montagmorgen: „Was kann ich für Dich tun?“
Thomas stellt den Motor aus und die Zündung ab. „Raus“, sagt er kurz angebunden zu mir und steigt selbst aus und wenn er mich jetzt noch auffordert, die Brille abzusetzen, dann werden wir gleich einen Knäuel bilden. Aber nein: Er bittet mich vielmehr um einen Zigarillo in sicherer Entfernung zum Mercedes, der soeben verriegelt hat. Wir rauchen, reden über dies und das und wie schön das Schlosshotel in Kronberg ist, wenn man es denn erreicht, und dass er eigentlich keine Lust mehr hat, ins Schlosshotel zu fahren, weil er nicht weiß, wo das ist und Mercedes ihn mehr verarscht als sein ehemaliger Geschäftspartner. Und dass er sie jetzt resettet hat, die dusselige Kuh.
„Einfach die Fresse halten“
Dann steigen wir wieder ein und Thomas sagt den Zaubersatz: „Hey Mercedes. Navigation nach Kronberg im Taunus, Schlosshotel“ und Mercedes sagt „Ich berechne die Route“. Das dauert diesmal, denn Mercedes rührt sich jetzt gar nicht mehr. Eine sanfte blaue Sinuslinie schwingt auf dem Display und ich sehe eine reizende ältere Dame, die sich in hunderten von Kilometern Entfernung mit einem Taschenrechner über einen Shell-Straßenatlas vom 1999 beugt und da verzweifelt rechnet, während die Katze auf ihrem Schoß leise schnurrt und der Tee in der Tasse mit dem Mercedes-Logo neben ihr langsam kalt wird.
„Sie rechnet lange“, sage ich, um die Wartezeit zu verkürzen und Thomas wirft sich noch einen weiteren Betablocker ein. „Sie ist sorgfältig“ sagt er. Es dämmert langsam. „Und wenn wir derweil losfahren, Grobrichtung Frankfurt?“, schlage ich vor. „Weißte was? Das machen wir jetzt!“, sagt Thomas ärgerlich, aber nicht ohne Tatendrang. Er startet den Motor und brummelt „Scheiß Mercedes“. Augenblicklich wird das Navi lebendig: „Berechnung abgebrochen. Was kann ich für Dich tun?“ „Einfach die Fresse halten“ gibt Thomas, schlechtgelaunt und ganz entgegen seiner Gewohnheit und Erziehung, trocken zurück. Und Mercedes antwortet mit ärgerlichem Unterton: „Das kann ich nicht tun“, entscheidet sich aber für das Gegenteil, als Thomas in die Bremse tritt und Anstalten macht, das Display aus dem Armaturenbrett zu reißen.
Ich rette Mercedes das Leben, in dem ich die ungeduldig wartende Siri mit dem System koppele und sage „guck Thomas, da. Da müssen wir lang“. Und dann fliegen zuerst mein Handy und dann ich aus dem Auto und Thomas verschwindet in einer zornigen Wolke aus irgendwas, was eben so bei einem E-Auto möglich ist. Die enttäuschte Siri verabschiedet sich mit dem Satz „Ziel erreicht“, bevor sie, tief gekränkt, den Akku abschaltet.
(Weitere Navigationshilfen des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten
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Schön wenn es ein nicht betrifft und man herzlich lachen kann. Eventuell wäre es besser die Autos hätten ein Steckplatz für ein Tablett und jeder Hersteller lässt sich eine APP programmieren. Irgendwann haben alle die gleiche APP.
Dranbleiben und nur nicht aufgeben.Aber sei es drum,allmählich entwickelt sich ein richtiger Kult um die elektrisch fahrenden Wagen. Hausfrauen parken reihenweise bei Aldi nebeneinander und kennen bereits ihren Weg dorthin.Die Damen verstehen richtig was davon. Ich würde mich niemals erdreisten, mit meinem Verbrenner dazwischen zu parken. Neulich gehört: hallo Frau Lehmann, hatten sie nicht bis vor kurzem einen Roten? Ja Frau Schmidt, aber mein Mann wollte nicht mehr und da er gut verdient, ist es mir egal womit ich einkaufe. Laden können wir zwar nicht zu Hause,aber ich lade gerne außerhalb, es gibt ja Ladesäulen und neulich war es besonders schön, da ist bei den Ladesäulen, in Hagenow,extra ein Automat mit Snacks. Ach übrigens Frau Schmidt, der Stinker mit dem Benziner in unserer Straße ist nun endlich weggezogen. Nie wieder morgendliches Geknatter, kein Gestank und Ruhe bis 10 Uhr. Der Typ war sowieso rechts. Also bis morgen Frau Lehmann, ich muss mich beeilen.Ich will nach Perleberg. Dort gibt es zur Zeit CO2-freie Umwelt-Haarfarbe im Gebinde. Na dann, gute Fahrt Frau Schmidt, fahren sie, aber fahren sie mit Gott, denn wenn er schlapp macht, müssen sie wieder in fremden Betten übernachten.