Helmut Ortner, Gastautor / 07.01.2025 / 06:00 / Foto: chris cosco / 42 / Seite ausdrucken

Sind wir noch „Charlie“? 10 Jahre nach dem Anschlag

Vor zehn Jahren überfielen Islamisten die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und ermordeten zwölf Menschen. Der Anschlag wurde zum Symbol für die Auseinandersetzung zwischen militantem Islam und Aufklärung. 

Am 7. Januar 2015 sprangen zwei mit Kalaschnikows bewaffnete moslemische Terroristen vor dem Pariser Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo aus dem Auto, zwangen die Zeichnerin Coco zur Herausgabe des Sicherheitscodes und stürmten in den zweiten Stock. Dort töteten sie zwölf Menschen: Redaktionspersonal, den Chefredaktor Stéphane Charbonnier, einen Polizisten, der ihn bewachte, und sie verletzten mindestens 20 Personen, zum Teil schwer. Während der Tat riefen sie „Allahu Akbar” („Gott ist am Größten”) und „Wir haben den Propheten gerächt.” Ein Großteil der Redaktion war damit ermordet. 

Frankreich stand unter Schock. Noch am Abend des Attentats kam es in Paris und weiteren Städten zu Solidaritäts-Demonstrationen, an denen sich bis zu 40.000 Menschen beteiligten. Der Spruch „Je Suis Charlie“ – „Ich bin Charlie“ verbreitete sich auf tausenden Plakaten überall im Land. 

Charlie Hebdo war (und ist) eine Satire-Wochenschrift mit notorisch deftigem, „geschmacklosem“ Humor – die sich gegen Autoritäten, den rechtsextremen Front National, vor allem aber gegen religiöse Fanatiker und Fundamentalisten jeglicher Couleur richtet. Das Redaktionsteam bezeichnet sich selbst ironisch als „verantwortungslos” – und erfreut (damals wie heute) damit seine begeisterte Leserschaft. Doch viele kritisieren Form und Ton. 

Sie machten Charlie Hebdo letztlich selbst für das mörderische Inferno verantwortlich, weil es unter dem „Deckmantel der Meinungsfreiheit“ die Gefühle von Gläubigen verletze, sich über Religionen lustig mache. Solche Einwürfe kamen nicht allein von konservativen Glaubensverwaltern und der politischen Rechten. Auch von linken Intellektuellen und Medien wurde das Recht auf Kritik an Gott und anderen „heiligen“ Autoritäten infrage gestellt. Sie warfen Charlie Hebdo vor, rassistisch zu sein und den Glauben der Schwächsten zu verhöhnen – und damit vor allem viele moslemische Einwanderer zu erniedrigen. 

Wo kämen wir hin?

Die Redaktion von Charlie Hebdo reagierte damals mit einer ironischen Paradoxie. Gerade einmal eine Woche nach dem grauenvollen Massaker erschien in hundertausendfacher Auflage eine Ausgabe mit einem traurig dreinschauenden Propheten auf dem Cover, der ein Schild hält: „Je Suis Charlie“, darüber die Überschrift „Tout est parddonn‘e” („Alles ist vergeben“). Gläubige Moslems kritisierten das Cover, weil man Mohammed nicht darstellen dürfe. An diesem Bild wird bis heute festgehalten: Weltweit rechtfertigt ein erheblicher Teil der Islamisten Gewalt und Terror wegen angeblicher Herabwürdigung des Korans oder des islamischen Propheten Mohammed. 

Wo aber kämen wir hin, fragt Richard Malka, der als Anwalt die Interessen von Charlie Hebdo vertritt – und deshalb seit Jahren unter Polizeischutz steht, wenn wir es vom Einverständnis religiöser Fanatiker abhängig machen würden, ob ein Kunstwerk, ein Theaterstück, ein Film gezeigt werden darf oder nicht, weil er angeblich den Propheten Mohammad herabstuft, beleidigt oder der Lächerlichkeit preisgibt?

In einem seinem Schluss-Plädoyer, das er 2020 im Prozess gegen die Komplizen der Attentäter vor dem Sonderstrafgerichtshof in Paris gehalten hat, forderte er die Ideologen und dienstbaren Geister des Terrors auf, mit ihren Bemühungen aufzuhören, für den Islam Sonderrechte zu beanspruchen. „Die Kunst- und Meinungsfreiheit kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft nicht aus Rücksicht auf religiöse Fanatiker einschränkt werden, dies kommt einer Belohnung gleich”. Nicht Religionskritik störe den öffentlichen Frieden, sondern Glaubensfanatiker, die „unsere Freiheiten verachten, die alle Ungläubigen und Andersgläubigen hassen, vor allem die, die sich erlauben, über ihren Propheten zu lachen, ihn zu karikieren”, so Malka.

Zehn Jahre nach dem Attentat ist sein Plädoyer auch eine empathische Anklage gegen Gleichmut und Gleichgültigkeit. Vor allem aber eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit und des Rechts, sich über Gott lächerlich zu machen – falls es ihn gibt. 

Solidarität mit den Spöttern?

Die Charlie Hebdo-Redaktion jedenfalls bleibt ihren Grundsätzen treu. Sie gibt sich weiterhin wie gewohnt "verantwortungslos" und hat gerade einen Wettbewerb für die besten anti-religiösen Karikaturen ausgeschrieben. Der Wettbewerb richte sich „an diejenigen, die es satthaben, in einer von Gott und Religion regierten Welt zu leben”, schreibt das Redaktionsteam und ermuntert ihre Leserschaft dazu, „ihrer Wut über den Einfluss der Religionen auf ihre Freiheiten Luft zu machen“. 

Zehn Jahre nach dem Attentat stellt sich die Frage, sind wir noch Charlie? Ist die Solidarität mit den Spöttern noch vorhanden oder durch weitere Attentate abgestumpft statt mobilisiert worden? (nach Charlie Hebdo erfolgten in Frankreich weitere, um Teil schwere Anschläge, wie jene im November 2015 auf die Pariser Konzerthalle Bataclan, sowie an verschiedenen Orten, bei denen 130 Menschen getötet und 683 verletzt wurden, darunter mindestens 97 schwer). Oder hat ein Umdenken eingesetzt? Darf Spott und Satire, entgegen dem Diktum Kurt Tucholskys, doch nicht alles? Oder hat die Meinungsfreiheit, also auch über das Heiligste religiöser Menschen zu spotten, als ein Grundpfeiler westlicher Lebensweise weiterhin Vorrang? 

Jenseits der Betroffenheitsrituale aus der Politik, das übliche Geraune: die einen warnen reden vom „Dialog“ mit den Muslimen und verurteilen "verantwortungslosen" Spott und Hohn, andere verbitten sich grundsätzlich, über Religion sich lächerlich zu machen.  Danach nimmt alles seinen Lauf – wie gewohnt: Charlie Hebdo erscheint Woche für Woche, immer mittwochs – mittlerweile wieder in einer überschaubaren Auflage. 

Und wir? Sind wir noch Charlie Hebdo? Wir sollten alle deutlicher, lauter und engagierter werden. Auch hierzulande. Das sind wir nicht nur den Opfern vom 7. Januar 2015 schuldig.

 

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

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Johann Bunyan / 07.01.2025

Wir sind und waren weder Charlie noch Papst. Was Satire „darf“, ergibt sich lediglich aus strafrechtlichen Gesetzen und ethischen Normen, aber nicht aus einem Naturrecht oder dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit – das ein Abwehrrecht gegen den Staat und nicht gegen die Opfer von Satirikern ist. Tucholsky wird zumeist unvollständig zitiert: In „Was darf die Satire“ sieht er Satire als Werkzeug im Kampf für das Gute: „Die Satire (...) ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“ Ob der Zweck wirklich die Mittel heiligt und Tucholsky Recht hat, darf hinterfragt werden. Jedoch setzt Tucholsky zum „Funktionieren“ von Satire einen „common sense“ in Bezug auf Wahrheit und Gerechtigkeit voraus, der in einer multikulturellen Welt kaum mehr gegeben ist. Wo Satire nur noch „Lästerung zu Eigenprofilierungs- und Unterhaltungszwecken“ bedeutet, entfällt ein als förderlich zu erkennender Sinn. Tucholskys – rhetorisches – Fazit, dass Satire alles dürfe, hebt Satire daher auch nicht pauschal als „Supergrundrecht“ über das Gesetz oder installiert Satire als „Menschenrecht“. Die Freiheit der Meinungsäußerung endet ethisch wie rechtlich dort, wo vorsätzlich Schaden gewirkt wird. Das mosaische und dann auch christliche Gebot der Nächstenliebe, die „Goldene Regel“ und der daraus abgeleitete „Kategorische Imperativ“ haben schon immer die Freiräume und Grenzen für Satire aufgezeigt, denen sich auch Tucholsky beugt. In der Bibel werden „Satiriker“ übrigens „Spötter“ genannt und gelten als destruktive Gegenspieler des Guten. Beispielhaft: „Der Spötter sucht Weisheit und findet sie nicht“ oder „Die Spötter bringen eine Stadt in Aufruhr, aber die Weisen stillen den Zorn“ oder „Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert, aber die Zunge der Weisen bringt Heilung“ (alles aus dem Buch der Sprüche).

sybille eden / 07.01.2025

” ISLAMISMUS ” ist nichts anderes als angewandter ISLAM !  So wie auch ” Sozialdemokratismus ” nichts anderes ist als angewandter SOZIALISMUS !

susanne antalic / 07.01.2025

Niemand ist Charlie, weder damals noch jetzt, wir sind nur Untertanen, die wenn sie was kritisieren, werden Nazis genannt, von denen, die damals spielten, Charlie zu sein, es war alles nur Theater. Die schlimmsten und korruptesten spielen immer die Betroffene, medien wirksam halt und die Medien feiern sie wie die Heilsbringer.

Silvia Orlandi / 07.01.2025

„ Schwarzkopf“ weiß was Frauen mögen.  Ich war Charly, jetzt Charlene. Wer lacht, darf morgen nicht ausschlafen!

finn waidjuk / 07.01.2025

Blasphemie ist Menschenrecht (§48, Stellungnahme des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen, 2011). Falls sich irgendein Gott oder Gottheit beleidigt fühlt, so steht ihm jederzeit der Rechtsweg offen. Falls ihm der Klageweg zu umständlich erscheint, kann er immer noch auf Blitz und Donner zurückgreifen oder als letzte Warnung Heuschrecken schicken. Sollten sich allerdings seine Anhänger in ihrem Wahn beleidigt fühlen und glauben, ihrem erbärmlichen Gott einen Gefallen zu tun indem sie Ungläubige in die Luft sprengen, ihnen die Hälse abschneiden oder ganz einfach totfahren, so gehören sie mit aller Härte des Gesetzes bestraft und ihre widerliche Religion als Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit verboten.

Ilona Grimm / 07.01.2025

Immer diese „Islamisten“; ich halte das nicht mehr aus! Bitte begreifen Sie –Autoren, Leser und Kommentatoren- doch endlich, dass es überhaupt keine Islamisten gibt. Es gibt nur den einen Islam, und auch diese Bezeichnung ist irreführend, denn „Islam“ bedeutet keineswegs „Frieden“, wie immer wieder behauptet – und geglaubt - wird, sondern ♦Unterwerfung♦ → nicht nur passive (mehr oder weniger freiwillige), sondern auch aktive, gewaltsame Unterwerfung. Die Begriffe „Islamismus“, „Islamist“ usw. sind eine Erfindung der Mohammedaner, um die „Ungläubigen“ aller Welt zu täuschen. Der Begriff ist Teil der „Taqiyya“. „Mohammedaner“ ist die einzig angemessene Bezeichnung für die religiös getarnte Hegemonial-Ideologie des „Islam“. Denn Mohammed hat sie erfunden, ausgebaut und mit seinen Kriegern verbreitet. Mohammedaner sind aufgefordert, der Lehre und dem Vorbild Mohammeds in allen Belangen nachzueifern, was sie mit großem Eifer tun, wie wir sehen und erleben. Deshalb sind sie „Mohammedaner“. Mohammed gilt ihnen als „Prophet“; ihn zu verspotten gilt aber als GOTTESLÄSTERUNG, Mohammed ist also der (ein) Gott der Mohammedaner. - - - PS: Die Christen heißen Christen, weil sie Jesus CHRISTUS nacheifern und nachfolgen.

Karl Vogel / 07.01.2025

@ Burkhart Berthold: “In der multikulturellen Gesellschaft werden die Spielregeln des Zusammenlebens solange jeden Tag aufs Neues ausgehandelt, bis die Gesellschaft wieder monokulturell ist.” Eine wirklich bedenkenswerte Annahme, die , jedenfalls hier und heute, vielfach empirisch bestätigt wird.

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