112-Peterson: Sind Sie ein guter Mensch?

Nach Carl Gustav Jung reichen unsere Schatten bis hinab in die Hölle, in jene Abgründe in uns, auf die wir stoßen, wenn wir unseren böswilligen Impulsen auf den Grund gehen. Was wir dort vorfinden, haben wir mit Verbrechern gemein. Eine beängstigende Vorstellung! Und doch kann sie uns dazu verhelfen, uns vor Verletzungen zu schützen.

Charakteristischerweise sind Leute mit posttraumatischen Belastungsstörungen oft naiv gestrickt. Wenn ihnen etwas Schlimmes passiert, was nicht in ihre Philosophie, ihre Weltsicht passt, sind sie nicht darauf vorbereitet. Dann sind sie am Boden zerstört und zerbrechen daran. Wenn Sie jedoch die ganze Bandbreite dessen, zu was Sie fähig sind, kennen, können Sie sich vor solchen Erfahrungen schützen. Denn dieses Wissen hilft Ihnen, andere Menschen besser zu verstehen und klüger und umsichtiger zu handeln.

Das gilt besonders für Ihren Umgang mit Ihren Kindern. Wenn Sie wissen, zu was Sie als Mensch fähig sind, werden Sie sehr viel sorgsamer mit Ihren Worten und Taten umgehen. Ich meine nicht vorsichtig oder ängstlich, sondern dass Sie die Dinge geklärt haben sollten zwischen sich und Ihren Kindern. Zeigen Sie Ihren Kindern Ihre gute Seite. Kinder, die mit der bösen Seite ihrer Eltern konfrontiert sind, leiden fürchterlich. Möglicherweise werden sie missbraucht oder auf subtilere Weise vernachlässigt.

Auch Sie sind dazu ganz sicher fähig. Schauen Sie sich an, was Sie Leuten antun, die Sie nicht mögen. Das wird vom Nicht-beachten bis dahin reichen, dass Sie ihnen aktiv das Leben schwer machen. All das können Sie auch den Mitgliedern Ihrer Familie antun, Ihrem Partner, Ihren Freunden – und auch sich selbst. Seien Sie sich dessen bewusst.

Nicht nur der unschuldige Gute

Der Film „Breaking Bad” ist ein gutes Beispiel für die Macht der Jung’schen Schatten. Da ist der gewöhnliche Highschool-Lehrer mit seinem ganz normalen Leben. „Gewöhnlich“ ist er jedoch nur deshalb, weil er bislang noch keiner außergewöhnlichen Situation ausgesetzt war. Aber plötzlich geschieht das Abnormale. Er erkrankt an Krebs, sein Sohn wird ebenfalls krank und er befürchtet, dass er Frau und Kind mittellos zurücklassen muss. Er steht vor einer schwierigen moralischen Fragestellung.

So entscheidet er sich zu etwas, was normalerweise als verwerflich gilt – und verheddert sich darin. Und es zeigt sich, dass er nicht nur der unschuldige Gute ist, der sich eines Tages entscheidet, Schlechtes zu tun. Es ist komplizierter: Er ist insgesamt voller Ärger und Wut. Zum einen, weil er ein Schwächling ist, zum anderen, weil er seine Begabungen nicht entfalten konnte. Seine Freunde werden Unternehmer, während er als wenig erfolgreicher Highschool-Lehrer endet. Das macht ihn wütend, und umso größer ist seine Motivation, den schrecklichen Teilen seiner Persönlichkeit Raum zu geben. So zeigen sich die Brüche und Verwerfungen seines Charakters und leiten ihn immer weiter in Richtung ungehemmter Brutalität.

Um eine ähnliche Thematik geht es im Buch „Ordinary Men“. Es handelt von deutschen Polizisten in der Frühphase des 2. Weltkriegs. Aufgewachsen waren sie in den Zeiten vor der Hitler‘schen Propagandamaschinerie, sodass sie weniger empfänglich für die Propaganda waren als ganz junge Menschen, die in den 1930ern Teenager waren und direkt in die Propagandamaschine hineinwuchsen, wahrscheinlich als Teil der Hitlerjugend. Mit Anfang 20 jedoch ist die Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen, wie bei den Protagonisten des Buches.

Diese Polizisten wurden nach dem Einmarsch der Deutschen nach Polen geschickt. Im Krieg unterstellte man den Juden, dass sie als fünfte Kolonne operieren und die deutschen Kriegsanstrengungen unterminieren würden. Die Deutschen beschuldigten sie, die Verhältnisse geschaffen zu haben, die den Krieg erst notwendig machten. Die Polizisten sollten in Polen, grob gesagt, auch für „Frieden“ sorgen. Also trieben sie alle männlichen Juden zwischen 18 und 65 in Stadien zusammen und verschickten sie in Zügen. Aber das war noch nicht das Ende. Am Ende der Ausbildung stand ein furchtbar düsterer Ort, wo die Männer nackten Schwangeren in Rücken und Kopf schossen.

Wirklich interessant daran ist, dass ihr Vorgesetzter ihnen anbot, zu jeder Zeit nach Hause gehen zu können. Wir haben hier also gerade kein Beispiel für Täter als reine Befehlsempfänger. Einer der Gründe, warum die Männer das Angebot nicht annahmen, war, dass sie ihre Kameraden, die die schreckliche Arbeit machen mussten, nicht allein lassen wollten. Sie wollten nicht unkameradschaftlich sein. Unter anderen Umständen wäre dieses Verhalten keinesfalls tadelnswert; vielmehr würde man es als Bestandteil guter Teamarbeit ansehen. Und das war in Teilen auch die Sichtweise jener deutschen Polizisten.

Die Männer wurden übrigens psychisch und physisch krank von dem, was sie machen mussten. Dennoch: Sie machten weiter. So geht es Schritt für Schritt in die Hölle. Achten Sie auf diese Schritte!

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Maps of Meaning 4: Marionettes and Individuals (Part 3)“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Oliver Förstl / 07.03.2018

Sorry, aber wenn der Autor Menschen, die er nicht mag nicht beachtet und ihnen sogar das Leben aktiv schwer macht, ist er wirklich kein guter Mensch.

P. Alder / 07.03.2018

Vermutlich bin ich nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Mein Glück war es, in einer sozialen Umgebung aufzuwachsen, in der ich (meinen Ansprüchen entsprechend) “gut” sein konnte und diese Umgebung habe ich mir erhalten und sie gibt mir auch heute noch Raum, über solche Fragestellungen philosophieren zu können. Wenn ich mich frage “was wäre wenn…”, so als Gedankenexperiment, dann weiß ich, dass es Dinge gibt, für die oder gegen die ich mich ganz bewusst entscheiden muss und deren Konsequenzen ich dann auszuhalten habe. Ich glaube, dass ich das, was einen reifen lässt. Sich also nicht vom Schicksal vereinnahmen zu lassen sondern es selbst zu gestalten, auch wenn das Schicksal dadurch unwiderruflich besiegelt wird.

Mark Schild / 07.03.2018

Leider macht der hochgeschätzte Autor den Fehler seine Charakterschwächen und dunklen Züge der eigenen Persönlichkeit auf andere zu übertragen. Das ist ein altbekanntes und häufiges Phänomen. Überraschend, dass dies auch einem Peterson passiert.

Dolores Winter / 07.03.2018

Ich wäre nie so anmaßend mich als guten Menschen zu bezeichnen, aber ich kann mit reinem Gewissen sagen, dass ich Leuten, die ich nicht mag noch nie etwas angetan habe. Weder strafe ich sie mit Nicht-Achtung noch mache ich ihnen aktiv das Leben schwer. Wenn dies für den Autor gilt, habe ich ihn bisher völlig falsch eingeschätzt. Schade!

Bernd Ohm / 07.03.2018

“Ordinary Men” gibt’s auch übersetzt. Es heißt “Ganz normale Männer” und ist von Christopher Browning. Dass die darin beschriebenen Ordnungspolizisten “psychisch und physisch krank” wurden, ist schon ein bisschen verkürzt dargestellt. Sie haben sich halt dran gewöhnt.

Judith Hirsch / 07.03.2018

Es ist nicht überzeugend eine TV-Serie, also pure Fiktion, als Argumentationshilfe für seine Thesen oder als Rechtfertigung für seine eigenen Abgründe heranzuziehen. Zum Glück kann Peterson es deutlich besser und sachlicher.

Werner Arning / 07.03.2018

Um sein eigenes Verhalten besser beurteilen zu können, ist es hilfreich eine Perspektive außerhalb seiner selbst einzunehmen. Sich von außen zu betrachten und sich gleichzeitig der Tatsache bewusst zu sein, dass sehr viele unserer Verhaltensweisen, unserer Denkweise, unserer Gefühle von Dingen beeinflusst sind, die wir nicht steuern. Wir sind durch die Unstände unter denen wir „groß“ wurden zu etwas geworden, dass sich unabhängig von unseren bewussten Entscheidungen entwickelt hat. Dieses für uns zunächst Unsichtbare, Unterbewusste an die Oberfläche zu holen, ist unsere Aufgabe. Dadurch erhalten wir den Schlüssel zum Öffnen der verschlossenen Tür zu unserem Selbst. Haben wir sie einmal geöffnet, sind wir dem Spiel des Unbewussten nicht mehr in dem Maße ausgeliefert wie zuvor. Dann stehen uns „alle Türen offen“. Wir sind dann auch dem „Bösen“ in uns nicht mehr so ausgeliefert, wir wissen dann um seine Existenz, es verliert das Bedrohliche. Wir können in „gleichberechtigte Verhandlung“ mit ihm treten. Wir sind ihm nicht mehr ausgeliefert. Der Hauptdarsteller in „Breaking Bad“ entscheidet sich, nachdem er sich kennengelernt hatte, ganz bewusst für das Böse. Er entdeckt eine ihn faszinierende Seite an sich selbst. Doch da das Böse immer seinen Tribut fordert, verkümmert seine gutmütige, menschliche Seite, je mehr er sich der bösen Seite überlässt. Tolle Serie.

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