Sind Katzenvideos unsolidarisch?

An den "sozialen Medien" kann man kritisieren, dass sie alles andere, nur nicht sozial sind. Am Smartphone kann man das Suchtverhalten der Nutzer kritisieren. Aber wenn ein Kritiker die "sozialen Medien" kritisiert, erwähnt er als Erstes mit Verachtung, dass die Leute sich Katzenbilder und Katzenvideos schicken. Vorausgesetzt wird stets, dass der Austausch von Katzenbildern unpolitisch und niveaulos sei. So schreibt der Finanzexperte Dirk Müller:

"Wer den ganzen Tag Katzenvideos austauscht, kleinen Skandälchen belangloser Personen folgt und mit dem nächsten Schnäppchenkauf beschäftigt ist, der hinterfragt keine große Machtpolitik. Der hinterfragt selten genug die eigene nächste Umgebung." (Machtbeben. Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten.) 

"Hinterfragt" – wird in den niedlichen Katzenvideos gar nichts hinterfragt? Und ist denn ein Katzenbild nur politisch und niveauvoll, wenn es – im Stil des Stern –  ein zerrupftes Tier im Tierheim zeigt, wie es hoffnungslos durchs Gitter blickt? Oder bei Eisbären: Wenn das Bild des verzweifelten Eisbären auf der abgeschmolzenen Eisscholle gezeigt wird? Solche "politischen" Bilder, die die Menschheit  aufrütteln sollen, sind aber nicht die, die im Smartphone verschickt werden. Man freut sich zum Beispiel über tückische Katzen: Eine Katze – Katze A – beobachtet sehr lang eine andere Katze – Katze B –, die auf dem Schrank sitzt. B gehört da nicht hin, denn das ist die Domäne von A. Erst wenn der Eindringling B sich sicher fühlt, fegt der Domänen-Besitzer A sie mit einem Pfotenschlag in den Abgrund.

Um bei Abgründen zu bleiben: Lustig sind auch Katzenvideos, in denen die Katzenwürde den Bach herunter geht. Man lacht über die dicke Katze, die zu einem Sprung vom Tisch auf die Kommode ansetzt, weil sie sich noch für schlank wie in ihrer Jugendzeit hält – und zwischen Tisch und Kommode in den Abgrund plumpst.  

„Respekt“ zeigen und „Eingehen auf den Anderen“

Dass Kulturkritiker ausgerechnet an Katzenvideos Anstoß nehmen, liegt daran, dass die Leute sich amüsieren. Und das auch noch schadenfroh. Das geht ja gar nicht, das ist "unsolidarisch"! Zumal man heute gegenüber allem und Jedem total ernst bleiben und "Respekt" zeigen und das hochsensible "Eingehen auf den Anderen" praktizieren soll. Lachen über den Verlust der "Würde" Anderer, und sei es einer Katze – das gehört sich nicht! Die Befürchtung der Moralisten: Jemand, der über die Selbstüberschätzung jener dicken Katze lacht, könnte auch über jene Politikerinnen und Politiker lachen, die grandiose, angeblich federleicht zu realisierende Programme initiieren und dann im Abgrund der Realität landen. Das Lachen wäre dann nicht nur schadenfroh, sondern auch ein wissendes, wissend um den Unterschied zwischen dem Reich der Ideen und dem Reich des Empirischen. Heutzutage wissen Wählerinnen und Wähler, wenn federleichte politische Sprünge propagiert werden, auch, dass sie über die Kosten getäuscht werden, die hierbei im Reich des Empirischen entstehen. 

Es gibt auch andere Katzenvideos. Da ist man entzückt über niedliche kleine Kätzchen. Und übrigens auch über niedliche kleine Eisbären: Der kleine Eisbär geht, behütet von seiner Mutter, zögernd ins Wasser, und wenn er wieder rauskommt, wälzt er sich glücklich herum – niedlich! Seine Mutter ist nicht berufstätig und schleppt nicht um acht Uhr früh ihr heulendes Kleines in die Kita. Kleine Eisbären müssen sich auch auf keinem Kita-Spielplatz mit anderen Kindern herumprügeln, während die drei Aufsichtspersonen miteinander plaudern, ohne die Kinder auch nur eines Blickes zu würdigen. 

Ja, es ist selbstverständlich wünschenswert, dass Frauen ihr Recht auf Berufstätigkeit wahrnehmen. Ja, kleine Kinder lernen in der Kita auch etwas. Aber ebenso wahr ist es, dass das Bild vom kleinen Eisbären ein Glücksbild ist, und dass es dieses ist, das sich die Leute übers Smartphone zuschicken. Das Bild vom sorglosen, umsorgten kleinen Eisbären ist ein utopisches Bild. Vielleicht schicken es die Leute einander auch, weil ein solches Bild angesichts ungelöster gesellschaftlicher Probleme eine gewisse Sprengkraft hat.

Aber haben Kritiker nicht recht, wenn sie meinen, dass die Leute, statt ihre Zeit mit dem Ansehen von Katzen- und Eisbärenvideos zu verplempern, besser mit ihrer Freundin spazieren gehen sollten? Oder sonst was Lebendiges tun? – Klar! Nur: Ist es nicht auch lebendig, der schlechten Laune, in die das Bild vom armen Eisbären auf der abschmelzenden Scholle die Menschheit versetzen soll, ein Glücksbild entgegenzusetzen? – Und dem heutigen gesellschaftlichen Druck, ein Gutmensch sein zu müssen, die Schadenfreude über den Absturz einer sich selbst als federleicht idealisierenden dicken Katze? 

Foto: Mickey Bohnacker via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Emmanuel Precht / 26.03.2019

Ich hab kürzlich auch ein Bild einer besonderen Spezies im WWW gefunden. Aufgenommen bei einer Demo blau-lila-bunter Genderista. Da standen zwei besonders ausdruckstarke Exemplare nebeneinander, ihre Pappsprechblasen in die Höhe reckend. Die eine meinte “Frauen und Männer sind gleich” die andere unterstützte mit der Aufschrift “Alle Männer sind Schweine”. Na dann, wohlan…

Sabine Schönfelder / 26.03.2019

Eine kleine Geschichte aus der Ecke der paternalistischen Sichtweise. Katzenvideos, Bienchen und kleine Eisbären sind empfehlenswert, um eine infantile,  mit sich selbst beschäftigte, Gesellschaft mit Inhalten zu versorgen. Allerdings wird von den ‘Kulturkritikern’ aus den regierungstreuen ‘thinktanks’  das emotionale ‘framing’ gesetzt. In Zeiten, in welchen die Vermenschlichung der Tiere bereits perverse Formen annimmt, gelten auch für Haus-und Federvieh die höchsten moralischen Ansprüche. Wie über was gedacht wird, unterliegt immer noch der political correctness! Währet den Anfängen, damit die Masse immer schön im Nudging-Modus verweilt. Wie wäre es mit Tierbildern aus der grünen heilen Welt. Vogelschlagbilder, also tote, von Windkrafträdern geschredderte Vögel und Milliarden!! von Insekten, auch kleinen Bienchen, die im Windschlag unserer Ökoenergie ihr Summen einstellten. Viel Vergnügen beim Anschauen und bitte an alle Ökos im Netz weitersenden!

Gert Köppe / 26.03.2019

Woher wissen die denn so genau welche Videos sich die Leute schicken? Ist da etwa Schnüffelei im Spiel? Aber ja doch, ich vergaß, Gesinnungs-Diktaturen müssen natürlich die Leute “umfangreich”, bis in den letzten und kleinsten privaten Winkel, durchforsten. Nicht das da einer durch die Lappen geht und von der vorgeschriebenen “Gutmenschen-Linie” womöglich noch abweicht. Jetzt weiß ich wieder woher ich das kenne, aus der DDR! Sowas hatte ich doch schon, in ähnlicher Form, erlebt. Aber eins kann ich jetzt schon versprechen. Wenn wieder einer dieser “Politikstatisten” aus seinem “Elfenbeinturm im Kuckucks-Wolkenheim” eine harte Bruchlandung in die Realität macht und durch selbige Realität seine “feuchten Träume” vom “Heiapubeia-EU-Buntland-Siedlungsgebiet”, wo alle sich an den Händchen halten und Kumbaja singen, förmlich zerbröseln, dann werde ich nicht nur einen Lachkrampf bekommen. Ich werde Schadenfreude eimerweise versprühen und eine Party feiern, eine richtige Sause machen. Meine Hausbar habe ich schon mal prall gefüllt für den Fall der Fälle. Ach bin ich wieder gehässig! PS: Und ich habe nicht nur Katzenviedeos, ich hatte schon mehrmals Katzen. Die sind nicht nur niedlich, die sind auch sowas von schlau, das kann man von einigen unserer “Politiker-Darsteller” nicht unbedingt behaupten.

Rainer Kaufmann / 26.03.2019

... und deswegen schaue ich lieber Hundevideos. Hunde machen sich selbst zum Affen, und es ist ihnen vollkommen egal. Souveränität, die sonst den Katzen zugeschrieben werden. Analogien zum Menschen spare ich mir mal lieber.

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