Wem von uns (außer den Glatzenträgern) wäre das noch nicht passiert? Der Friseur ist fertig mit seinem Haarschnitt und zeigt stolz mit diesem hübschen Handspiegel, wie sein Werk von hinten aussieht und Du denkst Dir: „Ich sehe aus wie ein Trottel“. Aber da wir Älteren ja alle zur Höflichkeit erzogen wurden, nicken wir brav und sagen „sehr gut“ und geben noch ein Trinkgeld, weil letztlich ja der Friseur nichts dazu kann, dass er kein Schönheitschirurg ist. Das wäre ja auch teurer als 15 Euro für einen Herrenhaarschnitt gekommen. Dann triffst Du auf der Straße einen Bekannten und sagst: „Ich sehe aus wie ein Trottel“ und er erwidert pflichtschuldig: „… und außerdem warst Du beim Friseur!“
Oder im Restaurant: Das Essen war so „naja“, Du gehst aber davon aus, dass Du keine schlimmere Erkrankung als einen Durchfall bekommst, zahlst aber trotzdem und auf die Frage „Hat es geschmeckt?“ antwortest Du artig „ja, war gut“, in dem Wissen, dass Du das Etablissement nie wieder aufsuchen wirst, solltest Du die Salmonelleninfektion überleben. Die etwas Ehrlicheren sagen, dass es nicht so prall war und bekommen dann entweder eine Beschimpfung zurück oder einen Ramazotti aufs Haus. Ich traue mich so etwas nicht.
Immerhin aber halten mittlerweile neue Sitten in Deutschland Einzug und zwingen Händler und Gastronomen zu einem Umdenken und zur Verbesserung der Servicequalität, wenn sie den Tag überleben wollen. Es gibt eine nette Geschichte aus meinem Gymnasiallesebuch, in der ein Husar zu einem Barbier kommt und ihm droht, sollte ihn der Barbier beim Rasieren schneiden, er den Barbier stante pede zur Strecke bringt. Der Barbiermeister delegiert aus Angst an den Gesellen, dieser wiederum aus Furcht an den Lehrbuben. Der rasiert den Husaren ohne einen Schnitt und auf die Frage des Kunden, warum er sich das im Gegensatz zu seinen Chefs getraut habe, entgegnet der Azubi, dass er das Messer immer so gehalten habe, dass er dem Husaren beim leisesten Zucker die Kehle durchgeschnitten hätte … Aber ich schweife ab. Servicequalität.
Wo haben die alle das Zeug her?
Was wurde aus dem guten alten, aber bewährten „Ich will mit dem Chef sprechen“? Offensichtlich unzufriedene Kunden erschießen heute ihren Friseur (wie hier oder hier), strecken ihren Gastwirt nieder (wie hier oder hier oder hier) oder verleihen in einem Schnellrestaurant ihrem Unwillen über eine fehlende Käsefüllung mit einem Messer Ausdruck. Auch Ärzte müssen heute in ihren Diagnosen nicht nur vorsichtig sein, sondern an irgendeinem Punkt auch empathisch. Und sollten ihre Patienten nicht lange warten lassen, wenn sie nicht selbst einer werden wollen. Rechtsanwälte, Rettungskräfte, Reinigungskräfte, Bahnbedienstete, Beamte und Banker – es wird erschossen, erstochen und erdrosselt, was das Strafgesetzbuch hergibt. Dabei handelt es sich hier keineswegs um einen homogenen Täterkreis rund um Einmann. Bei meinen Recherchen stieß ich auf erstaunlich viele Rentner, die anscheinend nach 60 plus Lebensjahren einfach keine Lust mehr auf zeitraubende Diskussionen haben, weil sie ja selbst nicht mehr viel davon haben – oder für die „lebenslänglich“ keine wirkliche Strafe mehr ist, weil sie die zwei Monate auch noch locker absitzen.
Natürlich ist eine Todesdrohung durchaus eine Motivation, seinen Beruf gewissenhaft zu erledigen und sich noch einmal sozusagen „einen extra Schlag“ Mühe zu geben, wie die verblichenen „Angstgestellten“ von Kim Jong-un bestätigen würden, wenn sie denn noch könnten. Mich verblüfft jedoch die Vielzahl der Einzelfälle, bei denen Leute mit Pistolen, Messern, Macheten und Hackebeilen durch die Gegend rennen. Reklamationen sind ja eine Sache, aber man muss doch seinem Dienstleister auch eine Chance geben, seinen Fehler wiedergutzumachen? Und wo haben die überhaupt das Zeug her?
Ich habe so die romantische Vorstellung, mich am Frankfurter Hauptbahnhof mit dem Ex-Jugoslawen meines Vertrauens zu treffen, hinten bei den Schließfächern, vorbei an den Hobbypharmazeuten im diffusen Licht einer flackernden Neonleuchte und einer nach Urin stinkenden Ecke mit einem tropfenden Abwasserrohr. Und da irgendeine Makarov oder Glock mit abgefeilter Seriennummer erwerben. Aber wie kommt man an die Leute? Geht man da einfach mal mit aufgestelltem Mantelkragen hin? Oder muss ich dazu jemanden kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt? Wie funktioniert das? Und offensichtlich auch noch so häufig?
Und mit so einer Pistole ist es ja auch nicht getan. Man braucht ja auch Munition, sonst macht das ja keinen Sinn und man kann seinen Dienstleister ansonsten nur mit der Pistole bewerfen? Ich bin jetzt nicht traurig, dass ich anscheinend zu wenig kriminelle Energie habe oder ein viel zu zufriedener Mensch bin, um mich derart auf eine Beschwerde vorzubereiten, aber die ganzen Täter können doch auch alle keine Sportschützen sein? Ich kenne ein paar Schützen: Bis die ihre Waffen in der Hand haben, ist der Krieg schon wieder vorbei und der Ärger verraucht.
Ganz im Ernst und ohne Flachs: Kriminalität und Morde wegen Nichtigkeiten gab es schon immer. Überall. Aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass sich das hierzulande häuft. Ist das Paranoia oder erleben wir hier die Vorstufe eines Bürgerkrieges, bestehend aus Verrohung, Verachtung, Verzweiflung und Respektlosigkeit? Was ist los in diesem Land? Mit seinen Bürgern? Alle bekloppt geworden?