Hannes Berger hat einige Veränderungen am Erscheinungsbild des deutschen Steuerbeamten vorgenommen. Galt der lange Zeit als Verkörperung des miefigen Beamten, fantasielos, initiativlos, phlegmatisch, der Dienst nach Vorschrift abliefert und höchstens ein erotisches Verhältnis zu Stempeln hat, sieht das zumindest in diesem Fall ganz anders aus.
Denn Berger ist ein cleveres Kerlchen und überhaupt nicht initiativlos. Seine Idee brachte den deutschen Fiskus um Milliarden, er selbst hat sich in die sicheren Schweizer Berge zurückgezogen, von wo aus er bis heute lautstark behauptet, dass er lediglich völlig legale Arbitrage-Geschäfte angeregt habe. Darunter versteht man das Ausnützen von Preisunterschieden zum gleichen Zeitpunkt auf verschiedenen Märkten.
Also eine Aktie ist auf dem Markt A 10 Euro wert und auf dem Markt B nur 9. Also besorge ich mir sie doch für 9 und kann sie dann für 10 loswerden. Solche Geschäfte mag der Händler. Einfach, risikolos, jeder Depp versteht, wie’s funktioniert. Weil’s aber jeder kann, sind solche Arbitrage-Geschäfte normalerweise kaum gewinnträchtig in der globalisierten Wirtschaft, wo Marktinformationen in Echtzeit überall vorhanden sind.
Also muss man sich schon etwas mehr Mühe geben. Berger gab sich mehr Mühe. Er erfand ein Geschäft, das lediglich drei Beteiligte und einen kleinen Trick braucht. Und der geht so: A verkauft nahe am Ausschüttungstag der Dividende die Aktie Z an B. Der kleine Trick: A hat die Aktie gar nicht, es handelt sich um einen sogenannten Leerverkauf. Das ist legal. Leerverkäufer A muss die Aktie erst nach der Dividendenausschüttung an B liefern. Auch legal. Jetzt kommt noch C ins Spiel; er ist Besitzer der Aktie Z. Er bekommt die Dividende, von der 25 Prozent Kapitalertragssteuer einbehalten wird. Dafür bekommt C eine Gutschrift, die er erstattet bekommt, wenn er brav seine Steuererklärung abgibt.
Alle Beteiligten teilen sich dann die Beute
Noch dabei? Ist eigentlich gar nicht so schwer, und bis hierher geht alles mit rechten Dingen zu. Das ist auch weiterhin der Fall: A kauft nun die Aktie von C, die er ja an B liefern muss. Da die Aktie nun ohne Dividende ist, nämlich ex, A aber vor der Dividendenausschüttung die Lieferung der Aktie an B versprochen hat, also mit, lateinisch cum, legt A noch aus eigener Tasche die Dividende drauf, natürlich abzüglich der 25 Prozent Steuer. Bis hierhin vielleicht etwas kompliziert, aber nachvollziehbar und legal. Man fragt sich höchstens, wozu dieser Zirkus aufgeführt wird. Gemach.
Jetzt kommt der Berger-Salto: B bezeichnet sich nun gegenüber dem Fiskus als wirtschaftlich Berechtigter an der Aktie, da er sie ja zweifellos vor der Dividendenausschüttung von A gekauft hat. Und so macht B ebenfalls beim Fiskus eine Steuergutschrift geltend, da er ja so tun kann, als ob ihm bei der Dividendenausschüttung ebenfalls 25 Prozent Steuern abgeknöpft wurden. Simsalabim: Einmal Steuern bezahlt, zweimal Steuern zurück. Eine todsichere Sache, denn es gibt nicht so viele clevere Steuerbeamte wie Berger. Und natürlich machte man das über verschiedene Stationen im In- und Ausland, reichte bei verschiedenen Steuerämtern zu verschiedenen Zeiten Rückforderungen ein. Zu Cum-Ex gesellten sich dann auch noch Cum-Cum und andere Basteleien. Und richtig, alle Beteiligten teilen sich dann die Beute.
Nun mag sich der Finanzlaie fragen, wieso sich Banken die Mühe machten, ganze Fonds zu basteln und dafür das Geld von Investoren einzuwerben. Dumme Frage, aus reiner Geldgier natürlich. Denn, wie aus internen Unterlagen hervorgeht, die aus dem innersten Giftschrank der Schweizer Bank Safra Sarasin abhanden kamen, die an dem Andrehen von Fondsanteilen beteiligt war, konnte man von einem Bruttogewinn von – Achtung, hinsetzen, 100 Prozent ausgehen. 12 Prozent wurde an die Investoren ausbezahlt, die übrigen 88 Prozent teilten sich Fonds, Zwischenhändler und Vertreiber. Und Berger, der den sogenannten Sheridan-Fonds zumindest beriet, dürfte auch nicht leer ausgegangen sein.
Der gesunde Menschenverstand, Treu und Glauben und so weiter sagen einem, dass es wohl nicht angehen kann, einmal Steuern zu zahlen und zweimal Steuern zurückzukriegen. Darum gehe es aber gar nicht, sagen die Verteidiger dieser Geschäfte. Es gehe nur um die Frage, ob sie legal waren oder nicht. Unmoralisch, illegitim, das sind keine Begriffe, die vor Gericht Sinn machen. Und genau vor einem solchen Gericht, genauer vor dem Bonner Landgericht, stehen nun zwei Banker, die solche Cum-Ex-Geschäfte betrieben haben sollen.
Der größte Raubzug gegen den Staat seit dem Zweiten Weltkrieg
Alles legal, war halt eine Gesetzeslücke, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt, tönt Berger aus den Schweizer Bergen, man müsse das als etwas komplizierteres Arbitrage-Geschäft sehen. Einig sind sich zumindest alle darin: 2012 verbot der Gesetzgeber solche Geschäfte ausdrücklich. Daraus ergibt sich natürlich eine Reihe von Fragen. Wieso erst so spät? Viele Jahre warnten viele Stimmen davor, dass hier der Fiskus um Milliarden abgezockt werde. Bereits Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts warnten Steuerbeamte vor Dividendenstripping, wie man Cum-Ex damals nannte.
Und es passierte – genau nichts. Kein Finanzminister, nicht einmal Kavallerie-Steinbrück, sah Handlungsbedarf. Bis dann 2012 die Sache Formen annahm, weil inzwischen Hinz und Kunz, sogar US-Pensionskassen sich an dieser problemlos zu melkenden Milchkuh bedienten. Ganze Fonds waren darauf aufgebaut und konnten – welche Wohltat nach der Finanzkrise von 2008 – garantierte Rendite ohne Risiko versprechen. Darauf fielen nicht nur gierige Laien, sondern auch Multimillionäre wie Carsten Maschmeyer oder Drogerie-Müller herein und investierten Millionen.
Aber 2012 wurde die Milchkuh plötzlich geschlachtet, die Fonds implodierten. Und die Investoren explodierten und verlangten lauthals ihr Geld zurück. Was zumindest Maschmeyer und Drogerie-Müller auch nach zähem Ringen schafften. Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages schaffte es allerdings nicht, eine belastbare Zahl herauszufinden, um wie viel genau der deutsche Fiskus geschädigt worden war. 5 Milliarden, gar 50 Milliarden? Alle diese Zahlen werden herumgeboten. Niemand weiß nichts Genaues.
Also einigen wir uns vielleicht darauf, dass es wohl der größte Raubzug gegen den Staat seit dem Zweiten Weltkrieg war, genauer gegen den Steuerzahler. Dagegen ist selbst die Gründung einer Bank ein Dreck. Da sollen doch alle Profiteure den Profit zurückgeben müssen, zudem noch bestraft werden, mitsamt allen Helfershelfern. Denn der deutsche Fiskus ist doch offensichtlich mit krimineller Energie über den Tisch gezogen worden. Tja, wenn das alles so einfach wäre.
Zunächst einmal: Ja, richtig, hier wurden Milliarden abgezockt. War halt mal wieder für den aufrechten, aber nicht gerade hellen Steuerbeamten mit Ärmelschonern und Lichtschutzschirm nicht möglich, so etwas zu durchschauen. Nun, in Deutschland nicht. In Österreich und ein paar weiteren EU-Staaten auch nicht. Aber in der Schweiz schon. Hier rochen die eidgenössischen Steuerbeamten nach den ersten Rückforderungen Lunte und verweigerten Auszahlungen. Worauf sie von zähnefletschenden US-Fonds verklagt wurden. Aber zwar leicht nervös, doch fest in der Sache es darauf ankommen ließen – und die Prozesse gewannen.
Sind zwei kleine Banker wirklich die Bösewichte?
Da erhebt sich die Frage, ob der durchschnittliche Schweizer Steuerbeamte tatsächlich, nun, wie soll ich’s formulieren, aufgeweckter ist als sein europäischer Kollege. Aber lassen wir das dahingestellt. Denn die zweite Frage ist auch nicht uninteressant: War diese Abzocke denn vielleicht wirklich bis 2012 legal? Vielleicht nicht die feine Art, aber halt die Ausnützung einer Gesetzeslücke, sozusagen Notwehr gegen den Steuerstaat. Nein, sagt der deutsche Fiskus natürlich, das war immer ein Beschiss und daher immer illegal.
Damit ist er aber in der lustigen Bredouille, wieso es denn dann 2012 einen gesetzgeberischen Akt brauchte, wenn das alles schon immer ungesetzlich war. Und ob wir da allenfalls – in einem Rechtsstaat ein Unding – von rückwirkender Rechtsprechung reden müssen. Denn allgemein unbestritten ist, dass nach 2012 diese Abzocke abgeklemmt war, höchstens in neuen Varianten wie Cum-Cum wieder auflebte. Wenn wir schon bei Fragen sind: Und wieso brauchte der deutsche Rechtsstaat sieben Jahre, bis er die ersten Beschuldigten überhaupt vor Gericht brachte? Und sind zwei kleine Banker wirklich die Bösewichte?
Und die anderen Profiteure? Nun, Maschmeyer und Drogerie-Müller und andere verwandelten sich plötzlich in finanzielle Laien, Anfänger, ahnungslos, von bösen Bankern reingelegt, bzw. eingeseift. Einige Banken in Deutschland haben schon freiwillig Teile ihrer Beute an den Fiskus zurückgezahlt. Aber wir sprechen da vielleicht von ein paar hundert Millionen. Natürlich, auch dafür muss die Oma lange stricken. Aber im Vergleich zu den verschwundenen Milliarden ist das doch eher ein Klacks.
Gilt auch hier, letzte Frage, mal wieder, dass der Zweck die Mittel heiligt? Denn hier besorgte sich der einschlägig bekannte ehemalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans aus trüben Quellen von Dunkelmännern gegen Bezahlung Daten-CDs, auf denen Bankhäuser gelistet waren, die sich an diesen Cum-Ex-Zockereien beteiligt hatten. Hehlerware als Basis für Anklagen? In den USA würden solche Beweise als Frucht des vergifteten Baumes, da illegal beschafft, aus dem Gerichtssaal geworfen werden. In Deutschland kandidiert der dafür verantwortliche Ex-Minister für das Präsidium der SPD.
Übrigens ist nicht nur Berger bis heute der Ansicht, dass zumindest bis 2012 das alles eine völlig legale Ausnützung eines Steuerschlupflochs war, vornehmer ausgedrückt: ein Arbitrage-Geschäft, und wenn der Fiskus halt zu blöd ist ... Diese Auffassung teilt auch sein Verteidiger, denn natürlich laufen auch gegen Berger Verfahren in Deutschland. Ob er sich denen, wie angekündigt, persönlich stellen wird, kann bezweifelt werden. Aber anwesend wird der Vizepräsident des Deutschen Bundestags sein. Denn der FDP-Spitzenmann und Anwalt Wolfgang Kubicki verteidigt Berger.
Da Kubicki das sicherlich nicht pro bono, also umsonst, tut, wollen wir für ihn hoffen, dass hier das Schweizer Bankgeheimnis noch funktioniert und Berger seinen Anteil an der Beute so in Sicherheit gebracht hat, dass der deutsche Fiskus auch per Rechtshilfegesuch nicht seine Finger drauflegen kann.